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Manhattan Transfer (eBook)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
544 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-04251-3 (ISBN)
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«Manhattan Transfer» gehört zu den großen revolutionären Romanen des 20. Jahrhunderts. Durch eine Fülle von Schauplätzen und Charakteren lässt Dos Passos ein schillerndes Porträt des urbanen New Yorker Dschungels entstehen, in dem das Jagdfieber wütet: nach Arbeit, Glück und Macht. Die Figuren des Romans - ein junger Einwanderer, ein Gewerkschaftsführer, ein Mörder, ein Karrierist, eine nach Selbständigkeit strebende Frau, ein sensibler Alkoholiker und andere - scheinen aus der unbestimmbar großen Masse der Stadtbewohner herausgerissen, um irgendwann wieder in ihrem Gewühl unterzugehen. Der eigentliche Protagonist des Romans ist jedoch die Großstadt New York von den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts bis nach dem Ersten Weltkrieg - eine immense, scheinbar anarchische Macht, der alle ausgeliefert sind. Der Roman ist panoramisch, filmisch, eine beeindruckende Collage modernen Lebens, voller Episoden und Brüche. Dos Passos' Kamerablick setzt das Dokumentarische neben das Erleben seiner fiktiven Figuren; er verfolgt sie durch das Dickicht der Stadt, überlässt es jedoch dem Leser, seine Schlüsse aus ihrem Lebenskampf zu ziehen. Nach Erscheinen dieses Romans rückte Dos Passos mit einem Schlag in die Riege der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts. In ihm vermischen sich der Naturalismus eines Theodore Dreiser und der Modernismus eines James Joyce zu einem vibrierenden, atemlos rhythmischen Stil, der bis heute nichts von seiner schillernden Farbigkeit und leuchtenden Intensität eingebüßt hat. Zahlreiche Autoren nahmen sich Dos Passos weltweit zum Vorbild, unter anderem übte er maßgeblichen Einfluss auf Alfred Döblins berühmten Roman «Berlin Alexanderplatz» aus. Die vorliegende Neuübersetzung stammt von dem renommierten Literaturübersetzer Dirk van Gunsteren (Thomas Pynchon, Philip Roth, T.C. Boyle) und ersetzt die aus dem Jahr 1966 stammende von Paul Baudisch. Sie ist mit einem Nachwort von Clemens Meyer (bekannt durch seinen ebenfalls Dos Passos verpflichteten großen Leipzig-Roman «Im Stein») versehen.

John Dos Passos wurde 1896 in Chicago geboren. Er studierte in Harvard und ging nach dem Abschluss 1916 nach Europa. Als Kunststudent in Spanien begann er zu malen und zu schreiben; unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges verfasste er zwei pazifistische Romane, bevor er mit dem multiperspektivischen Großstadtpanorama Manhattan Transfer 1925 den amerikanischen Roman revolutionierte. Später engagierte er sich im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner. Er gilt neben Hemingway, Faulkner und Fitzgerald als einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Moderne. Seine Romane beeinflussten weltweit zahlreiche Schriftsteller, namentlich inspirierte Manhattan Transfer Alfred Döblin zu seinem großen Roman Berlin Alexanderplatz. John Dos Passos starb 1970 in Baltimore.

John Dos Passos wurde 1896 in Chicago geboren. Er studierte in Harvard und ging nach dem Abschluss 1916 nach Europa. Als Kunststudent in Spanien begann er zu malen und zu schreiben; unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges verfasste er zwei pazifistische Romane, bevor er mit dem multiperspektivischen Großstadtpanorama Manhattan Transfer 1925 den amerikanischen Roman revolutionierte. Später engagierte er sich im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner. Er gilt neben Hemingway, Faulkner und Fitzgerald als einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Moderne. Seine Romane beeinflussten weltweit zahlreiche Schriftsteller, namentlich inspirierte Manhattan Transfer Alfred Döblin zu seinem großen Roman Berlin Alexanderplatz. John Dos Passos starb 1970 in Baltimore. Dirk van Gunsteren, 1953 geboren, übersetzte u.a. Jonathan Safran Foer, Colum McCann, Thomas Pynchon, Philip Roth, T.C. Boyle und Oliver Sacks. 2007 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis.

Erster Teil


I Am Fährsteg


Drei Möwen kreisen über den zerbrochenen Kisten, den Orangenschalen und verfaulten Kohlköpfen, die sich zwischen den rissigen Planken heben und senken, und die grünen Wellen schäumen unter der Rundung des Bugs, als die Fähre, hin und her geworfen von der Strömung, klatschend und gurgelnd das Wasser zerteilt, schlingert und gemächlich am Anleger zur Ruhe kommt. Mit Kettengeklirr wirbeln handbetriebene Winschen. Sperrgitter werden hochgefahren, Füße überschreiten den Spalt, Männer und Frauen quetschen sich durch den nach Dung stinkenden hölzernen Tunnel des Fährhauses, dicht an dicht, wie Äpfel, die durch den Trichter in die Mostpresse gedrückt werden.

Die Schwester hielt den Korb mit ausgestreckten Armen, als wäre er eine Bettschüssel, und öffnete die Tür zu einem großen, warmen, trockenen Raum mit grünlich verfärbten Wänden, wo in der von Alkohol und Jodtinktur geschwängerten Luft über anderen, an der Wand aufgereihten Körben ein leises, säuerliches, bebendes Plärren hing. Sie stellte den Korb ab und sah mit geschürzten Lippen hinein. Das Neugeborene auf dem Mullbett wand sich matt wie ein Knäuel Regenwürmer.

 

Auf der Fähre war ein alter Mann, der Geige spielte. Er hatte ein Affengesicht, seitlich leicht verschoben, und die Spitze seines rissigen Lacklederschuhs wippte im Takt. Bud Korpenning saß mit dem Rücken zum Fluss auf der Reling und sah ihm zu. Die Brise spielte mit dem Haar, das unter der fest anliegenden Mütze hervorragte, und trocknete den Schweiß auf seinen Schläfen. Er hatte Blasen an den Füßen und war hundemüde, aber als das Boot ablegte und bockend über die kleinen, klatschenden, kabbeligen Wellen des Flusses fuhr, spürte er mit einem Mal ein warmes Kribbeln, das ihm durch alle Glieder schoss. «Sagen Sie, wie weit is es von da, wo wir anlegen, bis in die Stadt?», fragte er einen jungen Mann mit Strohhut und blau-weiß gestreifter Krawatte, der neben ihm stand.

Der Blick des jungen Mannes glitt von Buds ausgetretenen Schuhen zu den geröteten Handgelenken, die aus den ausgefransten Jackenärmeln ragten, über den dünnen Truthahnhals und schließlich keck zu den forschenden Augen unter dem geknickten Mützenschirm.

«Kommt ganz drauf an, wo Sie hinwollen.»

«Zum Broadway … Ich will direkt dahin, wo was los is.»

«Gehen Sie einen Block nach Osten und dann den Broadway runter, und wenn Sie weit genug gehen, sind Sie da, wo was los ist.»

«Danke, Sir. Werd ich machen.»

Der Geiger ging mit dem Hut in der Hand zwischen den Leuten umher, während der Wind an den schütteren grauen Strähnen auf seinem schäbigen, fast kahlen Schädel zupfte. Bud merkte, dass das Gesicht zu ihm aufsah und die verkniffenen, wie zwei schwarze Stecknadeln wirkenden Augen in die seinen blickten. «Nix», sagte er mürrisch, wandte sich ab und sah über den breiten, hell wie Messerklingen blitzenden Fluss. Die Planken des Anlegers umschlossen sie und knarzten, wenn das Boot dagegen stieß; Ketten rasselten, und Bud wurde von der Menge durch das Fährhaus geschoben. Er ging zwischen zwei Kohlenwagen hindurch und über eine breite staubige Straße, wo ein paar gelbe Straßenbahnwagen standen. Ein Zittern erfasste seine Knie. Er vergrub die Hände tief in den Taschen.

Auf einem Imbisswagen in der Mitte des Blocks: ESSEN. Er schob sich steif auf einen der Drehhocker und studierte lange die Preisliste.

«Spiegeleier und ne Tasse Kaffee.»

«Gewendet?», fragte der rothaarige Mann hinter dem Tresen und wischte sich die kräftigen sommersprossigen Unterarme an der Schürze ab. Bud Korpenning fuhr hoch.

«Was?»

«Die Eier. Wollen Sie die gewendet oder normal?»

«Ach so, gewendet.» Bud sank, den Kopf in die Hände gestützt, wieder in sich zusammen.

«Mann, Sie sehen ganz schön fertig aus», sagte der Mann, als er die Eier über dem zischenden Fett der Bratpfanne aufschlug.

«Bin grade erst hergekommen. Seit heut morgen fünfundzwanzig Kilometer gelaufen.»

Der Mann pfiff durch die Zähne. «In der großen Stadt, weil Sie n Job suchen, hm?»

Bud nickte. Der Mann ließ die brutzelnden, mit einem bräunlichen Gespinst überzogenen Eier auf einen Teller gleiten, legte Brot und ein Stück Butter auf den Rand und schob das Ganze über den Tresen. «Ich geb Ihnen jetzt mal n Rat, und zwar ganz umsonst. Lassen Sie sich ne Rasur und n Haarschnitt verpassen und zupfen Sie sich die Strohhalme von der Jacke, bevor Sie sich umtun. Dann finden Sie eher was. In dieser Stadt kommts drauf an, wie man aussieht.»

«Ich kann gut arbeiten. Ich bin n guter Arbeiter», knurrte Bud mit vollem Mund.

«Ich sags ja bloß», sagte der rothaarige Mann und wandte sich wieder dem Herd zu.

 

Als Ed Thatcher die Marmorstufen des breiten Krankenhausportals emporstieg, zitterte er. Der Geruch nach Medikamenten schnürte ihm die Kehle zu. Eine Frau mit strengem Gesichtsausdruck sah ihn über einen Tisch hinweg an. Er bemühte sich, mit fester Stimme zu sprechen.

«Können Sie mir sagen, wie es Mrs. Thatcher geht?»

«Sie können jetzt rauf.»

«Aber bitte, Miss – ist alles in Ordnung?»

«Die Stationsschwester weiß über den Fall Bescheid. Treppe links, zweiter Stock, Entbindungsstation.»

Ed Thatcher hielt einen in grünes Wachspapier eingeschlagenen Blumenstrauß in der Hand. Die breite Treppe schwankte, als er hinaufstolperte und mit den Fußspitzen an die Messingstangen stieß, mit denen der Läufer befestigt war. Das Schließen einer Tür ließ einen gepressten Schrei verstummen. Er hielt eine Schwester an.

«Ich möchte gern zu Mrs. Thatcher.»

«Wenn Sie wissen, wo sie ist, gehen Sie einfach rein.»

«Aber sie ist verlegt worden.»

«Dann müssen Sie im Stationszimmer fragen, am Ende des Korridors.»

Er biss sich auf die kalten Lippen. Am Ende des Korridors sah ihn eine Frau mit rotem Gesicht lächelnd an.

«Alles ist gut. Sie sind der glückliche Vater eines gesunden Mädchens.»

«Das ist unser erstes Kind, wissen Sie, und Susie ist so zart», stammelte er und hielt mühsam die Tränen zurück.

«Ja, ich verstehe schon, Sie machen sich Sorgen … Sie können reingehen und mit ihr sprechen. Das Baby ist vor zwei Stunden gekommen. Sie dürfen sie aber nicht ermüden.»

Ed Thatcher war ein kleiner Mann mit einem dünnen blonden Schnurrbart und blassgrauen Augen. Er ergriff die Hand der Schwester und schüttelte sie, wobei er lächelnd all seine schiefen, gelblichen Zähne entblößte.

«Wissen Sie, es ist unser erstes.»

«Gratuliere», sagte die Schwester.

Bettenreihen unter mürrischen Gaslichtern, ein kränklicher Geruch von Bettwäsche, unter der sich ständig etwas regte, fette und abgezehrte, weiße und gelbliche Gesichter; und da war sie. Susies offenes gelbes Haar rahmte ihr kleines blasses Gesicht ein, das geschrumpft und verzerrt wirkte. Er wickelte die Rosen aus dem Papier und legte sie auf den Nachttisch. Wenn man aus dem Fenster sah, war es, als blickte man hinab in tiefes Wasser. Die Bäume auf dem Platz waren blau eingesponnen. Entlang der Avenue gingen Lampen an und erzeugten einen grünlichen Widerschein auf backsteinroten Häuserblocks; Schornsteine und Wassertanks stießen scharf in einen Himmel, so rosarot wie Fleisch. Ihre bläulichen Lider klappten hoch.

«Bist du das, Ed ..? Du meine Güte, Ed, das sind ja Rosen. Wie verschwenderisch.»

«Ich konnte nicht anders, Liebes. Ich weiß doch, wie sehr du die magst.»

Eine Schwester stand am Fußende des Betts.

«Könnten Sie uns das Baby nicht mal zeigen, Miss?»

Die Schwester nickte. Sie hatte ein graues Gesicht, ein eckiges Kinn und schmale Lippen.

«Ich hasse sie», flüsterte Susie. «Die ist mir richtig unheimlich, eine gemeine alte Jungfer.»

«Mach dir nichts draus, Schatz, es ist ja nur für ein, zwei Tage.» Susie schloss die Augen.

«Willst du sie immer noch Ellen nennen?»

Die Schwester brachte einen Korb und stellte ihn neben Susie auf das Bett.

«Ach, ist sie nicht wunderbar!», sagte Ed. «Sieh doch, sie atmet … Und sie haben sie eingecremt.» Er half seiner Frau, sich aufzurichten und auf einen Arm zu stützen; eine gelbe Strähne löste sich und fiel über seine Hand, seinen Arm. «Wie können Sie sie auseinanderhalten, Schwester?»

«Manchmal können wirs nicht», sagte die Schwester und verzog den Mund zu einem Lächeln. Susie betrachtete forschend das winzige rote Gesicht. «Sind Sie sicher, dass es meins ist?»

«Natürlich.»

«Aber es hat kein Schild.»

«Ich werde gleich eins schreiben.»

«Aber meins hatte dunkles Haar.» Susie sank mit einem Seufzer in die Kissen zurück.

«Sie hat einen entzückenden hellen Flaum, genau in der Farbe von Ihrem Haar.»

Susie reckte die Arme in die Luft und schrie: «Das ist nicht meins. Das ist nicht meins. Bringt es weg … Diese Frau hat mein Baby gestohlen.»

«Schatz, um Himmels willen! Um Himmels willen!» Er versuchte, sie wieder zuzudecken.

«Zu dumm», sagte die Schwester ruhig und nahm den Korb. «Ich werde ihr ein Beruhigungsmittel geben müssen.»

Susie richtete sich kerzengerade auf. «Bringt es weg!», schrie sie, ließ sich, ganz hysterisch, zurückfallen und wimmerte unablässig.

«Du lieber Gott!», rief Ed Thatcher und rang die Hände.

«Sie gehen jetzt besser, Mr. Thatcher … Wenn Sie weg sind, beruhigt sie sich … Ich stelle die Rosen ins Wasser.»

Auf dem letzten Treppenabsatz überholte er einen...

Erscheint lt. Verlag 21.5.2016
Nachwort Clemens Meyer
Übersetzer Dirk van Gunsteren
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin Alexanderplatz • Erster Weltkrieg • Fähre • frühes 20. Jahrhundert • Großstadt • Großstadtdschungel • Manhattan • New York • Odyssee • Stadtpanorama • urbanes Leben • Vielfältigkeit
ISBN-10 3-644-04251-9 / 3644042519
ISBN-13 978-3-644-04251-3 / 9783644042513
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