Der Kreis der Rabenvögel (eBook)
400 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43765-0 (ISBN)
Kate Mosse, eine der Initiatorinnen des Baileys Women's Prize For Fiction (vormals Orange Prize), arbeitet für Rundfunk und Fernsehen. Für BBC Four moderiert sie eine wöchentliche Sendung, in der Autoren und ihre Bücher vorgestellt werden. Kate Mosse hat Romane und Sachbücher geschrieben, vor ihrer Arbeit für Rundfunk und Fernsehen war sie stellvertretende Intendantin des Chichester Festival Theatre in West Sussex. Sie ist Mitglied der Royal Society of Arts. Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt sie in West Sussex und in Carcassonne. Ihr erster Roman 'Das verlorene Labyrinth' wurde ein Weltbestseller. Es folgten die Romane 'Die achte Karte', 'Wintergeister', 'Die Frauen von Carcassonne' und 'Der Kreis der Rabenvögel'.
Kate Mosse, eine der Initiatorinnen des Baileys Women's Prize For Fiction (vormals Orange Prize), arbeitet für Rundfunk und Fernsehen. Für BBC Four moderiert sie eine wöchentliche Sendung, in der Autoren und ihre Bücher vorgestellt werden. Kate Mosse hat Romane und Sachbücher geschrieben, vor ihrer Arbeit für Rundfunk und Fernsehen war sie stellvertretende Intendantin des Chichester Festival Theatre in West Sussex. Sie ist Mitglied der Royal Society of Arts. Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt sie in West Sussex und in Carcassonne. Ihr erster Roman "Das verlorene Labyrinth" wurde ein Weltbestseller. Es folgten die Romane "Die achte Karte", "Wintergeister", "Die Frauen von Carcassonne" und "Der Kreis der Rabenvögel".
Prolog
April 1912
Kirche St. Peter & St. Mary
Marschland von Fishbourne
Sussex
Mittwoch, 24. April
Mitternacht.
Männer versammeln sich schweigend auf dem Friedhof der Kirche St. Peter & St. Mary am Rande des überfluteten Marschlandes. Beobachtend, wartend.
Es herrscht nämlich der Glaube, dass man in der Nacht vor dem Tag des hl. Markus zur vollen Stunde sehen kann, wie die Geister derer, denen bestimmt ist, im kommenden Jahr zu sterben, in die Kirche Einzug halten. Ein alter Glaube, der in den meisten Teilen von Sussex längst verschwunden ist, aber nicht hier. Nicht hier, wo das Salzwasserästuar hinaus ins Meer führt. Nicht hier, im Schatten der alten Salzmühle und der ausgebrannten Ruine der Farhill-Mühle, deren verrottende Holzbalken bei jeder Ebbe zum Vorschein kommen. Hier hat der alte Aberglaube seine Macht noch nicht verloren.
Haut, Blut, Knochen.
Draußen auf dem Meer stoßen die Brachvögel und Möwen seltsame und unheimliche Schreie in die Nacht. Die Flut steigt rasch, höher und höher, überschwemmt Schlickwatt und Salzwiesen, bis nichts mehr zu sehen ist als das tiefe, bewegte Wasser. Regen trommelt auf schwarze Regenschirme und auf die Stoffmützen der Farmarbeiter und Milchmänner und Schmiede. Tropft zwischen Nacken und Kragen, Haut und Stoff. Niemand spricht. Die Flammen in den Laternen flackern und zucken, werfen verzerrte Schatten auf die Steinfassade der Kirche.
Dies ist kein Ort für die Lebenden.
Die Tochter des Tierpräparators steht verborgen im Schatten der Zypressen, nachdem sie ihrem Vater über die Marsch hierher gefolgt ist. Connie sieht Gifford mit einigen Männern zusammen am Portal stehen und wundert sich. Er meidet Freundschaften. Wie Einsiedler leben sie auf der anderen Seite des Flusses, in einem Haus voll mit Fellen und Federn, Glasglocken und schwarzen Knopfaugen, Draht und Baumwolle und Werg, allem, was von Giffords einst berühmtem Taxidermie-Museum übrig geblieben ist. Ein gebrochener und zügelloser Mann, vom Alkohol zerstört.
Aber diese Nacht ist anders. Connie spürt, dass er diese Männer kennt und sie ihn kennen. Dass irgendetwas sie alle miteinander verbindet.
… Denn wenn der Glocke Ton entflieht
Zur Stund der Mitternacht,
Ein Zug verfluchter Seelen zieht
Gespenstisch durch die Nacht
Die Worte des Gedichts, das sie mal in der Schule auswendig lernen musste, drängen sich ihr von ganz allein in den Sinn. Eine kurze Ahnung aus den verschwundenen Tagen. Connie versucht, die Erinnerung festzuhalten, aber wie immer verblasst sie zu Rauch, ehe sie sie fassen kann.
Der Regen ist stärker geworden, prasselt jetzt auf die grauen Grabsteine und die wasserdichten Umhänge und Mäntel. Feuchtigkeit dringt durch die Sohlen von Connies Stiefeln. Wind ist aufgekommen und lässt ihr den Rock um die Knöchel flattern. Sie versucht, nicht an die Toten zu denken, die in der kalten Erde unter ihren Füßen liegen.
Dann das Flüstern eines Mannes. Eine gebildete Stimme. Drängend, ängstlich.
»Ist sie hier?«
Connie späht durch die Zweige in den Nebel, aber sie kann nicht sagen, aus wessen Mund die Frage kam und ob sie an jemand Bestimmtes gerichtet war. Es folgt jedenfalls keine Antwort.
Sie ist erstaunt, wie viele den Weg hierher gefunden haben, noch dazu in einer solchen Nacht. Die meisten erkennt sie im Schein der Lampe, die über dem Portal hängt. Die alten Dorffamilien – die Barkers und die Josephs, die Boys und die Lintotts und die Reedmans. Nur wenige Frauen sind dabei. Außerdem, soweit sie sehen kann, drei oder vier Gentlemen, die sich durch den eleganten Schnitt ihrer Kleidung von den anderen abheben. Einer ist besonders groß und breitschultrig.
Sie kennt sie nicht, und in dieser ländlichen Umgebung wirken sie fehl am Platze. Geschäftsmänner, Ärzte oder Makler, Männer, deren Namen während der Pferderennwoche von Goodwood die Lokalzeitung schmücken.
Connie fröstelt. Ihre Schultern sind schwer vom Regen, und sie hat kein Gefühl mehr in den Füßen, aber sie wagt es nicht, sich zu bewegen. Sie hat Angst, bemerkt zu werden. Ihre Augen huschen zu ihrem Vater zurück, doch Gifford steht nicht mehr an derselben Stelle, und in der Menge kann sie ihn nirgends entdecken. Ist er vielleicht in die Kirche gegangen?
Die Minuten verstreichen.
Dann eine Bewegung im hinteren Teil des Friedhofs. Connie hält den Atem an. Die Frau kehrt ihr den Rücken zu, und das Gesicht ist unter ihrem Merry-Widow-Hut verborgen, aber vom äußeren Erscheinungsbild her kommt sie Connie irgendwie bekannt vor. Regentropfen glänzen auf den schillernden Federn an ihrem breitkrempigen Hut. Auch sie erweckt den Eindruck, als würde sie sich verstecken, so wie sie da zwischen den Bäumen steht. Connie ist fast sicher, dieselbe Frau letzte Woche auf dem Marschland gesehen zu haben. Sie erkennt den Mantel wieder, doppelt gesäumt und tailliert.
Niemand kommt je zum Blackthorn House. Sie haben nur wenige Nachbarn in der Nähe, und mit den Leuten im Dorf pflegt ihr Vater keinen Umgang. Aber letzten Mittwoch hat Connie eine Frau bemerkt, die, von den hohen Rohrkolben halb verborgen, auf dem Pfad stand und das Haus beobachtete. Ein schöner, blauer, doppelt gesäumter Wollmantel über einem grünen Kleid, dessen Saum allerdings mit Schlamm bespritzt war. Straußenfedern und ein Netzschleier, der ihr Gesicht verdeckte. Eine hohe, schlanke Silhouette. Eine Erscheinung, die man ganz und gar nicht auf den überfluteten Feldern erwartet hätte.
Sie ging davon aus, dass die Frau an die Haustür kommen und sich vorstellen würde, dass sie einen Grund hatte, hier zu sein. Jemand, der neu im Dorf war und eine Einladung überbringen, sich vorstellen wollte? Connie wartete, aber nach einigen Minuten der Unschlüssigkeit drehte die Frau sich um und verschwand in den regnerischen Nachmittag.
Jetzt wünschte Connie, sie wäre hinausgegangen und hätte ihre zögerliche Besucherin angesprochen. Sie nach dem Grund ihres Kommens gefragt.
»Ist sie hier?«
Geflüsterte Worte in der Dunkelheit holen Connie aus der vergangenen Woche zurück auf diesen kalten, nassen Friedhof. Dieselben Worte, aber eine andere Frage.
Die Glocke beginnt zu läuten, hallt weit hinaus über die wilde Landzunge. Alle Köpfe drehen sich, jedes Augenpaar ist jetzt auf die Westtür der kleinen Kirche gerichtet.
Blut, Haut, Knochen.
Auch Connie kann den Blick nicht abwenden. Ist es ihre Einbildung, dass die Menschenmenge zurückweicht, um jenen, die gekommen sind – Erscheinungen, Geister – den Weg in die Kirche zu öffnen? Sie sträubt sich gegen einen solchen Aberglauben, doch irgendetwas geschieht, eine Bewegung in Nebel und Luft. Ein Zeichen von denen, die die Hand des Todes auf ihren Schultern gespürt haben? Oder eine optische Täuschung durch das Licht der im Wind schwankenden Lampe über der Tür? Connie lässt sich eigentlich nicht leicht beeindrucken, aber diese Ahnung einer Prophezeiung geht auch ihr unter die Haut.
Dies ist kein Ort für die Toten.
Von ihrem Versteck aus versucht Connie, an den Schultern und Rücken der Männer und dem Baldachin aus Regenschirmen vorbeizuschauen. Eine Erinnerung, tief vergraben, flammt plötzlich in ihr auf. Schwarze Hosen und Schuhe. Das Herz trommelt ihr gegen die Rippen, aber der Erinnerungsblitz ist bereits wieder erloschen.
Jemand murmelt halblaut vor sich hin. Eine wütende Klage. Connie biegt mit den Händen die Zypressenzweige auseinander, um besser sehen zu können. Rempeln und Schieben, lauter werdende Männerstimmen. Das Geräusch der Kirchentür, die aufgerissen wird, in den Angeln schwingend irgendwo anschlägt, und die Männer drängen hinein.
Suchen sie jemanden? Jagen sie jemanden? Connie weiß nur, dass der Friedhof plötzlich leerer wirkt.
Die Glocke läutet jetzt lauter, holt ihr eigenes Echo ein und verlängert die Töne. Dann ein Schrei. Irgendwer flucht. Hände fuchteln in der feuchten Abendluft. Ein Huschen, etwas kommt aus der Kirche geschwirrt, wilde Bewegung. Connie macht einen Schritt nach vorne, will unbedingt sehen, was da geschieht.
Keine Geister oder Phantasmen, bloß Vögel. Ein flatternder Schwarm kleiner Vögel, die blindlings aus ihrem Gefängnis fliehen, in ihrem verzweifelten Freiheitsstreben gegen Hüte und Grabsteine und Mauern fliegen.
Noch immer läutet die Glocke. Zehn Schläge der Uhr, elf.
In dem Wirrwarr bemerkt niemand die schwarz behandschuhte Hand. Niemand sieht den Draht, der sich um den Hals legt, den brutalen Ruck. Grausam, entschlossen. Blut perlt, wie eine enge rote Halskette auf weißer Haut.
Die Uhr schlägt zwölf. Bei dem Heulen und Pfeifen des Windes und dem unerbittlichen Läuten der Glocke hört niemand den Schrei.
Der letzte laute Schlag verklingt in der Dunkelheit. Einen Moment lang bleibt nur eine gewaltige und hallende Stille. Bloß das Geräusch des anhaltenden Regens und des Windes, das rauschende Pulsieren von Connies Blut in ihren Ohren.
Die bald dem Tod anheimgefallen.
Die Zeit steht still. Niemand rührt sich, niemand spricht. Dann das Schlurfen und Schaben von Füßen. Das Klacken der inneren Kirchentür, die aufgeht oder sich schließt. Connie kann es nicht sagen.
»Das waren die Letzten«, sagt jemand. »Sie sind alle raus.«
Unruhe durchfährt die Menge, die draußen geblieben ist. Die Leute haben das Gefühl, genarrt worden zu sein. Dass man sich einen Schabernack mit ihnen erlaubt hat. Auch Connie fühlt sich, als wäre sie aus einer Art Trance...
Erscheint lt. Verlag | 6.1.2017 |
---|---|
Übersetzer | Ulrike Wasel, Klaus Timmermann |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | England • England-Krimi • Geheimnis • Gothic • historischer Krimi • Präparator • Raben • Spannung • Sümpfe • Tierpräparation • Viktorianisches Zeitalter • Vögel |
ISBN-10 | 3-426-43765-1 / 3426437651 |
ISBN-13 | 978-3-426-43765-0 / 9783426437650 |
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