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Holy Freaks (eBook)

Oder wie Shiva mir die Braut ausspannte
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
224 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-43837-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Holy Freaks -  Joannis Stefanidis
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Alles beginnt mit einer wunderschönen Hippie-Prinzessin, die Joannis Stefanidis im Menschengewimmel von Bombay trifft. Ebenso wie sie ist er nach Indien gekommen, um Heilung zu finden, doch zuerst lernt er, was es heißt, den Schmerz zu besiegen. Stefanidis' Reisen sind Jagden nach Glück und Erfüllung, führen von Meditationszentren in Sri Lanka über Singapurs Prunkpaläste bis in die Slums Kalkuttas. Er begegnet Endorphin-Junkies und Schmerzfressern, Schamanen und kiffenden Super-Yogis. Und wie nah sich das Erhabene und das Profane zuweilen kommen können, weiß Stefanidis spätestens, wenn er mit einem Koffer voll Viagra auf dessen rechtmäßigen Besitzer wartet. In 'Holy Freaks' erzählt Joannis Stefanidis von Wundern und Weisheit, göttlicher Erfahrung und menschlicher Fehlbarkeit.

Joannis Stefanidis, geboren 1964 als Sohn einer Deutschen und eines Griechen, wuchs in West-Berlin auf. Er ist Musiker, Autor, Weltreisender und einem Millionenpublikum als Übersetzer der Fantasy-Buchreihe 'Eragon' bekannt. Joannis Stefanidis lebt in Berlin und Mumbai.

Joannis Stefanidis, geboren 1964 als Sohn einer Deutschen und eines Griechen, wuchs in West-Berlin auf. Er ist Musiker, Autor, Weltreisender und einem Millionenpublikum als Übersetzer der Fantasy-Buchreihe "Eragon" bekannt. Joannis Stefanidis lebt in Berlin und Mumbai.

Music from God


(Bombay – Goa – Trivandrum)

Züge rollen ein, Bremsen kreischen. Ausgemergelte Gepäckträger stürzen sich auf Koffer und Kisten, schleppen unmögliche Lasten. Aus Lautsprechern schallen Durchsagen. Chennai, Colcatta, Bangalore. Es riecht nach Essen, Diesel und menschlichen Ausdünstungen. Überall Hektik. Mein Blick schweift durch das Tohuwabohu: eine Gruppe wild gestikulierender Tamilen, dunkel wie die Nacht, daneben stolze Turban-Punjabis, schnurrbärtige Bengalen, Gujaratis in feinen Kurtas … Ich kann es immer noch nicht fassen: Ich bin zurück im Schoß der dicken Mama Indien.

Plötzlich bleibt mein Blick an etwas hängen.

Inmitten des Gewusels hockt seelenruhig auf einer Decke eine Hippie-Prinzessin wie aus dem Bilderbuch. Sanft fallende Lockenmähne, Batikklamotten, Halsbänder, Jesus-Latschen. Sie scheint meinen Blick zu spüren, schaut auf. Wie von einer unsichtbaren Strippe gezogen, schlendere ich zu ihr hinüber.

»Hi«, sage ich. »Hast du noch Platz auf deiner Decke?«

Ihre grünen Augen strahlen mich an. Ich schätze sie auf Anfang dreißig. Sie als hübsch zu bezeichnen, wäre die Untertreibung des Tages.

»Klar«, sagt sie und deutet neben sich. Ich stelle meinen Rucksack ab und lasse mich neben ihr nieder. »Ich bin Joannis. Aus Germany.«

»Amy, New Zealand.« Ihr Lächeln ist wie eine Umarmung. Wow. Wir reichen uns die Hand. »Wohin fährst du?«, fragt sie.

»Mit dem Nachtzug nach Goa. Und du?«

»Nach Poona.«

Poona? Da war doch was …

Ich grinse. »Bist du eine Sanyasin? Willst du in den Osho-Ashram? Wo es freien Sex gibt und so?«

Noch während ich spreche, wird mir klar, dass meine Zunge mal wieder meinen Verstand überholt hat. Aber Amy nimmt es locker. Sie schüttelt den Kopf.

»Nee, ich bin keine Sanyasin. Ich fahre zu einem Arzt.«

»Echt?« Kurze Pause. »Was fehlt dir denn?«

Amy wartet, bis die Lautsprecherdurchsage verklungen ist. Ihre Miene wird ernst.

»Ach, ist eine längere Geschichte. Eigentlich möchte ich nicht darüber sprechen.«

»Okay.« Die anfängliche Magie zwischen uns scheint schon wieder verflogen. Über Osho hätte ich womöglich besser geschwiegen.

Vorgestern bin ich in Bombay gelandet und wieder im Carlton abgestiegen, einem kleinen Hotel im ersten Stock des in Ehren verschrammten Florence Building. Die Zimmer sind einfach, es gibt Gemeinschaftsklos und dazu jede Menge Patina, und von der Veranda, auf der abends die Gäste zusammensitzen, blickt man auf das ganze Spektrum des Bombayer Lebens. Auf dem Bürgersteig unterhalb der Veranda hausen Familien auf schmuddeligen Decken, die dreckstarrenden Kinder kacken in die Gosse. Vor ihrer Nase gleiten in eleganten Limousinen Geldmenschen und Bollywood-Schönheiten vorbei. Sie wollen zum Empfang ins Taj Hotel gleich nebenan. Heftiger als in Bombay prallen die Extreme nirgendwo sonst aufeinander.

»Ich hatte seit Jahren heftige Migräneanfälle«, meldet Amy sich nun doch wieder zu Wort. Mein Blick gleitet zu ihr zurück. Sie ist wirklich wunderschön. Plötzlich wirkt sie seltsam zerbrechlich.

»Die Anfälle wurden immer schlimmer, kamen in immer kürzeren Abständen«, erzählt sie. »Am Ende konnte ich nicht mehr arbeiten. Ich war bei Dutzenden von Ärzten, habe alle möglichen Medikamente ausprobiert, aber nichts hat geholfen. Schließlich hat man mir einen Akupunkteur empfohlen. Zu dem bin ich dann hin.«

»Akupunktur kenn ich. Damit wollte ich mir mal das Rauchen abgewöhnen. Hat aber nicht geklappt.« Zum Beweis stecke ich mir eine Goldflake an, Indiens Filterzigarette Nummer eins.

»Ich habe meine ganze Hoffnung in den Mann gesetzt«, fährt Amy fort. »Er meinte, er könne mich von der Migräne nicht vollständig befreien, die Häufigkeit der Anfälle würde sich durch seine Behandlung aber erheblich vermindern. Vorher musste ich unterschreiben, dass ich ihn für den Fall von Nebenwirkungen von der Haftung befreie. Dann hat er mir hundertzwölf Nadeln gesetzt.«

»Wahnsinn. Und? Hat es was gebracht?«

Sie verzieht das Gesicht und nickt, ihre Korkenzieherlocken geraten in Bewegung. »Ja, die Anfälle kommen nur noch selten, sind nicht mehr so heftig. Aber seit der Behandlung habe ich ständig einen Schleier vor Augen, so eine Art Schneerieseln. Wie bei einem schlecht eingestellten Fernsehbild, weißt du. Es ist zum Verrücktwerden. Egal, wo ich hinschaue, das Rieseln ist immer da.«

»Jetzt auch?«, frage ich lahm.

»Ja. Die Mediziner stehen vor einem Rätsel. Der Arzt in Poona ist ein Siddha-Doktor und meine letzte Hoffnung.«

Sie hält einen Moment lang inne, ehe sie mit leiser Stimme weiterspricht. »So wie jetzt kann ich nicht weiterleben. Ich bete, dass er mir helfen kann.« Ihre schönen grünen Augen umwölken sich, während ihr Blick in die Ferne schweift, und plötzlich kullern Tränen über ihr Gesicht. »Sorry«, schluchzt sie, und dann beginnt sie hemmungslos zu heulen.

Ich kenne Amy überhaupt nicht. Aber ich kann mich ganz und gar in sie hineinversetzen. Ich verstehe ihr Gefühl der Hilflosigkeit, kann ihre Depression nachfühlen. Genauso geht es mir seit bald einem Jahr.

Ich lege den Arm um sie. »Schhhh«, mache ich. »Schhhh.« Amy vergießt bittere Tränen, ihr Gesicht liegt an meiner Schulter, ihr Körper bebt.

Mein eigenes Problem heißt Tinnitus. Eine Kakofonie, die niemals endet. Eine Katastrophe. Ständig versuche ich mich zu entspannen, das permanente Fiepen in meinen Ohren zu ignorieren. Aber das ist unmöglich. Die Ärzte können mir nicht helfen. Tinnitus sei unheilbar, sagen sie. Wie er entsteht, weiß niemand so genau. Stress, heißt es. Die Psyche. Sicher, diesbezüglich gibt es bei mir so einige Baustellen. Das ist mir bewusst. Aber die Dauergeräuschkulisse macht mich kirre. Wie soll man da sein Leben aufräumen? Die Buddhisten sagen, man solle die Dinge annehmen, so wie sie sind. Schmerzen einfach wegmeditieren. Ein Tinnitus ist aber kein Schmerz, sondern Psychoterror.

Amy löst sich aus meinen Armen; ihre Augen sind nicht mehr grün, sondern wässrig rot. Sie wischt sich über das Gesicht. »Weißt du, was ein Tinnitus ist?«, frage ich sie.

Sie schüttelt den Kopf. Nun bin ich derjenige, der seine Leidensgeschichte erzählt. Am Ende lacht Amy, nicht über das Klingeln in meinen Ohren, sondern über die Parallelen zwischen uns. Als hätte unsere Begegnung eine tiefere Bedeutung, und sei es nur diese: Zwei traurige Seelen spenden einander Trost. Wie Schiffbrüchige auf einem Meeresfels hocken wir auf ihrer kleinen Decke, umtost von den hin und her wogenden Menschenmassen.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Amy muss aufbrechen, ihr Zug ist eingefahren. Sie steht auf und gibt mir noch rasch ihre E-Mail-Adresse, stopft die Decke in den Rucksack. Eine letzte Umarmung.

»Mach’s gut, Bombay Buddy«, sagt sie zum Abschied und haucht mir einen Kuss auf die Wange.

»Du auch, Bombay Buddy.«

Dann ist sie verschwunden, und einen Moment lang frage ich mich, ob alle neuseeländischen Mädchen so umwerfend grüne Augen haben.

* * *

Palolem ist ein relaxter Paradiesstrand im Süden Goas. Sanft geschwungene Halbmondbucht, dichter Palmenbestand, schlichte Bambushütten direkt am Wasser, ein paar Restaurants. Vom offenen Meer weht eine leichte Brise, der Sound der heranplätschernden Wellen wirkt wie ein natürliches Beruhigungsmittel. Wer hier keinen Frieden findet, hat ein ernsthaftes Problem. So wie ich. Ich habe gehofft, in diesem Garten Eden endlich zur Ruhe zu kommen, die Wut, die Angst, den Frust über meine gesundheitliche Situation loslassen zu können. Doch je länger ich hier bin, umgeben von superentspannten Backpackern und gestrandeten Althippies, desto deutlicher erkenne ich, in welchem Teufelskreis ich stecke. Die Ruhe von außen verstärkt nur den Lärm in meinem Innern. Nie wieder den Frieden wahrer Stille zu erleben, nie wieder unbelästigt ein Buch zu lesen – der Gedanke ist mir unerträglich. In Colaba habe ich mir Midnight’s Children gekauft, Salman Rushdies Indien-Epos. Tolles Buch. Rushdie schreibt unglaublich gut. Trotzdem stecke ich nach drei Wochen immer noch im ersten Kapitel fest.

Ob es dort draußen Haie gibt?, frage ich mich, den Blick aufs offene Meer gerichtet. Soll ich hinausschwimmen und es herausfinden? Mich einfach ersäufen?

Aber das kann es auch nicht sein. Es muss eine andere Lösung geben.

Nachts gewittert es. Donnerschläge rollen über die Küste. Epische Regenmassen gehen auf das Land hernieder. Irgendwann merke ich, dass es von der Decke meiner Hütte auf mich herabtropft. Nein, es prasselt. Und unter einer Dusche schläft es sich nicht besonders angenehm. Als ich nebenan im Restaurant Zuflucht suche, sitzen dort bereits die anderen Hüttenbewohner. Bei ihnen regnet es auch durch. Wir scharen uns zusammen.

»Hey, Mann, traust du dich, in den Krug zu fassen?«, raunt mich jemand von der Seite an.

»Wie bitte?« Ich wende mich um. Ein alter Goaner mit knochiger Visage mustert mich aus trüben Augen.

»Traust du dich, in den Krug zu fassen?«, wiederholt er. »Vielleicht ist dort eine Schlange drin, vielleicht auch nicht.«

Mein Blick fällt auf den Tonkrug neben ihm. Er ist mit einem flachen Stein abgedeckt. »Du willst, dass ich da reingreife? Und da ist vielleicht eine Schlange drin?«

Der Alte grient, nickt eifrig. Ich sehe die erwartungsvollen Blicke der anderen.

»Vielleicht aber auch nicht«, sagt der Alte. »Na, traust du dich?«

Was, wenn da eine Kobra drinliegt? Oder ein Python? Oder sonst was. Vielleicht hat der Kerl sie nicht alle und liebt es, Bleichgesichter über den Ganges zu...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Abenteuer • Asien • Bewusstsein erweitern • Bewusstseinserweiterung • Drogen • Erleuchtung • Globetrotter • Glück • Indien • Meditation • Ratgeber Selbstfindung • Reise • Reisebericht • Reisetagebuch • Selbsterfahrung • Selbstfindung • Selbstfindung Mann • Selbstfindung Reisen • selbstfindungsbuch • Sinnsuche • Sinnsuche Indien • Sinnsuche Ratgeber • spirituelle Sinnsuche • TRIP • Weltreise • Yoga
ISBN-10 3-426-43837-2 / 3426438372
ISBN-13 978-3-426-43837-4 / 9783426438374
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