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Wiener Straße (eBook)

Spiegel-Bestseller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31749-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wiener Straße -  Sven Regener
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Ein großer Roman voll schräger Vögel in einer schrägen Welt. Derbe, lustig und bizarr wie seine Protagonisten. Wiener Straße beginnt im November 1980 an dem Tag, an dem Frank Lehmann mit der rebellischen Berufsnichte Chrissie sowie den beiden Extremkünstlern Karl Schmidt und H. R. Ledigt in eine Wohnung über dem Café Einfall verpflanzt wird, um Erwin Kächeles Familienplanung nicht länger im Weg zu stehen. Österreichische Aktionskünstler, ein Fernsehteam, ein ehemaliger Intimfriseurladen, eine Kettensäge, ein Kontaktbereichsbeamter, eine Kreuzberger Kunstausstellung, der Kampf um die Einkommensoptionen Putzjob und Kuchenverkauf, der Besuch einer Mutter und ein Schwangerschaftssimulator setzen eine Kette von Ereignissen in Gang, die alle ins Verderben reißen. Außer einen! Kreuzberg, Anfang der 80er Jahre - das war ein kreativer Urknall, eine surreale Welt aus Künstlern, Hausbesetzern, Freaks, Punks und Alles-frisch-Berlinern. Jeder reibt sich an jedem. Jeder kann ein Held sein. Alles kann das nächste große Ding werden. Kunst ist das Gebot der Stunde und Kunst kann alles sein. Ein Schmelztiegel der selbsterklärten Widerspenstigen, die es auch gerne mal gemütlich haben, ein deutsches Kakanien in Feindesland. Wer könnte böser und zugleich lustiger und liebevoller darüber schreiben als Herr-Lehmann-Erfinder Sven Regener?

Sven Regener ist Musiker (Element of Crime) und Schriftsteller. Seine Romane Herr Lehmann (2001), Neue Vahr Süd (2004), Der kleine Bruder (2008), Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt (2013), Wiener Straße (2017) und Glitterschnitter (2021) waren allesamt Bestseller. Sie wurden verfilmt und in viele Sprachen übersetzt.

Sven Regener ist Musiker (Element of Crime) und Schriftsteller. Seine Romane Herr Lehmann (2001), Neue Vahr Süd (2004), Der kleine Bruder (2008), Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt (2013), Wiener Straße (2017) und Glitterschnitter (2021) waren allesamt Bestseller. Sie wurden verfilmt und in viele Sprachen übersetzt.

Inhaltsverzeichnis

II DAS WIRD SUPER


Am nächsten Morgen kam Frank Lehmann schon kurz vor zehn ins Café Einfall. Er wollte das Putzen erledigt haben, bevor es mit der Renovierung der neuen Wohnung weiterging, er hatte es eilig, bei Erwin gingen langsam die Lichter aus, in Erwins »Wohnen-wie-in-Mexiko«-Fabriketage standen die Zeichen auf Helga und das Kind und ansonsten auf Sturm, sein, Franks Zimmer, das eigentlich das seines Bruders war, eine kleine, in die Fabriketage eingebaute kubische Hütte aus Gipskarton und Holz, sollte das Kinderzimmer werden, deshalb hatte Erwin ihn um Zugang gebeten, damit er es ausmessen und mit Helga Sachen dafür einkaufen und überhaupt schon im Vorfeld das Kinderzimmer genau planen und einrichten konnte, und auch wenn Frank bis Ende des Monats die Miete für seinen Bruder gezahlt hatte, so war aber auch sonnenklar, dass es danach keine Verlängerung geben würde und das Ende des Monats war nicht mehr weit.

Deshalb war er schon früh aufgestanden und in eine Markthalle in der Nähe gegangen, um Putzzeug einzukaufen, und nun kam er mit neuen Schwämmen, neuen Reinigern, neuem Feudel, neuem Schrubberkopf, neuen Gummihandschuhen, ja sogar einem neuen Eimer in das Café Einfall, für das ihm Erwin mit großer Geste am Vorabend mit den Worten: »Pass bloß gut drauf auf, die sind teuer«, die Schlüssel überreicht hatte.

Frank hatte gerade den Rollladen vor dem Eingang hochgeschoben und die Tür aufgeschlossen, da stand Nachbar Marko hinter ihm.

»Habt ihr schon geöffnet?«

»Nein, ich will bloß putzen.«

»Allet klärchen«, sagte Marko und folgte Frank in die Kneipe. Frank zog die Rollläden vor den Fenstern hoch, während Marko nahe der Eingangstür stehen blieb. Frank traute sich nicht zu fragen, was er wollte, irgendwie hatte er Angst vor Marko, nicht in dem Sinne, dass der ihm was auf die Fresse hauen oder ihm in einem sonstwie klassischen Sinne bedrohlich werden könnte, sondern wegen der Einsamkeit, die er ausstrahlte; Frank war aus Bremen abgehauen, hatte keinen richtigen Job, sein Bruder wollte, nachdem er als Proband für Psychopharmaka, als der er gerade am Ku’damm logierte, genug Geld verdient hatte, nach New York und also von hier und damit ihm, Frank, wegziehen, seine Bekannten waren alle neu und er verstand sie nur zum Teil und auch zu diesem Teil nicht besonders gut, kurz, Marko und seine Einsamkeit waren gefährlich, Marko war die leibhaftige Vorführung dessen, was einem passieren konnte, wenn man in dieser Stadt nicht klarkam, das ängstigte Frank und Angst konnte er jetzt nicht gebrauchen, man darf sich nicht fürchten und nicht abschlaffen, dachte er, während er seine Einkaufstüte ausleerte, die neuen Putzschwämme aufstapelte und den Schrubberkopf und den Feudel auspackte, es ist, wie wenn man auf einen hohen Turm klettert, da darf man unterwegs nicht runtergucken, sonst fällt man, schärfte er sich in Gedanken ein.

»Ich dachte, ihr wollt die Wohnung renovieren!« sagte Marko. »Hab vorhin geklopft, aber war keiner da!«

»Ja, aber ich will vorher noch hier putzen, dann habe ich das von der Backe«, sagte Frank ohne aufzusehen.

»Ich wollte das Zimmer von dem Heinz-Rüdiger weitermachen.«

»Schon klar.«

»Bin nur halb fertig geworden gestern, war schwierig ohne Tapetentisch.«

»Verstehe.«

»Hatten wir zersägt, dumme Geschichte.«

»Ich weiß.«

»Ist schon offen?«

In der Tür, die Frank offengelassen hatte, weil im Café Einfall ein ziemlicher Hecht aus schalem, saurem Bier, kaltem Zigarettenrauch und allgemeinem Menschenmief in der Luft stand, war ein Mann um die dreißig und schaute sich neugierig um.

»Nein«, sagte Frank und ging zur Tür. Der andere wich zurück.

»Ich dachte nur«, sagte er, »weil schon offen ist.«

»Nein, ich putze nur«, sagte Frank, »ab 18 Uhr ist geöffnet.«

Der andere ging und Frank stellte, das hatte er ja tags zuvor bei Karl Schmidt gesehen, einen Stuhl in die Tür.

*

Kacki, der frühere Karsten 1, saß mit P. Immel an einem Tapetentisch und ihnen gegenüber saß der Rest der ArschArt-Truppe, namentlich Jürgen 1, 2 und 3, Michael 1, 2 und 3, Holger, Gunnar, Heiner, Karsten 2 und Enno, und alle waren sie in der von P. Immel neu eingeführten ArschArt-Uniform gekleidet, trugen also weiße Overalls und orangene Bauarbeiterhelme, die P. Immel bei einer Restpostenaktion des Arbeitsbekleidungsgeschäfts John Glet am Mehringdamm billig abgeschossen hatte. Nur Kacki trug einen Anzug, das hatte P. Immel so beschlossen und Kacki war nicht wirklich glücklich darüber, der Anzug war braun mit einem Stich ins Metallische, Immel hatte, als sie extra deswegen in ein Kauf-im-Kilo-Geschäft an der Potsdamer Straße gegangen waren, »eigentlich etwas Stumpferes, Scheißefarbigeres« gesucht, aber der metallicbraune Anzug war das einzig durchgehend Braune gewesen, das sie dort hatten abstauben können. Das Metallische milderte Kackis Schmerz ein bisschen, aber ein Schmerz war es doch, denn wenn er auch bereit war, alles, was P. Immel wollte, mitzumachen, so war es doch oft schwer, P. Immels Ideen nachzuvollziehen und schmerzfrei zu ertragen, und wenn er jetzt neben seinem alten Freund und Meister am Tapetentisch sitzen durfte, also praktisch eins raufgekommen war, so war der braune Anzug doch ein hoher Preis dafür, Kacki fühlte sich in Anzügen generell nicht wohl und hätte auch sowieso lieber zu den anderen gehört, es ist ein ewiger Zwiespalt, dachte er, einerseits will man sich von der Masse abheben, andererseits will man aber auch dazugehören, dachte Kacki, der nicht nur nicht Kacki, sondern auch nicht Karsten 1, sondern eigentlich Karl Maria hieß, schon Karsten 1 war ja ein Pseudonym gewesen, »damit wir unter den Piefkes nicht so auffallen«, wie P. Immel damals gesagt hatte, als sie zusammen hierhergezogen waren, mit der Umbenennung von Karl Maria in Karsten 1 hatte alles angefangen, der ganze Umbenennungs- und Tarnwahnsinn, in den P. Immel sich hineingesteigert hatte, aber Karsten 1 war, verglichen mit Kacki, natürlich noch die reinste Erholung gewesen.

P. Immel hielt in der Hand einen dicken Hammer, der von den Deutschen Fäustel genannt wurde, so hatte es im Baumarkt auf dem Schild gestanden, als P. Immel und Kacki ihn zusammen gekauft hatten, P. Immel machte ja neuerdings nichts mehr ohne Kacki, das war einerseits eine Ehre, andererseits aber auf Dauer ziemlich anstrengend. Nun hob P. Immel den Fäustel und ließ ihn auf den Tapetentisch niederkrachen. »Ruhe, Ruhe, Ruhe! Wer nicht die Pappen hält, fliegt raus!« rief er in das allgemeine Gequassel hinein, das zwischen den Stühlen ihnen gegenüber hin- und herflog.

Jürgen 3 hob die Hand. »Aus dem Plenum oder gleich ganz aus der Gruppe?« fragte er. Der traute sich was!

»Das sag ich ihm dann!« sagte P. Immel. »Sind alle da?«

Nun schwiegen alle.

»Leute, ich habe gefragt, ob alle da sind, ist das eine so schwierige Frage? Ich meine, selbst kleine Kinder beim Kasperletheater beantworten diese Frage ohne Probleme, was ist denn los mit euch?!«

Immer noch waren alle stumm. P. Immel, von dem Kacki sich sicher war, dass er eines Tages eine größere Nummer als Otto Mühl sein würde, denn auch wenn der gerade mit seiner AAO die größere Aufmerksamkeit hatte, so war er doch nach Kackis Einschätzung auf dem absteigenden Ast und überhaupt war ja der Vorteil der ArschArt-Galerie, dass bei ihr, verglichen mit der AAO, der Sektensexquatsch viel weniger wichtig war als die Kunst, das war ein Vorteil, brauner Anzug hin, brauner Anzug her, P. Immel wäre jedenfalls nicht P. Immel gewesen, wenn er jetzt nicht den Hammer heben und noch einmal auf den Tapetentisch hauen würde, und so kam es auch, und dann rief P. Immel so laut er konnte: »Also: Seid ihr alle da?«

Nun kam ein vielstimmiges Ja zurück und Michael 2 hob die Hand: »Bosbach ist nicht da!«

»Bosbach ist aus der Gruppe rausgeflogen und aus dem Haus rausgeflogen, Michael – welche Nummer nochmal?«

»2!«

»2. Und wenn einer aus der Gruppe rausgeflogen ist und aus dem Haus rausgeflogen ist, ist der dann noch auf dem Plenum zu erwarten, Michael 2?«

»Ach so, ich hatte nicht genau gewusst, ob das jetzt Teil der Kunstaktion war, also der Rausschmiss, oder ob der jetzt wirklich …«

»Was ist das denn für ein Quatsch? Das war natürlich beides, wir schmeißen doch keinen raus, ohne was draus zu machen!!«

P. Immel wurde jetzt, das spürte Kacki ganz genau, langsam sauer, das Plenum gefiel ihm jetzt schon nicht mehr, für P. Immel war die Luft raus aus dem Plenum, dabei hatte es noch gar nicht angefangen, das konnte übel enden. Der Rausschmiss von Bosbach am Vorabend dagegen war eine tolle Sache gewesen, weil er so subtil gelaufen war, alle hatten ihre neuen Klamotten bekommen, nur als Bosbach dran war, hatte P. Immel »Du nicht!« gesagt und Bosbach hatte ihm natürlich den Gefallen getan, »Warum nicht?« zu fragen und P. Immel hatte ihm ein »Weil du raus bist!« entgegengeschleudert und alle waren erstarrt, wie immer bei einem Rausschmiss, und Bosbach plötzlich ganz alleine, ein starker Moment war das gewesen!

Jetzt meldete sich Michael 1. »Also, wenn das keine Aktion war, sondern wenn Bosbach wirklich endgültig draußen ist, dann brauchen wir einen neuen Kassenwart.«

»Dann müsste aber erstmal Bosbach hierherkommen und seinen Bericht machen und um Entlastung bitten«, sagte Michael 3.

P. Immel wandte sich an Kacki. »Warum schreibst du nicht?« sagte er. Kacki zuckte zusammen. Er hatte ganz vergessen, dass er der...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2017
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ärger mit der Unsterblichkeit • Avantgarde • Berlin • Der kleine Bruder • Element of Crime • Herr Lehmann • Kreuzberg • Magical Mystery • Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt • Meine Jahre mit Hamburg-Heiner • Neue Vahr Süd • Punk • Sven Regener • Wiener Straße
ISBN-10 3-462-31749-0 / 3462317490
ISBN-13 978-3-462-31749-7 / 9783462317497
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