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Gestorben wird immer (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
336 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-18629-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gestorben wird immer -  Alexandra Fröhlich
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Drei Frauen. Drei Leben. Eine Geschichte, die endlich erzählt werden muss.
Der Tod war Agnes' Geschäft. Über Jahrzehnte hinweg führte sie den Steinmetzbetrieb Weisgut & Söhne in Hamburg und lenkte gebieterisch die Geschicke der Familie. Mit 91 Jahren nun hat Agnes von allem und jedem genug, sie will reinen Tisch machen und endlich das Geheimnis lüften, das sie viel zu lange schon mit sich herumträgt. Da ihre Tochter das Weite gesucht hat, beauftragt sie ihre Enkelin Birte, die Einzige, die aus demselben harten Holz geschnitzt ist wie sie, den ganzen Clan zusammenzutrommeln - kein einfaches Unterfangen, denn alle sind sich spinnefeind. Es ist Zeit für die Wahrheit.

»Alexandra Fröhlich kann viel mehr als grandiose Komödien.« Für Sie

Alexandra Fröhlich lebt als Autorin in Hamburg und arbeitet als freie Textchefin für verschiedene Frauenmagazine. Mit ihren Romanen »Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen« und »Gestorben wird immer« stand sie monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.

HAMBURG, MAI 2008

»Es wird auch langsam Zeit, dass du kommst.«

Begleitet wurden diese Worte durch ein dringliches Pock-pock-pock. Birte zuckte zusammen. Warum hatte sie nur geglaubt, dass sie an einem Sonntag ins Haus schlüpfen könne, ihre Unterlagen schnappen und schnell wieder raus, ohne von ihrer Großmutter bemerkt zu werden?

»Ich habe dir schon vorgestern auf den Anrufbeantworter gesprochen.«

Sie bemerkte, wie sich ihr Körper instinktiv anspannte, bereit zum Angriff. Oder zur Flucht. »Mailbox, das heißt Mailbox – Omi …«, antwortete sie.

»Es ist mir gleich, wie das heißt. Und nenne mich nicht Omi. Du weißt, wie sehr ich das hasse.«

»Ja, ich weiß«, sagte sie zufrieden und schaute die Treppe hinauf, auf deren oberem Absatz sie stand, Agnes, den schwarzen Gehstock mit dem Elfenbeinknauf fest umklammernd und noch einmal mit einem abschließenden Pock auf den Boden stoßend. Wofür sie dieses Ding seit zwei Jahrzehnten mit sich schleppte, war allen schleierhaft.

Für ihr Alter war sie beängstigend gut in Form, auch jetzt ragte sie über Birte auf, ihr Körper so gerade, als hätte sie ein Stahlrohr verschluckt. Auf ihre Haltung bildete sie sich viel ein, in ihrer Jugend war sie Leichtathletin gewesen, nicht ohne Erfolg, wie sie stets betonte. Eine Gehhilfe hatte sie nicht nötig. Birte vermutete, dass dieser Stock bloß eine Insignie war, mit der sie ihre majestätische Attitüde unterstrich und noch mehr Angst und Schrecken verbreitete.

Erst kürzlich hatte sie versucht, damit einen Nachbarsjungen zu verdreschen, der sich auf der Wiese hinter der Werkstatt herumtrieb und ein paar Steine aufklaubte, die sowieso für den Abfall bestimmt waren. Erst entwischte ihr der Knabe, schließlich war sie mit einundneunzig keine zwanzig mehr. Kurzerhand nutzte sie deshalb ihren Stock als Wurfgeschoss und traf das Kind damit direkt am Kopf. Wie sich nur wenig später herausstellte, war es der jüngste Spross der Jensens – ausgerechnet der Jensens, mit denen man seit Ewigkeiten im Clinch lag.

»Hat den Richtigen erwischt«, sagte Agnes knapp und lehnte es rundweg ab, sich bei den Eltern zu entschuldigen. »So weit kommt es noch! Dieses Pack hat auf meinem Grund und Boden nichts zu suchen. Gar nichts.«

Birte fiel die unschöne Aufgabe zu, bei den Jensens zu Kreuze zu kriechen, damit sie von einer Anzeige absahen, noch eine konnte Agnes nicht gebrauchen. Eine Dreiviertelstunde hörte sie sich das Gezeter an, was für eine abgrundtief böse Person ihre Großmutter doch sei und dass sie sich jetzt sogar schon an Kindern vergreife. Insgeheim gab sie den Aufgebrachten Recht, versuchte jedoch, den Vorfall auf Agnes fortgeschrittenes Alter zu schieben, sie werde halt langsam ein wenig wunderlich, auch ihre Augen seien nicht mehr die besten, nein, natürlich hätte sie den Jungen nicht verletzen, sondern ihm lediglich einen Schrecken einjagen wollen.

»Das glaubst du doch selbst nicht«, meinte Matthias Jensen, der Vater, trocken.

Nein, das glaubte sie selbst nicht, aber das konnte sie schlecht sagen. Deshalb ignorierte sie ihr inneres Widerstreben, entschuldigte sich wieder und wieder und sah Matthias dabei tief in die Augen, darauf hoffend, dass er sich an jene Jugendtage erinnerte, in denen sie so hoffnungslos für ihn geschwärmt hatte. Schließlich konnte sie ihn mit zwei Kisten Rotwein und einem großen Sack Marmorbruch für das Opfer besänftigen.

»Deine Familie ist wirklich die Pest«, gab ihr Matthias zum Abschied mit auf den Weg.

Auch damit lag er nicht falsch.

»Birte!« Agnes riss sie aus ihren Gedanken. »Was stehst du eigentlich da unten herum, wie zur Salzsäule erstarrt? Hilf mir endlich die Treppe hinunter.«

Als ob Agnes Hilfe brauchte! Sie ging betont langsam die Stufen hinauf und reichte ihrer Großmutter den Arm. Kurz malte Birte sich aus, wie es wäre, wenn sie ins Straucheln geriete, wenn sie ihren Fuß wie zufällig vor Agnes’ stellte und sie zum Stolpern brächte. Für einen Oberschenkelhalsbruch müsste es mindestens reichen. Und wenn Menschen ihres Alters einmal im Krankenhaus waren, kamen sie so schnell nicht wieder heraus. Mit etwas Glück nur in der schwarzen Kiste.

»Birte, hörst du mir überhaupt zu? Wo bist du denn nur mit deinen Gedanken?«

»Das möchtest du nicht wirklich wissen«, entgegnete sie und lächelte dabei.

Agnes schüttelte unwirsch den Kopf. »Lass das dämliche Grinsen. Wie siehst du überhaupt aus? Es ist Sonntag. Kannst du dir da nicht etwas Anständiges anziehen?«

Birte strich sich eine verschwitzte Strähne hinter das Ohr, schaute an sich herunter und kam sich in ihrem teuren Laufdress plötzlich nackt vor. »Ich komme vom Joggen. Dafür fand ich das kleine Schwarze eher unpassend.«

»Du bist hierher gerannt? Warum hast du dir eigentlich gerade diesen teuren Sportwagen gekauft?« Agnes schüttelte erneut den Kopf. »Jetzt komm endlich. Ich habe etwas mit dir zu besprechen.«

Ihre Großmutter schritt voran durch den langen Flur, natürlich war sie tadellos gekleidet und frisiert. Auf ihr Äußeres legte sie viel Wert, immer noch, stets waren ihre pechschwarzen Haare ordentlich onduliert, stets trug sie Perlenohrringe und die dazugehörige Kette über ihren schwarzen Kleidern, die in ihrer Schlichtheit doch elegant wirkten. Birte konnte sich nicht erinnern, ihre Großmutter jemals in einer anderen Farbe als Schwarz gesehen zu haben. Schwarz wie ihre Seele. Schwarz wie der Tod. Eine angemessene Farbe, insbesondere in ihrer Branche.

Agnes öffnete die Tür zum Anbau, ging durch die Geschäftsküche und die sich anschließende Werkstatt, in der feiner Steinstaub durch die Luft flirrte und an deren Ende sich das Büro befand. Dort setzte sie sich hinter den schweren Eichenschreibtisch und deutete auf den kleinen Drehhocker davor, der so niedrig eingestellt war, dass man sich darauf vorkam wie ein Kind.

»Ich stehe lieber«, sagte Birte, lehnte sich abwartend an die Wand und strahlte dabei ein gewisses Desinteresse aus. Sie wusste doch schon, was jetzt passierte. Wahrscheinlich würde Agnes in der nächsten Sekunde die rechte Schreibtischschublade aufziehen und ihr kleines schwarzes Notizbuch herausholen. Jenes Büchlein, in das sie alles in zittrigem Sütterlin niederschrieb: Geschäftstermine, Telefonnummern von Lieferanten und Kunden, Preisabsprachen, Aktienkurse, aber auch wer ihr welches Geheimnis anvertraut und vor allem wem sie wie viel geliehen hatte.

Agnes würde das Büchlein öffnen, einen kurzen Blick hineinwerfen und ihre Forderung stellen. Sie würde sie keinesfalls als Bitte formulieren. Vielleicht würde ihr Gegenüber, je nach charakterlicher Disposition, anfänglich Widerworte geben – natürlich ohne Aussicht auf Erfolg, sondern allein um einen Rest Selbstachtung zu wahren. Am Ende einer kurzen fruchtlosen Diskussion jedoch würde man sich fügen. Agnes saß am längeren Hebel, immer.

Diesmal blieb die Schublade zu. Agnes sagte nur: »Ich habe eine Entscheidung gefällt, die unsere ganze Familie betrifft. Du wirst alle zusammenholen.«

»Alle? Wie meinst du das?«

»Mein Gott, wenn ich alle sage, meine ich auch alle. Meine Kinder. Meine Enkelkinder. Das dazugehörige angeheiratete Gesocks. Die Urenkel.«

Birte zog die Augenbrauen in die Höhe, soweit es ihre mit Spritzen lahmgelegte Stirn erlaubte. »Was soll denn der Quatsch? Deine Söhne reden seit Ewigkeiten kein Wort mehr miteinander …«

»Das ist mir gleich«, unterbrach Agnes sie. »Sie sollen nicht miteinander reden, sie sollen sich hinsetzen und zuhören.«

Birte zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst. Ich kann’s probieren. Aber warum fragst du sie nicht …«

»Ich werde wohl meine Gründe haben«, fiel Agnes ihr erneut ins Wort. »Wie gesagt: alle meine Kinder. Das schließt auch Martha mit ein.«

Birte stieß sich von der Wand ab und registrierte, wie sie eine Gänsehaut bekam. »Vergiss es. Mit der Irren will ich nichts zu tun haben.«

»Rede nicht so von deiner Mutter.«

»Mutter? Diese Frau hat vor über dreißig Jahren aufgehört, Mutter zu sein!« Birte wurde lauter und stellte sich breitbeinig mitten in den Raum. »Das kannst du nicht von mir verlangen. Das kannst du einfach nicht.«

»Ich kann«, sagte Agnes.

Einen Moment lang maßen sie sich mit Blicken, zwei Alphatiere, kurz vor dem Sprung, kurz davor, die Kehle des Unterlegenen zu zerfleischen.

»Nein«, presste Birte schließlich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Nein.«

»Meinst du nicht, dass es an der Zeit ist zu verzeihen?« Agnes’ Stimme war unerwartet weich.

»Das sagt die Richtige!« Birte lachte auf. »Wenn du plötzlich Sehnsucht nach deiner verlorenen Tochter verspürst, dann such sie doch selber.«

Agnes schwieg, und als sie endlich antwortete, war alle Weichheit verschwunden. »Ich muss sie nicht suchen. Du wirst schon wissen, wo sie ist. Und du wirst sie davon überzeugen, nach Hause zu kommen.«

»Warum ich? Warum nicht Peter?«

»Dein Bruder, dieser Schwächling? Ausgeschlossen. Das ist eine Aufgabe für dich. Und du wirst sie erledigen.«

Birte verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein«, wiederholte sie.

»Nein«, äffte Agnes sie mit hoher Stimme nach. »Du hörst dich an wie ein dummes, trotziges Kind. Es reicht jetzt. Muss ich dich etwa daran erinnern, wem du dein schönes Leben zu verdanken hast?«

Birte schaute aus dem Fenster.

»Dein schönes Penthouse? Deine schöne...

Erscheint lt. Verlag 11.10.2016
Mitarbeit Sonstige Mitarbeit: Keil & Keil
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte 1930er • 1950er • 1970er • Anne Gesthuysen • Bestsellerliste Spiegel • Buchhändlerliebling • Dörte Hansen • Dörte Hansen Altes Land • Dreck am Stecken • eBooks • Familienroman • Familiensaga • Frauenroman • Gegenwart • Generationenroman • Hamburg • kleine geschenke für frauen • Königsberg • Mechtild Borrmann • Ostpreußen • Roman • Romane • spiegel bestseller
ISBN-10 3-641-18629-3 / 3641186293
ISBN-13 978-3-641-18629-6 / 9783641186296
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