Die Witwe (eBook)
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-22251-9 (ISBN)
Fiona Barton wurde in Cambridge geboren und arbeitete lange bei der «Daily Mail», beim «Daily Telegraph» und bei der «Mail on Sunday». Für ihre Tätigkeit gewann sie den britischen Preis «Reporter of the Year». Viele Jahre war sie als Prozessbeobachterin und Gerichtsreporterin für verschiedene Medien tätig. Heute arbeitet sie als Medientrainerin. Ihr Erstling 'Die Witwe' landete auf Anhieb auf den internationalen Bestsellerlisten.
Fiona Barton wurde in Cambridge geboren und arbeitete lange bei der «Daily Mail», beim «Daily Telegraph» und bei der «Mail on Sunday». Für ihre Tätigkeit gewann sie den britischen Preis «Reporter of the Year». Viele Jahre war sie als Prozessbeobachterin und Gerichtsreporterin für verschiedene Medien tätig. Heute arbeitet sie als Medientrainerin. Ihr Erstling "Die Witwe" landete auf Anhieb auf den internationalen Bestsellerlisten. Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen Autor:innen zählen Anna McPartlin, Sara Gruen, Glennon Doyle, Malala Yousafzai, Roddy Doyle und Simon Beckett.
Mittwoch, 9. Juni 2010
Die Journalistin
Kate Waters verlagerte ihr Gewicht. Sie hätte vorhin den Kaffee nicht trinken sollen. Erst der Kaffee und jetzt noch der Tee. Ihre Blase sendete eindeutige Signale, und es konnte passieren, dass sie Jean Taylor mit ihren Gedanken allein lassen musste. In dieser Phase keine gute Idee, vor allem, weil Jean inzwischen wieder etwas still geworden war. Sie nippte an ihrem Tee und starrte ins Leere. Kate bemühte sich verzweifelt, die Beziehung nicht zu zerstören, die sich langsam zwischen ihnen aufbaute. Sie befanden sich in einem sehr heiklen Stadium. Ging der Augenkontakt verloren, konnte die ganze Stimmung kippen.
Steve, ihr Mann, hatte ihren Job mal damit verglichen, sich an ein Tier heranzupirschen. Er hatte auf einer Dinnerparty ein Glas Rioja zu viel getrunken und große Reden geschwungen.
«Sie schleicht sich immer näher an ihr Opfer heran, füttert es mit kleinen Häppchen Nettigkeit und Humor, mit einem Hinweis auf Geld, auf die Chance, die eigene Seite der Geschichte zu erzählen, bis man ihr schließlich aus der Hand frisst. Das ist wahre Kunst», hatte er der Gästeschar erzählt, die um ihren Esstisch versammelt war.
Sie hatten seine Kollegen aus der Onkologie zu Gast gehabt, und Kate hatte dabeigesessen, ihr professionelles Lächeln aufgesetzt und gemurmelt: «Ach, komm, Schatz, du solltest mich eigentlich besser kennen», während die Gäste verlegen lachten und an ihren Weingläsern nippten. Später, beim Abwasch, war sie außer sich gewesen. Das Spülwasser war auf den Boden gespritzt, so heftig hatte sie die Töpfe ins Becken geknallt, aber Steve hatte sie in die Arme genommen und sie einfach geküsst, bis sie wieder versöhnt war.
«Du weißt, wie sehr ich dich bewundere, Kate», hatte er gesagt. «Du bist großartig in dem, was du tust.»
Sie hatte den Kuss erwidert, doch Steve hatte recht. Manchmal war es tatsächlich wie ein Spiel oder ein koketter Tanz, so spontan eine Verbindung zu einem misstrauischen – sogar feindseligen – fremden Menschen aufzubauen. Sie liebte diesen Part. Liebte den Adrenalinkick, wenn sie als Erste den Fuß auf eine Türschwelle setzte, vor der restlichen Meute; wenn sie klingelte und im Haus Geräusche vernahm; wenn sie durch die Milchglasscheibe sah, wie das Licht sich veränderte, weil jemand sich der Haustür näherte, und sie dann, sobald die Tür aufging, noch einen Gang hochschaltete und alles gab.
Reporter hatten auf der Türschwelle völlig unterschiedliche Taktiken: Ein Freund, mit dem sie geübt hatte, setzte immer seinen «Letzter Welpe im Korb»-Blick auf, um Sympathien zu wecken; eine Freundin schob grundsätzlich ihrem Chefredakteur die Schuld in die Schuhe, weil der sie zwang, schon wieder anzuklopfen; und eine hatte sich sogar einmal ein Kissen unter den Pullover gestopft, so getan, als sei sie schwanger, und darum gebeten, das Klo benutzen zu dürfen.
Nicht Kates Stil. Sie hatte ihre eigenen Regeln: immer lächeln, nie zu dicht vor der Haustür stehen, nie mit einer Entschuldigung anfangen und immer versuchen, von der Tatsache abzulenken, dass man hinter einer Story her ist. Die Nummer mit der Milchflasche hatte sie schon mal abgezogen, aber leider waren Milchmänner eine aussterbende Spezies. Sie war sehr zufrieden, weil sie so offensichtlich mühelos durch die Tür gekommen war.
Dabei hatte sie überhaupt nicht kommen wollen. Sie musste dringend in die Redaktion und ihre Spesenabrechnung fertig machen, ehe die Kreditkartenabrechnung ihr Konto killte.
Doch ihr Nachrichtenredakteur hatte nichts davon hören wollen. «Sie fahren bei der Witwe vorbei und klopfen mal an – liegt doch sowieso auf dem Weg», hatte Terry Deacon in den Hörer gebellt, über die Radionachrichten im Hintergrund hinweg. «Wer weiß? Heute könnte doch Ihr Glückstag sein.»
Kate hatte geseufzt. Sie hatte sofort gewusst, wen Terry meinte. Es gab nur eine Witwe, von der diese Woche jeder ein Interview wollte, aber sie wusste auch, wie breitgetrampelt dieser Pfad inzwischen war. Drei ihrer Kollegen von der Post hatten es bereits probiert – und sie war sich sicher, dass sie die letzte Reporterin im ganzen Land war, die noch nicht an diese Tür geklopft hatte.
So gut wie.
Als sie die Abzweigung zu Jean Taylors Straße erreichte, hielt sie automatisch nach Kollegen Ausschau und sah sofort den Mann von der Times neben einem Wagen stehen. Langweilige Krawatte, Ellbogenflicken, Seitenscheitel. Der Klassiker. Sie fuhr langsam weiter, blieb im zähen Verkehrsfluss auf der Hauptstraße, behielt den Feind aber weiter im Auge. Sie würde noch einmal um den Block fahren müssen und ein wenig warten, in der Hoffnung, dass er, wenn sie wiederkäme, verschwunden wäre.
«Scheiße!», murmelte sie, setzte den Blinker und bog in eine Seitenstraße ab, um zu parken.
Fünfzehn Minuten und einen kurzen Blick in die Tageszeitungen später schnallte Kate sich wieder an und startete den Motor. Ihr Telefon klingelte, und sie kramte in ihrer Handtasche, um es zu finden. Beim Rausangeln sah sie Bob Sparkes’ Namen auf dem Display und stellte den Motor wieder ab.
«Hallo, Bob! Wie geht es Ihnen? Was gibt’s denn?»
Detective Inspector Bob Sparkes wollte etwas von ihr, so viel stand fest. Er gehörte nicht zu den Typen, die nur anriefen, weil sie Lust zu plaudern hatten, und sie wettete mit sich selbst, dass das Gespräch keine sechzig Sekunden dauern würde.
«Hallo, Kate. Gut, danke. Ganz schön was los – Sie wissen ja, wie das ist. Hab ein paar Fälle auf dem Tisch, aber nichts Spannendes. Hören Sie, Kate, ich hab mich gefragt, ob Sie eigentlich immer noch an der Glen-Taylor-Sache dran sind.»
«Himmel, Bob, lassen Sie mich etwa beschatten? Ich wollte eben bei Jean Taylor an die Haustür klopfen.»
Sparkes lachte. «Keine Sorge, soweit ich weiß, stehen Sie noch nicht auf der Liste.»
«Irgendwas, das ich wissen sollte, ehe ich zu ihr gehe?», fragte Kate. «Irgendwelche neuen Erkenntnisse, seit Glen Taylor gestorben ist?»
«Nein, im Grunde nicht.» Sie merkte seiner Stimme an, dass er enttäuscht war. «Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht was gehört haben. Außerdem würde ich mich über eine kleine Vorwarnung freuen, sollte Jean tatsächlich was sagen.»
«Ich rufe Sie hinterher an», sagte sie. «Aber wahrscheinlich knallt sie mir die Türe vor der Nase zu. So war es zumindest bei sämtlichen Kollegen.»
«Okay. Bis später.»
Ende. Sie warf einen Blick aufs Display und grinste. Einundvierzig Sekunden. Neuer Rekord. Das musste sie ihm unbedingt unter die Nase reiben, wenn sie sich das nächste Mal sahen.
Fünf Minuten später hatte sie langsam Jean Taylors inzwischen pressefreie Straße wieder durchquert und war den Weg zur Haustür hochgegangen.
Und jetzt wollte sie die Story!
Reiß dich zusammen, Himmel noch mal!, dachte sie und grub sich die Fingernägel in die Handfläche, um sich abzulenken. Nein – keine Chance.
«Sorry, Jean, aber dürfte ich kurz Ihre Toilette benutzen?», fragte sie und lächelte entschuldigend. «Tee läuft einfach direkt durch, oder? Wenn Sie wollen, mache ich uns noch einen.»
Jean nickte und stand auf. «Hier entlang», sagte sie und trat zur Seite, um Kate den Weg zur pfirsichfarbenen Gästetoilette zu weisen.
Während Kate sich mit der parfümierten Gästeseife die Hände wusch, blickte sie auf und fing ihr Gesicht im Spiegel ein. Sie sah ein bisschen müde aus, fand sie, strich sich die widerspenstigen Haare glatt und klopfte mit den Fingerspitzen zart über die Tränensäcke, wie von der jungen Frau empfohlen, bei der sie sich hin und wieder eine Kosmetikbehandlung gönnte.
Weil sie unbeobachtet war, überflog sie kurze Zeit später in der Küche ganz nebenbei die Notizen und Magnete auf dem Kühlschrank, während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte. Einkaufszettel und Urlaubssouvenirs – hier gab’s für sie nicht viel zu holen. Ein Foto von den Taylors, aufgenommen in einem Strandrestaurant, zeigte das Paar lächelnd und in die Kamera prostend. Glen Taylor, zerzauste dunkle Haare und ein Urlaubslächeln, und Jean, dunkelblond, die Haare sorgfältig geföhnt und ordentlich hinter die Ohren geschoben, das Abend-Make-up in der Hitze leicht verlaufen und dazu dieser Seitenblick auf ihren Ehemann.
Bewundernd oder ängstlich?, fragte Kate sich.
Die letzten Jahre hatten an der Frau auf dem Bild eindeutig ihre Spuren hinterlassen. Die Jean im Wohnzimmer hockte in Cargohose, Schlabbershirt und Strickjacke da. Die Haare lösten sich aus dem unordentlichen Pferdeschwanz. Steve zog sie immer mit ihrer Detailgenauigkeit auf, aber genau darin bestand ihr Job – auf die kleinen Dinge zu achten. «Ich bin eine gelernte Beobachterin», pflegte sie zu scherzen. Sie liebte es, ihren Lesern von den winzigen, verräterischen Details zu erzählen. Jeans raue, rissige Hände waren ihr sofort aufgefallen – Friseusenhände, hatte sie gedacht – und die vom nervösen Kauen ausgefranste Nagelhaut.
Die Fältchen um die Augen der Witwe sprachen ihre eigene Sprache.
Kate holte ihr Telefon raus und fotografierte den Urlaubsschnappschuss. Sie bemerkte, dass in dieser Küche alles völlig makellos war. Anders als bei ihr, wo ihre beiden Teenager-Söhne mit Sicherheit nach dem Frühstück wieder eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatten – schmutzige Kaffeebecher, saure Milch, eine angebissene Scheibe Toast, ein aufgeschraubtes Marmeladenglas, in dem noch ein Messer steckte. Und auf dem Fußboden das obligatorische, vor sich hingammelnde Fußballtrikot.
Der Wasserkocher...
Erscheint lt. Verlag | 21.5.2016 |
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Reihe/Serie | Detective Bob Sparkes | Detective Bob Sparkes |
Übersetzer | Sabine Längsfeld |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | Bella Elliott • Ehefrau • Entführung • Internetforen • Kindermörder • Kindesmissbrauch • Kleinstadt • Pädophilie • Reihenhaus • Südengland • Verbrechen • vermisste KInder • Vorstadt • Witwe |
ISBN-10 | 3-644-22251-7 / 3644222517 |
ISBN-13 | 978-3-644-22251-9 / 9783644222519 |
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