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»Der mit seinem Jugoslawien« -  Lothar Struck

»Der mit seinem Jugoslawien« (eBook)

Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik
eBook Download: EPUB
2016 | 3. Auflage
333 Seiten
Verlag Ille & Riemer
978-3-95420-202-7 (ISBN)
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Die vorliegende Studie ist der erste umfassende Versuch, Peter Handkes Jugoslawien-Engagement im Wechselspiel mit seiner öffentlichen Wahrnehmung darzustellen. Die tiefgründige Analyse ermöglicht es, die allzu bequemen Urteile über Handkes Äußerungen zu Jugoslawien infrage zu stellen und öffnet so den Weg zu einer Neubewertung. Dabei wird gezeigt, wie Biographie, Sprachkritik und Politik einen Dreiklang bilden, in den Handke seine Stellungnahmen für ein Jugoslawien bettet, das für ihn zu einem Ideal eines möglichen Europa wurde, eines Europa, 'wie es sich gehört hätte oder wie es hätte werden können'.

Lothar Struck, geboren 1959 in Mönchengladbach, lebt in Düsseldorf. Er ist Redakteur beim Online-Literaturmagazin Glanz und Elend und betreibt das Weblog Begleitschreiben. Marc Reichwein bezeichnete ihn in einem Porträt für DIE WELT als »Mann, der alles über Handke weiß«.

Lothar Struck, geb. 1959 in Mönchengladbach, lebt in Düsseldorf. Er ist Redakteur beim Online-Literaturmagazin Glanz und Elend und betreibt das Weblog Begleitschreiben.

1. Einleitung


Mit den Unabhängigkeitserklärungen der jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Mazedonien 1991 bricht der jugoslawische Bundesstaat als eine Spätfolge der Beendigung des »Kalten Krieges« auseinander. Die neuen Kleinstaaten kopieren nun mehr oder weniger erfolgreich »westliche« Gesellschaftsmodelle und wenden sich der kapitalistischen Marktwirtschaft und dem von den USA dominierten atlantischen Verteidigungsbündnis zu.

Für den Schriftsteller Peter Handke bricht im fast wörtlichen Sinn eine Welt zusammen. In seinem Buch »Abschied des Träumers vom Neunten Land« lehnt er unmittelbar nach der Gründung des slowenischen Staates diese neue politische Entwicklung ab. Er argumentiert dabei nicht politisch oder ökonomisch, sondern als Schriftsteller.

Unmittelbar darauf erschütterten in und um Kroatien und Bosnien schreckliche Sezessionskriege mit Vertreibungen und genozidalen Gewaltexzessen, die erst Ende 1995 in Friedensabkommen beendet wurden. Jugoslawien war nun endgültig zerfallen. Zwischen 1996 und 2011 veröffentlichte Peter Handke fünf Reiseerzählungen, zwei Essays und – je nach Lesart – zwei oder drei Theaterstücke, in denen er sich fragend und teilweise wütend und am Ende desillusioniert diesen Entwicklungen widmete. Sie künden von der Skepsis den schnellen Urteilern gegenüber, deren Pseudo-Gewissheiten keine Fragen aushalten. Und sie künden vom Unterwegssein in das »übriggebliebene« Jugoslawien und den Folgen der Kriege. Oberflächlich betrachtet wirkten Handkes Reaktionen gelegentlich wie zornige, antimodernistische Affekte, die eine archaisch-bukolische Welt konservieren wollten und sie idyllisierten. Diese Vorwürfe wurden immer wieder erhoben. Leichtgläubige Leser mögen sich damit zufrieden geben, zumal die Affirmation der Mehrheitsmeinung der Publizistik damit aufrecht erhalten werden kann, was ja nicht ganz unbequem ist.

Wer jedoch genauer nachliest und nachspürt, entdeckt einen anregenden, multiperspektivischen Kosmos in diesen Büchern. Hier soll der Versuch unternommen werden zu zeigen, wie die Kombination autobiografischer und historisch-politischer Elemente das in Jugoslawien eingebettete Slowenien für Peter Handke zu einem arkadischen Ort machte, wie Jugoslawien und die in ihm gespiegelte Ideenwelt in Handkes Werk schon früh eine wichtige Rolle spielte und was der Zusammenbruch dieses Jugoslawiens für den politischen wie den privaten Menschen Peter Handke bedeutet.

Handke wird in seinen Reiseerzählungen sprach- und medienkritische Analysen und Fragen mit eigener Anschauung (im Sinne Goethes[1]) verbinden, um seine Sicht der Dinge über den Zerfall Jugoslawiens darzulegen. Die Reiseerzählungen erfüllen durchaus die Kriterien politischer Essays und kombinieren vehemente (teils emotionale) Sprachkritik mit Augenzeugenbefragungen und poetischer Reflexion. Handkes Bücher, seine Interviews und seine Aktivitäten werden in dieser Zeit in drei Erregungswellen den politischen, literarischen und feuilletonistischen Diskurs vor allem im deutschsprachigen Raum und Frankreich bestimmen und zu heftigen Auseinandersetzungen um das Spannungsfeld von Literatur und Politik im Allgemeinen und Peter Handkes politische und literarische Qualitäten im Besonderen führen, die zum Teil die Grenze zur Diffamierung des Autors als Schriftsteller und Person überschreiten.

Peter Handkes Publikationen[2] um und zu Jugoslawien und die drei Erregungswellen

1986

Die Wiederholung [WH]

 

1991

Abschied des Träumers vom Neunten Land [AT]

 

1993

Noch einmal vom Neunten Land [NNL]

 

1996

Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien [WR];
Sommerlicher Nachtrag zu einer Winterlichen Reise [SN]

ERSTE ERREGUNGSWELLE

1997

Zurüstungen für die Unsterblichkeit [ZUR]

 

1999

{NATO-Krieg gegen Jugoslawien}
Unter Tränen fragend [UT];
Die Fahrt im Einbaum oder
Das Stück zum Film vom Krieg [EIN]

ZWEITE ERREGUNGSWELLE

2003 

Rund um das Große Tribunal [RT] 

 

2005

Die Tablas von Daimiel [TD]

 

2006

{Milošević Beerdigung; Heine-Preis Düsseldorf}

DRITTE ERREGUNGSWELLE

2008

(Die morawische Nacht [MN])[3]
{Unabhängigkeitserklärung des Kosovo}

 

2009

Die Kuckucke von Velika Hoča [KVH]

 

2010

Immer noch Sturm [InS]
{Biographie von Malte Herwig; Karadžić-Besuch wird bestätigt}

 

2011

Die Geschichte des Dragoljub Milanović [DM]

 

Es ist nicht intendiert, eine auch nur annähernd vollständige Chronologie der Ereignisse, Reaktionen und Gegenreaktionen abzugeben. Zwar werden die stärksten feuilletonistischen Detonationen skizziert und exemplarisch einige zweifelhafte Versuche aufgeführt, Handke und sein Werk zu diskreditieren. Dieser Essay möchte jedoch primär Handkes Motivationen untersuchen und belegen, dass sein »Engagement« (1.) durchaus als Kontinuum in seinem Werk darstellbar ist und es sich (2.) nicht um eine politisch-naive »Jugo-Nostalgie« eines den Idealen einer vormodernen Gesellschaft anhängenden Schriftstellers handelt.

Handkes Engagement ist nicht monokausal begründbar. Es werden bei der Betrachtung drei Elemente in den Vordergrund gerückt, die es verstehbar und erklärbar machen sollen:

Autobiografische Prägungen – Jugoslawien als Sehnsuchtsland in Leben und Werk

Handkes Mutter gehörte der slowenischen Minderheit in Kärnten an; ihr Vater, der von ihm sehr verehrte und prägende Großvater, war ein Kärntner Slowene. Fabjan Hafner hat mit akribischer Genauigkeit die Zusammenhänge zwischen Handke und »dem Slowenischen« dargelegt.[4] Diese Prägungen werden kursorisch dargelegt und auf das »Jugoslawische« ausgeweitet.

Seit 1966 bereiste Handke Jugoslawien (nicht nur Slowenien) meist zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.[5] Er war unzählige Male dort.[6] Handkes Erstling »Die Hornissen« wurde größtenteils auf der Adriainsel Krk geschrieben. Die Erzählung »Wunschloses Unglück«[7] thematisiert durch den biografischen Hintergrund seiner Mutter die gesellschaftliche Stellung der slowenischen Minderheit in Kärnten. Aber erst mit der Erzählung »Die Wiederholung« (1986 erstmals veröffentlicht) wurde Jugoslawien zu einem »Land der Illusion« und zu einem zentralen Motiv seines Erzählens. In seinen »Journalen« (tagebuchartigen Aufzeichnungen) kann man Impressionen der zahlreichen Reisen vor allem durch Jugoslawien nachspüren.[8]

Sprachkritik dient Handke als Instrument für »Gerechtigkeit« bzw. ausgewogener, vorurteilsfreier Darstellung von Ereignissen

Einen sprachkritisch-pädagogischen Gestus hatte Handke schon 1969 in seinem Essay »Die Tautologien der Justiz«[9] eingenommen und seitdem immer wieder in seinem literarischen Werk auf die Herausforderungen der Sprache rekurriert. Der Aufsatz wird in Erinnerung gerufen und als Ursprungstext des Verfahrens der Sprach- und Medienkritik[10] der Reiseerzählungen vorgestellt. Dabei wird deutlich, dass Handkes Sprachskeptizismus, die er bei einer Seite analysiert und als begründet nachweist, nicht zwingend als Parteinahme für die »andere Seite« aufzufassen ist. Wie auch ein Anwalt nicht notwendigerweise die Taten und Aktionen seines Mandanten durch seine Verteidigung rechtfertigt.

Handke: Kein unpolitischer Autor

Die Mär, Handke sei bis in die 1990er-Jahre ein eher unpolitischer Autor gewesen, wird aus seinem Werk heraus widerlegt. Neben der Tatsache, dass es sich bei der oben erwähnten Sprachkritik um einen politischen (wenn auch nicht parteilichen) Text handelt, wird das »dramatische Gedicht« »Über die Dörfer« von 1981 als weiterer Beleg angeführt. Hier verbinden sich dezent angedeutete autobiographische Bezüge mit einem visionär-utopischen Politik- und Gesellschaftsentwurf: Der...

Erscheint lt. Verlag 24.6.2016
Reihe/Serie ilri Bibliothek Wissenschaft
Illustrationen Josefina Bajer
Mitarbeit Cover Design: Philipp Thoms
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Jugoslawien • Medien • Peter Handke • Politik
ISBN-10 3-95420-202-6 / 3954202026
ISBN-13 978-3-95420-202-7 / 9783954202027
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