Erinnerte Tage (eBook)
288 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43639-4 (ISBN)
Herman van Veen, geboren 1945, wuchs in Utrecht auf, wo er auch das Konservatorium besuchte. 1965 feierte er mit dem Soloprogramm 'Harlekin, niemands Knecht, niemands Herr' sein Theaterdebüt. Seitdem reist er mit seinen Vorstellungen um die Welt. Von seiner Hand entstanden bis heute 180 CDs, 80 Bücher und ca. 500 Gemälde. Sowohl für sein künstlerisches Werk als auch für seinen Einsatz für den Frieden wurde er mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Herman van Veen ist Vater von vier Kindern und der Waisenente Alfred Jodokus Kwak. Er hat drei Enkel und lebt bei Utrecht.
Herman van Veen, geboren 1945, wuchs in Utrecht auf, wo er auch das Konservatorium besuchte. 1965 feierte er mit dem Soloprogramm "Harlekin, niemands Knecht, niemands Herr" sein Theaterdebüt. Seitdem reist er mit seinen Vorstellungen um die Welt. Von seiner Hand entstanden bis heute 180 CDs, 80 Bücher und ca. 500 Gemälde. Sowohl für sein künstlerisches Werk als auch für seinen Einsatz für den Frieden wurde er mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Herman van Veen ist Vater von vier Kindern und der Waisenente Alfred Jodokus Kwak. Er hat drei Enkel und lebt bei Utrecht.
Licht in der Erdnussbutter
Mein ältester Enkelsohn tippt auf seinem Laptop schneller, als meine Mutter auf dem Sterbebett sprach. Er braucht dabei nicht einmal auf seine Finger zu sehen. Seine Augen starren auf den Bildschirm, während er fast fehlerlos seine Kommandos tippt. Eine Freundin erzählte mir neulich, dass in den USA Kinder durchschnittlich sieben Stunden täglich vor dem Bildschirm sitzen.
Als ich anfing, Wörter zu schreiben, gab es einen Griffel und eine Schiefertafel. So lernte man, wie es der niederländische Dichter Remco Campert sagt, »schöne Striche zu setzen, weiße Striche zu regnen auf den dunklen Himmel der Schiefertafel«.
Kann mich noch gut an das Schwammdöschen erinnern. Mit einem nassgemachten Schwamm konnte man seine Striche auswischen und sich neuen Tafelfreuden widmen.
Danach durfte ich auf liniertem Papier Wörter schreiben, mit einem Bleistift oder sehr edel mit einem Füllfederhalter, den man in ein Tintenfässchen tunkte, das praktischerweise unter einer Schublade in der Tischplatte verborgen war. »Affe, Nuss, Mies«, Wörter, Sätze, diktiert von der Lehrerin. Ich war auf der Maria-Montessori-Schule in der Monseigneur-van-de-Wetering-Straat. In jenen Tagen eine Schule für »eigenartige« Kinder. Schreiben fand ich schön, auch wegen der Sachen: eigene Hefte, ein Kuli, ein Füller. Dann erst die Schreibmaschine mit Pauspapier – man hatte mit einem Mal tippen plötzlich zwei Seiten Wörter. Später der Computer. Jetzt der Laptop. Heute kann man sein Geschreibsel durch die Luft jagen. Steht nach einer Sekunde, was du dachtest auf deinem Twitter oder deinem Facebook. Kann die ganze Welt lesen, was du dachtest. Ich schau nach dem Kerlchen, das so sehr aussieht wie meine Tochter, und denke an die Zeit, als wir noch langsam lebten.
Die friesische Sterzuhr tickt. Meine Mutter schält die Kartoffeln, mein Vater hört Radio, ich versuche, etwas von meinem Stabilbaukasten zusammenzusetzen.
»Eine Pfingstrose ist nach ihm benannt worden.«
»Nach wem?«, fragte meine Mutter meinen Vater.
»Ich hörte gerade im Radio, dass eine Pfingstrose nach Alexander Fleming, dem Erfinder des Penizillins, benannt worden ist.«
»Gut so«, murmelte meine Mutter.
Alexander Fleming erfand seine Medizin dank eines Fehlers, versehentlich. Eine unbeabsichtigte Infektion im Laboratorium bewirkte, dass ein Schimmel einen antibakteriellen Stoff produzierte. Penizillin.
Lieber Herman,
wie geht es Dir?
Du genießt bestimmt die schönen Wälder.
Ich habe von Deiner Mutter Grüße bekommen und gehört, dass Du schon dick wirst.
Ich hoffe, dass es Dir bald besser geht. Schöne Pfingsttage.
Herzliche Grüße von der ganzen Klasse
und Fräulein Kok
Die Ansichtskarte mit diesen Worten erhielt ich im Nunspeeter Boschhuis, wo ich mich von Nierenblutungen erholte. Ich fühlte mich in dieser herrlichen Umgebung allein und verlassen.
Ich weiß noch, wie alles anfing. Der Hausarzt mit dem unheimlichen Namen Doktor Schneider, zwängte mir das Fieberthermometer in den Kinderpo rein, zog es kurz danach wieder raus, und während er das Fieberthermometer mit einem Papier säuberte, las er laut einundvierzig Grad. »Herman muss sofort ins Krankenhaus, hier können wir ihm nicht helfen.« Mein Vater brachte den Doktor zur Tür, hob mich danach aus dem Bett, schlug eine Decke um mich, zog mir meine von Oma gestrickte Wintermütze tief über die Ohren und trug mich mit großen Schritten direkt zum Diakonissenkrankenhaus. Sie legten mich ins Bett. Ich war umgeben von seltsamen Apparaten, sonderbar, denn gleichzeitig schwebte ich hoch über meinem Bett wie eine Gasflamme an der Zimmerdecke. Trieb wie ein Herbstblatt auf dem Wind aus dem Krankenhaus über den Wilhelminaplein zu unserem Haus, unserer Straße, hoch über der Stadt zwischen Millionen von leise rieselnden Schneeflocken, die unter mir überall Feuer löschten. Ohne es gemerkt zu haben, lag ich auf dem Boden und wurde zugedeckt von stillen Flocken. Ich hörte Engel singen in einer Sprache, die ich nicht verstand, oder waren es Diakonissen? Papa flüsterte: »Wenn du gesund bist, gehen wir angeln.« Ich hatte im Flur eine neue Angel mit einem roten Schwimmer gesehen.
Kurz vor Weihnachten durfte ich dank des Penizillins nach Hause. Wir hatten einen ein Meter achtzig großen Weihnachtsbaum mit einer Spitze und Kerzen mit praktischen Kerzenhaltern. Mama kriegte einen neuen glänzenden Morgenmantel mit Abbildungen von Blumen und Pfauen. Ich konnte vorläufig noch im Zimmer von meiner Schwester schlafen. Am Weihnachtsabend durfte ich aufbleiben, vor dem Kachelofen Radio hören. Jemand redete über den Krieg, »denn sie gaben ihr Leben«. Bevor ich schlafen ging, sang Mama ein altes Weihnachtslied.
Hoe leit dit kindeke hier in de kou
Ziet eens hoe alle zijn ledekens beven
Ziet eens hoe dat het weent en krijt van rouw!
Na, na, na, na, na, na, kindeke teer,
Ei zwijg toch stil, sus, sus! En krijt niet meer.
Sa ras dan, herdekens komt naar de stal
Speelt een zoet liedeke voor dit teer lammeken
Het dunkt mij dat het nu haast slapen zal.
Na, na, na, na, na, na, kindeke teer,
Ei zwijg toch stil, sus, sus! En krijt niet meer.
En gij, o engeltjes, komt ook hier bij
Zingt een motetteke voor uwen koning
Wilt hem vermaken met uw melodij.
Na, na, na, na, na, na, kindeke teer,
Ei zwijg toch stil, sus, sus! En krijt niet meer.
Unser Hausarzt, Doktor Schneider, wohnte und arbeitete in der Biltstaat in Utrecht. Zu Fuß eine Viertelstunde von unserem Haus entfernt. Als ich klein war, sah ich ihn oft. Ich war ein schwaches Kerlchen, immer ganz schön blass um die Nase, wie man damals sagte. Ohne das Engagement meines Vaters im Widerstand, Lebensmittelmarken, die wir gegen Blumenzwiebel tauschten, Zuckerrüben und wässrige Suppe aus Suppenküchen und dem sogenannten Manna, dem Geschenk des Himmels, der Versorgung aus der Luft durch die Alliierten, hätte ich die letzten Kriegsmonate vermutlich nicht überlebt.
Das Wartezimmer unseres Hausarztes war einfach. Eine Reihe Holzstühle, ein niedriger Tisch mit einem Stapel der Frauenzeitschrift Libelle für Mütter und einem Haufen zerlesener Donald-Duck-Hefte. Eine Fassung an einem Draht, in der eine Lampe ohne Schirm den kargen Raum erleuchtete. An der Wand ein vergilbtes Poster mit einer Frau, die sich über den Schreibtisch eines Arztes beugte. In drei Sprechblasen stand: »Und dann, Herr Doktor? Und dann, Herr Doktor? Und dann …?« Es hing wahrscheinlich deshalb da, um die Patienten zu ermahnen, möglichst zeitsparende Fragen zu stellen. Zur Zufriedenheit meiner Mutter standen im Wartezimmer des Doktors keine Pflanzen. Sie sagte einmal kurz vor einem Besuch des Hausarztes zu meinem kleinen Sohn: »Wenn die Pflanzen im Wartezimmer des Doktors tot sind, dann such dir einen anderen Doktor, mein Junge.«
Das Sprechzimmer von Doktor Schneider war nicht viel anheimelnder, dort hing zwar eine Lampe mit Schirm, und es gab auch einen Bücherschrank voller beeindruckender dicker Bücher, in denen man wahrscheinlich nachschauen konnte, warum eine Aspirin-Tablette wusste, wo der Schmerz saß. In einer Ecke des Zimmers stand ein lebensgroßes Skelett. Als ich es entsetzt zum ersten Mal sah, sagte meine Mama: »Das kommt davon, wenn es stürmt und du keinen Mantel angezogen hast.« Bei jedem Sturm denke ich an ihre Worte und stelle dann für alle Fälle meinen Kragen hoch.
Doktor Schneider hatte ein scharfsinniges Gesicht mit zwei klugen Augen, die einen über halbe Brillengläser durchbohrten. »Na, junger Mann? Wo drückt der Schuh?«
»Ich hab das Lämpchen von meinem Rücklicht verschluckt.« »Und?«, fragte der Doktor. »Und auch ganz schnell ein halbes Glas Erdnussbutter aufgegessen.« Meine Mutter: »Und deshalb?« »Und deshalb kann ich jetzt nicht mehr kacken.« »Herman ist schon seit acht Tagen nicht mehr auf dem Klo gewesen.« Stille.
»Soso, kleines Kerlchen, du kannst also nicht kacken?« Ich dachte, während ich unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschte: Er kackt bestimmt mühelos Riesenhäufchen. Ich schaute zu meiner Mutter, stellte mir vor, wie sie mit ihrer großen Unterhose auf den Fußgelenken problemlos auf dem Klo saß und kackte. Die ganze Welt kackte ohne Probleme, und ich saß hier mit Verstopfung.
»Gut, wie kriegen wir dein Würstchen heraus? Mach dir mal keine Sorgen, kleiner Mann, was reingegangen ist, kommt immer wieder raus«, murmelte der Doktor, um mich zu beruhigen. »Wir werden dir was geben, damit du öfter auf die Toilette gehst, dann kommt das Rücklichtlämpchen von selber wieder raus. Du musst dein Häufchen ganz genau anschauen und auseinanderpulen.«
Und der Doktor hatte recht, zwei Wochen danach pulte ich das Lämpchen aus meinem Häufchen, wusch es unter dem Wasserhahn sauber, schraubte es in mein Rücklicht und, siehe da, das Lämpchen funktionierte noch. So konnte ich wieder abends sicher durch die fünfziger Jahre radeln.
In Korea drohte der Kalte Krieg zu heiß zu werden. Charlie Chaplin, mein geheimes Vorbild, wurde als ein vermögender Vagabund aus Amerika verbannt. Ostdeutschland erhob sich gegen die sowjetischen Besatzer, doch die angespitzten Bleistifte, Esslöffel und spitzen Gabeln zogen gegen die rote militärische Fachkompetenz den Kürzeren. Belgien war schon lange wieder Belgien. Auch in Ungarn kam es zu einem Aufstand gegen die Russen. »Kollaborateure« wurden massenhaft...
Erscheint lt. Verlag | 25.8.2016 |
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Übersetzer | Thomas Woitkewitsch |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Autobiografie • Autobiografie Musiker • Autobiografien berühmter Persönlichkeiten • Autobiographie • Autobiographie Musiker • Autobiographie Prominente • Biografie Musiker • bücher über musik • Bücher von Promis • Erfahrungen und wahre Geschichten • Erinnerungen • Herman van Veen • Herman van Veen Erinnerungen • Herman van Veen Konzert • Holland • Lebensgeschichten • Liedermacher • Memoiren • Musik Biographien • Musik Buch • Niederlande • Promi-Autobiographie • Sänger • Springen oder Fallen Tour • wahre geschichten bücher |
ISBN-10 | 3-426-43639-6 / 3426436396 |
ISBN-13 | 978-3-426-43639-4 / 9783426436394 |
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