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Nizza - mon amour (eBook)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
112 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-080-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nizza - mon amour -  Fritz J. Raddatz
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Es ist die Liebesgeschichte zweier Stars: Fritz J. Raddatz, der große, eloquente Feuilletonist, trifft auf - Nizza, die spröde Schöne des Mittelmeers. Das Ergebnis: Liebe auf den ersten Blick! In sinnlicher Sprache und traumhaften Bildern zeigt Raddatz sein Nizza, den Sehnsuchtsort an der Côte d'Azur, wo Kunst und Literatur, Reichtum, Dekadenz und Kulinarik, landschaftliche Schönheit und mediterranes Savoir-vivre aufeinandertreffen und den Flaneur zum Verweilen einladen. Auf den Spuren von Claude Monet, Pablo Picasso, Jean Cocteau und Klaus Mann spürt Raddatz dem Leben der berühmten Künstler nach und reflektiert über das Verhältnis von monetärem und kulturellem Reichtum. Ein literarischer Reiseführer, der die Schönheit Nizzas in Worte fasst.

Fritz J. Raddatz wurde 1931 in Berlin geboren. Von 1960 bis 1969 war er stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages, von 1977 bis 1985 Feuilletonchef der ?ZEIT? und von 1969 bis 2011 Vorsitzender der ?Kurt-Tucholsky-Stiftung?. Er war Herausgeber von Tucholskys Gesammelten Werken, Autor von in viele Sprachen übersetzten Romanen und eines umfangreichen essayistisch-biografischen Werks. Zuletzt erschienen die ?Tagebücher 2002-2012? und ?Jahre mit Ledig. Eine Erinnerung?. Fritz J. Raddatz war Frankreich-Kenner und hat selbst jahrelang in Nizza gelebt. Er starb am 26. Februar 2015.

Fritz J. Raddatz wurde 1931 in Berlin geboren. Von 1960 bis 1969 war er stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages, von 1977 bis 1985 Feuilletonchef der ›ZEIT‹ und von 1969 bis 2011 Vorsitzender der ›Kurt-Tucholsky-Stiftung‹. Er war Herausgeber von Tucholskys Gesammelten Werken, Autor von in viele Sprachen übersetzten Romanen und eines umfangreichen essayistisch-biografischen Werks. Zuletzt erschienen die ›Tagebücher 2002–2012‹ und ›Jahre mit Ledig. Eine Erinnerung‹. Fritz J. Raddatz war Frankreich-Kenner und hat selbst jahrelang in Nizza gelebt. Er starb am 26. Februar 2015.

mon amour


Nizza? Nizza gibt es nicht. Es gleicht jenem berühmten Fächer mit dem Mallarmé-Gedicht, dessen Zeichen geheimnisvoll bleiben, der erst auseinandergefaltet seine Wortgeheimnisse preisgibt; so wird die Stadt und die unbedingt ihr zugehörige Umgebung erst schön, läßt man sich ihre Sonderbarkeiten zufächeln, die Eleganz der Belle-Époque-Paläste, errichtet von den russischen Adligen und reichen Engländern im 19. Jahrhundert, oder die stilsichere Perfektion der Art-déco-Häuser, denen gleichsam als Ausrufungszeichen die weiße Betonkirche Ste-Jeanne d’Arc aus dem Jahre 1931 im Quartier Libération hinzugefügt ist. Doch so weit und prächtig er aufgespannt sein mag – der Fächer (Mallarmé hatte Gedicht und Ball-Requisit seiner wenig geliebten deutschen Frau Maria-Christine Gerhard zugeeignet) kann abstruse Häßlichkeit, Nepp und die glitzernde Brillanten-Vulgarität der russischen »Nouveau riche«-Oligarchen nicht verbergen; wie deren Nationalhymne erscholl im Sommer 2006 der Notschrei aus den Luxushotels vom »Negresco« bis hin zum »Palais Maeterlinck«: »Hilfe, der Kaviar ist alle.« Zu diesem Ungemach wird es nicht kommen im Riesenbesitz, den oberhalb von Villefranche ein Russe für 50 Millionen Euro erwarb, dabei treuherzig versichernd, er werde auch 50 Gärtner beschäftigen. Zwar ist im Jahre 2007 die Zahl der russischen Milliardäre auf 71 im Vergleich zu 53 im Vorjahr gestiegen; aber nicht ohne Häme titelte Nice Matin im Herbst 2008: »Fin de la Fête pour les nouveaux riches russes?«

Nizza ist ein Plural. Ein Konglomerat der Mehrdeutigkeiten. Bereits das Ortseingangsschild lautet »Nice. Nissa«. Was ist das für eine Sprache? Oder ist es ein Dialekt? So manche Beschriftungen lesen sich gar seltsam: Place heißt Plassa, Rue heißt Carriera, und manchmal ergeben sich völlig andere Bezeichnungen; einer der größten Boulevards, nach Jean Jaurès benannt, wird auf »Lou Bastioun« getauft und die zentral gelegene Place Garibaldi, neuerdings herrlich restauriert, »Plassa Vitrou«. Die Rue de l’Ancien Sénat schreibt sich »Carriera dei Presoun«. Französisch ist das nicht, provenzalisch ist es nicht, italienisch ist es auch nicht. Dabei ja letzteres naheläge. Nizza hat eine wechselvolle Geschichte, viele Denkmäler hoch oben in den Bergen geben Auskunft, wie lange und wie oft es italienisch war und daß – auch, als es Italien gar nicht gab – der König von Sardinien sich etwa sein »Eigentümer« nennen durfte. Doch es gibt, wie für (fast) alles im Leben, eine Erklärung: Diese »Nizzardisch« genannte Sprache hängt mit eben jener verworrenen Geschichte zusammen: Die Vermischung von archaischen Ausdrucksformen aus dem Mittelalter mit der altprovenzalischen Sprache verdankt sich nicht zuletzt dem Umstand, daß die Grafschaft Nizza zwischen 1388 und 1860 verwaltungsmäßig abgetrennt war von der Provence. Das kann der Besucher nicht wissen, der für Mahlzeit (repas) »Lou part« am Restauranteingang liest oder sich noch heute (aujourd’hui) verabreden will, ihm aber »ancuéi?« (ach, heute?) als Rückfrage zuteil wird. Der piemontesische Offizier Louis Andrioli (17661838) verfaßte noch Anfang des 19. Jahrhunderts ein langes Poem in dieser alten Sprache, dessen erste beiden Zeilen sich so lesen:

»La fremo embe la sieu scarto doù iure l’espado

li arranco d’uno man la bandiero lunado«

(»La Femme écarte du Turc l’épée

lui arrache d’une main la bannière au corissant«)

Immerhin: Daß Nizza dann nach vielen Kriegen, Raubzügen, italienischen Eroberungen, Abtrennungen und Schlachten schließlich französisch wurde, mag dem Sprichwort recht geben, das da lautet: »Qui tient la langue tient la clef du pouvoir« – wer die Sprache spricht, hält den Schlüssel zur Macht.

Garibaldis Geburtshaus, gekennzeichnet mit einer stolzen Plakette – und aparterweise heute benachbart einer einschlägigen Sauna –, liegt am Hafen von Nizza. Er war von Geburt französischer Staatsbürger, später dann italienischer, wodurch ihm wiederum die Ehre verwehrt wurde, Mitglied der Pariser »Chambre des Deputés« zu werden. Das 2008 neueröffnete »Musée Masséna« – eine fürstliche Villa an der Promenade des Anglais, errichtet zwischen 1898 und 1900 vom Prinzen d’Essling, dem Enkel des Marschalls Masséna, und 1917 vom Sohn des Prinzen der Stadt geschenkt – gibt dem Unkundigen in vorzüglicher Gestaltung präzise Auskunft über die Geschichte und Geschicke Nizzas; etwa, daß während der Französischen Revolution Adlige hierher flüchteten, da die Stadt zum Königreich Sardinien gehörte und erst 1793 durch eine Proklamation des Convents die Vereinigung mit Frankreich vollzogen wurde. Wiederum hatte aber schon 1860 die »Comté de Nice« in einer Volksabstimmung den Anschluß an Frankreich beschlossen, später organisierte Napoleon von Nizza aus seine »italienische Armee« und nach der Revolution wurde die Grande Corniche hoch über dem Meer die erste befahrbare Straße nach Italien. So weit das alles zurückliegen mag: Noch heute gilt Nizza als die »italienische Stadt« Frankreichs, dessen fünftgrößte es – nach Paris, Marseille, Lyon, Bordeaux – ist. Ob der hübsche schwule Käsehändler oder die dicke Blonde mit ihren »Pâtes fraîches« – es gibt viele Geschäfte, in denen fast nur italienisch gesprochen wird, auch von den Kunden. An den Klingelschildern der Appartementhäuser überwiegen italienische Namen. »Sie kaufen hier alles auf«, freuen sich die Makler, aber meckern die Marktfrauen, die ihrerseits durchaus nicht französisch sein wollen, sondern eben »niçois«. Fingert eine wählerische Kundin allzu lange an den »Cœur de Boeuf« genannten großgerillten Fleischtomaten herum oder an jenen besonders köstlichen »Pomme d’Amour« genannten, kann sie leicht ein »Ah, les parisiennes!« zu hören bekommen und wird erst wieder freundlich bedient, wenn die Antwort lautet: »Moi, je ne suis pas parisienne, je ne suis pas même française – je suis niçoise.« Allen Ernstes teilt die Lokalzeitung Nice Matin die Gäste der begehrten Restaurants so ein: »Niçois, Français« – und dann kommen schon die Russen, »Britanniaques«, »Italiens«; Deutsche nicht. An mir lobt man meinen hübschen »polnischen« Akzent. Deutschland liegt in Sibirien, irgendwo weit, weit weg im ewigen Schnee. »Deutschland?«, sagte mein Concierge, »ja, der Cousin meines Bruders war mal da, drei Tage in München – das ist doch bei Hamburg?« Man sollte auch, doch doch, immer noch, etwas vorsichtig sein bei kleinen alltäglichen Auseinandersetzungen. Als ich mich am Fischstand über eine sich vordrängelnde Dame laut ärgerte, legte der Kabeljauverkäufer zwei Finger quer über die Oberlippe – der Schnurrbart. Und als ich mich an der Tankstelle beschwerte, hieß es recht vernehmlich: »Rentrez chez vous«. Man muß stets eingedenk sein, daß auch hier im Süden Frankreichs deutsche Truppen marodierten, plünderten, mordeten. So recht behaglich kann einem nicht sein beim Einkauf in Nizzas »Galeries Lafayette«, wenn da links an einer Säule eingemeißelt steht:

Seraphin Torrin

– Franc Tireur –

Partisan Français

Fût Pendu ici

Le 7 juillet 1944

et Resta Exposé

Pour Avoir Résisté

À L’Oppresseur

Hitlérien

– Passant incline toi

Souviens toi –

Dasselbe, nur mit dem Namen Ange Grassi, an der gegenüberliegenden Säule, und auch in dem hübschen kleinen Café unter den Arkaden der Place Garibaldi schmeckt der Espresso besonders bitter, liest man die Inschrift »Ici Tomba en combattant le 28. Août 1944 Paul Vallaghé Âgé de 24 Ans Groupe Réné«.

So viele Städte in einer Stadt. Nizza, wie Rom erbaut auf sieben (oder mehr?) Hügeln, ist eine große siebenschwänzige Katze: mal auf Sammetpfoten und mal krallenkratzig; mal liebevoll schnurrend und mal fauchend; mal schmeichlerisch sich anschmiegend mit seidenem Fell und mal gesträubt wütig – dem eigenen vitalen Rhythmus untertan und sonst niemandem. Stolz, verschwiegen, rätselvoll und lasterhaft. Unergründlich wie jede schöne Frau. La ville ist weiblich. »La ville inconnue«, sang die Piaf, der Spatz, und entzückende kleine Nachäfferspätzinnen plärren dies vor so manchem Straßencafé, besonders gerne am »Palais de Justice«. Einen Baldachin aus Rosen hat man der zärtlich »Gassenjunge«, »le môme«, genannten Chansonette aufgespannt auf der kleinen Place Edith Piaf, eine Art Rosen-Voliere, aus deren geschwungenen Gittern die roten, gelben, orangefarbenen gefiederten Blüten hervorflattern wie ihr Lied.

Der Tanzfächer, die schöne Frau. Ich muß dem noch eine Metapher im Femininum hinzufügen – eine der ganz großen, staunens- wie bewundernswerten Besonderheiten, die Nizza und ihr herrliches Umland bieten; denn ich schreibe hier nicht nur meine Impressionen dieser Stadt nieder, die der hervorragende Frankreich-Kenner Johannes Willms einmal spöttisch »Stuttgart am Meer« genannt hat. Ich erlaube mir, den Fächer ganz weit auszufalten. Auf unseren Streifzügen werden wir mal bis Monte Carlo gelangen und mal bis Antibes, bis Villefranche, Èze und Vence ohnehin; einmal mit besonders kühn ausgreifendem Schritt gar bis Sanary-sur-Mer. Ein Juwel – Nizza – lebt ja auch durch seine kostbar...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2015
Reihe/Serie Die kleinen Bücher der Arche
Die kleinen Bücher der Arche
Illustrationen Sabine Wilms
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Côte d'Azur • Flair • Klassiker • Kultur • Künstler • Länder • Leben • Literatur • Reisen • Stadt
ISBN-10 3-03790-080-6 / 3037900806
ISBN-13 978-3-03790-080-2 / 9783037900802
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