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Wir hatten ja nüscht im Osten ... nich' ma Spaß! (eBook)

Die ganze Wahrheit über '89
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
166 Seiten
edition subkultur (Verlag)
978-3-943412-72-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir hatten ja nüscht im Osten ... nich' ma Spaß! -  Mikis Wesensbitter
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1989 beginnt für Mikis wie jedes neue Jahr: mit einem Mordskater. Natürlich kann er nicht ahnen, dass sich dieses Jahr um ihn herum alles ändern wird, denn er interessiert sich nicht für Politik, sondern eher für Bier, Underground-Musik und natürlich Weiber. Er dealt auch mal gern mit Pornobildern, schreibt fleißig Eingabebriefe, verliebt sich und ärgert die Stasi. Mit Berliner Schnauze und Humor schreibt Mikis Wesensbitter, wie es im Jahr des Mauerfalls wirklich war, wo die besten Punkrockkonzerte stattfanden und was Freiheit und Freundschaft bedeutet.

Mikis Wesensbitter wäre eigentlich ein waschechter Ostberliner geworden, wenn nicht Ende August 1968 ein Unfall bei der Deutschen Reichsbahn den kompletten Schienenverkehr der DDR lahmgelegt hätte. So kam er in Zossen zur Welt Schon im Kindergarten wurde er zum Mobbingopfer: 1. wegen seines Namens und 2. wegen seines Geburtsorts. Mit 6 Jahren bekam er wegen seiner tiefen Stimme Gesangsverbot, mit 9 Jahren wegen moralisch anstößiger Texte Schreibverbot und mit 12 Jahren wegen seltsamer Fragen im Biologieunterricht Redeverbot. Ein Friseurverbot hat er sich mit 15 Jahren dann selbst auferlegt wegen der permanenten Messerformschnitt-Diktatur der sozialistischen Einheits-Frisiersalons. Mit den Abgründen des Ostalltags kennt er sich also bestens aus. Mit der Wende wurde es dann aber etwas besser. Schließlich durfte er nun singen, schreiben und sagen, was er wollte. Aber das durften ja jetzt alle. Und schon machte es ihm keinen Spaß mehr. Nach zehn Jahren in der Musikbranche wechselte er Anfang der 2000er zum Journalismus. Seit 15 Jahren schreibt er u.a. für das Legacy, das Multimania und das AGM- Magazin. Auf seinem Blog veröffentlicht er zudem Geschichten über die beiden anderen schönsten Nebensachen der Welt: die Liebe und das Bier.

Mikis Wesensbitter wäre eigentlich ein waschechter Ostberliner geworden, wenn nicht Ende August 1968 ein Unfall bei der Deutschen Reichsbahn den kompletten Schienenverkehr der DDR lahmgelegt hätte. So kam er in Zossen zur Welt Schon im Kindergarten wurde er zum Mobbingopfer: 1. wegen seines Namens und 2. wegen seines Geburtsorts. Mit 6 Jahren bekam er wegen seiner tiefen Stimme Gesangsverbot, mit 9 Jahren wegen moralisch anstößiger Texte Schreibverbot und mit 12 Jahren wegen seltsamer Fragen im Biologieunterricht Redeverbot. Ein Friseurverbot hat er sich mit 15 Jahren dann selbst auferlegt wegen der permanenten Messerformschnitt-Diktatur der sozialistischen Einheits-Frisiersalons. Mit den Abgründen des Ostalltags kennt er sich also bestens aus. Mit der Wende wurde es dann aber etwas besser. Schließlich durfte er nun singen, schreiben und sagen, was er wollte. Aber das durften ja jetzt alle. Und schon machte es ihm keinen Spaß mehr. Nach zehn Jahren in der Musikbranche wechselte er Anfang der 2000er zum Journalismus. Seit 15 Jahren schreibt er u.a. für das Legacy, das Multimania und das AGM- Magazin. Auf seinem Blog veröffentlicht er zudem Geschichten über die beiden anderen schönsten Nebensachen der Welt: die Liebe und das Bier.

Januar 1989


Sonntag 01.01.

Neues Jahr, neues Glück!? Die Kopfschmerzen sind nicht weniger ätzend als im alten Jahr. Neujahrsessen bei Mutter. Onkel Kurt, die Stasiratte, will unbedingt anstoßen. Auf das 40. Jahr unserer Republik. Mir is eh schlecht, da ist es egal, worauf ich trinke.

Montag 02.01.

Erster Arbeitstag im Werk für Signal und Sicherungstechnik. Ich muss haufenweise Belehrungen unterschreiben. Wir sind ja hier schließlich im Grenzgebiet. Die Einweisung macht ein fetter alter Sack mit SED-Abzeichen am blauen Kittel und feuchter Aussprache. Er will mich für die Betriebskampfgruppe rekrutieren, aber ich erzähl ihm von meinem angeborenen Herzfehler. Damit bin ich gleich raus für ihn. Passt mir sehr gut.

Danach werd ich an Karin übergeben, die ab jetzt meine Chefin ist. Scheint nett zu sein. Wir gehen in unser Büro.

„So, da ist dein Schreibtisch. Setz dich erst mal hin und lies Zeitung. Und morgen bringst du dir ein Buch mit.“

Ich bin verwirrt. „Was ist denn meine Aufgabe?“

„Einfach da sein. Mehr nicht. Gibt grad nichts zu tun.“

Mit Einfach-da-sein kenn ich mich aus. Das kann ich gut.

Dienstag 03.01.

Ich frag Karin, warum die Bürofenster eigentlich mit weißer Farbe blindgestrichen sind.

„Weil du sonst nach Westberlin schauen könntest. Deshalb sind auch die Fenstergriffe abgeschraubt. Also wenn du irgendwelche Fluchtpläne hast, musst du dir einen Vierkant mitbringen.“

„Was? So einfach ist das?“

„Nö. Ist ja noch ein Gitter vorm Fenster. Komm, schau mal.“

Sie holt einen Vierkant aus ihrer Schreibtischschublade und öffnet vorsichtig das Fenster. Nur einen ganz kleinen Spalt, aber es ist der Blick in eine andere Welt.

Nur 50 Meter von uns entfernt ist der Westen. Und direkt unter uns ist die Mauer. Grenzer mit Hunden laufen herum. Der nächste Wachturm ist auch nicht weit. Gruselig.

Nach der Schicht mit Dario im Elsen-Eck getroffen. Er ist ganz aufgeregt und will ne neue Band gründen. Den ersten Text hat er schon fertig.

Graue Mauern, schwarze Saat,

wo ist die Farbe in diesem Staat?

Rote Fahnen, braune Brut,

der Vopo-Terror tut nicht gut.

„Is das zu politisch?“, fragt er.

Ich versuche, ihm Mut machen. „Naja vielleicht ein bisschen. Da musste noch dran arbeiten. Is aber sonst gar nicht so schlecht.“

Freitag 06.01.

Auf Arbeit Zeit zu leben, Zeit zu sterben ausgelesen. Karin hat einen Pullover fertig gestrickt. In der ganzen Woche hat nur ein einziges Mal das Telefon geklingelt.

„Nächste Woche wird’s nicht so ruhig“, sagt Karin und betrachtet zufrieden den Norwegerpullover.

Abends Freundetreffen in der Broilerbar. Dario hat seinen zweiten Text fertig:

Tote Männer, tote Frau‘n,

niemand kann man hier noch traun.

Keine Ziele, keine Träume,

wir verwesen ohne Freiräume!

Naja irgendwie ist das auch wieder nicht die Erleuchtung. Im Schmenkel ist Disco und ich lass mich von der Roten-Rita angraben. Wir trinken Cola-Apricot bis wir nicht mehr gerade stehen können und gehen irgendwann zu ihr. Als wir im Bett liegen, sagt sie: „Boah, du hast ja nen urst schauen Pullermann!“

Nach diesem Spruch ist er zwar immer noch schau, aber nicht mehr groß.

Sonnabend 07.01.

Kohlen sind fast alle. Eigentlich sollte noch eine ordentliche Reserve da sein, aber irgendwie ist die weg. Ich hab rechtzeitig im September bestellt, aber die kommen mal wieder mit dem Liefern nicht hinterher. Muss ich mich drum kümmern. Gerade als es in der Bude warm wird, kommt Torsten mit seiner neuen Freundin Kathi. Wir gehen Mittagessen in der Budicke in der Ebertystraße. Torsten bestellt Sülze, Kathi Schnitzel und ich Kassler. Schmeckt super. Nach dem Essen bleiben wir sitzen und trinken ein paar Bier. Zu Hause muss ich Kohlen nachlegen.

Montag 09.01.

Auf Arbeit ist es genauso ruhig wie letzte Woche. Ich versuche das Kreuzworträtsel in der Wochenpost zu lösen, scheiter aber schon beim ersten Drittel. Die haben aber auch echt den Arsch offen mit ihren blöden Fragen.

„Was wird hier im WSSB eigentlich hergestellt?“, frage ich Karin. Eine bekloppte Frage, so nach einer Woche im Betrieb. Aber irgendwie hat mich das bisher nicht wirklich interessiert. Und erzählt hat’s mir auch keiner.

„Ach jeder mögliche Eisenbahnkram. Schranken, Signale, Stellwerke und so Zeug. Der neueste Schrei ist aber das Irak-Projekt.“

„Irak-Projekt?“

„Ja. Die DDR baut doch die irakische Eisenbahn auf. Und wir machen die ganze Technik dafür. Da fragen die dich bestimmt irgendwann auch noch, ob du in den Irak willst. Gibt ein Schweinegeld da. Aber sag lieber nein, ich hab bisher noch nix Gutes von dort gehört.“

Ich nicke eifrig, obwohl Irak irgendwie cool klingt. Staubig, aber nach großer weiter Welt.

Dienstag 10.01.

„Mir ist langweilig“, sagt Karin.

„Mir auch!“, sag ich.

„Na dann los, dann lass uns mal die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen verbessern gehen!“

Wir gehen in die Abteilung 4, die Fertigung. Es stinkt nach Schmieröl und es herrscht ein Höllenlärm. Als wir auftauchen, rollen die Jungs an den Maschinen mit den Augen und der Meister fragt: „Wat wollt ihr denn hier? Ihr stört!“

„Wir wollen die Arbeitsbedingungen verbessern.“

„Och nö, nicht schon wieder. Das bringt doch nur wieder alles durcheinander. Geht einfach in die Abteilung 7, da könnt ihr was verbessern.“

„Is jut“, sagt Karin und lädt mich auf ein Bauernfrühstück in die Kantine ein. Ich find fünf Speckknorpelstücke im Essen, Karin nur vier. Deshalb muss sie auch noch den Pudding holen.

Bis Schichtschluss lesen wir in unserem Büro.

Mittwoch 11.01.

Nach dem Mittag ziehen wir los zur Abteilung 7, der Härterei. Da sind 55 Grad und niemand ist da. Karin kennt sich aus und geht zielstrebig durch die Halle. Überall blättert die Farbe von den Wänden und Hitzeschwaden wallen durch die Luft.

„Ihr habt hier Hausvabot“, brüllt jemand und dann seh ich im Nebel die ganzen Arbeiter um einen Tisch sitzen und Klaren saufen.

„Kollege Müller? Wir waren doch verabredet, um über die neue farbliche Gestaltung der Abteilung zu reden“, ruft Karin in den Nebel.

„Ach Scheiß drauf. Die neue Farbe blättert doch eh gleich wieder ab. Lasst uns einfach in Ruhe und geht der Abteilung 4 auf die Eier.“

„Machen wir“, flötet Karin und wir gehen.

„Was war das?“, frage ich sie.

„Die Härterei eben. Die arbeiten nur bis zum Mittag, danach löten sie sich zu. Bei der Hitze geht das besonders gut. Aber jetzt haben wir die auch abgehakt. Komm wir gehen lesen.“

Mit Dario ins Elsen-Eck. Er hat den dritten Text für seine Band fertig:

Leichenberge an der Mauer,

jetzt wird Wut aus unsrer Trauer.

Wir bau’n Bomben und Granaten,

zerstören den welken Stasigarten.

„Zu politisch?“, fragt er.

Nö, gar nich’.

Donnerstag 12.01.

Als ich komme, hat Karin schon Kaffee gekocht. Außerdem hat sie Kuchen mitgebracht. „Tut mir leid, wir müssen jetzt mal ein paar Tage Papierkram machen. Das nervt, aber danach haben wir wieder Ruhe.“

Wir schreiben die Umgestaltungsvorschläge vom letzten Jahr wieder neu. Ich sitze den ganzen Tag an der Erika-Schreibmaschine und tippe seltsame Dinge.

„Die Wände der Abteilung 7 sollten halbhoch mit einem Rosa-Ölfarbanstrich (TGL 21196) gestrichen werden … Das ist doch totaler Quatsch!“

„Nicht drüber nachdenken. Einfach abtippen“, sagt Karin. Die kann viel schneller schreiben als ich.

Freitag 13.01.

Freitag der 13.! Da bin ich immer ganz besonders vorsichtig. Der Morgen fühlt sich aber normal an. Den ganzen Tag auf die Schreibmaschine eingehämmert. Schaff es jetzt, nicht darüber nachzudenken, was ich da tippe. Sollen die doch rosa streichen, was sie wollen. Oder grün. Oder auch nicht.

Im Schmenkel spielen Wartburgs für Walter. Die sind ziemlich cool. Ich tanze und hab irgendwann eine Zunge im Ohr. Die Rote-Rita. Sie verspricht, nie wieder das P-Wort zu sagen. Wir gehen zu ihr und mit einer Flasche Rotwein ins Bett. „Fühl mal, wie feucht mein Flansch ist“, sagt sie.

Treffer. Ich werde nie wieder mit der mitgehen!

Sonnabend 14.01.

Die Kohlen sind komplett alle. Kann doch nicht wahr sein. Irgendwer klaut hier! Ich suche die Gänge ab und finde schnell heraus, wer hier sonst noch keine Kohlen hat. Frieder Schulz, aus’m Hinterhaus. Das ist doch die komische Hippiesau. Ich geh direkt hin. In seiner Bude läuft laut All Along the Watchtower. Ich muss lange klingeln, bevor er öffnet.

„Wat’n?“, fragt er.

Ich greife in seine fettigen Haare und zieh ihn in den Hausflur. „Kommste ma mit Friedel, irgendwer oder irgendwas spukt im Keller.“

„Aua, du tust mir weh!“

„Weißte, was mir weh tut? Wenn meine Kohlen ständig verschwinden und ich in der...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1989 • Berlin • DDR • Jugendkultur • Mauerfall • Punk • Stasi • Tagebuch
ISBN-10 3-943412-72-5 / 3943412725
ISBN-13 978-3-943412-72-7 / 9783943412727
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