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Viele Ziegen und kein Peter (eBook)

Eine Ferienfahrt zu den Schweizern
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
336 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1333-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Viele Ziegen und kein Peter -  Christian Eisert
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Nach seinem Nordkorea-Trip wollte Christian Eisert friedlich Ferien machen - in einem Land ohne Gefahr für Leib und Leben und ohne Paranoia. Stattdessen fuhr er in die Schweiz ... Auf der Berg- und Talfahrt des Bestsellerautors entpuppt sich das reichste Land der Welt auch als eines der bizarrsten: Es gibt mehr Plätze in Bunkern als Einwohner, die Armee erringt ihre größten Siege in der Küche, und Rückwärtsfahren ist gesetzlich verboten. Drum fährt Eisert vorwärts durch die Schweiz, mit Bus, Bahn und Boot. Seine Reiseroute soll am Ende den Landesnamen ergeben, inklusive i-Punkt. Eisert bei den Eidgenossen - ein Abenteuer voller Wahrheit und Wahnwitz.

Christian Eisert, geboren 1976 in Berlin (Ost), ist TV-Autor, Satiriker und Comedy-Coach. Er war acht Jahre lang Autor für Harald Schmidt und schreibt für die Fernsehshows 'Alfons und Gäste' und 'Grünwald Freitagscomedy' sowie für 'Shopping Queen' und 'Löwenzahn'. Sein Reisebericht 'Kim und Struppi - Ferien in Nordkorea' stand über ein Jahr lang ganz oben auf der Spiegel-Bestseller-Liste.

Christian Eisert, geboren 1976 in Ostberlin, ist TV-Autor, Satiriker und Comedy-Coach. Er schreibt Gags, Sketche und Drehbücher u. a. für Harald Schmidt und die Fernsehshows Alfons und Gäste und Grünwald Freitagscomedy. Sein Reisebericht "Kim und Struppi" stand über ein Jahr lang ganz oben in der Spiegel-Bestseller-Liste.

Weil gemessen an der zurückgelegten Distanz überdurchschnittlich viele tödliche Verkehrsunfälle durch Rückwärtsfahren verursacht werden, soll dieses auf das Notwendigste beschränkt werden. Es soll nur noch dann rückwärts gefahren werden dürfen, wenn die Weiterfahrt oder das Wenden nicht möglich ist.

Art. 17 Abs. 3 der Schweizer Verkehrsregelnverordnung 2016

In ein fremdes Land per Flugzeug zu reisen spart Zeit. Dafür plumpst der Passagier gleich mitten ins Land, ohne dessen Grenze zu sehen, ohne die Veränderung von Vegetation und Architektur mitzuerleben. Das Flugzeug bietet dem Reisenden nur diesen »So sieht’s hier also aus«-Moment im Anflug auf den Zielort, wenn tief unten braune und grüne Flächen vorbeiziehen und kleine Häuser und das Gewerbegebiet und der Zaun und die Betonbahn. Es rummst, es rumpelt, es folgen Durchsagen, gegen die alle verstoßen, um anschließend halb angezogen zwischen den Sitzen zu stehen.

Aus diesem Grund hatte ich mich gegen den fünfundsiebzigminütigen Flug in die Schweiz und für eine achteinhalbstündige Bahnfahrt entschieden. Berlin 22:14 ab, Basel 7:47 an.

Der Zug rollte aus dem Berliner Hauptbahnhof, und ich schöpfte Hoffnung, die Nacht allein und ungestört in meinem leeren Liegewagenabteil verbringen zu können.

Da polterte ein Junge im Grundschulalter ins Abteil: »Ich will oben! Ich will oben!«

Seine Mutter antwortete: »Wir schlafen ja oben, Konstantin.«

»Cooool.«

»Möchtest du links oder rechts?«

»Ich nehme, ich nehme, ich nehme …« Sein Kopf schnellte hin und her. Er sprang und landete.

»Aua«, sagte ich.

»Konstantin, entschuldige dich bei dem Mann!«

»Ist schon gut«, brummte ich, zog die Schuhe aus und dann die Knie bis hoch unters Kinn. Halb verschattet von der Liege über mir hockte ich auf meiner blauen Matratze und sah aus wie ein Kindergartenkind, das nicht aus seiner Höhle will.

»Ich schlafe links! … Nein, rechts! … Nein, links!« Das Kind hüpfte herum, als hätte es einen verzweifelten Frosch verschluckt. »Oder rechts! Oder links! Nein, rechts.«

»Konstantin, ich finde links cool«, behauptete die Mutter.

Ich fand links auch cool. Ich schlief rechts.

Konstantin fand links nicht so cool.

Er war eines jener Kinder, das die Namen aller Planeten aufzählen kann und weiß, warum Pluto keiner mehr ist.

Seine Mutter umwehte ein blasses Batikkleid und die Tragik geplatzter Lebensträume.

Kaum waren die beiden in ihre Betten über mir geklettert und verstummt, quartierte die Schaffnerin einen Mann bei uns ein.

Er schlief sehr, sehr laut, und ich dachte die ganze Nacht dar­über nach, warum Agatha Christie ein so kompliziertes Motiv für den Mord im Orient Express konstruiert hatte.

Gesetzeskonform fuhren wir vorwärts in die Schweiz ein.

Eine graue Wand verlief seit einigen Hundert Metern parallel zur Fahrtrichtung. Bunte Parolen lockerten das Einerlei hin und wieder auf. Sollte es jemandem gelingen, die bis zur Dachkante des Zuges reichende Wand zu erklimmen, würde er es trotzdem kaum schaffen, von dort auf das Zugdach zu springen, dazu war der Abstand zu groß. Gerade als es schien, die graue Wand würde nie enden, verlor sie an Höhe und gab den Blick frei auf einen Fluss.

Die Zugfahrt über die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz glich verblüffend der von Nordkorea nach China. Meine Nordkorea-Reise lag mehr als zwei Jahre zurück, doch jedes Detail hatte sich eingebrannt.

Im Fernen Osten trennt der Fluss Tumen die Nachbarländer, hier war es der Rhein. Weiterer Unterschied: Der Zweck der grauen Wand: In Nordkorea verhindert sie Fluchtversuche, hier die Belästigung durch Zuglärm der Menschen in den Wohnhäusern dahinter. Das Graffiti ließ sich allerdings genauso wenig entziffern wie die nordkoreanischen Kampfparolen.

Das Gesicht im Wind der langsamer werdenden Fahrt, lehnte ich mich weit aus dem Gangfenster von Wagen 62. Neben mir standen ausstiegsbereit Konstantin und seine Mutter.

»Basel EssBeeBee«, las Konstantin das Bahnhofsschild vor und erklärte: »EssBeeBee bedeutet Schweizerische Bundesbahnen.« Basel SBB roch nach Kaffee und machte schwindlig. Ein halbes Dutzend Bahnsteige zwischen Spalier stehenden Eisensäulen unter dem lichten Dach einer fünfschiffigen Bahnhofshalle. Jede Dachwölbung krönte über die gesamte Länge eine Glashaube, die auf gekreuzten Streben ruhte. Darunter hingen wie ein kubistisches Spinnennetz senkrecht und waagerecht verlaufende Metallrohre, die in kleine Lautsprecher mündeten.

Die Bremsen kreischten. Die Welt vor dem Türfenster blieb stehen. Konstantins Zeigefinger bearbeitete den grünen Türöffnerknopf wie ein Specht den Baum. Die Tür seufzte und schwang zur Seite. Mutter und Sohn kletterten hinaus. Ich verharrte auf den Gitterstufen des Wagens und zog mit der linken Hand – in der rechten balancierte ich auf einer sogenannten Frühstücksbox aus dem Bordbistro einen Becher mit Tee – die Riemen meines schwarzgrünen Tourenrucksacks stramm. Der leichteste der Welt. Laut Prospekt 980 Gramm Leergewicht. Er verfügte über einen »Airspeed-Netzrücken« und bot statt einer profanen Plastikklickschnalle am Hüftgurt einen »Single-ErgoPull-Verschluss« mit dem ich »mächtig Druck auf die Hüften bekommen« sollte und einen »satten Sitz«.

Schon auf dem Marsch zum Hauptbahnhof in Berlin hatte ich diesem Sitz, hin und wieder hüpfend, nachgespürt. Drückte mein Rucksack? War er zu schwer?

Ich hatte großen Aufwand betrieben, um das Gewicht meines Gepäcks zu reduzieren. Hatte den Stiel meiner Zahnbürste abgesägt und das Besteck auf ein einziges Teil aus Leichtkunststoff reduziert, das Messer, Gabel und Löffel vereinigte. Ich taufte es »Megaffel«.

Auch der Rest meines Outfits war neu: ein sandfarbenes Basecap, ein grauer Kapuzenpullover, eine moosgrüne Trekkinghose und Wanderschuhe mit rot-gelben Schnürsenkeln und roter Sohle, die ich zwei Wochen lang, drinnen und draußen, eingelaufen hatte. Bis jetzt fühlte sich meine Ausrüstung gut an. Amara, der ich gestern Abend ein Selfie geschickt hatte, hatte meine Erscheinung als »alpenelegant« gelobt.

Ich stieg die letzte Gitterstufe hinab und betrat Schweizer Boden. Von meinem Gürtel nestelte ich die Digicam und knipste mein Gesicht vor dem Baseler Bahnhofsschild. Weiße Schrift auf dunkelblauem Grund. Das wollte ich an jeder Umsteigestation machen. Nach aktuellem Planungsstand würden es siebenundachtzig Fotos werden.

Da ich mir eine Reiseroute in den Kopf gesetzt hatte, die den Landesnamen in Schreibschriftbuchstaben ergeben sollte, musste ich in Basel beginnen, weil wir von links nach rechts schreiben. Ganz links, also im Westen der Schweiz, da wo sie an Frankreich stößt, konnte ich nicht anfangen, weil der Anfang des S weiter vorne liegt.

Es hatte Tage gedauert, bis ich herausgefunden hatte, wie sich eine Route planen lässt, die ein Wort aus zusammengeschriebenen Buchstaben ergibt. Die gängigen Reiseplaner bieten immer den kürzesten Weg vom Start- zum Zielort an. Damit die Software machte, was ich wollte, statt effizient zu sein, fügte ich Zwischenstationen ein. Um die Namen kleinerer Orte lesen zu können, musste ich bei Google Maps in die Karte hineinzoomen, was dazu führte, dass ich die große Übersicht verlor und nicht mehr wusste, wo ich mich sowohl im Wort als auch im Land Schweiz befand.

Als ich es endlich geschafft hatte, ein halbwegs vernünftiges S zu bauen, nahm es die Hälfte des Landes ein. Doch die restlichen sechs Buchstaben fehlten.

Eigentlich heißt die Schweiz gar nicht Schweiz.

Um keine der Volksgruppen zu benachteiligen, bekam das Land offiziell einen lateinischen Namen: Confoederatio Helvetica. Deshalb lauten Postcode und Landeskennzeichen international »CH«. Gleichwohl existieren offizielle Bezeichnungen in allen vier Landessprachen. Und da heißt das Land auf Deutsch eben nicht »Schweiz«, sondern »Schweizerische Eidgenossenschaft«.

Das sagt im Alltag kein Mensch. Außerdem bereitete mir das kurze Wort »Schweiz« schon genug Probleme.

Ich plante ein kleineres S und stellte fest, dass ich meine Route an Straßen ausrichtete. Eine große Autoferienreise hatte ich schon gemacht (mit einem Porsche, den ich längst nicht mehr besaß). Fürs Radeln fehlten mir Lust und Kondition, zu Fuß würde meine Reise zu viel Zeit kosten. Blieben öffentliche Verkehrsmittel: Eisenbahn, Schiffe, Bergbahnen, Straßenbahnen, Omni- und Oberleitungsbusse – sowie die PostAutos, wie in der Schweiz die motorisierten Nachfolger der Postkutsche genannt werden –, außerdem eine U-Bahn-Linie. Damit kam ich in fast jeden bewohnten Winkel der Schweiz.

Die ersten Streckenpläne, die ich fand, waren schematische Darstellungen: Netzspinnen, Verkehrswaben oder Tarifringe. Für mein Schreibschriftwort benötigte ich jedoch zwingend den tatsächlichen Streckenverlauf im Gelände. Die Schweizerischen Bundesbahnen halfen mir. Unter anderem schickten sie eine zwar vereinfachte, aber letztlich topographische Streckenkarte, die außer Bahnstrecken auch alle wichtigen Schiffs-, PostAuto- und Bergbahnverbindungen darstellte. Auf Scans malte ich im Computer darauf herum. Häufig gelang mir ein perfekter Einzelbuchstabe, aber ich fand keinen Übergang zum nächsten. Weitere Schwierigkeit: Gerade Senkrechten. Die Schweiz besitzt bloß zwei durchgehende Nord-Süd-Strecken:...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2016
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte Europa
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte Alpen • Basel • Buch 2016 • Eidgenossen • Käse • Neu 2016 • Neuerscheinung 2016 • Neuerscheinungen 2016 • Reisebericht • Schweiz • Schweizer • Zürich
ISBN-10 3-8437-1333-2 / 3843713332
ISBN-13 978-3-8437-1333-7 / 9783843713337
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