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Weihnachtsgeschichten am Kamin 31 (eBook)

Spiegel-Bestseller
Gesammelt von Barbara Mürmann

Barbara Mürmann (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-57521-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Weihnachtsgeschichten am Kamin 31 -
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Kerzenschein, Plätzchenduft - und eine stimmungsvolle Weihnachtsgeschichte Leise deckt der Schnee die Wiesen und Wälder, die Städte und die Dörfer zu. Die Sterne funkeln, der Mond gießt sein helles Licht über das Land. Drinnen leuchten die Kerzen. Die Kinder sitzen schon vor dem Tannenbaum und warten auf Eltern, Großeltern oder Freunde. Nun kehrt endlich Stille kehrt ein, alle Hektik ist vergessen. Nun ist endlich Zeit für eine Weihnachtsgeschichte!

Für Barbara Mürmann ist als Herausgeberin der «Weihnachtsgeschichten am Kamin» das ganze Jahr Weihnachten. Zum Glück, denn sie liebt dieses besondere Fest. Seit vielen Jahren besorgt sie mit Hingabe und Sorgfalt die Auswahl für die erfolgreiche Anthologie. Barbara Mürmann, geboren in Goslar, lebt in Hamburg. Dort leitet sie den Arezzo Musikverlag.

Für Barbara Mürmann ist als Herausgeberin der «Weihnachtsgeschichten am Kamin» das ganze Jahr Weihnachten. Zum Glück, denn sie liebt dieses besondere Fest. Seit vielen Jahren besorgt sie mit Hingabe und Sorgfalt die Auswahl für die erfolgreiche Anthologie. Barbara Mürmann, geboren in Goslar, lebt in Hamburg. Dort leitet sie den Arezzo Musikverlag.

Hinter dem Acker


Albrecht Gralle

Es war Advent, und es regnete. Ich verließ das Haus, um ein paar Lebensmittel einzukaufen, und wurde von einem lauten Autohupen aufgeschreckt. Ich blickte über die Straße und sah einen dunklen Golf im Schritttempo auf der anderen Seite neben mir entlangfahren.

Der Fahrer beugte sich aus dem Fenster und rief mir zu: «Entschuldigung, ich suche die Straße Hinter dem Acker.»

«Hinter dem Acker?», überlegte ich laut und blieb stehen. «Tut mir leid, aber die Straße gibt es hier nicht. Noch nie gehört.»

«Aber die Straße muss hier irgendwo sein», rief der Mann ärgerlich zurück, «in der Nähe der Vivaldi-Straße, wo sie einen Knick macht. Im Navi ist sie zwar nicht zu sehen, aber auf meiner Karte!»

«Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen», rief ich durch den Regen, nickte dem Autofahrer zu und schlug die Richtung zum Supermarkt ein. Aber irgendwie beschäftigte mich diese seltsame Straße, und ich beschloss, sie mir nachher einmal anzusehen.

Als ich eine Stunde später meine Einkäufe verstaut hatte, griff ich mir eine Taschenlampe und ging nach draußen. Der Regen hatte aufgehört und ein schmierig-glänzender Belag überzog den Asphalt. In ein paar Minuten erreichte ich die Vivaldi-Straße, in der ein paar neue Einfamilienhäuser standen, aus deren Fenstern künstliche Sterne blinkten.

Jetzt begann der Knick und die Straße wurde dunkler. Keine Straßenlaternen. Es gab tatsächlich auch kein Schild weit und breit, aber soweit ich sehen konnte, ging von dort, wo die Straße eine Kurve machte, ein Weg ab, und daran reihten sich drei ältere Fachwerkhäuser, die mit der Beleuchtung sparten. Das musste wohl Hinter dem Acker sein.

Ich erwartete, dass der dunkle Golf vor einem der Häuser stand, aber es war ab dem Knick kein Auto zu sehen.

Hinter dem Acker machte seinem Namen alle Ehre, denn der Asphalt war so gut wie ganz abgenutzt und ließ ein löchriges Kopfsteinpflaster erkennen, das von lehmiger Erde umrahmt war.

Mittlerweile fragte ich mich, was ich eigentlich hier wollte. Was hatte ich erwartet? Ein freundliches Haus, in dem eine Adventsparty stattfand? Stattdessen musste ich aufpassen, dass meine Stiefel nicht in den riesigen Pfützen versanken.

Jetzt erreichte ich das erste Haus. Im zweiten Stock brannte ein trübes Licht, sonst war alles dunkel. Ein Holzzaun mit einem eisernen Gartentor umschloss einen kleinen Vorgarten, auf dem ein paar verwelkte Astern ein kümmerliches Dasein fristeten. Ich blickte mich um. Niemand war zu sehen, und so traute ich mich, das eiserne Gartentor zu öffnen, und dachte: Typisch Advent. Man öffnet Türen.

Wie ein Dieb schlich ich zur Haustür und hatte den Eindruck, dass ich verbotenes Terrain betrat. Rechts neben der Tür hingen drei verrostete Briefkästen. Ich leuchtete mit meiner Lampe auf sie und entzifferte: Silesius, Brandt, Krottendiek.

«Suchen Sie jemanden?»

Erschrocken fuhr ich herum und ließ meine Taschenlampe in meine Manteltasche gleiten. Hinter mir stand eine ältere Frau in einem Pelzmantel, den geschlossenen Regenschirm in der Hand, und blickte mich fragend an.

Das kam mir eigenartig vor, denn ich hatte mich erst vor ein paar Sekunden umgedreht und keinen Menschen weit und breit erblickt. Wo kam die Frau her?

«Also, wenn Sie … wenn Sie mich so fragen», stotterte ich, «ich suche eigentlich niemanden. Ich habe nur … na ja … erst jetzt gemerkt, dass es diese Straße überhaupt gibt, und bin neugierig geworden.»

«Ja», nickte sie und klappte völlig unmotiviert den Regenschirm auf und zu, als sei er eine Waffe und sie müsste sie vorher testen. «Das Straßenschild ist irgendwann umgefallen und die Stadt hat es noch nicht wieder aufgerichtet.»

«Wann war das?», fragte ich zurück, nur um etwas zu sagen.

«Vor ungefähr fünf Jahren.»

«Was?» Ich schüttelte ungläubig den Kopf. «Sie behaupten, dass die ganze Zeit niemand …»

«Genau», kürzte sie meinen Satz ab. «So, jetzt wissen Sie alles. Darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen, bevor Sie hier Wurzeln schlagen?»

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn die Einladung klang nicht sehr einladend, eher so, als wollte sie mich von den Briefkästen weglocken. Ich überlegte. Irgendwie schien mir hier nicht alles zu stimmen. Aber meine Neugier war nun einmal geweckt worden. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, dass die Stadt fünf Jahre lang kein neues Straßenschild aufgestellt hatte.

«Ja, wenn es Ihnen mit dem Tee nichts ausmacht. Aber nur ganz kurz, zum Aufwärmen.»

«Natürlich macht es mir etwas aus. Ich muss Wasser zum Kochen bringen und den Tee aufsetzen. Aber ich halte es für meine Pflicht, Fremdlinge, die vor meiner Tür stehen, einzuladen.»

Fremdlinge! Ein merkwürdiges Wort.

«Kommen Sie, gehen wir hinein.» Sie holte einen riesigen Schlüssel aus ihrer Manteltasche und schloss auf.

Im Flur war es dunkel, und sie sagte gleich: «Gehen wir nach oben, da brennt eine Lampe. Ich hoffe, der Herd in der Küche ist noch an, sonst kann es mit dem Tee unter Umständen länger dauern.» Sie ging voraus.

Ich tastete mich die Stufen nach oben und fand die richtige Tür zur Küche, weil dahinter ein schwaches Licht zu erkennen war.

Als ich öffnete, knirschte es unter dem Holz, und ich trat ein. Von der Decke hing eine Petroleumlampe und an der Wand stand einer dieser mit Emaille überzogenen altertümlichen Herde, die noch mit Holz befeuert wurden. Als Kind hatte ich so einen bei meiner Großmutter gesehen.

Meine Gastgeberin zog ihren Mantel aus, hängte ihn an einen Haken hinter der Tür und öffnete die Ofenklappe.

«Es ist noch Glut drin», nickte sie erfreut.

Unterhalb, vom Steinfußboden, holte sie zwei trockene Scheite heraus und legte sie in die Glut. Dann hob sie den Wasserkessel an, der auf der Herdplatte stand.

«Gut», meinte sie. «Dann wird es bald kochendes Wasser geben.»

Ich dachte bei mir: Wahrscheinlich wohnen hier nur ein paar alte Leute, die ihre Gewohnheiten nicht aufgeben wollten.

«Haben Sie denn keinen Strom?», fragte ich mit spöttischem Unterton.

«Einen Strom?», wiederholte sie das Wort, als passte es nicht hierher. «Ein Strom», fuhr sie fort, «fließt ein paar hundert Meter weiter hier vorbei und ich bin froh, dass wir nicht so dicht dran wohnen. Im Frühjahr gibt es Überschwemmungen, und ich mag keine nassen Keller.»

Sie hatte mich missverstanden, und ich sagte: «Ich meine die Stromleitungen.»

Sie zuckte die Schultern. «Ich weiß nicht, was Sie meinen.»

Ich drehte mich um und suchte neben der Tür nach den Lichtschaltern, aber ich fand keine. Sollte das ein Haus ohne Strom sein? Ein Haus, das von den Stadtwerken abgeschnitten oder übersehen worden war? Unmöglich. So was konnte es doch nicht geben. Nicht hier in Deutschland, in meiner eigenen Stadt, im einundzwanzigsten Jahrhundert!

Inzwischen hatte die Frau aus einem Schrank einen Behälter geholt, in dem wohl Tee war, und schüttete die Blätter in eine alte Porzellankanne.

«Setzen Sie sich doch und ziehen Sie Ihre Jacke aus», sagte sie kurz.

Ich setzte mich und war sprachlos. Ein Haus ohne Stromanschluss. Und die Frau kannte offensichtlich das Wort Strom nicht einmal. Herr Alzheimer hatte wohl kräftig zugeschlagen. Ich nahm mir vor, eine unverfängliche Konversation aufzubauen, und sagte: «Die Adventszeit ist in diesen Tagen ziemlich verregnet, was?»

Der Teekessel pfiff. Die Frau hob ihn vom Herd und goss das heiße Wasser in die Kanne.

«Was für eine Zeit?», fragte sie.

«Die Adventszeit», wiederholte ich etwas lauter.

«Was ist das?»

«Sie kennen das Wort Advent nicht?»

«Nie gehört. Doch, warten Sie.» Sie blieb mit dem Wasserkessel in der Hand stehen. «Ich hatte mal Latein in der Schule. Es heißt Ankunft. Komisch … Ankunftszeit. Verwendet die Eisenbahn jetzt lateinische Wörter? Na ja, denen ist ja alles zuzutrauen.»

Ich wurde allmählich ungehalten. Wollte sie mich auf den Arm nehmen?

«Meine Güte!», sagte ich drängend. «Adventszeit – die Zeit vor Weihnachten. Jede Woche wird eine neue Kerze auf dem Kranz angezündet.»

«Ein Kranz?»

«Ja, ein Kranz aus Tannenzweigen.»

«Komische Sitte.» Sie schüttelte mit dem Kopf. «Zucker?»

Ich nickte, griff zu der kleinen Zuckerdose und ließ den Zucker in die leere Tasse rieseln.

«Und was soll das nun mit dem Kranz und den Kerzen?», fragte sie.

Sie goss den Tee in die zwei Tassen, und ich sah jetzt, dass bei meiner der Henkel abgebrochen war.

Inzwischen war ich mir fast sicher, dass nicht nur die Teetassen einen leichten Schaden hatten, sondern dass eine Menge Tassen im Oberschrank dieser adventslosen Frau fehlten.

Langsam verrührte ich meinen Zucker und sagte dann in ruhigem Ton: «Advent nennt man die Zeit vor Weihnachten. Jeden Sonntag wird eine neue Kerze angezündet … Und dann gibt es noch Adventskalender mit vierundzwanzig Türen. Jeden Tag darf man eine öffnen und …»

«Weihnachten kenne ich», unterbrach sie mich und schlürfte ihren Tee.

«Na, wunderbar! Immerhin etwas!»

Unsere an sich schon bizarre Unterhaltung steigerte sich, je kühler der Tee wurde. Die Frau hatte offenbar noch nie ein Auto gesehen und wusste auch nicht, was ein Radio war. Ganz zu schweigen von einem Telefon.

Aber eines schien ihr ganz wichtig zu sein: einen Fremdling zu bedienen und ihm etwas zu trinken zu geben. Denn das stünde schon in der Bibel, meinte sie. «Die Bibel kennen Sie doch, oder?»

Ich nickte.

«Na,...

Erscheint lt. Verlag 21.10.2016
Reihe/Serie Weihnachtsgeschichten am Kamin
Weihnachtsgeschichten am Kamin
Co-Autor Bernhard Müller, Albrecht Gralle, Friederike Steinborn, Gerda Thormählen, Anni Wollrath, Susanne Nöding, Anja Labussek, Edgar S. Hasse, Lieselotte Benedict, Detlef Schönewald, Anette Friedhoff, Kurt Schmitz, Sigrid Wallborn, Christian Metzner, Christine Zickmann, Thoralf Schirmer, Gisela Podlech, Peter Schnepf, Birgitt Adolph, Thomas Flüh, Manuela Unger-Pretzsch, Irmgard Goße, Josef Przyklenk, Anneli Klipphahn, Irene Korz, Uwe Pohl, Christel Kehl-Kochanek, Anja Puhane, Josef Marx, Heiderose Reichelt, Käthe Dörfel, Holger Wittschen, Ansgar Oeverhaus, Régine Gastaud, Dagmar Günther, Kim Höpfner, Hille Lux, Peter Schneiderhan, Martina Tischlinger, Ursula Böhle, Frauke Schuster, Dieter Siebald, Astrid Schlecker, Margit Begiebing, Helga Brugger, Stefanie Weingartz, Ilse Mucks, Herta Andresen, Rainer Lewandowski
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Advent • Adventsgeschichten • Christkind • Familie • Gemütlich • Geschenk • Heiligabend • Kinder • Vorlesen • Weihnachten • Weihnachtsbücher • Weihnachtsgeschichten für Erwachsene • Weihnachtsmann • Winter
ISBN-10 3-644-57521-5 / 3644575215
ISBN-13 978-3-644-57521-9 / 9783644575219
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