Der dunkle Wald (eBook)
816 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-17458-3 (ISBN)
Der erste Kontakt mit einer außerirdischen Spezies hat die Menschheit in eine Krise gestürzt, denn die fremde Zivilisation hat sich Zugang zu jeglicher menschlicher Informationstechnologie verschafft. Der einzige Informationsspeicher, der noch vor den Aliens geschützt ist, ist das menschliche Gehirn, weshalb das Wandschauer-Projekt ins Leben gerufen wird: Vier Wissenschaftler sollen die ultimative Verteidigungsstrategie gegen die Aliens ausarbeiten - doch können sie einander trauen?
Cixin Liu ist der erfolgreichste chinesische Science-Fiction-Autor. Er hat lange Zeit als Ingenieur in einem Kraftwerk gearbeitet, bevor er sich ganz seiner Schriftstellerkarriere widmen konnte. Seine Romane und Erzählungen wurden bereits viele Male mit dem Galaxy Award prämiert. Cixin Lius Roman »Die drei Sonnen« wurde 2015 als erster chinesischer Roman überhaupt mit dem Hugo Award ausgezeichnet und wird international als ein Meilenstein der Science-Fiction gefeiert. Zusammen mit den beiden Folgebänden »Der dunkle Wald« und »Jenseits der Zeit« wurde die Trisolaris-Trilogie als TV-Serie 3 Body Problem für Netflix verfilmt.
Jahr 3 der Krise
Abstand der Trisolaris-Flotte zum Sonnensystem:
4,21 Lichtjahre
Wie alt es aussieht …
Das war Wu Yues erster Gedanke, als er im flackernden Schein gleißender Lichtbögen beim Bau des riesigen Schiffes Tang zusah. Natürlich lag das nur an den zahllosen, unbedeutenden Flecken auf dem fast fertiggestellten Rumpf, die beim Zusammenschweißen der Manganstahlplatten entstanden waren. Er versuchte vergeblich, sich vorzustellen, wie neu und robust die Tang erst aussehen würde, sobald man ihr einen frischen grauen Anstrich verpasst hatte.
Soeben war für die Mannschaft der Tang das vierte Küstengewässermanöver zu Ende gegangen. Während dieser beiden Monate hatten sich die leitenden Offiziere des Schiffes, Wu Yue und der neben ihm stehende Zhang Beihai, in einer heiklen Situation befunden: Die Kommandeure befehligten den Gefechtsverband aus Zerstörern, U-Booten und Versorgungsschiffen. Doch da die Tang immer noch in der Werft lag, übernahm bei dem Manöver entweder das Trainingsschiff Zheng He ihre Position, oder es blieb eine Lücke in der Formation. Wu Yue hatte oft auf die leere Stelle hinausgestarrt, wo die Wasseroberfläche von den Heckwellen der kreuz und quer fahrenden Schiffe aufgewirbelt wurde. Dieser Anblick hatte ihn an seinen eigenen Gemütszustand erinnert. Wiederholt hatte er sich gefragt, ob diese Leerstelle wohl jemals gefüllt werden würde.
Als er nun die unfertige Tang betrachtete, kam sie ihm nicht nur alt vor, sondern wie ein Sinnbild für Vergänglichkeit. Sie wirkte wie eine riesige, verlassene Festung, ihr fleckiger Rumpf wie eine bröckelnde Steinmauer und die vom Baugerüst herunterregnenden Funken wie Kletterpflanzen auf antikem Mauerwerk … Alles in allem sah sie wie ein archäologisches Fundstück aus und nicht wie eine Neukonstruktion.
Wu Yue machte dieser Gedanke Angst. Also wandte er sich an Zhang Beihai und fragte: »Geht es Ihrem Vater wieder besser?«
Zhang Beihai schüttelte sacht den Kopf. »Nein. Aber er ist stabil.«
»Sie sollten um Urlaub bitten.«
»Das habe ich bereits getan, als er eingeliefert wurde. Jetzt warte ich erst einmal ab und sehe dann weiter.«
Die Unterhaltung verstummte. So wie jedes Mal, wenn es persönlich wurde. Berufliche Gespräche fielen ihnen leichter, aber auch dabei schien immer irgendetwas zwischen ihnen zu stehen.
»Unsere Arbeit wird immer wichtiger, Beihai. Da wir uns diese Verantwortung teilen, sollten wir meines Erachtens mehr miteinander reden.«
»Wir reden doch schon genug miteinander. Hätten wir nicht so erfolgreich auf der Chang’an zusammengearbeitet, wären wir von denen da oben sicher nicht für die Tang abgestellt worden.« Zhang Beihai lachte, als er das sagte. Doch es war die Art von Lachen, die Wu Yue nur schwer deuten konnte. Zhang Beihai konnte tief in die Herzen sämtlicher Besatzungsmitglieder blicken, egal ob Kapitän oder Matrose. Auch Wu Yue war für ihn wie ein offenes Buch.
Wu hingegen hatte keine Ahnung, was in Zhang vorging. Er war sich sicher, dass sein Lachen nicht aufgesetzt war, aber er machte sich keine Hoffnungen, je aus diesem Menschen schlau zu werden.
Für eine gute Zusammenarbeit war es nicht unbedingt nötig, dass man sich auch gut verstand. Zweifellos war Zhang Beihai der fähigste Politkommissar auf dem Schiff, er war sehr geradeheraus und analysierte alles gründlich bis ins kleinste Detail. Doch was in ihm vorging, blieb Wu Yue rätselhaft. Ständig kam es ihm so vor, als wolle Zhang Beihai ihm zu verstehen geben: Mach ruhig, so ist es am besten oder zumindest einigermaßen in Ordnung. Aber eigentlich möchte ich es anders haben. Anfangs war es nur ein vages Gefühl, doch irgendwann ließ es sich nicht mehr leugnen. Selbstverständlich verhielt sich Zhang Beihai stets mustergültig und korrekt, aber was ihn wirklich umtrieb … Wu Yue wusste es nicht.
Für Wu Yue galt der Grundsatz: Wenn man sich eine so gefährliche Aufgabe wie das Kommando über ein Schiff teilte, musste man sich in den anderen hineinversetzen können. Aber mit Zhang schien das unmöglich zu sein. Er hatte das Gefühl, dass Zhang ihm misstraute, und das kränkte ihn. Gab es denn irgendjemanden, der den schwierigen Posten eines Zerstörerkapitäns aufrechter und integrer versah als er? Womit habe ich diesen Argwohn verdient?
Als Zhang Beihais Vater für kurze Zeit ihrer beider Vorgesetzter gewesen war, hatte Wu Yue ihn auf die Verständigungsschwierigkeiten mit seinem Politkommissar angesprochen.
»Was soll’s?«, hatte ihn der General freundlich gefragt. »Solange die Arbeit reibungslos funktioniert, ist doch alles bestens.« Und dann hatte er hinzugefügt: »Und um ehrlich zu sein: Ich verstehe ihn auch nicht.«
»Lassen Sie uns etwas näher herangehen«, sagte Zhang Beihai und deutete auf die im Funkenmeer gebadete Tang. In diesem Augenblick piepsten gleichzeitig ihre Handys: Eine SMS beorderte sie zurück zu ihrem Auto. Das verhieß nichts Gutes, da nur die Kommunikationsanlage im Wagen abhörsicher war. Wu Yue öffnete die Wagentür und nahm den Hörer ab. Der Anruf kam von einem Berater aus der Zentrale.
»Kapitän Wu, Eilbefehl an Sie und Politkommissar Zhang: Machen Sie sofortige Meldung beim Hauptquartier des Generalstabs.«
»Beim Generalstab? Und was ist mit den Truppenübungen der Fünften Flotte? Der halbe Gefechtsverband ist bereits auf See, und die übrigen Schiffe werden morgen dazustoßen.«
»Davon weiß ich nichts, aber der Befehl ist eindeutig. Die genaueren Details erfahren Sie vor Ort.«
Der Kapitän und der Politkommissar der noch nicht seetüchtigen Tang sahen einander an und erlebten einen der seltenen Augenblicke, in denen sie das Gleiche dachten: Sieht so aus, als würde dieser Fleck Wasser für immer leer bleiben.
Festung Greely, Alaska. Der Damhirsch, der eben noch sorglos über die verschneite Ebene getrabt war, erstarrte, als der Boden unter dem Schnee zu vibrieren begann. Vor ihm öffnete sich eine weiße Halbkugel. Der Damhirsch kannte dieses riesige, halb in der Erde vergrabene Ei schon seit Langem, aber er hatte immer das Gefühl gehabt, dass es nicht in seine kalte Welt gehörte. Das Ei brach auf, dichter Rauch und Flammen stiegen empor, und mit lautem Getöse schlüpfte ein zylindrischer Körper heraus, der nach allen Seiten Feuerbälle ausstieß und in enormem Tempo Fahrt nach oben aufnahm. Die Flammen wirbelten die Schneewehen der Umgebung in die Luft, von wo sie als Regen niedergingen. Sobald der Zylinder an Höhe gewonnen hatte, ebbten die Erschütterungen, die das Wild erschreckt hatten, wieder ab, und alles war so friedlich wie zuvor. Während der Zylinder im Himmel verschwand, hinterließ er einen ausgedehnten weißen Schweif. Es sah aus, als wäre die Schneelandschaft ein riesiges Wollknäuel, aus dem eine unsichtbare Hand einen langen Faden herauslöste.
»Verdammt!«, sagte Leitstandoffizier Raeder und knallte seine Computermaus auf den Tisch. »Hätte ich ein paar Sekunden mehr Zeit gehabt, hätte ich den Abschuss abgebrochen!« Er saß im mehrere tausend Kilometer entfernten Raketenabwehrkontrollraum der NORAD-Kommandozentrale. Die Anlage befand sich unweit von Colorado Springs, dreihundert Meter unter dem Gipfel des Cheyenne Mountain.
»Ich habe mir schon gedacht, dass da nichts ist, als der Systemalarm losging«, sagte Jones und schüttelte den Kopf. Er war für die Überwachung der Umlaufbahn zuständig.
»Und was greift das System dann an?«, fragte General Fitzroy. Die Abwehr von Atomraketen war nur eine der vielen Aufgaben in seiner neuen Funktion, und er hatte sich noch nicht komplett eingearbeitet. Fitzroy blickte auf die Monitorwand und suchte angestrengt nach der intuitiven grafischen Darstellung, die er von der NASA her kannte: eine rote Linie, die sich über die Weltkarte bewegte und eine auffällige Sinuskurve über der zweidimensionalen Projektion der Erdkugel beschrieb. Auch wenn Uneingeweihte damit nicht viel anfangen konnten, genügte sie, um zu begreifen, dass da etwas in die Luft geschossen wurde. Doch so leicht wurde es einem hier nicht gemacht. Die Linien auf den Bildschirmen bildeten ein undurchschaubares, abstraktes Durcheinander. Noch schlimmer waren die Bildschirme mit den schnell aufsteigenden Zahlenkolonnen, die ausschließlich die Leitstandoffiziere lesen konnten.
»General, erinnern Sie sich daran, wie im vergangenen Jahr die Reflexionsfolie auf dem Multifunktionsmodul der ISS ausgetauscht wurde? Dabei haben sie die alte Folie verloren. Und die hat jetzt den Alarm ausgelöst. Sie bewegt sich im Solarwind, knäult sich zusammen und entfaltet sich wieder.«
»Aber … die sollte dann doch in den Daten der Objektüberwachung aufgeführt sein, oder nicht?«
»Ist sie auch. Hier.« Raeder öffnete die entsprechende Seite mit der Maus. Unter einem Haufen komplizierter Texte, Daten und Graphen tauchte ein wenig aussagekräftiges Foto auf, das vermutlich mit einem gewöhnlichen geostationären Teleskop aufgenommen worden war. Es zeigte einen silbrig-weißen Fleck vor schwarzem Hintergrund. Wegen der starken Reflexion ließen sich keine Details ausmachen.
»Aber wenn Ihnen diese Daten vorgelegen haben, Major, warum haben Sie dann das Startprogramm nicht gestoppt?«
»Das System hätte die Datenbank mit den Angriffszielen automatisch durchsuchen müssen. Menschliche Reaktionszeiten sind dafür viel zu lang....
Erscheint lt. Verlag | 12.3.2018 |
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Reihe/Serie | Die Trisolaris-Trilogie | Die Trisolaris-Trilogie |
Übersetzer | Karin Betz |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | 三部曲 《黑暗森林》(The Three Body Problem Book 2 - Heian Shenlin) |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | Aliens • buch weihnachten • China • eBooks • Erstkontakt • Hard SF • Hugo Award • Kulturrevolution • Postkommunismus • The Dark Forest • The Three-Body Problem • Three-Body-Trilogy |
ISBN-10 | 3-641-17458-9 / 3641174589 |
ISBN-13 | 978-3-641-17458-3 / 9783641174583 |
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