Beethoven (eBook)
512 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-19436-9 (ISBN)
Um 1800 ereignet sich eine musikalische Revolution: Ludwig van Beethoven erschafft mit der Eroica, dem Fidelio oder der 9. Sinfonie die Welt ein zweites Mal. Martin Geck, einer der besten Beethoven-Kenner, zeigt in seinem Werk das Universum dieses Jahrhundertgenies auf unkonventionelle Weise: Welches Verhältnis pflegte Beethoven zu Goethe, Napoleon und Schubert? Und wie wichtig war Beethoven seinerseits für Richard Wagner, Glenn Gould oder Aldous Huxley? In charmanten wie kenntnisreichen Porträts erschließt Geck die Leitbilder Beethovens, seine Zeitgenossen und Nachfahren - und erklärt so seine ungebrochene Strahlkraft.
Mit zahlreichen Abbildungen.
Martin Geck war Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund. Seine Bücher zur Musikgeschichte und seine Biographien großer Komponisten (u.a. über Mozart, Bach und Wagner) wurden von der Kritik hoch gelobt und in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Für sein Buch über Johann Sebastian Bach wurde er mit dem Gleim-Literaturpreis ausgezeichnet. Er starb 2019.
Wilhelm Furtwängler
Vom jungen Furtwängler, der als 25-jähriger Kapellmeister in Lübeck alsbald mit der Eroica Furore macht, berichtet seine dortige Gönnerin Ida Boy-Ed, er schwöre auf Beethoven als einen »sinfonischen Jupiter«, der »Höhepunkte der Höhepunkte« komponiert habe.26 Zwar neigt die zu ihrer Zeit populäre Schriftstellerin und Salonière zu Übertreibungen; dass jedoch Beethoven schon dem jungen Furtwängler über alles geht, will man ihr gern glauben: Ohne Beethoven hätte Furtwängler – zugespitzt formuliert – niemals in die Rolle eines Stardirigenten schlüpfen können, da sie erst durch Beethovens Musik denkbar geworden war.
Da ist zunächst das Orchester: Bis ins 19. Jahrhundert wird dieses in der Regel vom Konzertmeisterpult und/oder vom Tasteninstrument aus geleitet. Dass sich in dieser Hinsicht namentlich im Blick auf Beethovens Sinfonik etwas ändert, belegt die Bemerkung E. T. A. Hoffmanns, die Fünfte ließe sich kaum noch vom Violinpult aus zusammenhalten. Primäre Ursache ist weniger der nur allmählich sich vergrößernde Orchesterapparat als vielmehr der neuartige Umgang Beethovens mit diesem. Zum einen macht die Emanzipation der einzelnen Blasinstrumente und tiefen Streicher vom Gesamtklang in einem solchen Maß Fortschritte, dass ein Dirigat unumgänglich wird, welches von Fall zu Fall einzelnen Instrumenten oder Gruppen spezielle Aufmerksamkeit schenkt. Dasselbe gilt zum Zweiten für Kompositionsverfahren wie »obligates Accompagnement« und »durchbrochene Arbeit«, die zwar keine Alleinstellungsmerkmale Beethovens sind, jedoch von ihm besonders gepflegt werden. Zum Dritten geht es um die für Beethovens Musik charakteristischen Irregularitäten, die von einem Dirigenten koordiniert werden müssen: unerwartete Takt- und Akzentverschiebungen, Orchesterschläge auf unbetontem Taktteil, vermeintlich falsche Repriseneinsätze und vieles mehr. Im Falle Beethovens steht ein eigenwilliges Komponistensubjekt einem Orchesterkollektiv gegenüber, das der »Führung« durch einen Vertreter dieses Komponistensubjekts bedarf. Dieser Vertreter aber ist der Dirigent, der – über Beethoven hinausgeblickt – nunmehr oft in Personalunion mit dem Komponisten in Erscheinung tritt.
Dazu kommt die Vorstellung, dass Beethovens Musik – speziell seine Sinfonik – eine Ideenmusik darstelle, deren Schwingungen nur erwählte Geister an das Publikum zu vermitteln vermöchten. Furtwängler hat sich zeitlebens als ein Dirigent gesehen, welcher der von ihm aufgeführten Musik – bevorzugt derjenigen Beethovens – in jeder Aufführung ihre Seele neu einzuhauchen habe; folgerichtig dirigiert er nach eigenem Verständnis nicht nur Musik, sondern als Vertreter Beethovens auch die Seelen seiner Zuhörer. Wenn in seinen Schriften und Reden beständig von »der Seele des Musikers Beethoven« und vom »seelisch-geistigen« Erleben der Musik entgegen »einer Welt unfruchtbarer intellektueller Illusionen« die Rede ist,27 so schlägt sich darin eine Tradition nieder, die im Kult um die »deutsche Seele« eine von ihm durchaus gebilligte Zuspitzung findet. Diesem Kult huldigen spätestens seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts viele Künstler und Intellektuelle, indem sie im Zeichen der später so genannten »konservativen Revolution« eine Kultur des Geistes und der »deutschen Innerlichkeit« gegen den Ungeist bloßen Zivilisationsgehabes verteidigen zu müssen glauben. Auch der elf Jahre vor Furtwängler geborene Beethoven-Verehrer Thomas Mann steht dieser Strömung zunächst durchaus nahe. 1914 heißt es in seinen Gedanken im Kriege: »Die deutsche Seele ist zu tief, als daß Zivilisation ihr ein Hochbegriff oder etwa der höchste gar sein könnte.«28
Doch während sich Thomas Mann im Laufe der Jahre von solchem Irrationalismus weitgehend distanziert, im Doktor Faustus die eigene Haltung reflektiert und – politisch gesehen – zu einem entschiedenen Gegner des Naziregimes wird, bleibt Furtwängler, der von Mann schon in einer Tagebuchnotiz von 1933 als »Lakai« des neuen Regimes kritisiert wird,29 seinem Weltbild treu, ohne deshalb zum erklärten Nationalsozialisten zu werden: Ihm geht es um die Sache der (deutschen) Kunst; und vor diesem Hintergrund lässt sich seine Haltung dem Regime gegenüber besser nachvollziehen, als wenn man Furtwängler nackten Opportunismus unterstellt.
Metaphysik, Irrationalismus, Gemütstiefe, deutsche Seele, Ethos der Musik und speziell derjenigen Beethovens – all das sind Kategorien, die nicht nur Furtwängler in seinem geistigen Gepäck mit sich herumträgt, die vielmehr als Bestandteile deutsch-bildungsbürgerlicher Wertvorstellungen gern von der nationalsozialistischen Ideologie aufgegriffen werden, in Teilen kaum von ihr zu unterscheiden sind. Noch 1942, also mitten im »totalen Krieg«, der solchen Wertvorstellungen de facto Hohn spricht, kann man in der gelenkten Presse über ein Werkpausenkonzert lesen, das Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern in den Fabrikhallen der Berliner AEG gibt: »Die deutsche Seele, die aus den Werken unserer Großen spricht, läßt auch die Saiten im Herzen schaffender deutscher Menschen mitschwingen und wer sich selbst täglich und stündlich um ehrliche Leistung bemüht, der hat auch das Gefühl für die Leistung der Kunst«, die hier »von einem unserer größten Dirigenten« dargeboten werde.30
Da zeigt sich ein diffuses Gemenge von Wertvorstellungen ganz unterschiedlicher Herkunft; und Furtwängler, der seine – freilich seltenen – Auftritte in Fabrikhallen als nationale Pflicht betrachtet, mag ein solcher Bericht zur Selbstrechtfertigung gedient haben. Womöglich fehlte ihm generell ein Sensorium dafür, wie politisch er als vermeintlich unpolitischer Kunstjünger hier agierte. Doch kaum ein Deutscher, der nicht über den Blick des ins Exil Getriebenen verfügte, mag das anders gesehen haben – damals und über den Zweiten Weltkrieg hinaus: Wenn etwas der nationalsozialistischen Ideologie unverdächtig erschien, so waren es der Hang zum Irrationalismus und das Credo von der deutschen Innerlichkeit. Ganz in diesem Sinne konnte man am 31. Oktober 1946 in der Berliner Täglichen Rundschau über eine Eroica-Aufführung unter Sergiu Celibidache, dem Nachfolger Furtwänglers als Leiter der Berliner Philharmoniker, lesen: »Er gibt in Vollendung alles, was die Noten sagen. Die Zucht seines Musizierens ist großartig. Die Tempi überzeugen. Das Wuchtige und Zarte wird wohl ausgewogen. So vermag er das Gehäuse makellos hinzustellen wie kaum einer seiner Generation. Es fehlt nur noch etwas von dem, was hinter den Noten liegt, das Geistige, Ethische, die Enthüllung der Idee, also dessen, was nicht mit Worten zu sagen ist, was aber in den Hörern zu letzten Tiefen dringt. Das ist es, was seine Darstellung von der Furtwänglers noch so weit trennt.«31
Dieser Furtwängler hat damals wegen des noch schwebenden Entnazifizierungsverfahrens in Deutschland Berufsverbot, wird aber seinen Posten eines Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker einige Jahre später wieder antreten – diesmal auf Lebenszeit. Die Rolle, die er zuvor eingenommen hat, will er auch zu diesem Zeitpunkt nicht begreifen: Gleich Millionen anderer Deutscher, die ihr schweres Kriegsschicksal beklagen, sieht er sich angesichts des untergegangenen totalitären Systems vor allem als Opfer, nicht als Täter.
Man kann das mit Thomas Mann verurteilen oder, wie gesagt, nachvollziehen, ohne es deshalb billigen zu müssen: Auch willensstarke Persönlichkeiten neigen gegenüber ihrer Umgebung umso mehr zur Bestechlichkeit, je ersichtlicher man ihre künstlerische Tätigkeit nicht nur akzeptiert, sondern geradezu in den Himmel hebt. Furtwängler ist kein Thomas Mann, der aus Deutschland weichen muss, weil er mit einer Jüdin verheiratet ist, als Kulturbolschewist gilt und – wenige Jahre nach der Verleihung des Nobelpreises für Literatur – die rituelle Verbrennung seiner Bücher erleben muss. Nein, Furtwängler wird als ein Hohepriester deutscher Musikkultur und als Verwalter eines spezifisch Beethovenschen Erbes von den neuen Machthabern verehrt. Hitler, Himmler, Goebbels – sie alle sind nicht nur begeisterte Beethoven-Hörer, wollen vielmehr bevorzugt Furtwänglers Eroica oder Fünfte hören. Hitler verfügt mehrfach, dass Furtwängler eine ihm politisch wichtige Beethoven-Aufführung leiten solle; und Goebbels scheint in einem fast schwärmerischen Sinne auf Furtwängler als Kunstheros fixiert gewesen zu sein.32
So darf sich der Dirigent gleichsam auf Augenhöhe mit den Machthabern wähnen, zu denen er in der Tat persönlichen Zugang hat; auch ist er subjektiv der Überzeugung, nur Gutes zu tun, wenn er sich nicht nur beständig für jüdische Musikerkollegen, sondern für Hindemiths neue Oper Mathis der Maler einsetzt, die er im Gegensatz zu den Machthabern als hundertmal wertvoller einschätzt als die offiziell geförderte, jedoch von ihm meistenteils verachtete Musik von Regimeanhängern. Gelegentlich überschätzt er seinen Einfluss: Das öffentliche Eintreten für Hindemiths Weltanschauungswerk vermag ein Aufführungsverbot nicht zu verhindern – worauf Furtwängler auf Druck Hitlers, der ihm seine öffentlichen Quertreibereien nicht verzeiht, von seinen Ämtern zurücktritt. Vom Publikum wird er freilich alsbald auf das Höchste vermisst. Über ein Konzert der Berliner Philharmoniker in Breslau, das Eugen Jochum an seiner Stelle leitet, heißt es in der Presse: »Es fehlte das wesentliche...
Erscheint lt. Verlag | 22.9.2017 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Beethoven Buch • Beethovenhaus • Beethovenjahr • Biografie • Biografie Bestseller • Biographien • Bonn • Dirigent • eBooks • Franz Schubert • Johann Sebastian Bach • Klassik • Komponisten • Kunst • Musik • Musikgeschichte • Napoleon • Nietzsche • Rousseau • Shakespeare • Wagner • Wiener Klassik |
ISBN-10 | 3-641-19436-9 / 3641194369 |
ISBN-13 | 978-3-641-19436-9 / 9783641194369 |
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