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Der Duft von Kiefernholz (eBook)

Vom unglaublichen Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
240 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74837-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Duft von Kiefernholz -  Nina MacLaughlin
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Als die Onlineredakteurin Nina MacLaughlin das dritte Jahr in Folge eine Liste der »100 Unsexiest Men« zusammenstellen muss, ist ihr klar: Das kann es nicht gewesen sein im Leben. Was sie lieber tun würde, weiß sie nicht - nur, dass es so nicht weitergeht. Sie kündigt und lässt einfach alles auf sich zukommen. Und heuert - ohne jede Vorkenntnisse - als Assistentin bei einer Schreinerin an. Früh am Morgen steht sie auf der Baustelle, reißt Wände ein und zieht neue hoch, baut schließlich maßgefertigte Küchenschränke und Bücherregale. Sie schuftet und schwitzt, am Abend schmerzen ihre Glieder, doch MacLaughlin lernt und lernt es lieben - das Holz, das Werkzeug, die harte Arbeit. Vor allem aber lernt sie eine Menge über sich und über das Glück, selbst etwas zu schaffen.

Etwas Neues wagen. Anpacken. Etwas ?mit den Händen? machen. Sehen, wie sich dabei der eigene Blick auf die Welt verändert. Nina MacLaughlins Erfahrungen damit, wie sie zur Handwerkerin wurde, sind unverzichtbar für alle, die jetzt aber wirklich mal was anderes machen wollen - und für die, die einfach nur gerne davon träumen. Absolute Ansteckungsgefahr!



<p>Nina MacLaughlin wuchs in Massachusetts auf und lebt in Cambridge, wo sie als Schreinerin arbeitet. Ehemals Redakteurin beim <em>Boston Phoenix</em>, hat sie zudem für verschiedene Magazine geschrieben, u. a. für die <em>Los Angeles Review of Books</em>.</p>

Nina MacLaughlin wuchs in Massachusetts auf und lebt in Cambridge, wo sie als Schreinerin arbeitet. Ehemals Redakteurin beim Boston Phoenix, hat sie zudem für verschiedene Magazine geschrieben, u. a. für die Los Angeles Review of Books. Kirsten Riesselmann ist Journalistin und Übersetzerin, u. a. von Adrian McKinty, Elmore Leonard und DBC Pierre. Sie lebt in Berlin.

Kapitel 1

BANDMASS


Über den Abstand zwischen hier und dort

Vom Gehweg neben dem Memorial Drive, da, wo man von Cambridge kommend auf den Charles River stößt und die Massachusetts-Avenue-Bridge beginnt, hat man einen Blick, der knapp einen Kilometer weit reicht. Nach Süden hin erhebt sich die Skyline von Boston über dem Storrow Drive. Näher zum Fluss hin stehen deutlich niedrigere Klinkergebäude, erst dahinter wachsen Glas und Stahl in den Himmel. Richtung Westen, weiter flussaufwärts, leuchtet das Citgo-Schild über dem Kenmore Square. Während der Baseball-Saison, falls gerade ein Heimspiel der Red Sox im Gange ist, strahlen die Flutlichter im Stadion Fenway Park taghell. Der Fluss biegt und windet sich dann aus Boston hinaus, an dreiundzwanzig kleineren Städten vorbei, vorbei an Gehsteigen und Uferwegen, und weitet sich schließlich zur kiefer- und ahornbestandenen Küste. An seichten Stellen stehen große Blaureiher auf Stelzenbeinen, Schildkröten mit warmen Panzern sonnen sich auf Felsen und Stämmen. Auf knapp 130 Kilometern schlängelt sich der Fluss von seinem Ursprung im Echo Lake, in der Nähe von Hopkinton, durch den Osten von Massachusetts. Östlich der Mass-Ave-Bridge, wieder mehr Richtung Innenstadt, tanzen und schaukeln Segelboote auf dem Wasser. Ruderer trainieren im Achter, tauchen mit dumpfem Klatschen ihre Dollen ein und gleiten unter der Brücke hindurch. Die Red Line überquert anderthalb Kilometer flussabwärts die Longfellow Bridge. Dahinter hebt sich die an weißen, wie Vogelflügelknochen anmutenden Kabelsträngen aufgehängte neue Zakim Bridge über den Fluss. Dann erreicht der Charles River den Hafen, Süßwasser vermengt sich mit Salzwasser, der Fluss verändert sich und mündet schließlich in den Atlantik.

Sieben Jahre lang habe ich diese Brücke zu Fuß überquert: einmal morgens, mit der Sonne zur Linken, und einmal abends, wenn der Sonnenuntergang den Himmel manchmal rot färbte. Die Brücke war Teil des fünf Kilometer langen Wegs, den ich täglich zwischen meiner Wohnung in Cambridge und der Bostoner Zeitungsredaktion, in der ich arbeitete, zurückgelegt habe. Auf dem Nachhauseweg zogen sich – abhängig von Wetter, Jahreszeit und der Frage, ob ich noch eine dringende Deadline einzuhalten gehabt hatte oder nicht – flussaufwärts entweder pinkfarbene Streifen quer über den Himmel, oder es war kalt und großstadtdunkel, was die vor mir auf der Straße blinkenden und strahlenden Lichter, die Straßenlaternen, die Scheinwerfer und die wie Kohlen glühenden Rücklichter der Autos, zu einem wahren Spektakel werden ließ. Der Fluss glitzerte, dahinter erhob sich Cambridge, als Stadt allerdings untersetzter und bodennaher als Boston. Manchmal schien der Mond. Manchmal funkelten ein paar Sterne. Auf der Brücke wehte immer ein kräftigerer Wind. Touristen baten mich, sie zusammen mit Fluss und Skyline zu fotografieren. Ich wich Joggern aus und sprang vor Radfahrern zur Seite, die sich offenbar vor der Fahrradspur fürchteten. Meistens war ich allein unterwegs. Gelegentlich war ich auch betrunken, ein paar Mal weinte ich dabei, und einmal wurde ich von jemandem, den ich nicht besonders gut leiden konnte, geküsst. Für meinen Kopf war diese Brückenquerung wie eine Fährüberfahrt – erst hin zu Schreibtisch und anstrengender Geräuschkulisse, zu Tastatur-Getippsel, Mausklicken, Interviews und Ideen für Geschichten, und am Abend wieder weg vom Schreibtisch, hin zu Ruhe, Zuhause oder einer Bar, hin zum Nicht-reden- und Nicht-denken-Müssen, zum Nicht-schlau-Sein- und Nicht-klicken-Müssen. Oh ja, ich habe diese Brücke ins Herz geschlossen, und zwar in ihrer ganzen Länge. Mit ihren 2164,8 Fuß – das sind 659,82 Meter oder 364,4 Smoot – ist sie die längste Brücke, die den Charles River überspannt.

Oliver Smoot war 1958 noch nicht lange Mitglied der Studentenverbindung Lambda Chi Alpha am MIT, als er eines späten Abends von seinen Verbindungsbrüdern über die gesamte Länge der Brücke, von Boston bis nach Cambridge, immer wieder kopfüber gewendet wurde. Man kam auf die offizielle Brückenlänge von 364,4 Smoot, plus / minus ein Ohr. Seit diesem legendären Messvorgang malen die Jungs von Lambda Chi Alpha auf dem Brückengehweg zwei Mal jährlich die Markierungen neu, die immer den Abstand von zehn Smoot anzeigen. (Die einzige Ausnahme stellt die Smoot-Marke 69 dar, unter der bis zum heutigen Tag noch zusätzlich »Himmel« stand.) Als die Brücke 1980 renoviert wurde, wurden die Gehwegplatten in Smoot-Länge hergestellt – und eben nicht in der Standardgröße von sechs Fuß. Oliver Smoots Beitrag zur Welt der Vermessung reichte noch weit über seine Verbindungstage hinaus. Eine Gedenktafel am Fuß der Brücke erinnert an den 50. Jahrestag des Smoot sowie daran, dass Ollie später dann noch Leiter sowohl des American National Standards Institute als auch der Internationalen Organisation für Normung wurde.

Im Winter lief ich mit vom Wind gerötetem Gesicht, im Sommer mit am Rücken klebendem Shirt über die Brücke und setzte mich dann an meinen Schreibtisch bei einer Zeitung, bei der ich direkt nach dem College einen Job ergattert hatte. Ganz zu Anfang war ich fürs Kulturprogramm zuständig, und das bedeutete, Woche für Woche jedes Konzert, jeden Contra Dance, jede Kunstausstellung und jede Comedy-Show, jeden Poetry Slam und jeden Filmbeginn in der Stadt in eine riesige Datenbank einzugeben. Dann schrieb ich über billige salvadorianische Restaurants, interviewte David Copperfield, verfasste ein Porträt über ein Kunstporno-Kollektiv, besprach Dokumentarfilme, berichtete von einer Konferenz über Jungfräulichkeit und schrieb über Bücher, Autoren und die Literaturszene in Boston. Irgendwann wurde ich zur Chefin vom Dienst des Online-Auftritts befördert. Und das bedeutete: Ich hatte mich darum zu kümmern, dass jede Geschichte zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle erschien. Es bedeutete, viel herumzuklicken.

Lange Zeit machte mir das richtig Spaß. Ich liebte den Rhythmus dieser Arbeit, die Spitzen und die Flauten, die Energie eines Großraumbüros voller Menschen – meistenteils Männer – kurz vor Redaktionsschluss. Das ganze frenetische Getippe, die vielen Meinungen und das schwachsinnige Gequatsche, die freien Autoren am Telefon mit ihren Quellen, die Konzentration, die Abgabetermine und die Veröffentlichung – die Arbeit in der Redaktion hatte eine ganz eigene Dynamik. Und ich war stolz, dazuzugehören. Was für eine glückliche Fügung es war, jeden Tag an diesen Ort gehen zu können, wo man umgeben war von klugen Besessenen, die alle etwas zu sagen hatten und die zusammenarbeiteten, um dieses Blatt zu machen, das eine Geschichte hatte und eng mit dem Stadtgeschehen verwoben war, das sich der langen Form und einem investigativen, problemorientierten Journalismus verpflichtet fühlte und die stärksten Kunstkritiker in ganz Boston hatte.

Was für schräge Gestalten da um mich herum am Schreibtisch saßen, was für eine Ansammlung von Schlauköpfen. Da war der scharfsinnige Kettenraucher mit dem aus der Hose hängenden Hemd und dem gefährlichen Charme, der, bevor er Journalist wurde, als Umzugshelfer gearbeitet hatte. Da war die Kollegin, die mit ihrer journalistischen Arbeit die Welt verbessern wollte und mit der Konzentration und dem Feuereifer einer Besessenen an ihrem Schreibtisch saß und Ungerechtigkeiten offenlegte – bis man sie in eine Kneipe mitnahm, wo sie dann davon erzählte, wie sie früher The Grateful Dead hinterhergetingelt war. Der Chefredakteur war ein Griesgram erster Güte, ein großherziger Zyniker und Mitbegründer der Zeitung, der aber immer noch an ihre Schlagkraft und Notwendigkeit glaubte. Der Kunstredakteur mit dem enzyklopädischen Gedächtnis und der unerreichbar hohen Messlatte hatte Wutanfälle, bei denen er Bücher auf den Boden neben seinem Schreibtisch schleuderte. Und die Reporterin aus dem hartgesottenen Vorort Brockton schrieb eine wöchentliche Kolumne über die merkwürdigsten Figuren der Stadt, was mir seinerzeit wie der vielleicht coolste Job der Welt vorkam. In meiner Vorstellung übertraf sie mich um Längen. Als sie mir vor nicht allzu langer Zeit mal wieder über den Weg lief, stellte ich fest, dass wir gleich groß sind. Ich war extrem schockiert und fragte mich kurz, ob sie sich eventuell eine Krankheit zugezogen habe, bei der man schrumpft. Derart überragt und eingeschüchtert fühlte ich mich von diesen Menschen.

Trotzdem konnte ich mein Glück kaum fassen. Jedes Mal, wenn ich Und was machst du so? gefragt wurde, antwortete ich voller Stolz. Ich hatte genau das erreicht, was ich wollte. Aber irgendwann war es das dann nicht mehr.

Was erst noch die Leser waren, wurden irgendwann die User. Die Zahlen im Printbereich waren rückläufig, und es lag in der Verantwortung der Online-Redakteure, dem gesamten Blatt »Jugendlichkeit« und »Relevanz« einzuimpfen, um die Werbeeinnahmen konstant und die Zeitung überhaupt noch am Markt zu halten. Die inzwischen altbekannte Geschichte eben.

Das ganze Geklicke fing an, mir auf die Stimmung zu drücken. In jeder Arbeit liegt etwas Stumpfsinniges, eine »Gewalt, die sowohl dem Geist wie auch dem Körper angetan wird«, wie Studs Terkel es in Working formulierte. Die Aufgaben wiederholen sich, Leerlauf entsteht, Augenblicke, in denen man sich wünscht, im Schwimmbad zu sein. Momente, wie sie sogar bei Jobs, die man richtig gern macht, die zu haben man sich geehrt fühlt oder zu denen man sich berufen fühlt, unvermeidlich sind. Zum Problem werden sie dann, wenn sie sich häufen und zu einem Berg anwachsen, wenn diese Momente der Sinnleere an der Seele zu nagen...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2016
Übersetzer Kirsten Riesselmann
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Hammer Head
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Der Mann und das Holz • Hammer Head deutsch • handwerkern • Holz • Holzsäge • Motorsäge • Schreinern • ST 4716 • ST4716 • suhrkamp taschenbuch 4716
ISBN-10 3-518-74837-8 / 3518748378
ISBN-13 978-3-518-74837-4 / 9783518748374
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