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Elf Tage in Berlin (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
480 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-17648-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elf Tage in Berlin -  Håkan Nesser
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Von einem, der auszog, sein Glück in Berlin zu finden.
Einen Nobelpreis wird er wohl nicht bekommen. Arne Murberg ist von schlichterem Gemüt. Nach einem Badeunfall in der Kindheit hat er Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und komplexere Zusammenhänge zu erfassen. Aber Arne ist ein warmherziger, liebenswerter Mensch, der sich eine kindlich naive, offene Art bewahrt hat und voll Vertrauen auf das Leben blickt. Als sein Vater ihm auf dem Totenbett offenbart, dass seine Mutter nicht tot ist, wie Arne geglaubt hat, sondern in Berlin lebt, und ihm gleichzeitig den Auftrag gibt, sie dort aufzusuchen und ihr ein verschlossenes Kästchen zu übergeben, beginnt für ihn ein wundersames Abenteuer.

Mit äußerst rudimentären Deutschkenntnissen und einem Paar strapazierfähiger gelber Schuhe macht Arne sich auf die Reise - und gerät schon bald in Schwierigkeiten. Doch ihm zur Seite stehen zwei Menschen, die der Himmel höchstpersönlich geschickt zu haben scheint: ein etwas wirrer Professor und eine kluge junge Frau im Rollstuhl. Wird Arne seiner Mutter begegnen? Wird er sein Glück finden in Berlin?

Håkan Nesser, geboren 1950, ist einer der beliebtesten Schriftsteller Schwedens. Für seine Kriminalromane erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, sie sind in über zwanzig Sprachen übersetzt und mehrmals erfolgreich verfilmt worden. Håkan Nesser lebt auf Gotland.

3

Fünf Häuser weiter in der Frithiofs gata wohnten Lennart und Polly Murberg in einer weiteren Dreizimmerwohnung. Das war praktisch, denn die beiden mussten keine eigenen Kinder großziehen und Arne fühlte sich in der einen Wohnung schon bald ebenso heimisch wie in der anderen. Sein Vater war Hals über Kopf zu einem Junggesellen geworden, der einen kleinen Sohn am Hals hatte, und so war es ganz selbstverständlich, dass sein einziger Bruder und dessen Gattin ihm zur Seite standen. An mindestens zwei Abenden in der Woche übernachtete der Junge bei seinen Verwandten, bei denen er ein eigenes Zimmer hinter der Küche hatte, und es löste eine gewisse Verwunderung aus, als er in der ersten Klasse der Stava-Schule seiner Lehrerin Frau Månsson gegenüber mit Nachdruck erklärte, er habe nicht zwei Eltern wie die meisten seiner Schulkameraden, sondern drei.

Ein vierter Elternteil stand allerdings niemals zur Debatte, obwohl sein Vater gelegentlich Frauen zu Besuch hatte. Dies war immer dann der Fall, wenn Arne bei Onkel Lennart und Tante Polly übernachtete, und keine der Frauen blieb länger als bis zum Frühstück, und bei keiner von ihnen lohnte es sich, sich ihren Namen zu merken.

Tante Polly arbeitete, wenn auch nur halbtags, als Konditorin in Sveas Konditorei, Onkel Lennart war städtischer Angestellter. Was Letzteres eigentlich bedeutete, fand Arne nie heraus, aber jeden Morgen um Viertel vor neun setzte sich sein Onkel auf sein schwarzes Fahrrad der Marke Fram und radelte die achthundert Meter zum Rathaus am Marktplatz. Gegen Viertel nach fünf Uhr nachmittags kehrte er zurück. Bei jedem Wind und Wetter, und auf dem Gepäckträger transportierte er eine Aktentasche, die eine Brotdose und zwei Äpfel enthielt, aber wenn er heimkehrte, hatte er jedes Mal ausnahmslos wieder einen Apfel dabei.

Für den Fall, dass man Überstunden machen muss. Diese Drohung war, wenn Arne recht sah, niemals wahr geworden bis zu dem Tag, an dem Onkel Lennart nach zweiundvierzig Jahren im Dienste der Allgemeinheit mit einer goldenen Uhr in den Ruhestand verabschiedet wurde. In den ersten fünfzehn Jahren war Arne allerdings noch nicht auf der Welt gewesen, ganz genau wusste er es also nicht.

Samstags half Onkel Lennart meistens im Tabakladen aus, und nachdem er ungefähr zu der Zeit, als Torsten Murberg schwermütig wurde, in Pension gegangen war, verbrachte er gerne täglich einige Stunden hinter der Ladentheke, umgeben von Zigaretten, Pfeifentabak, Schnupftabak, Illustrierten und Süßigkeiten. Manchmal zusammen mit seinem seit neuestem schwermütigen, jüngeren Bruder, häufiger jedoch in Gesellschaft seines Neffen, der nach seinem Unglück keiner normalen Arbeit nachgehen konnte.

Die Frage, was der eigentliche Grund für Torsten Murbergs schwindenden Lebensmut war, fand ihre Antwort, als man in seinem Magen eine Krebsgeschwulst entdeckte. Jedenfalls musste diese anfangs noch diffuse Plage in der Geschichtsschreibung die Hauptverantwortung übernehmen – will sagen in Onkel Lennarts und Tante Pollys Geschichtsschreibung, und die war maßgeblich. Es war nun einmal so sicher wie das Amen in der Kirche, dass es einem nicht gutging, wenn man mit einem schmerzenden Handball im Magen herumlief, wovon insbesondere Tante Polly ein Lied singen konnte. Es soll darüber hinaus nicht unerwähnt bleiben, dass dem Ehepaar ein Drittel des Tabakladens gehörte, so dass die beiden durchaus ein Interesse daran hatten, dafür zu sorgen, dass das Geschäft ordentlich weiterlief, auch wenn der arme Torsten sich nicht mehr so ins Zeug legen konnte wie früher.

Bis zu dem Unglück – seinem eigenen Unglück, nicht dem des Vaters – hatte Arne zahlreiche Freunde. Es gab einen Jimmy, einen Niklas, einen Krille und einen Hassan, die beiden Erstgenannten waren Klassenkameraden, die Letztgenannten Nachbarskinder aus dem Viertel. Darüber hinaus existierte noch eine heimliche Freundin, ein Mädchen namens Beata. Sie war ein Jahr älter als Arne und wohnte in einem alten Holzhaus, das genau in der Mitte zwischen seinen beiden Elternhäusern lag. Auf ihrem Hof stand ein großer Kastanienbaum, und Beata saß oft hin- und herschwingend auf einer Schaukel, die an einem der unteren Äste in diesem Baum hing, wenn Arne in der einen oder anderen Richtung auf dem Bürgersteig vorbeikam.

Beata war süß, hatte aber einen Vater, der trank, und in jenem Sommer vor dem Unglück hatte sie Brüste bekommen. Sie wollte sie im Grunde gar nicht haben, aber Arne fand sie hübsch und nahm an, dass es schön wäre, sie anzufassen, und in seinem späteren Leben kam ihm häufig der Gedanke, dass er Beata bestimmt geheiratet hätte, wenn es nicht so gekommen wäre, wie es dann kam.

Es war der 24. August, ein Samstag. Die erste Schulwoche nach den Sommerferien war abgehakt, er ging in der Stava-Schule in die sechste Klasse. Sie hatten einen neuen Lehrer bekommen, der Lindblom hieß und in den Pausen hinter den Fahrradständern Pfeife rauchte. Das Wetter war schön, ein herrlicher Spätsommertag. Arne und Hassan beschlossen, zum Mörtsjön zu radeln und zum letzten Mal in diesem Jahr schwimmen zu gehen. Auf dem Gepäckträger hatten sie Proviant, gut und gerne fünfundzwanzig Comichefte sowie eine kleine Schachtel Prince Denmark, die Arne in einem unbeobachteten Moment im Geschäft hatte mitgehen lassen. Immerhin waren sie beide zwölf, und es wurde Zeit, sich gewisse Gewohnheiten zuzulegen.

Die Fahrradtour durch die Wälder dauerte eine gute Stunde. Wesentlich schneller ging es auf dem Rückweg im Krankenwagen, obwohl Arne sich dieser Fahrt nicht bewusst war, da er angeschnallt auf einer Pritsche lag und zwischen Leben und Tod schwebte.

Es wurde ihm auch niemals bewusst, was eigentlich passiert war, seine Erinnerungen an diesen Samstag endeten für alle Zeit damit, dass Hassan und er ihre Fahrräder an einen Baum in der Nähe des kleinen Parkplatzes am Mörtsjön lehnten. Den Rest erzählte ihm später Hassan, es war keine komplizierte Geschichte.

Nachdem sie jeder eine Prince Denmark geraucht hatten – was ehrlich gesagt ziemlich ekelhaft war, wie Hassan zugab, davon sollte man lieber die Finger lassen –, hatten sie beschlossen, schwimmen zu gehen. Trotz des schönen Wetters waren nicht viele Leute am See, höchstens zehn Menschen, aber die Jungen beschlossen trotzdem, nicht von dem wackeligen Steg aus ins Wasser zu springen, wie man es normalerweise machte. Stattdessen trotteten sie durch das Unterholz am Seeufer bis zu einem Felsvorsprung, der etwa fünfzig Meter von der eigentlichen Badestelle entfernt lag. Arne meinte sich zu erinnern, dass man von der Felskante aus hineinspringen konnte, möglicherweise war Hassan der gleichen Ansicht, aber in diesem Punkt blieb er vage. Eventuell hatte er sogar davon abgeraten.

Jedenfalls sprang Arne. Oder tauchte vielmehr mit einem Kopfsprung ins Wasser ein, wie sich das gehörte, wenn man kein Mädchen oder Waschlappen war. Hassan blieb auf der Felskante stehen, schaute zu und sah seinen Freund zunächst unter der schwarzen Oberfläche verschwinden, danach in einer großen Blutwolke auf dem Wasser nach oben treiben und anschließend erneut versinken. Wieder an die Oberfläche und wieder nach unten.

Hassan reagierte geistesgegenwärtig, so geistesgegenwärtig, wie man es sich nur erhoffen konnte. Er schrie um Hilfe, rutschte auf dem Po die steile Böschung neben dem Fels hinunter, warf sich ins Wasser und schaffte es, nach einem Zeitraum, den er selbst auf ein halbes Jahr schätzte, der in Wahrheit jedoch kaum mehr als eine Minute umfasst haben dürfte, sich seinen Freund zu greifen. Dieser war blutüberströmt und bewusstlos. Hassan schleppte ihn zum Seeufer, wo bereits zwei andere Badegäste vor Ort waren, darunter zum Glück der Fahrer eines Krankenwagens. Er hatte seinen Krankenwagen zwar nicht dabei, aber ein wenig gesetzeswidrig bei sich zu Hause, gerade einmal drei Kilometer vom Mörtsjön entfernt, abgestellt.

Innerhalb von zwanzig Minuten traf das Fahrzeug ebenso am Ort des Unglücks ein wie seine Ehefrau, die zufällig Krankenschwester war, und kurz darauf war der weiterhin bewusstlose Arne Albin Hektor im Eiltempo unterwegs ins Provinzialkrankenhaus in Ö-bro. Während der Wartezeit waren gewisse lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen worden, Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzmassage und was noch alles. Hassan stand unter Schock und brachte kein vernünftiges Wort heraus, auch dieser Junge benötigte eindeutig medizinische Hilfe, wenngleich anderer Art, und dass er im Krankenwagen mitfahren durfte, erschien deshalb allen ganz natürlich. An diesem schönsten aller Augustsamstage herrschte ein einziges Chaos.

Als Arne Murberg sechs Wochen später in die Frithiofs gata zurückkehrte, war es schon Oktober, und er war nicht mehr derselbe. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst, das war leicht festzustellen, und man tat gut daran, sich damit abzufinden. Seine drei Eltern vergossen abwechselnd Tränen darüber, wie die Dinge standen, allerdings nie so, dass Arne etwas davon merkte. Man ging in die Küche oder ins Badezimmer und weinte, Diskretion war Ehrensache.

Nicht dass Arne ihnen ihre Verstimmung übelgenommen hätte oder sie ihm auch nur aufgefallen wäre, aber trotzdem. Außerdem war er ja schließlich noch am Leben. Konnte beide Arme und Beine bewegen und sah im Großen und Ganzen noch so aus wie zuvor.

Es war sein Kopf, der Schaden genommen hatte. Innerlich.

»Aus ihm ist die Luft heraus«, bemerkte Onkel Lennart.

»Es ist so traurig«, meinte Tante Polly. »Er scheint gar nicht richtig da zu sein.«

Wenn Arne sie so hätte reden hören, wäre er vermutlich mit beiden Diagnosen einverstanden gewesen. Es kam ihm vor, als wäre alle Luft aus ihm gewichen und als hätte sich...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2015
Übersetzer Paul Berf
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Elva dagar i Berlin
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuerroman • Berlin • Deutschland • eBooks • Himmel über London • Roman • Romane • Schwedischer Autor
ISBN-10 3-641-17648-4 / 3641176484
ISBN-13 978-3-641-17648-8 / 9783641176488
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