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Underground Railroad (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2017
352 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-25774-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Underground Railroad - Colson Whitehead
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Colson Whiteheads Bestseller über eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte Amerikas - ausgezeichnet mit dem Pulitzer Preis 2017 und ab 14. Mai bei Amazon Prime unter der Regie von Academy-Award-Gewinner Barry Jenkins
Cora ist nur eine von unzähligen Schwarzen, die auf den Baumwollplantagen Georgias schlimmer als Tiere behandelt werden. Alle träumen von der Flucht - doch wie und wohin? Da hört Cora von der Underground Railroad, einem geheimen Fluchtnetzwerk für Sklaven. Über eine Falltür gelangt sie in den Untergrund und es beginnt eine atemberaubende Reise, auf der sie Leichendieben, Kopfgeldjägern, obskuren Ärzten, aber auch heldenhaften Bahnhofswärtern begegnet. Jeder Staat, den sie durchquert, hat andere Gesetze, andere Gefahren. Wartet am Ende wirklich die Freiheit? Colson Whiteheads Roman ist eine virtuose Abrechnung damit, was es bedeutete und immer noch bedeutet, schwarz zu sein in Amerika.

Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion's Fiction Award (2002) und war Stipendiat der MacArthur 'Genius' Fellowship. Für seinen Roman Underground Railroad wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Für seinen Roman Die Nickel Boys erhielt er 2020 erneut den Pulitzer-Preis. Bei Hanser erschienen bisher John Henry Days (Roman, 2004), Der Koloß von New York (2005), Apex (Roman, 2007), Der letzte Sommer auf Long Island (Roman, 2011), Zone One (Roman, 2014), Underground Railroad (Roman, 2017) und Die Nickel Boys (Roman, 2019). Der Autor lebt in Brooklyn.

Als Caesar das erste Mal von einer Flucht in den Norden redete, sagte Cora nein.

Da sprach ihre Großmutter aus ihr. Vor jenem gleißend hellen Nachmittag im Hafen von Ouidah, als das Wasser sie nach ihrer Zeit im Kerker des Forts blendete, hatte Coras Großmutter noch nie den Ozean gesehen. Sie wurden bis zur Ankunft der Schiffe im Kerker verwahrt. Räuber aus Dahomey entführten zuerst die Männer und kehrten im nächsten Mond in das Dorf zurück, um die Frauen und Kinder zu holen, die sie, zu zweit aneinandergekettet, ans Meer trieben. Während Ajarry in die schwarze Türöffnung starrte, glaubte sie, sie würde dort unten im Dunkeln mit ihrem Vater wiedervereinigt. Die Überlebenden aus ihrem Dorf erzählten ihr, ihr Vater habe auf dem langen Marsch nicht Schritt halten können, und die Sklavenhändler hätten ihm den Schädel eingeschlagen und seine Leiche am Weg liegen lassen. Ihre Mutter war schon vor Jahren gestorben.

Coras Großmutter wurde auf dem Treck zum Fort ein paarmal verkauft, wechselte für Kaurimuscheln und Glasperlen den Besitzer. Wie viel man in Ouidah für sie bezahlte, war schwer zu sagen, denn sie war Teil eines Großeinkaufs, achtundachtzig Menschenseelen für sechzig Kisten Rum und Schießpulver, ein Preis, auf den man sich nach dem üblichen Gefeilsche in Küstenenglisch einigte. Körperlich taugliche Männer und schwangere Frauen brachten mehr als Halbwüchsige, sodass eine individuelle Zurechnung schwierig war.

Die Nanny kam aus Liverpool und hatte zuvor schon zweimal an der Goldküste angelegt. Der Kapitän staffelte seine Käufe lieber, als sich eine Ladung von einheitlicher Kultur und Gesinnung einzuhandeln. Wer wusste schon, welche Form von Meuterei seine Gefangenen vielleicht ausheckten, wenn sie eine gemeinsame Sprache sprachen. Zwei blonde Seeleute ruderten Ajarry vor sich hin summend zum Schiff hinaus. Ihre Haut so weiß wie Knochen.

Die üble Luft im Laderaum, die Trübsal des Eingesperrtseins und die Schreie der an sie Geketteten, das alles trieb Ajarry in den Wahnsinn. Wegen ihres zarten Alters befriedigten die Kerkermeister zunächst nicht ihre Gelüste an ihr, aber nach sechs Wochen Fahrt zerrten einige der abgebrühteren Maate sie schließlich doch aus dem Laderaum. Zweimal versuchte sie sich auf der Reise nach Amerika umzubringen, einmal, indem sie nichts mehr aß, dann, indem sie sich zu ertränken versuchte. Beide Male vereitelten die Seeleute ihre Pläne, denn mit den Schlichen und Neigungen von beweglichem Eigentum kannten sie sich aus. Ajarry schaffte es nicht einmal bis zum Schandeck, als sie versuchte, über Bord zu springen. Ihr einfältiges Gebaren und der klägliche Anblick, den sie bot, bekannt von Tausenden von Sklaven vor ihr, verrieten ihre Absichten. Von Kopf bis Fuß in Ketten gelegt, von Kopf bis Fuß, wurde ihr Elend immer größer.

Obwohl sie sich bemüht hatten, bei der Auktion in Ouidah nicht getrennt zu werden, wurde der Rest ihrer Familie von portugiesischen Händlern von der Fregatte Vivilia gekauft, die man vier Monate später zehn Meilen vor Bermuda treiben sah. Die Pest hatte alle an Bord dahingerafft. Die Obrigkeit ließ das Schiff in Brand stecken, und man sah zu, wie es in Flammen aufging und sank. Coras Großmutter erfuhr nichts vom Schicksal des Schiffs. Für den Rest ihres Lebens stellte sie sich vor, ihre Verwandten arbeiteten für freundliche, großzügige Herren im Norden, übten schonendere Handwerke als sie selbst aus, Weben oder Spinnen, keine Feldarbeit. In ihren Geschichten kauften sich Isay, Sidoo und die anderen irgendwie aus der Sklaverei los und lebten als freie Männer und Frauen in der Stadt Pennsylvania, einem Ort, über den sie einmal zwei weiße Männer zufällig hatte reden hören. Diese Phantasien spendeten Ajarry Trost, wenn ihre Lasten so gewaltig wurden, dass sie in tausend Stücke zersprang.

Das nächste Mal verkauft wurde Coras Großmutter nach einem Monat im Pesthaus auf Sullivan’s Island, sobald die Ärzte bescheinigten, dass sie und die übrige Fracht der Nanny von Krankheit frei waren. Abermals ein geschäftiger Tag an der Börse. Eine große Auktion zog stets ein buntes Publikum an. Von überallher entlang der Küste strömten Händler und Vermittler in Charleston zusammen und prüften Augen, Gelenke und Wirbelsäule der Ware, auf der Hut vor Geschlechtskrankheiten und anderen Leiden. Die Schaulustigen verzehrten frische Austern und warmen Mais, während die Versteigerer in die Luft brüllten. Die Sklaven standen nackt auf dem Podest. Es kam zu einem Bieterwettstreit um eine Gruppe von Ashanti-Hengsten, jenen Afrikanern, die für ihren Fleiß und ihre Muskulatur berühmt waren, und der Vorarbeiter eines Kalksteinbruchs kaufte verblüffend preiswert etliche Negerbabys. Unter den Gaffern sah Coras Großmutter einen kleinen Jungen, der Kandiszucker aß, und fragte sich, was er sich da in den Mund steckte.

Kurz vor Sonnenuntergang kaufte ein Händler sie für zweihundertsechsundzwanzig Dollar. Sie hätte mehr eingebracht, wenn in dieser Saison kein Überangebot an jungen Mädchen geherrscht hätte. Sein Anzug bestand aus dem weißesten Tuch, das sie je gesehen hatte. An seinen Fingern funkelten Ringe mit eingefassten farbigen Steinen. Als er sie in die Brüste kniff, um festzustellen, ob sie mannbar war, spürte sie das Metall kalt auf ihrer Haut. Sie wurde, nicht zum ersten Mal, gebrandmarkt und an die anderen Erwerbungen des Tages gefesselt. Hinter dem Einspänner des Händlers herwankend, trat der Zug der Sklaven noch an jenem Abend den langen Marsch nach Süden an. Die Nanny war um diese Zeit schon auf dem Weg zurück nach Liverpool, beladen mit Zucker und Tabak. Unter Deck ertönten weniger Schreie.

Man hätte Coras Großmutter für verflucht halten können, so oft wurde sie im Lauf der nächsten Jahre verkauft, eingetauscht und wieder verkauft. Ihre Besitzer gingen verblüffend häufig bankrott. Ihr erster Herr wurde von einem Mann übers Ohr gehauen, der ein Gerät verkaufte, das Baumwolle angeblich doppelt so schnell reinigte wie Whitneys Egreniermaschine. Die Skizzen waren überzeugend, doch am Ende war Ajarry nur ein weiterer Vermögenswert, der auf Anweisung des Magistrats abgewickelt wurde. Sie ging, etwas überstürzt, für hundertachtzehn Dollar weg, ein Preisrückgang, der den Realitäten des lokalen Markts geschuldet war. Ein anderer Besitzer verschied an der Wassersucht, worauf seine Witwe den Besitz auflöste, um die Rückkehr in ihre Heimat Europa zu finanzieren, wo es sauber war. Ajarry verbrachte drei Monate als Eigentum eines Walisers, der schließlich sie, drei weitere Sklaven und zwei Hausschweine bei einer Partie Whist verlor. Und so weiter.

Ihr Preis schwankte. Wenn man so oft verkauft wird, lehrt einen die Welt, aufmerksam zu sein. Sie lernte, sich rasch an die neuen Plantagen anzupassen, die Niggerschinder von den bloß Grausamen zu unterscheiden, die Faulenzer von den Arbeitsamen, die Spitzel von den Verschwiegenen. Herren und Herrinnen in Abstufungen von Bösartigkeit, Besitzungen mit grundverschiedenen finanziellen Möglichkeiten und Ambitionen. Manchmal wollten die Plantagenbesitzer nichts weiter als ein bescheidenes Leben fristen, dann wieder gab es Männer und Frauen, die die ganze Welt besitzen wollten, als wäre das nur eine Frage der passenden Fläche. Zweihundertachtundvierzig, zweihundertsechzig, zweihundertsiebzig Dollar. Überall, wohin sie kam, ging es um Zucker und Indigo, abgesehen von einer Woche, in der sie Tabakblätter faltete, bevor sie abermals verkauft wurde. Der Händler besuchte die Tabakplantage, wo man Sklavinnen im fortpflanzungsfähigen Alter suchte, vorzugsweise mit sämtlichen Zähnen und von gefügiger Gemütsart. Inzwischen war sie eine Frau. Und wurde verkauft.

Sie wusste, dass die Wissenschaftler des weißen Mannes unter die Oberfläche der Dinge schauten, um zu verstehen, wie sie funktionierten. Die Bewegung der Sterne durch die Nacht, das Zusammenwirken der Säfte im Blut. Die klimatischen Bedingungen für eine ordentliche Baumwollernte. Ajarry machte eine Wissenschaft aus ihrem schwarzen Körper und sammelte Beobachtungen. Jedes Ding hatte einen Wert, und mit der Veränderung dieses Wertes veränderte sich auch alles andere. Eine kaputte Kalebasse war weniger wert als eine, aus der das Wasser nicht herauslief, ein Haken, der den Katzenfisch festhielt, wertvoller als einer, der den Köder preisgab. Das Sonderbare an Amerika war, dass Menschen Dinge waren. Einen alten Mann, der eine Fahrt über den Ozean nicht überleben würde, schrieb man am besten als Verlust ab. Ein junger Bursche aus kräftigem Stamm brachte die Kunden in Raserei. Ein Sklavenmädchen, das Junge hervorpresste, glich einer Münzanstalt, Geld, das Geld heckte. Wenn man ein Ding war – ein Karren, ein Pferd oder ein Sklave –, bestimmte der Wert, den man besaß, die Möglichkeiten, die man hatte. Sie achtete darauf, wo ihr Platz war.

Schließlich Georgia. Ein Vertreter der Randall-Plantage kaufte sie für zweihundertzweiundneunzig Dollar, trotz der neuen Leere hinter ihren Augen, die sie einfältig wirken ließ. Für den Rest ihres Lebens tat sie keinen Atemzug mehr außerhalb von Randall-Land. Sie war zu Hause auf dieser Insel ohne Aussicht auf irgendetwas.

Dreimal nahm sich Coras Großmutter einen Mann. Sie hatte eine Vorliebe für breite Schultern und große Hände, genau wie der alte Randall, obwohl der Herr und seine Sklavin unterschiedliche Arten von Arbeit im Sinn hatten. Die beiden Plantagen waren gut eingedeckt, neunzig Stück Nigger auf der nördlichen und fünfundachtzig Stück auf der südlichen Hälfte. Im Allgemeinen konnte Ajarry es sich aussuchen. Wenn nicht, war sie geduldig.

Ihr erster Mann entwickelte einen Hang zum...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2017
Übersetzer Nikolaus Stingl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Underground Railroad
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Aaron Pierre • Afroamerikaner • Amazon Prime • Amerika • barack obama • Barry Jenkins • Bestseller • Brad Pitt • Chase Dillon • Demokratie • Diskriminierung • Donald Trump • Flucht • Freiheit • Georgia • Geschichte • Gesellschaft • Great American Novel • heimkehren • Joel Edgerton • Moonlight • National Book Award • Nordstaaten • North Carolina • Pulitzer Preis • Rassismus • Serie • Sklaverei • Südstaaten • Thuso Mbedu • Yaa Gyasi
ISBN-10 3-446-25774-8 / 3446257748
ISBN-13 978-3-446-25774-0 / 9783446257740
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