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Notre Dame (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
384 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-1274-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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(CHF 9,75)
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Sein Leben lang hat Torben Berg den Fall der Mauer herbeigesehnt, dafür gekämpft. Doch als es endlich soweit ist, wird er von einer zerstörerischen Leidenschaft überwältigt. Ein großer Roman von Faustscher Art, in dem sich die große Geschichte mit dem Liebesschicksal eines einzelnen Mannes verwebt. Paris, Ende 1991. Der deutsche Journalist Torben Berg ist in die französische Hauptstadt geflogen, um fern von seiner Familie den Silvesterabend zu verbringen. Zwar weiß seine zwölfjährige Tochter von der Reise, nicht aber seine Frau: Ihre Ehe ist gescheitert. Der Ort ist nicht zufällig gewählt. Genau hier widerfuhr Berg anderthalb Jahre zuvor das größte Liebesglück und größte Liebesleid. Damals begleitete ihn die junge Studentin Henrike Stein aus Leipzig, die Berg nach einem Konzert Wolf Biermanns Ende 1989 kennengelernt hatte. Es begann eine gewaltige, eine erotische Liebe, die sich gleichwohl immer mehr verdunkelte und deren Schatten bis nach Paris ins Jahr 1991 reichen. Hier muss Torben Berg einen neuen Horizont finden, der sich endlich wieder aufzuhellen beginnt. 'Ulrich Schacht gelingt das Kunststück, die Turbulenzen und Kapriolen des Nachwendejahres 1990 in einer radikalen, zärtlichen Liebesgeschichte zu erzählen. Zugleich entsteht ein 'Seelendokument', wie es Torben Berg, Held dieser Geschichte, nennen würde - ehrlich und unverstellt. Habt keine Angst vor dem Glück (und kämpft darum), liebe Leser, das ist es, was uns dieser Roman in jeder seiner Zeilen zuruft.' Lutz Seiler. 'Nichts weniger als eine weitgefasste Sprach-Kathedrale will mir dieser Roman sein, in dessen Längsschiff sich die leidenschaftliche Liebesgeschichte entwickelt und darin auch endet und auf deren Seitenaltären und in deren Andachtsnischen die quälenden Erfahrungen mit Diktatur und Menschenverachtung erinnert werden, kunstvoll eingebettet in erhebende Stunden größten Liebesglücks.' Egon Ammann.



Ulrich Schacht wurde 1951 im Frauengefängnis Hoheneck geboren und wuchs in Wismar auf. 1973 in der DDR wegen 'staatsfeindlicher Hetze' zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt, wurde er 1976 in die Bundesrepublik entlassen. Dort arbeitete er als Feuilletonredakteur und Chefreporter Kultur für Die Welt und Welt am Sonntag. Schacht erhielt verschiedene Preise, Auszeichnungen und Literaturstipendien, u. a. den Theodor-Wolff-Preis für herausragenden Journalismus. Er galt als ein streitbarer Publizist, der sich nicht Konventionen, sondern einer humanistischen Tradition verpflichtet fühlt. Ulrich Schacht starb 2018.

Zuletzt bei Aufbau: 'Vereister Sommer' (2011) und 'Grimsey' (2015).

I
Im Raum
der Verwandlung


»Man umarmt einen Schatten und liebt einen Traum. Was weiß ich denn schon von ihr?«

Hjalmar Söderberg, Doktor Glas

1


Das Taxi hatte Berg schon am Vorabend bestellt. Auch hatte er gebeten, nicht zu klingeln, er würde pünktlich das Haus verlassen. Kurz vor sechs öffnete er die Tür zum Zimmer seiner Tochter, vom Flur her fiel Licht in den Raum, er hatte sie aus dem Tiefschlaf geholt:

Fliegst du jetzt?, flüsterte sie.

In anderthalb Stunden, sagte er, aber ich fahre gleich.

Zum Flughafen?

Natürlich, sagte er und dachte, dass er sie nun doch verwirrt hätte.

Rufst du mich morgen an, um zwölf?

Um zwölf?

In der Nacht, mein ich.

Es klang schon viel wacher.

Versprochen, hörte er sich sagen, obwohl er in diesem Moment noch gar nicht wusste, wo er morgen sein würde um Mitternacht, das neue Jahr zu erwarten. In Paris, ja. Aber wo dort, in welchem Restaurant? Es würde sich finden.

Feierst du im Hotel?

Er schüttelte den Kopf.

Feier trotzdem schön, sagte sie und erinnerte ihn an das »Le Coq«. Es läge doch um die Ecke, falls er wieder im »Baltimore« sei. Ihr jedenfalls habe es dort sehr gefallen.

Mir auch, sagte er, vielleicht.

Während er sie auf die Stirn küsste, schlang sie ihre Arme um seinen Hals.

Ich muss, sagte er und löste sich von ihr: Ihrer Mutter habe er einen Brief vor die Tür gelegt, sie solle ihr sagen, es sei besser so.

Beim Hinausgehen winkte Berg noch einmal ins Dunkel zurück. Im Haus war es still, totenstill. Er griff nach seiner Reisetasche, die neben der Tür zu seinem Schlafzimmer schon bereitstand, und ging auf Socken die Treppe hinab in den Flur, wo er sich Schuhe und Mantel anzog, einen Schal um den Hals warf und nach den Handschuhen griff, die auf dem Schränkchen lagen, über dem der Garderobenspiegel hing. Bevor er die schwere Eingangstür öffnete und nach draußen trat, warf er einen Blick in das silberne Oval:

Ja, das war er, der sich hier aus dem Hause stahl wie ein Dieb in der Nacht. Er, Torben Berg: vierzig Jahre alt, verheiratet, Vater einer Tochter, die er über alles liebte. Journalist aus Leidenschaft, an Politik interessiert, seit er denken konnte, an Polarländern anscheinend noch länger, an Expeditionen ins Unbekannte, mit dem Kinderschlitten in die vereisten Schilfgebiete der winterlichen Vorstadt. In jener Zeit waren auch seine ersten Gedichte entstanden.

Je älter er wurde, umso verschwommener gerieten die Grenzen nach rückwärts: So, wie er jetzt war, war er so nicht schon immer gewesen?

Mit dem Löschen des Flurlichts wurde das Spiegelbild zum flüchtigen Schatten, verschwand. Dann drückte er mit der linken Hand die Türklinke aus Messing herab, die vom Licht der Lampe vor dem Haus, das durch die Glasscheiben in den Flur fiel, matt schimmerte, trat hinaus und schloss hinter sich ab. Draußen war es kalt und glitzerte überall.

Der dreißigste Dezember des Jahres neunzehnhunderteinundneunzig zeigte sich ohne statistische Auffälligkeit.

Der Fahrer hatte Licht im Wagen gemacht und las eine Zeitung. Als er ihn kommen sah, faltete er die riesigen Blätter hastig zusammen, beugte sich nach rechts und öffnete die Tür. Eigentlich fuhr Berg lieber im Fond, aber der Mann meinte es gut, und Berg wollte so schnell wie möglich aus dem Sichtfeld seines Hauses verschwinden:

Manchmal geht es mit dem Teufel zu, dachte er.

Doch im Unterschied zu ihm schlief Karla fest, felsenfest. Selbst eine hochtourig rotierende Bohrmaschine in der Wand zu einer Nachbarwohnung, da waren sie noch Studenten gewesen und bei Freunden zu Besuch, hatte einmal ihren Tiefschlaf nicht aufbrechen können; es hatte ihn fasziniert und erschreckt zugleich, weil er sie für den Bruchteil einer Sekunde gestorben wähnte, so selig waren ihre Gesichtszüge trotz des nervenaufreibenden Geräusches gewesen.

Zum Flughafen, sagte er, während er die Tür zuzog, und gab sich müde, er hatte keine Lust, schon um diese Zeit ein Gespräch zu beginnen.

Wollen Sie?

Der Taxifahrer deutete auf die grob zusammengefaltete Zeitung.

Oh, nein, sagte Berg, vielen Dank, um diese Zeit dieses Blatt, das geht gar nicht.

Um diese Zeit, lachte der Mann und startete den Motor, ist das das Einzige, was geht. Davon wird man wach, glauben Sie mir, ich würde jetzt auch gerne im Bett liegen.

Schon oder noch, fragte Berg: Wann haben Sie denn angefangen?

Vor acht Stunden, sagte der Mann, sonst lohnt es ja nicht. Sie sind der Letzte für heute.

Das ist hart, hörte Berg sich sagen und schloss die Augen.

Es gibt Schlimmeres, sagte der Mann und gab Gas, um eine Ampel zu schaffen, die Straßen waren noch ziemlich leer.

Es gibt immer Schlimmeres, murmelte Berg.

Dann herrschte Schweigen.

Eine Viertelstunde später, es war schneller als sonst gegangen, hatten sie den Flughafen erreicht und hielten vor dem Eingangsbereich, am Ende einer sich stetig verlängernden und wieder verkürzenden Schlange von Taxis, denen eilig Menschen entstiegen. Rollkoffer lärmten, Türen klappten, Motoren heulten auf oder erstarben, und über allem lag die Geräuschkulisse startender und landender Flugzeuge.

Mein Gott, dachte er, der sonst immer äußerst knapp kalkulierte: Bin ich früh. Schließlich zahlte er reichlich, wartete auf die Quittung und ging ohne Eile in die verschachtelte Empfangshalle, die er vollkommen stillos fand, ein zusammengestückelter Bau, der zwar bald, wie die Zeitungen schrieben, einem neuen, moderneren weichen sollte, aber noch jedes Mal, wenn Berg ihn betrat, fragte er sich, warum eine so reiche Stadt sich ihren Gästen aus aller Welt, die sie auf dem Luftwege erreichten, so kleinkrämerisch zeigte. Doch hatte sie sich nicht auch erst sehr spät eine Universität geleistet?

Der Flughafenbetrieb war schon in vollem Gange, die Schlangen der Wartenden vor den Schaltern lang. Das geschäftige Treiben störte ihn nicht, es lenkte ab, beruhigte. Einen Moment überlegte Berg, ob er erst einchecken oder in den Presseshop gehen sollte. Die Nähe zu den Schaltern mit dem Kranich nahm ihm die Wahl jedoch ab, er stellte sich in die nächstgelegene Reihe und spürte, wie eine Last sich von seinen Schultern zu lösen begann, ein Gefühl wie in Kindheitstagen, wenn er wieder einmal geflohen war, aus der Schule, oder vorbeigeschlichen an dem Betrieb, in dem er gelernt hatte, später ließ er Vorlesungstermine an der Universität verstreichen, Seminarzeiten, Repetitionskurse. Fast immer endeten diese Fluchten am Meer, an dem die Städte lagen, in denen er Schüler gewesen war, Lehrling, Student. Das war lange her und die peinliche Seite der Erinnerung daran längst untergegangen in einem Privatmythos von Selbstbestimmung, an dem nicht alles falsch war, das meiste jedoch nur versunkener Ärger, den er sich und anderen damit bereitet hatte, vor allem seiner Mutter, die, ein Ausbund an Pflichtbewusstsein, nicht begreifen konnte, was ihn jedes Mal trieb, was ihn anstiftete, und sie immer wieder in helle Wut versetzte, aus purer Verzweiflung. Die schweigende Verachtung seiner Mutter nach anfänglichem Zorn traf ihn trotz seiner weitschweifigen Ausreden, die ihm unerschöpflich zur Verfügung standen, ohne wirklich etwas zu klären, und nur wie freche Lügen wirkten, härter als alles andere. Die eigenartige Neigung, in der Flucht das Seelenheil zu suchen, war aber geblieben, auch wenn sie sich mit den Jahren immer seltener zeigte und dann in anderer Gestalt als einst und in Zusammenhängen, die kaum einer seiner Freunde begriff.

2


Die Maschine startete pünktlich und hob, wie vorgesehen, wenige Minuten nach halb acht ab, zog steil nach oben und ließ das Lichtermeer der großen Hafenstadt schnell unter sich zurück. Kurze Zeit später, nach der Ansage, dass gleich das Frühstück serviert werden würde, und dem Vorschlag, die gesamte Flugzeit über angeschnallt zu bleiben, flammte auch das komplette Licht in der Kabine wieder auf, gleich darauf begann das routinierte Treiben der Stewardessen.

Berg hatte sich noch während der Unruhe am Boden durch das zähflüssige Eintreffen der meisten Passagiere, die in aller Gemütsruhe ihr Gepäck verstauten und Staus bis tief in die Zugangsbrücke verursachten, entschlossen, seinen Walkman in der Reisetasche zu lassen und mit ihm das schmale Repertoire an Kassetten, das ihn seit jenem Sommer im vergangenen Jahr auf fast allen seinen Reisen begleitete: Sinéad O’Connor, Tina Turner, die Piaf und alle Brahmssymphonien. Elton John hatte er aussortiert; dafür war Sinatra wieder notwendig geworden, I did it my way.

Statt Musik zu hören, begann er sogleich, in dem Zeitungsstapel auf seinen Knien zu blättern. Wie immer sortierte er zunächst die Wirtschaftsteile aus, auch Technikseiten, Sport und Businessbeilagen, so vorhanden, wurden ungelesen zur Seite gelegt. Übrig blieben die Feuilletons, die er sich zuerst vornahm, danach kamen, gab es sie, Wissenschaftsseiten und Reiseteile, zuletzt das jeweils erste Buch, in denen sich die Welt als fortlaufendes Politikereignis darstellte und, entsprechend der Linie der Zeitung, kommentiert wurde. Die Kommentare fanden seine höchste Aufmerksamkeit, er las sie mit Leidenschaft, nie kalt, ebenso die Leserbriefe, sie waren oft besser, für Realitäten offener, weniger Partei. Berg konnte sich das...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1989 • Biermann • Leipzig • Moritzbastei • Paris • Stasi • Ulrich Schacht • Wende • Wismar • Wolf Biermann
ISBN-10 3-8412-1274-3 / 3841212743
ISBN-13 978-3-8412-1274-0 / 9783841212740
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