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Tödliche Frist - Dani Pettrey

Tödliche Frist

(Autor)

Buch | Softcover
300 Seiten
2017 | 1. Auflage
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-627-5 (ISBN)
CHF 11,10 inkl. MwSt
  • Titel ist leider vergriffen;
    keine Neuauflage
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In Alaska findet das härteste Schlittenhundrennen der Welt statt. Doch der sportliche Wettkampf wird völlig überraschend zu einer mörderischen Jagd durch Eis und Schnee, denn Kirra Jacobs' Cousine ist entführt worden. Gemeinsam mit Reef und den anderen Mitgliedern des McKenna-Clans stürzt Kirra sich in einen erbarmungslosen Wettlauf gegen die Zeit. Sie weiß, sie muss ihre Cousine finden, bevor das Rennen zu Ende ist, sonst wird ihr Onkel tun, was die Entführer verlangen. Und das könnte unzählige Menschen das Leben kosten ...

Dani Pettrey ist für ihre spannenden Romane mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Maryland.

1 Rainy Pass, Alaska 10. März, 2:17 Uhr Adrenalin pulsierte durch Reefs Adern. Das war am frühen Morgen um zwei Uhr irgendwie wenig hilfreich, weil er eigentlich schlafen sollte, aber die Aufregung beim Iditarod-Rennen packte ihn jedes Mal. Es war das erste Mal seit seiner Teenagerzeit, als er an der Seite seines Vaters als freiwilliger Helfer mitgemacht hatte, dass Reef wieder mit dabei war. Seit dem Neustart in Willow waren sechsunddreißig aufregende, atemlose Stunden vergangen. Er drehte sich in seinem Schlafsack herum, sodass er das Fenster der Blockhütte sehen konnte, die man zum Kommunikationszent-rum umfunktioniert hatte. Blasser Mondschein kroch zwischen den Rändern der Vorhänge hindurch – gerade so viel, dass er sehen konnte, wie eine Gestalt den Raum durchquerte und zur Tür ging. Merkwürdig. Reef stützte sich auf den Ellbogen und musterte die Gestalt, die er in letzter Zeit viel zu häufig betrachtet hatte. Kirra. Was hatte sie denn jetzt schon wieder vor? Er konnte immer noch nicht fassen, dass von allen Freiwilligen bei diesem Hundeschlittenrennen ausgerechnet er und Kirra Jacobs ein Team bilden sollten. Und er fragte sich unwillkürlich, ob nicht jemand von seinen Geschwistern dabei die Finger im Spiel gehabt hatte. Nicht dass es ihm etwas ausmachte – und genau das war es, was ihn beunruhigte. Sie sollten die Ausputzer machen, die Augen aufhalten, ob irgendwelche Hundegespanne abgehängt worden waren. Der Schneesturm, der durch Skwentna und weiter in den Finger Lake hineinfegte, warf die Schlitten um Stunden zurück – abgesehen von den führenden Gespannen, die schon vor dem schlimmsten Unwetter hier durchgekommen waren und Rohn bereits erreicht hatten. Dadurch wurde die übliche Kluft zwischen dem ersten und dem letzten Platz noch größer. Als er und Kirra ihre Schicht beendet und sich schlafen gelegt hatten, waren noch immer zwei Dutzend Gespanne unterwegs gewesen. Reef stieg aus dem Bett und schlich über den kalten Holzfußboden, um Kirra abzufangen. Seine Hand legte sich nur einen Sekundenbruchteil vor ihrer um den Türknauf. Ihr Atem stockte. Er lehnte sich an die Tür, durch deren Rahmen die eisige Temperatur von draußen hereindrang. „Reef!“, zischte sie leise und blickte über ihre Schulter zurück. „Geh mir aus dem Weg.“ Sie stieß ihn an, aber er blieb stehen. Kirra war gut fünfzehn Zentimeter kleiner als er und bestimmt siebzig Pfund leichter – glaubte sie ernsthaft, sie könnte ihn einfach so aus dem Weg schubsen? Seine Mundwinkel zuckten. Ihm gefiel ihr Selbstbewusstsein. „Falls du es nicht bemerkt hast – es sind mindestens minus zwanzig Grad da draußen. Abgesehen davon, dass es mitten in der Nacht ist. Wo willst du denn so dringend hin?“ Dann verwandelte sich sein Schmunzeln in ein breites Grinsen. „Warte mal … du schleichst dich zu einem nächtlichen Rendezvous raus, oder?“ Doch nicht die vollkommene und vorbildliche Kirra Jacobs! Reef spürte, wie ein prickelndes Glücksgefühl ihn durchzuckte. Verbarg sich etwa mehr als erwartet hinter der braven Fassade dieser Dame, die aus unerfindlichen Gründen in seinen Träumen herumspukte? Kirra schnaubte verächtlich, während sie ihre Handschuhe zurechtzog. „Sei nicht albern.“ Er hob die Hände und lachte leise. „Du hast recht. Wie komme ich nur auf so eine Idee?“ „Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn.“ Sie stieß ihm den Ellbogen kräftig in die Rippen, öffnete die Tür und schlüpfte an ihm vorbei. „Mein Onkel wird vermisst.“ „Was?“ Reef riss seine Jacke und seine Ausrüstung vom Haken und folgte ihr nach draußen. Die eiskalte Luft raubte ihm den Atem und brannte in seiner Lunge wie Feuer. „Warte, Kirra!“ Sie lief auf den Stall zu, Richtung Hintereingang, wo die Schneemobile geparkt waren. „Willst du allen Ernstes mitten in der Nacht rausfahren und ihn suchen?“ Kirra nahm den Schlüssel eines Schneemobils vom Haken. „Ich habe lange genug gewartet.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht fassen, dass ich eingeschlafen bin, bevor er angekommen ist.“ „Die Schlittenführer kommen rund um die Uhr, vor allem bei diesem Unwetter. Du kannst unmöglich die ganze Zeit wach bleiben.“ „Ich habe zu lange geschlafen. Und gerade habe ich am Meldepunkt angerufen. Frank ist immer noch nicht aufgetaucht. Da stimmt was nicht.“ Reef legte eine Hand auf ihre Hand, die den Schlüssel ins Zündschloss schob. „Vielleicht ist er einfach nur spät dran. Dieser Sturm bringt alles durcheinander.“ „Er war von Anfang an vorne mit dabei. Selbst wenn er sich am Finger Lake ausgeruht hat, müsste er inzwischen hier sein.“ Reef hob die Hände und ließ große Schneeflocken darauffallen. Dann blickte er zu den weißen Fäden hinauf, die auf sie herabschwebten. „Nicht, wenn er das Unwetter abwartet.“ „Er würde nie das ganze Unwetter abwarten. Das macht niemand außer einem blutigen Anfänger. Den Rückstand könnte er nie wieder aufholen.“ „Also gut. Dann wecken wir die anderen und führen eine richtige Suche durch.“ „Ben wird keine nächtliche Suchaktion anordnen. Er wird verlangen, dass wir bis zum Morgen warten und bis der Sturm abgeklungen ist. Und dann wird er zuerst die Luftrettung in Iditarod verständigen, damit die nach Frank suchen.“ „Und was ist daran auszusetzen? Das ist doch vernünftig.“ „Wirklich? Du hältst mir Vorträge darüber, was vernünftig ist?“ Touché. „Ich sage ja nur, dass es gefährlich ist.“ Kirra legte den Kopf schief. „Ich dachte, du liebst die Gefahr.“ Nicht mehr … Ein gelegentlicher Adrenalinstoß, wie Extremsportarten ihn mit sich brachten, machte Reef nichts aus, aber das hier war etwas anderes. Wenn Kirra sich mitten in der Nacht allein in die Berge von Alaska begab, konnte sie dabei umkommen. „Du wirst mich nicht davon abbringen.“ Sie ließ den Motor an. „Und jetzt geh mir bitte aus dem Weg.“ Reef seufzte, während er krampfhaft die Alternativen überlegte. „Also gut.“ Er stieg auf. Sie erstarrte, als er hinter ihr Platz nahm. „Was soll das?“ „Ich bin dein Such- und Rettungspartner. Ich komme mit.“ „Hör zu, das ist ja nett, aber –“ „Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich mich nicht umstimmen lassen werde.“ Er schlang die Arme um ihre Taille. „Ich finde nicht, dass das eine gute Idee ist.“ „Hier zu sitzen und zu streiten, während wir da draußen nach Frank suchen könnten? Da hast du allerdings recht.“ Kirra wand sich und versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen. „Das meinte ich nicht.“ „Hör zu, ich habe die ganze Nacht Zeit und ich bleibe hier.“ Reef genoss das Gefühl, sie an sich zu drücken, und das gab ihm zu denken – ebenso wie die Schockwellen, die ihn durchfuhren. „Das ist doch lächerlich!“ Kirra wehrte sich noch mehr. Er grinste. „Genau genommen macht mir das Ganze ziemlichen Spaß.“ „Mann!“ Sie seufzte frustriert. „Du bist wirklich furchtbar.“ Reefs Grinsen wurde breiter. Er brachte sie unheimlich gerne auf die Palme. Wenn er an all die Methoden dachte, mit denen er … Halt! Er hatte es hier mit Kirra Jacobs zu tun. Außerdem war er nicht mehr so ein Typ. „Also: Entweder du kommst mit mir zurück in die Hütte oder ich begleite dich. Ende.“ „Gut“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und betätigte dann den Gashebel. Kirra versuchte zu ignorieren, dass Reef die Arme um sie geschlungen hatte und dass sich sein Körper auf dem Schneemobil an sie schmiegte. Sie überlegte, ob sie auf einem gewissen Abstand bestehen sollte, aber sie war nicht so dumm, die einzige verfügbare Wärmequelle zurückzuweisen. Jeder Zentimeter ihres Körpers, abgesehen von ihren Augen, war bedeckt. Trotzdem drang die Kälte bis in ihre Knochen. So ungern sie es auch zugab: Reef hatte recht. Es war eine verrückte Aktion. Aber ihren Onkel und seine Hunde in diesem Wetter sich selbst zu überlassen, kam einem Mord gleich. Frank war immer unter den ersten zehn. Immer. Etwas stimmte ganz eindeutig nicht. Sie mussten ihn finden, bevor er erfror. Zum Glück kannte Kirra seine Lieblingsparkplätze, wie die Schlittenführer die Orte nannten, an denen sie sich und ihren Hunden eine Rast gönnten. Sie würde mit der Stelle anfangen, die Rainy Pass am nächsten war, wenn man von Finger Lake kam, und sich von dort aus weiter vorarbeiten. Vielleicht hatte sich einer von Franks Hunden verletzt und er war gezwungen gewesen, sich einen Unterschlupf zu suchen, bevor er den Meldepunkt erreicht hatte. Wenn es nicht schlimmer war, wäre Kirra erleichtert, aber sie wurde das Gefühl böser Vorahnung im Magen und die innere Unruhe nicht los. Typisch Reef, den edlen Ritter zu spielen. Im Ernst? Reef? Das konnte auch nur ihr passieren, dass sie mit ihm zusammenarbeiten musste. Mit einem Seufzer versuchte Kirra die Anspannung aus ihrem Körper zu vertreiben. Der warme Atem wurde sofort von der Kälte verschlungen. Je mehr Zeit sie mit Reef verbrachte, desto mehr überraschte er sie. Und sie hasste Überraschungen, vor allem, wenn sie etwas mit Männern zu tun hatten. Sie beschleunigte und reizte dabei die Motorleistung bis zum Anschlag aus, während münzgroße Schneeflocken in ihr Gesicht schlugen. Das Blinzeln war schwierig, weil ihre Wimpern von Eiskristallen verkrustet waren. Brachte sie sich selbst und Reef in Gefahr, indem sie bei diesen extremen Wetterbedingungen draußen war? Ja, aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Es ging um Onkel Frank. Mit Vollgas nahm sie die letzte Anhöhe zu dem Lagerort, den ihr Onkel bevorzugte, sodass das Fahrzeug über den Kamm hinausragte. Reefs Lachen war trotz des brüllenden Windes und der Motorengeräusche zu hören. Kirra brachte das Schneemobil zum Stehen, ließ den Motor aber laufen. Reef sprang neben ihr ab. „Ich bin beeindruckt. Mir war nicht bewusst, dass du so ein Tempo draufhast.“ Sein Gesicht war von der Nase abwärts bedeckt, aber an den Fältchen um die Augen konnte sie erkennen, dass er lächelte. Sie rückte ihre Stirnlampe zurecht und zog die Stablampe aus der Tasche, die sie einschaltete. Dann ließ sie den Lichtkegel über den Schneefall wandern, der jetzt so dicht war, dass man kaum noch sehen konnte, wo der Grat begann und wo es hinunterging. „Kirra! Gott sei Dank!“ Die Stimme ihres Onkels hallte in der viereinhalb Meter tiefen Spalte jenseits des Kamms wider. „Ich hatte gehofft, dass du mich hier suchen würdest.“ „Frank!“ Erleichterung durchströmte Kirra, während sie sich der Stimme näherte. Reefs kräftige Arme packten sie um die Taille und rissen sie zurück. „Halt!“ Ihre Füße hingen in der Luft über der dunklen Leere unter ihr und ihre Stablampe fiel ins Bodenlose. War Frank auf der anderen Seite der Kluft? Reef trug Kirra zurück und ließ sie zu Boden gleiten, hielt sie aber weiterhin fest. Sie drückte gegen seinen Unterarm. „Ich lasse dich nicht los, bis du versprochen hast, vorsichtiger zu sein.“ Sie nickte, während der Pulsschlag ihr in den Ohren dröhnte. Er ließ los. Sofort vermisste sie die Wärme seiner Umarmung. „Kirra!“, brüllte Frank. „Ja?“ Kirra näherte sich der Kluft mit größerer Vorsicht. Reef blieb immer an ihrer Seite. Dicht stehende Bäume auf ihrer Seite ließen kein Mondlicht hindurch – sie konnte nichts erkennen. „Du musst gut zuhören. Wir haben nicht viel Zeit.“ „Bist du verletzt? Oder ist was mit den Hunden?“ Warum war er auf der anderen Seite der Erdspalte und nicht hier, auf der Rennstrecke? „Uns geht es gut, aber deiner Cousine nicht.“ „Meg?“ Was hatte sie mit all dem zu tun? „Ein paar Männer haben sie.“ „Was?“ Ein nervöses Lachen entschlüpfte ihr. Das konnte er nicht ernst meinen! „Wovon redest du?“ Kirra zog eine Ersatzlampe aus ihrer Hosentasche und ließ den Lichtkegel über die Kluft gleiten. Jetzt konnte sie Franks Umrisse im Schnee sehr unscharf erkennen, fast nur erahnen. Seine Hunde standen in einer Reihe vor seinem Schlitten, angeschirrt und bereit zum Aufbruch. „Hör gut zu.“ Die Anspannung in Franks Stimme war jetzt deutlich zu hören. „Sie wurde von einigen Männern entführt. Sie halten sie als Geisel, bis ich etwas für sie tue.“ Kirra spürte, dass Reef sich vorbeugte, als wollte er etwas sagen, aber sie war froh, als er es sich offenbar anders überlegte und ihr die Führung überließ. „Was sollst du denn für sie tun?“ Wer konnte etwas von ihrem Onkel wollen? „Das kann ich dir nicht sagen. Ich muss tun, was sie sagen, sonst töten sie Meg. Aber du kannst mir vielleicht helfen.“ „Natürlich. Wie denn?“ „Finde Meg, bevor ich in Nome durchs Ziel gehe. Wenn du sie findest, brauche ich den Job nicht zu machen.“ „Job? Was für einen Job denn?“ „Hör auf, Fragen zu stellen, und hör zu. Du musst erst Meg finden und dann mich. Wenn ich weiß, dass sie in Sicherheit ist, mache ich den Job nicht zu Ende. Sonst befürchte ich, dass noch viele andere Menschen zu Schaden kommen.“ „Ich verstehe das nicht.“ „Das musst du auch nicht. Tu nur, was ich dir sage, und finde deine Cousine, bevor ich Nome erreiche.“ „Ich werde die Polizei informieren, sobald wir wieder in Rainy Pass sind.“ „Nein! Keine Polizei! Sie haben gesagt, dass sie Meg töten, wenn sie irgendwo einen Polizisten sehen. Versprich es mir, Kirra. Keine Polizei. Ich darf Meg nicht verlieren.“ „Ist gut. Keine Polizei.“ Diesel knurrte. Franks Schatten wirbelte herum. Kirra warf einen Blick über ihre Schulter und sah ein Licht, dass sich durch die Dunkelheit näherte. Auch das Motorengeräusch eines Schneemobils kam näher. „Ich habe zu lange gebraucht. Sie sind wieder da.“ „Wer ist wieder da?“ Kirra sah noch einmal zu dem Licht hinüber und wandte sich dann wieder Frank zu, aber der war verschwunden. „Frank! Frank!“ Sie suchte mit ihrer Lampe die gegenüberliegende Seite der Kluft ab. Nichts als Schnee. Das Schneemobil hielt mit laufendem Motor. Ein Mann stieg ab. Kirra hob eine Hand, um ihre Augen vor dem gleißenden Licht der Scheinwerfer abzuschirmen. „Ben?“ War er ihnen gefolgt? „Ben? So ein Glück.“ Er konnte ihnen helfen, Frank zu finden und in Ruhe mit ihm zu sprechen, bis seine Worte einen Sinn ergaben. Reef packte ihre Hand und zog sie näher an sich heran. „Ich glaube, das ist nicht Ben.“ „Was?“ Der Mann, der in einen Schneeanzug gekleidet war und die Kapuze tief in die Stirn gezogen hatte, kam auf sie zu, den Kopf etwas schief gelegt. Sein rechter Arm hob sich. In seiner nur mit einem dünnen Handschuh bedeckten Rechten hielt er eine Waffe, die genau auf Reef und Kirra gerichtet war. Kirra schluckte. Sie war zu verwirrt, um zu verstehen, was hier vor sich ging. „Was hat er dir erzählt?“, knurrte der Mann. Reef trat zurück und zog Kirra mit sich zum Waldrand. „Oh nein!“ Der Mann streckte die Hand aus, den Finger am Abzug. Reef erkannte jetzt, dass sein Gesicht hinter einer Skimaske verborgen war. „Ihr bleibt, wo ihr seid.“ Als er näher kam, knirschte der Schnee unter seinen Schuhen. „Was hat Frank Weber euch erzählt?“ „Wer sind Sie?“, fragte Reef. Er versuchte, Zeit zu gewinnen, während er krampfhaft überlegte, wie er Kirra und sich näher an die Bäume bringen konnte. Es war klar, wie die Sache laufen würde, das sah er an dem Blick des Mannes. „Geht dich nichts an“, knurrte der Mann. Reef umfasste mit einer Hand unauffällig Kirras Handgelenk. Wenn sie es nur zu den Bäumen schaffen könnten, hätten sie wenigstens etwas Deckung. Keine zwei Meter … Er hob die andere Hand und schob sich langsam ein Stück zurück. „Hören Sie, wir wollen keinen Ärger.“ Die Waffe in der Hand des Mannes folgte ihrer Bewegung. „Ich hab gesagt, ihr sollt stehen bleiben!“ Reef erstarrte. Seine Lunge brannte. Adrenalin strömte durch seine Adern und seine Beine zitterten, jeden Moment bereit zum Sprung. „Was hat Frank euch erzählt?“, stieß der Mann hervor. „Er hat uns gesagt, dass es ihm gut geht und er keine Hilfe braucht“, sagte Kirra. Reef sah sie an. Schlaues Mädchen. „Was noch?“ „Das war alles.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Er hatte sich bei Rainy Pass nicht gemeldet, deshalb haben wir ihn gesucht. Er sagt, er sei einfach zurückgefallen.“ „Das ist alles?“ „Das ist alles. Das Unwetter hat viele Gespanne aufgehalten.“ „Okay. Tja, dann ist es eine Schande, dass ich euch wegen nichts und wieder nichts umbringen muss, aber ich kann kein Risiko eingehen.“ Reef verschwendete keinen Augenblick. Er riss Kirra mit sich, als er lossprintete, und schob sie vor sich her. „Lauf!“ Die Waffe wurde abgefeuert und der Schuss hallte mit einem hohlen Geräusch wider. Während weitere Schüsse ertönten, huschten sie zwischen den Bäumen hin und her. Plötzlich spürte Reef einen scharfen Schmerz in der Seite. Als der Boden unter ihnen nachgab, schrie Kirra auf. Reef schlug mit dem Kinn auf die steinige Eisfläche, während er einen steilen Hang hinunterstürzte, und mit jedem Aufprall und Schlag pochte der Schmerz noch heftiger. Um ihn herum war alles weiß. Immer noch waren Schüsse zu hören. Er stürzte immer schneller, bis er mit einem glühenden Schmerz gegen etwas Hartes prallte. „Reef?“ Kirra kroch an seine Seite. „Bist du in Ordnung?“ Reef nickte und ignorierte den Schmerz, der durch seinen ganzen Körper zog. „Und du?“ „Ja. Los, komm.“ Sie zog an seiner Hand. „Ich weiß, wo wir sind.“ „Was?“ Sie sah zu der Anhöhe hinauf. „Er kommt.“ Reef sah die Gestalt, die ihnen stolpernd den Hang hinunter folgte. „Komm mit! Ich weiß, wo wir uns verstecken können.“ Mühsam rappelte er sich auf. Der Schmerz hämmerte, aber er zwang seine Beine weiterzulaufen. Hinter ihnen knirschten die Schritte des Mannes, so erbarmungslos wie der heulende Wind. „Verstecken?“ Hatte Kirra verstecken gesagt? „Sollten wir nicht weiterlaufen?“ Sie mussten weiter. Ihm wurde übel. „Wir sind nicht schnell genug, um ihm davonzulaufen. Nicht mit deiner Verletzung.“ „Ich kann weiterlaufen.“ „Ein kleines Stück bestimmt, aber ich weiß, was das Beste ist. Vertrau mir.“ Sie ergriff seine Hand. Der keuchende Atem brannte in seiner Lunge und irgendetwas an seiner Seite fühlte sich feucht an. „Es ist gleich da vorne …“ Kirra sah sich um, als wäre sie mit einem Mal unsicher, dann zeigte sie mit dem Finger. „Da.“ Reef erkannte nur Schnee. „Ich sehe … nichts.“ „Darum geht es ja. Das wird er auch nicht.“ Sie bückte sich und zog ihn hinunter. Er sackte im Schnee zusammen, der sein Gesicht kühlte. „Von jetzt an müssen wir kriechen“, sagte sie und zerrte an seinem Arm. Reef verbiss sich die Schmerzen und kroch weiter hinter Kirra in noch tieferes Dunkel hinein. Äste und Dickicht schlugen nach ihren Jacken und verursachten kratzende Geräusche. „Duck dich“, flüsterte sie. Um sie herum wurde das Mondlicht dämmriger, unter ihnen wurde das Gehölz dichter und die Erde wurde … wärmer? „Richte dich einfach nach meiner Stimme“, wies sie ihn an. „Nur noch ein kleines Stück …“ Reefs Magen drehte sich um. „Hier“, sagte sie schließlich. „Setz dich.“ Erschöpft ließ er sich auf etwas Hartes fallen.

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Rainy Pass, Alaska
10. März, 2:17 Uhr

Adrenalin pulsierte durch Reefs Adern. Das war am frühen Morgen um zwei Uhr irgendwie wenig hilfreich, weil er eigentlich schlafen sollte, aber die Aufregung beim Iditarod-Rennen packte ihn jedes Mal. Es war das erste Mal seit seiner Teenagerzeit, als er an der Seite seines Vaters als freiwilliger Helfer mitgemacht hatte, dass Reef wieder mit dabei war. Seit dem Neustart in Willow waren sechsunddreißig aufregende, atemlose Stunden vergangen.
Er drehte sich in seinem Schlafsack herum, sodass er das Fenster der Blockhütte sehen konnte, die man zum Kommunikationszent-rum umfunktioniert hatte. Blasser Mondschein kroch zwischen den Rändern der Vorhänge hindurch - gerade so viel, dass er sehen konnte, wie eine Gestalt den Raum durchquerte und zur Tür ging.
Merkwürdig.
Reef stützte sich auf den Ellbogen und musterte die Gestalt, die er in letzter Zeit viel zu häufig betrachtet hatte. Kirra. Was hatte sie denn jetzt schon wieder vor?
Er konnte immer noch nicht fassen, dass von allen Freiwilligen bei diesem Hundeschlittenrennen ausgerechnet er und Kirra Jacobs ein Team bilden sollten. Und er fragte sich unwillkürlich, ob nicht jemand von seinen Geschwistern dabei die Finger im Spiel gehabt hatte. Nicht dass es ihm etwas ausmachte - und genau das war es, was ihn beunruhigte.
Sie sollten die Ausputzer machen, die Augen aufhalten, ob irgendwelche Hundegespanne abgehängt worden waren. Der Schneesturm, der durch Skwentna und weiter in den Finger Lake hineinfegte, warf die Schlitten um Stunden zurück - abgesehen von den führenden Gespannen, die schon vor dem schlimmsten Unwetter hier durchgekommen waren und Rohn bereits erreicht hatten. Dadurch wurde die übliche Kluft zwischen dem ersten und dem letzten Platz noch größer. Als er und Kirra ihre Schicht beendet und sich schlafen gelegt hatten, waren noch immer zwei Dutzend Gespanne unterwegs gewesen.
Reef stieg aus dem Bett und schlich über den kalten Holzfußboden, um Kirra abzufangen. Seine Hand legte sich nur einen Sekundenbruchteil vor ihrer um den Türknauf.
Ihr Atem stockte.Er lehnte sich an die Tür, durch deren Rahmen die eisige Temperatur von draußen hereindrang.
"Reef!", zischte sie leise und blickte über ihre Schulter zurück. "Geh mir aus dem Weg." Sie stieß ihn an, aber er blieb stehen. Kirra war gut fünfzehn Zentimeter kleiner als er und bestimmt siebzig Pfund leichter - glaubte sie ernsthaft, sie könnte ihn einfach so aus dem Weg schubsen?
Seine Mundwinkel zuckten. Ihm gefiel ihr Selbstbewusstsein. "Falls du es nicht bemerkt hast - es sind mindestens minus zwanzig Grad da draußen. Abgesehen davon, dass es mitten in der Nacht ist. Wo willst du denn so dringend hin?"
Dann verwandelte sich sein Schmunzeln in ein breites Grinsen. "Warte mal ... du schleichst dich zu einem nächtlichen Rendezvous raus, oder?" Doch nicht die vollkommene und vorbildliche Kirra Jacobs! Reef spürte, wie ein prickelndes Glücksgefühl ihn durchzuckte. Verbarg sich etwa mehr als erwartet hinter der braven Fassade dieser Dame, die aus unerfindlichen Gründen in seinen Träumen herumspukte?
Kirra schnaubte verächtlich, während sie ihre Handschuhe zurechtzog. "Sei nicht albern."
Er hob die Hände und lachte leise. "Du hast recht. Wie komme ich nur auf so eine Idee?"
"Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn." Sie stieß ihm den Ellbogen kräftig in die Rippen, öffnete die Tür und schlüpfte an ihm vorbei. "Mein Onkel wird vermisst."
"Was?" Reef riss seine Jacke und seine Ausrüstung vom Haken und folgte ihr nach draußen.
Die eiskalte Luft raubte ihm den Atem und brannte in seiner Lunge wie Feuer. "Warte, Kirra!"
Sie lief auf den Stall zu, Richtung Hintereingang, wo die Schneemobile geparkt waren.
"Willst du allen Ernstes mitten in der Nacht rausfahren und ihn suchen?"
Kirra nahm den Schlüssel eines Schneemobils vom Haken. "Ich habe lange genug gewartet." Sie schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht fassen, dass ich eing

Erscheinungsdatum
Übersetzer Dorothee Dziewas
Sprache deutsch
Original-Titel Sabotaged
Maße 205 x 135 mm
Gewicht 353 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Alaska • Alaska; Romane/Erzählungen • Belletristik in Übersetzung • Belletristik: religiös, spirituell • Christlicher Roman • Extremsport • Kriminalromane und Mystery • Liebesgeschichte • Liebesroman • Schlittenhund • Spannung • Umweltzerstörung • Zeitgenössische Liebesromane • Zweite Chance
ISBN-10 3-86827-627-0 / 3868276270
ISBN-13 978-3-86827-627-5 / 9783868276275
Zustand Neuware
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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