Pontifex (eBook)
928 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-70382-9 (ISBN)
Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, gehört weltweit zu den besten Kennern der Papstgeschichte.
Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, gehört weltweit zu den besten Kennern der Papstgeschichte.
Cover 1
Titel 3
Zum Buch 928
Über den Autor 928
Impressum 4
Inhalt 5
Einleitung 13
1. Legenden, Uranfänge und erste Machtkämpfe Von Petrus bis Eusebius (309/310) 23
Das Petrus-Problem 23
Schattenbeschwörung: Von Linus zu Eleutherus 28
Streit um Ostern und das Problem des Kaiserkults: Victor I., Zephyrinus, Calixtus I 31
Das Problem der «Gefallenen»: Urban I., Pontian, Anterus, Fabian, Cornelius, Lucius I. 35
Taufstreit und Autoritätskonflikte: Stephan I., Sixtus II., Dionysius 38
Meeresstille und unruhige Fahrt: Felix I., Eutychianus, Caius, Marcellinus, Marcellus I., Eusebius 41
2. Die «Konstantinische Wende» und der Weg zum doppelten Primat Von Miltiades bis Johannes II. (311–535) 45
Toleranzedikt und Konzil: Miltiades, Silvester I. 45
Streit um ein Jota: Marcus, Julius I., Liberius 52
Der erste Papst: Damasus I. 57
Reichsverfall und Primatansprüche: Siricius, Anastasius I., Innozenz I. 63
Günstlingswirtschaft , Gnadenstreit, Grabenkämpfe: Zosimus, Bonifaz I., Cölestin I., Sixtus III. 69
«Konsul Gottes»: Leo I. 79
Zwischen Arianern und Monophysiten: Hilarius, Simplicius, Felix III. 87
Zwei Schwerter, ein Papst: Gelasius I. 93
Zwischen Goten und Kaisern: Anastasius II., Symmachus, Hormisdas, Johannes I. 97
Streit um die Designation: Felix IV., Bonifaz II., Johannes II 104
3. Am langen Arm von Byzanz Von Agapet I. bis Constantin (535–715) 111
Marionette und Märtyrer: Agapet I., Silverius, Vigilius 111
Zwischen Langobarden und Byzanz: Pelagius I., Johannes III., Benedikt I., Pelagius II. 118
Schutzherr der Ewigen Stadt: Gregor I. 123
Blicke nach Westen: Sabinian, Bonifaz III., Bonifaz IV., Deusdedit, Bonifaz V. 132
Der Papst als Ketzer? Honorius I. 136
Gegen den Monotheletismus: Severinus, Johannes IV., Theodor I., Martin I., Eugen I., Vitalian 140
Ruhe vor dem Sturm: Adeodatus, Donus, Agatho, Leo II., Benedikt II., Johannes V. 145
Eiszeit und Beginn der Emanzipation: Konon, Sergius I., Johannes VI., Johannes VII., Sisinnius, Constantin 148
4. Der Weg nach Westen Von Gregor II. bis Nikolaus I. (715– 867) 155
Bilderkämpfe: Gregor II., Gregor III 155
Die fränkische Wende: Zacharias, Stephan II. 159
Adelsherrschaft: Paul I., Stephan III. 167
Familienmacht und Nepotismus: Hadrian I. 172
Kaisermacher und Kirchenbauer: Leo III., Stephan IV., Paschalis I. 184
Symbolische Selbstbehauptung: Eugen II., Valentin, Gregor IV., Sergius II. 193
Seeschlacht, Borgomauern und Reliquien: Leo IV. 197
Legenden und letzter Glanz: Benedikt III., Nikolaus I. 206
5. Silberstreifen an blutigen Horizonten Von Hadrian II. bis Gregor VI. (867–1046) 211
Verbrechen an Lebenden und Toten: Hadrian II., Johannes VIII., Marinus I., Hadrian III., Stephan V. 211
Papst oder nicht Papst? Formosus, Bonifaz VI., Stephan VI., Romanus, Theodor II., Johannes IX., Benedikt IV., Leo V. 215
Mord und Geblütsheiligkeit: Sergius III., Anastasius III., Lando, Johannes X., Leo VI., Stephan VII., Johannes XI. 219
Alberichs Päpste: Leo VII., Stephan VIII., Marinus II., Agapet II., Johannes XII. 226
Für und gegen Otto I.: Leo VIII., Benedikt V., Johannes XIII. 231
Marionetten der Crescenzier: Benedikt VI., Benedikt VII., Johannes XIV., Johannes XV. 236
Träume von einem neuen Rom: Gregor V., Silvester II. 239
Crescenzier-Päpste, neue Folge: Johannes XVII., Johannes XVIII., Sergius IV., Benedikt VIII., Johannes XIX. 244
Drei sind zwei zu viel: Benedikt IX., Silvester III., Gregor VI. 251
6. Kirchenreform und Hegemoniekämpfe Von Clemens II. bis Cölestin III. (1046–1198) 259
Päpste von Kaisers Gnaden: Clemens II., Damasus II., Leo IX. 259
Emanzipation vom Reich: Victor II., Stephan IX., Nikolaus II., Alexander II. 265
Radikalreform: Gregor VII. 274
Reformkurs und Kreuzzug: Victor III., Urban II. 283
Kämpfe mit dem Kaiser: Paschalis II. 288
Der Weg zum «Wormser Konkordat»: Gelasius II., Calixtus II. 294
Normannen und Schismatiker: Honorius II., Innozenz II. 299
Kämpfe um die Kommune: Cölestin II., Lucius II., Eugen III., Anastasius IV., Hadrian IV. 305
Kampf gegen Barbarossa: Alexander III. 311
Ketzerbekämpfung und staufische Umklammerung: Lucius III., Urban III., Gregor VIII., Clemens III., Cölestin III. 317
7. Der Kampf um die Vormacht Von Innozenz III. bis Benedikt XI. (1198–1304) 327
Herr der Christenheit: Innozenz III. 327
Trügerische Harmonie: Honorius III. 339
Gegen den Antichrist: Gregor IX. 343
Erstes «Konklave» und finale Kämpfe gegen die Staufer: Cölestin IV., Innozenz IV., Alexander IV. 350
Für die Monarchie der Anjou: Urban IV., Clemens IV., Gregor X., Innozenz V., Hadrian V., Johannes XXI. 356
Bärchen an der Macht: Nikolaus III. 363
Zwischen Rom und Neapel: Martin IV., Honorius IV., Nikolaus IV. 367
Der Eremiten-Papst: Cölestin V. 373
Kleriker gegen Laien: Bonifaz VIII., Benedikt XI. 378
8. Umzug nach Avignon und Schisma Von Clemens V. bis Gregor XII. (1305–1415) 389
An der Seite Philipps des Schönen: Clemens V. 389
Finanzgenie mit Tiara: Johannes XXII. 394
Müllerssohn und Minister: Benedikt XII., Clemens VI. 399
Reform- und Rückkehrversuche: Innozenz VI., Urban V., Gregor XI. 406
Der Weg ins Schisma: Urban VI. 414
Neapel am Tiber: Bonifaz IX., Innozenz VII. 419
Ein Papst mit zwei Rivalen: Gregor XII. 423
9. Neuanfang, Renaissance-Kultur und Krise Von Martin V. zu Paul III. (1417–1534) 433
Rom, süßes Rom: Martin V. 433
Triumph des langen Atems: Eugen IV. 442
Ausgleich im Westen, Katastrophe im Osten: Nikolaus V. 453
Türkenkrieg, Nepotismus und Personenkult: Calixtus III. und Pius II. 463
Intermezzo mit Rufmord: Paul II. 475
Der entfesselte Franziskaner: Sixtus IV. 478
Atempause: Innozenz VIII. 489
Die Borgia an der Macht: Alexander VI. 492
Zurück in die 60er-Jahre – vorwärts ins Goldene Zeitalter: Pius III., Julius II. 502
Genussmensch und Machtpolitiker: Leo X. 513
Schuldzuweisungen und Selbstzerfleischung: Hadrian VI. 522
Selbstzerstörung: Clemens VII. 527
10. Konzil, Reform und die Grenzen der Erneuerung Von Paul III. bis Clemens VIII. (1534–1605) 537
Januskopf: Paul III. 537
Förderer des Frohsinns: Julius III. 550
Reform, milde und hart: Marcellus II. und Paul IV. 554
Rollentausch: Pius IV. 559
Radikalreform: Pius V. 564
Rekatholisierung und neue Zeitrechnung: Gregor XIII. 572
Banditenkrieg und Sternplan: Sixtus V. 582
Nachhall der Reform: Urban VII., Gregor XIV., Innozenz IX., Clemens VIII., Leo XI. 592
11. Nepotenherrlichkeit und barocke Prachtentfaltung Von Paul V. bis Clemens X. (1605–1676) 603
Verflechtung und Ängstlichkeit: Paul V. 603
Aktives Intermezzo: Gregor XV. 612
Der Kosmos der Barberini: Urban VIII. 618
Die «Päpstin» und ihre Skandale: Innozenz X. 630
Den Sonnenkönig im Nacken: Alexander VII. 640
Maß und Maßlosigkeit: Clemens IX., Clemens X. 649
12. Wider den Geist der Zeit Von Innozenz XI. bis Pius VI. (1676–1799) 655
Zweite Reform: Innozenz XI. 655
Rückfall und Fortsetzung: Alexander VIII., Innozenz XII. 663
Ohnmacht in Zeiten des Krieges: Clemens XI. 670
Schwach und aus alter Familie: Innozenz XIII., Benedikt XIII. 679
Vergreisung: Clemens XII. 689
Verjüngung: Benedikt XIV. 699
Venedig am Tiber: Clemens XIII. 708
Gegen die Jesuiten: Clemens XIV. 716
Nepoten und Jakobiner: Pius VI. 722
Zwischenspiel ohne Staat 737
13. Selbstabschließung und Sackgasse Von Pius VII. bis Pius X. (1800–1914) 743
Napoleons Papst: Pius VII. 743
Restauration: Leo XII. 758
Kurze Öffnung, lange Isolation: Pius VIII., Gregor XVI. 761
Flirt mit dem Risorgimento und die Revolution: Pius IX., 1846–1849 771
Vorwärts ins Mittelalter: Pius IX., 1850–1870 776
Unfehlbarkeit und Gefangenschaft im Vatikan: Pius IX., 1870–1878 791
Diplomatischer Schöngeist: Leo XIII. 799
Gegen Moderne und «Modernisten»: Pius X. 812
14. Schwankende Haltungen zur Gegenwart Von Benedikt XV. bis Franziskus I. (1914 bis heute) 821
Zwischen den Fronten: Benedikt XV. 821
Mussolinis Papst: Pius XI. 826
Der letzte Papst im alten Stil: Pius XII. 836
Aufbruch in die Gegenwart: Johannes XXIII. 846
Das Konzil und die Folgen: Paul VI., Johannes Paul I. 851
Polen in Rom: Johannes Paul II. 860
Disziplin und Fürsorge: Benedikt XVI., Franziskus I. 866
Anhang 873
Karten 875
Liste der Päpste und Gegenpäpste 878
Literaturhinweise 883
Bibliographie 886
Bildnachweis 910
Personenregister 912
Einleitung
Staatsrechtlich ist der Papst heute ein letzter Restbestand Alteuropas: Er ist der einzige absolute, durch keine gesetzgebende Versammlung in seiner Gewaltenfülle eingeschränkte Herrscher des Kontinents. Gewiss, sein Staatsgebiet auf dem Vatikanischen Hügel ist das kleinste der Welt, doch das ändert nichts an dieser Ausnahmestellung. Seine Wahl vollzieht sich nicht demokratisch, sondern unter striktester Geheimhaltung in einem kleinen Kreis von etwa hundert Personen, deren Durchschnittsalter jenseits der in vielen Ländern üblichen Pensionsgrenze liegt. Nach offizieller Lesart kommt in der Kür eines neuen Papstes der Wille des Heiligen Geistes zum Ausdruck, der mit Gottvater und dessen Sohn Christus zusammen nach christlichem Verständnis die Trinität, die heilige Dreifaltigkeit, bildet. Dementsprechend wird der Papst als Heiliger Vater oder auch als Eure Heiligkeit angeredet, was beabsichtigte Missverständnisse zur Folge hat: Der regierende Papst kann nicht als Heiliger verehrt werden, weil man dafür tot sein muss. Eine Anwartschaft auf Heiligkeit scheint das Amt allerdings mit sich zu bringen. Immerhin hat mehr als ein Viertel der Päpste diesen Rang tatsächlich erreicht, die große Mehrheit allerdings in grauer Vorzeit, als dieser Aufstieg noch ohne die Hürden eines hoch formalisierten Prozesses bewältigt werden konnte. In neuester Zeit scheinen sich die Chancen der Päpste auf Heiligkeit allerdings rapide zu verbessern. Von den acht Päpsten, die zwischen 1904 und 2005 regierten, sind immerhin drei bereits heilig, weitere haben angeblich gute Chancen, dies demnächst zu werden oder zumindest die Vorstufe der Seligsprechung zu erklimmen.
Eine Ausnahmeerscheinung, die sich aus den Tiefen der Vergangenheit in die Gegenwart verirrt zu haben scheint, ist der Papst auch durch seine Multifunktionalität. Seine beiden ersten Titel lauten: Bischof von Rom und Stellvertreter Christi auf Erden. Das soll heißen, dass sein Amt nicht von dieser Welt ist, sondern von Gott selbst eingesetzt, und zwar so lange, wie die Geschichte dauert, nach christlichem Verständnis also bis zum Jüngsten Gericht. An diesem Tag des Zorns geht die Zeit in die Ewigkeit über, und jeder Mensch wird gemäß seinen Taten sein Urteil empfangen: Himmel oder Hölle – mit Ausnahme der Heiligen, die der ewigen Seligkeit bereits teilhaftig sind. Die Position als Vikar des Gottessohnes bringt naturgemäß vielfältige Aufgaben mit sich. Nach päpstlicher Interpretation des Matthäus-Evangeliums, Kapitel 16, Verse 15 bis 19, hat Christus dem Apostel Petrus die alleinige Führung seiner Kirche anvertraut; deren «Verfassung» ist also ein für alle Mal als monarchisch festgeschrieben. Als Herren der Kirche beanspruchen die Päpste durch die Gnade Gottes die einzigartige Gabe, in den großen Fragen des Glaubens und der Sittenlehre unfehlbare Entscheidungen zu fällen. 1870 hat ihnen ein Konzil diese Irrtumslosigkeit bescheinigt; sie wurde daraufhin zum Dogma erhoben, an das jeder gute Katholik zu glauben hat.
Zu dieser ersten Vorherrschaft (Primat) über die Kirche gesellte sich früh der Anspruch auf eine zweite, nicht weniger umfassende Hoheit: Als Mittler zwischen Gott und Mensch weit über die Sphäre des rein Irdischen hinausgehoben, übt der Papst eine Aufsichts- und Korrekturfunktion über die Mächtigen der Christenheit aus. Manche Wortführer der päpstlichen Gewaltenfülle dehnten diese Hoheit sogar auf die «Ungläubigen» aus, also auf die Herrscher und Bewohner nichtchristlicher Weltgegenden. Gestützt auf diesen zweiten, moralisch-politischen Primat, haben Päpste früherer Zeiten Kaiser und Könige aus der Kirche ausgeschlossen, für abgesetzt erklärt und ihre Untertanen vom Treueeid entbunden.
Doch damit erschöpft sich das Amt eines Papstes noch keineswegs. Ein doppelter Herrschaftsanspruch von solcher Tragweite ließ sich nur durchsetzen, wenn die dafür nötigen politischen Voraussetzungen gegeben waren. Deren wichtigste lautete: Unabhängigkeit von weltlichen Herrschern durch die Verfügungsgewalt über ein eigenes Territorium. Diese Rolle als Herren Roms und seiner Umgebung haben die Päpste inoffiziell bereits in der Spätantike gespielt; seit dem 8. Jahrhundert sind sie allmählich, nicht ohne Widerstände und Rückschläge, zu Herrschern eines politischen Gebildes geworden, das als Besitz des heiligen Petrus galt und im Laufe der Jahrhunderte zum «Kirchenstaat» wurde. Als dieser am 20. September 1870 mit Waffengewalt erobert wurde und im Königreich Italien aufging, fühlten sich die Päpste um ein göttliches Recht betrogen; in den Lateranverträgen, die Papst Pius XI. am 11. Februar 1929 mit dem faschistischen Italien schloss, gewannen sie dieses Recht und ihren Staat in den bis heute bestehenden Miniatur-Dimensionen zurück.
Zu diesen drei Seelen in einer Papstbrust kam lange Zeit eine vierte: der Papst als Haupt und Förderer eines Familienverbandes. Diese Rolle haben die Päpste vor allem vom 13. bis 18. Jahrhundert mit großer Leidenschaft und vollem Einsatz gespielt; zeitweise wurde so aus der wichtigsten Nebensache die alleinige Hauptsache, zum Beispiel unter Alexander VI. Borgia (1492–1503). Seit dem 19. Jahrhundert tritt der Nepotismus der Päpste stark zurück, doch Chefs eines persönlichen Umfelds und Netzwerks bleiben die Päpste bis heute. Sie haben eine lange Karriere innerhalb der Kirche hinter sich, ihren Aufstieg haben nützliche Freunde unterstützt, Feinde hingegen zu verhindern gesucht. Mit jedem Papst steigt daher eine neue Interessengruppe zur Macht auf; das schlägt sich in der Verteilung der Führungsämter und manchmal sogar in der Sprache nieder. Während des langen Pontifikats Johannes Pauls II. wurde vatikanischen Insidern zufolge das Polnische zur zweiten Amtssprache des Heiligen Stuhls, nach dem Lateinischen.
Als Ausnahme-Institution mit dem Anspruch auf eine doppelte Ausnahme-Macht trat das Papsttum früh in erbitterte Konkurrenz zu den etablierten Herrschern und Gewalten, die sich des Christentums als Staatsreligion, das heißt: als Instrument ihrer eigenen Herrschaft, zu bedienen suchten. Diesen langen Machtkampf konnten die Päpste nur bestehen und zeitweise sogar gewinnen, weil sie sich auf eine immer sorgfältiger und wortmächtiger ausgearbeitete Ideologie stützten, die die von ihnen angestrebte Machtstellung als Ausdruck des göttlichen Willens und zugleich als der Natur des Menschen angemessen und daher vernünftig verkündete. Gefährdet war ihre Position trotzdem. Der Herrschaftsanspruch der Päpste beruhte auf der Interpretation von Bibelstellen, war also abstrakt und angreifbar; umso dringender waren sie darauf angewiesen, die daraus abgeleitete Machtstellung eindrucksvoll zu veranschaulichen. Der Mensch glaubt, was er sieht: Dieser tiefen Einsicht in die Psyche und Beeinflussbarkeit des Homo sapiens folgend, haben die Päpste jahrhundertelang intensiver, kostspieliger und aufwendiger bauen, meißeln und malen lassen als alle anderen Herrscher Europas und sind so zu Pionieren moderner Propagandatechniken und Mediennutzung geworden. Ihr Ziel war es, ihre Hauptstadt Rom als Sitz der höchsten Autorität auf Erden zu kennzeichnen: sichtbar, anfassbar, durchwanderbar. Auf diese Weise wurde Rom zu einem Kulturzentrum ohnegleichen, und der Vatikan mit der Peterskirche, der Sixtinischen Kapelle, dem Papstpalast und seinen Museen zu einem einzigartigen Kunst-Heiligtum. Diese Rolle als pulsierender Mittelpunkt innovativer Ideen und stilbildender Kunstwerke ist seit etwa 1800 ausgespielt; bezeichnend dafür ist, dass die nobel freskierten Borgia-Apartments im Vatikan heute ein Museum für modernen religiösen Kitsch beherbergen.
Gemäß seinem Selbstverständnis steht das Papsttum zugleich über der Geschichte und in der Geschichte. Metahistorisch, also übergeschichtlich, ist sein Anspruch auf göttliche Einsetzung und Unfehlbarkeit sowie die damit verbundene Mission bis ans Ende der Zeit. Historisch und damit dem Wandel unterworfen sind nach eigener Auslegung die Erscheinungsformen des Amts: seine Organisation, seine Behörden, sein Personal und dessen Lebensstil. Mit dieser Verwurzelung in der Zeit und im Menschlichen ist – wiederum nach eigener Anschauung – auch die Sündhaftigkeit verbunden, die die Natur des Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies befallen hat. So kann auch ein böser Mensch Papst werden, wenn der Heilige Geist die sündhafte Menschheit mit einem schlechten Oberhaupt der Kirche strafen will. Der Heiligkeit des Amtes und seiner Irrtumslosigkeit in den dogmatischen Grundfragen aber wird damit nach eigener Auffassung kein Jota fortgenommen. Mit dieser gedanklichen Hilfskonstruktion konnte es sich die mehr oder weniger offizielle Geschichtsschreibung der Kirche erlauben, auch die sogenannten «dunklen Jahrhunderte» des Papsttums mit der «Hurenherrschaft»...
Erscheint lt. Verlag | 23.2.2017 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum | |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Antike • Barock • Bischöfe • Ewiggestriger • Geschichte • Herrscher • Hoheit • Kaiser • Kirchenstaat • Könige • Kultur • Kunstwerke • machtanspruch • Mittelalter • Papst • Päpste • Papsttum • Politik • Pontifikat • Primat • Reformern • Renaissance • Rom • Stigma • Theologie |
ISBN-10 | 3-406-70382-8 / 3406703828 |
ISBN-13 | 978-3-406-70382-9 / 9783406703829 |
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