Die Spur der Bücher (eBook)
448 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490188-6 (ISBN)
Kai Meyer, geboren 1969, ist einer der wichtigsten deutschen Phantastik-Autoren. Er hat über fünfzig Romane veröffentlicht, Übersetzungen erscheinen in dreißig Sprachen. Seine Geschichten wurden als Film, Hörspiel und Graphic Novel adaptiert und mit Preisen im In- und Ausland ausgezeichnet.
Kai Meyer, geboren 1969, ist einer der wichtigsten deutschen Phantastik-Autoren. Er hat über fünfzig Romane veröffentlicht, Übersetzungen erscheinen in dreißig Sprachen. Seine Geschichten wurden als Film, Hörspiel und Graphic Novel adaptiert und mit Preisen im In- und Ausland ausgezeichnet.
Mit viel Action und Spannung werden im Verlauf der Geschichte verschiedene Geheimnisse und Zusammenhänge gelüftet.
Kai Meyer legt eine weitere magische Spur, der Fans mit Begeisterung folgen werden.
Wieder ein überaus gelungenes Werk aus der Feder Kai Meyers, das man nicht aus den Händen legen mag. Sei man nun Buchliebhaber oder nicht.
ein magisch-phantasievoller Roman […], in dem Kai Meyer seine ganze Erzählkunst entfaltet und […] eine ganz eigene Geschichte entwickelt, die Jung und Alt gleichermaßen begeistern dürfte.
Eine intelligente Geschichte mit glaubwürdigen Charakteren, spannend von der ersten bis zur letzten Seite – auch die neueste Trilogie von Kai Meyer wird die LeserInnen begeistern.
Der Erfolgsautor […] beweist mit diesem packenden Roman […] wieder einmal, dass er zu Recht zur Crème de la Crème der deutschen Phantastikautoren gehört.
Kai Meyer gelingt es, die Gefühlswelt der Protagonistin mit all ihren Ambivalenzen klar zu erfassen und so dem Leser direkt zugänglich zu machen.
2
»Die Tür da vorne muss es sein.« Grover beschleunigte seine Schritte, während Philander und Tempest aufholten. Der kräftige, dunkelhaarige Junge lief voraus durch das Zwielicht des Korridors, ein zusammengerolltes Penny-Dreadful-Heft wie einen Schlagstock in der rechten Hand.
»Ich weiß nicht«, flüsterte Philander, als alle drei vor der Tür zum Stehen kamen. »Müssten wir es nicht irgendwie … stärker spüren?«
»Nicht unbedingt«, sagte Tempest. »Hier gibt es noch was anderes, das die Bibliomantik überlagert.« Ihr schwarzes Haar war noch immer kurzgeschoren, obwohl die letzte große Läuseplage in den Armenquartieren von St Giles drei Monate zurücklag. Philander kannte niemanden in den Krähennestern, der derart auf Sauberkeit bedacht war wie Tempest. Darum versuchte auch er, sich jeden zweiten Tag zu waschen und am Morgen den Mund auszuspülen.
»Dann ist Madame Xu also wirklich eine Hexe«, raunte Grover.
»Vielleicht keine echte Hexe«, sagte seine jüngere Schwester leise. »Aber ihr spürt es doch auch, oder?«
Die beiden Jungen sahen einander an und nickten.
Jeder der drei verstand sich auf Bibliomantik, wenngleich auf die denkbar schwächste Weise. Sie schöpften ihre Kraft nicht aus Büchern, sondern aus zerfledderten Penny Dreadfuls, Romanheften aus dünnem Zeitungspapier, was sie aus Sicht der versnobten Bibliomanten zu Dilettanten machte. Mercy war die einzige Bibliomatin, die sich mit ihnen abgab, doch Philander war nie ganz sicher, ob nicht sogar sie insgeheim ein wenig auf ihre drei Freunde herabsah.
Die Turpin Brigade war Mercys Idee gewesen, benannt nach Dick Turpin, dem kühnsten aller Romanhelden aus den Penny Dreadfuls, und obgleich Grover als Anführer der vierköpfigen Truppe galt, war es oft genug Mercy, die die Entscheidungen traf. Möglicherweise weil Grover und sie … Nun, es war ein wenig kompliziert.
Was den Einbruch ins Reich von Madame Xu anging: Philander zweifelte an Mercys Plan, und das schon seit sie ihn der Turpin Brigade zum ersten Mal unterbreitet hatte. Nur damit Tempest ihn nicht für einen Feigling hielt, hatte er sich mit Einwänden zurückgehalten.
Tempest war erst fünfzehn, die Jüngste von ihnen, und sie war zum ersten Mal bei einer Unternehmung der Turpin Brigade dabei. Die beiden Jungen glaubten aus ganz unterschiedlichen Gründen, sie beschützen zu müssen. Dabei sprach einiges dafür, dass die Bibliomantik des Mädchens die ihre bald übertreffen würde; womöglich würde Tempest eines Tages die Penny Dreadfuls hinter sich lassen und ihre Macht aus echten Büchern schöpfen.
Grover ließ seine kleine Schwester nicht aus den Augen. Mit seinen achtzehn Jahren war er der Älteste, Philander war zwei Jahre jünger. Während Grover sich als Bruder für Tempest verantwortlich fühlte, hatte Philander sie insgeheim auf andere Weise gern und hätte sie am liebsten auf der Stelle in Sicherheit gebracht. Der Gedanke, dass ihr etwas zustoßen könnte, ließ ihm keine Ruhe, seit sie Madame Xus Hauptquartier durch einen Abwasserkanal zur Themse betreten hatten.
Grover legte eine Hand auf die Tür, deren Farbe abgeblättert war, schüttelte schließlich den Kopf und gab Tempest einen Wink. »Versuch du’s mal.«
Sie schob sich zwischen Grover und Philander hindurch, das schmale Gesicht zur Tarnung mit Ruß und Kohlenstaub beschmiert. Ihre hellblauen Augen leuchteten darin wie zwei Monde. Die primitive Bemalung wäre nicht nötig gewesen, denn nach der Kletterpartie durch den Kanal sahen die drei aus wie die bedauernswerten Schornsteinfegergehilfen, die von ihren brutalen Meistern durch Londons Schlote gejagt wurden. Gegen deren Martyrium glich selbst die Arbeit als Straßenverkäufer von Zeitungen und Penny Dreadfuls, der die drei tagsüber nachgingen, einem Sonntagsspaziergang im Park. Oder was sie sich darunter vorstellten.
Tempest schloss die Augen, während sie beide Hände an die Eichentür legte, die linke gespreizt, die rechte um ihr Heft geballt. Philander warf Grover einen Blick zu, aber der ältere Junge ließ seine Schwester nicht aus den Augen. Beim ersten Anzeichen einer bibliomantischen Attacke würde er sich zwischen sie und die Tür drängen. Vorausgesetzt, Philander kam ihm nicht zuvor.
Endlich schlug Tempest die Augen wieder auf und nickte langsam. »Da sind Menschen auf der anderen Seite. Eine Menge Menschen. Aber sie fühlen sich so … beschäftigt an. Vielleicht kommen wir an ihnen vorbei, ohne dass sie uns bemerken.«
»Und das Kapitel?«, fragte Grover.
»Die Richtung stimmt. Aber im nächsten Raum ist es noch nicht, glaube ich.«
Philander fluchte leise. Der anonyme Käufer, der den Buchhändler Ptolemy beauftragt hatte, das Kapitel für ihn zu besorgen, hatte einen Lageplan zur Verfügung gestellt, eine ungenaue Skizze, angeblich von einem Spitzel in Xus Organisation. Darauf hatte es ausgesehen, als befände sich die Kammer, in der das Kapitel des Flaschenpostbuches aufbewahrt wurde, am Ende dieses Korridors.
»Gehen wir weiter?«, fragte Tempest.
»Mercy kann Xu nicht ewig ablenken«, gab Grover zu bedenken. Die Sorge um sie schien die Rußflecken um seine Augen noch dunkler zu machen. »Wir müssen entweder sofort weiter oder die ganze Sache abbrechen.«
Weder wussten sie, wie erfolgreich Mercy in ihrem Versuch war, die Aufmerksamkeit der Chinesin auf sich zu lenken, noch wie viel Zeit sie den dreien dadurch verschaffte. Sie waren Fallen und Wachtposten ausgewichen – alle zuverlässig auf der Karte markiert –, aber sie zweifelten nicht daran, dass es noch mächtigere Gegner in diesem Gemäuer gab. Von Madame Xu ganz zu schweigen.
»Alles war umsonst, wenn wir jetzt nicht weitergehen«, sagte Grover, und seine Schwester nickte.
Philander fügte sich in sein Schicksal. Wäre es nötig gewesen, hätte er Tempest bis auf den Mond begleitet.
»Dann los«, sagte Grover und drückte vorsichtig die Klinke hinunter.
Vor ihnen lag eine riesige Halle, durchzogen von Schwaden weißen Wasserdampfes und einem Gewirr von Lauten, die wie Weinen und Wehklagen klangen. Nachdem sich ihre Augen an die nebelhafte Umgebung gewöhnt hatten, erkannten sie, dass die Tür auf eine umlaufende Balustrade im oberen Teil der Halle führte. Auf langen Stuhlreihen, gut drei Mannslängen unter ihnen, saßen Dutzende Frauen, gekleidet in graue Arbeiterkluft. Man hätte meinen können, dass es sich um eine der zahlreichen Kleiderfabriken handelte, die seit einigen Jahren in ganz London aus dem Boden schossen. Doch vor den Frauen standen keine Tische mit Nähzeug. Tatsächlich gab es überhaupt keine Utensilien oder Werkzeuge. Die Frauen saßen nur da, heulend und schluchzend, und tupften sich die Tränen mit weißen Tüchern von den Wangen. Eine Aufseherin, ungemein groß und breit für eine Chinesin, wanderte durch die Reihen und verteilte Hiebe mit einer Rute, wenn eine der Frauen nicht heftig genug weinte. Sie trug das Haar zu einem schweren Zopf geflochten, nach vorn über die Schulter gelegt und geformt wie der Schwanz eines Skorpions.
Handlanger wuselten geduckt zwischen den weinenden Frauen umher, sammelten die tränengetränkten Tücher ein und verteilten trockene. Die benutzten trugen sie in jenen Teil der Halle, wo in gewaltigen Kesseln eine zähe Masse kochte. Die Tücher wurden hineingeworfen, gleichmäßig verteilt auf alle Kessel. Später würde man den Inhalt zu Papier trocknen. Denn Papierherstellung nach chinesischer Tradition war die legale Fassade, hinter der Madame Xu ihre kriminellen Geschäfte verbarg.
»Was, verdammt …«, begann Grover.
»Sie mischen dem Papier Tränen bei«, sagte Philander. »Für Liebesromane. Das verstärkt die Wirkung.« Er wedelte mit dem Penny Dreadful, das er in seiner Linken trug. Längst spürte er kaum noch etwas von der kläglichen bibliomantischen Macht, die den Seiten des Heftes innewohnte. Es mochte wohl wahr sein: Penny-Dreadful-Bibliomanten wie er waren nichts als Amateure, gerade mal gut genug, um kleine Kunststücke zu vollführen, aber weit davon entfernt, es mit jemandem wie Mercy oder gar den Agenten der Adamitischen Akademie aufnehmen zu können.
Penny Dreadfuls waren größer als Bücher, aber kleiner als Zeitungen, mit wenigen engbedruckten Seiten, auf denen nur zwei Arten von Geschichten erzählt wurden: Abenteuer voller Mord und Totschlag oder schwülstige Romanzen.
Tempest runzelte beim Anblick der weinenden Frauen die Stirn und sprach aus, was auch Philander durch den Kopf ging: »Hoffen wir mal, dass sie nur Papier für Schmonzetten produzieren. Und nicht auch Menschenblut beimischen.«
Grover deutete auf eine Tür auf der anderen Seite der Halle, ebenfalls oben auf der Balustrade. »Könnte es dort sein?«
»Merkwürdiger Ort, um etwas so Wertvolles aufzubewahren«, sagte Philander.
Tempest aber nickte. »Fühlt sich gut an. Ich glaube, da müssen wir hin.«
Hier war vermutlich ihre letzte Chance kehrtzumachen, aber keiner der drei sprach es aus. Irgendwo in diesem Gemäuer hielt Mercy gerade den Kopf für sie hin, und sie hatten ihr das Versprechen gegeben, sich nicht ohne das Kapitel aus dem Staub zu machen.
Grover zeigte auf einen Gittersteg, der oberhalb der dampfenden Kessel von einer Seite der Halle zur anderen führte und die Längsseiten der Balustrade miteinander verband. Wahrscheinlich wurden von dort Arbeiter herabgelassen, um die leeren Kessel zu reinigen. Jetzt aber boten die dichten Dampfschwaden von unten einen passablen Schutz, um ungesehen auf die andere Seite zu gelangen – falls sie unterwegs nicht bei lebendigem Leib gedünstet wurden.
Gebückt eilten sie los,...
Erscheint lt. Verlag | 24.8.2017 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abenteuer • Akademie • Bestseller • Bibliomantik • Bibliothek • Blutbuch • Brief • Bruder • Buch • Bücher • Buchladen • Detektiv • England • Familie • Fantasy • Freundschaft • Gefahr • Geheimnis • Geschichte • historisch • Kai Meyer • Krimi • Kriminalroman • Liebe • London • Macht • Magie • Mord • Mystery • Nacht • Nachtland • Phantasie • Schauerroman • Schwester • Seite • Seiten der Welt • Tod • Tunnel • Welt • Wort • Zauber |
ISBN-10 | 3-10-490188-0 / 3104901880 |
ISBN-13 | 978-3-10-490188-6 / 9783104901886 |
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