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Fünf Löcher im Himmel (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 1., Auflage
192 Seiten
Piper ebooks in Piper Verlag
978-3-492-96746-4 (ISBN)
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(CHF 9,75)
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Alles fängt damit an, dass für Paul Zech das Leben aufhört. Nach einer ziemlichen Pechsträhne landet seine bürgerliche Existenz auf dem Müll, und Paul zieht los in die norddeutsche Weite. Im Gepäck hat er nur sein altes Tagebuch. Während er den melancholischen Kneipier Pocke kennenlernt und von ihm einen alten Sportwagen geliehen bekommt, liest Paul im Tagebuch von seiner großen Liebe zu Katharina Himmelfahrt. Sie war das Mädchen, in das er sich bei den Proben des Schultheaters zu den »Leiden des jungen Werthers« verliebte. Doch mit einer dramatischen Eifersuchtsgeschichte unter den Akteuren bricht das Tagebuch ab. Nach einer Spritztour durch Dänemark kehrt Paul nach Norddeutschland zurück - und meldet sich bei Katharina, um Licht ins Dunkel seiner beschissenen Anfänge zu bringen.

Rocko Schamoni, 1966 in Schleswig Holstein geboren, tourt regelmäßig durch die Republik und besitzt eine eingeschworene Fangemeinde als Musiker, Autor, Humorist, Schauspieler und so weiter. Auf sein Debüt »Risiko des Ruhms« folgte sein langanhaltender Bestseller »Dorfpunks«.

Rocko Schamoni, 1966 in Schleswig Holstein geboren, arbeitet für Theater, Film und Fernsehen, tourt regelmäßig durch die Republik und besitzt eine eingeschworene Fangemeinde als Musiker, Autor, Humorist, Schauspieler und so weiter. Nach seinem Debüt "Risiko des Ruhms" folgte sein langanhaltender Bestseller "Dorfpunks", der auch auf die Bühne gebracht und im Frühjahr 2009 in die Kinos kam. Zuletzt der Film "Fraktus" über eine fiktive Band der Achtzigerjahre. Literarisch ist Rocko Schamoni mit den "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" und seinem ersten Roman bei Piper, "Tag der geschlossenen Tür" in Erscheinung getreten.

Am nächsten Morgen stand Paul früh auf, er hatte kaum geschlafen, Träume hatten in letzter Zeit wie schwere Gewitter seine Nächte durchkreuzt, und ihm blieb oft nichts anderes übrig, als sich durch einen Sprung ins Wachsein zu retten.

Im fahlen Morgenlicht ging er ins Badezimmer und sah sich lange und nachdenklich im Spiegel an. Waren das noch die gleichen Atome und Moleküle, die sich schon vor fünfzig Jahren angeschaut hatten? Oder waren all die kleinsten Bauteile ausgetauscht worden, und nur die grobe Gitterstruktur war erhalten geblieben? Wieso veränderte sich die Form so unglaublich stark?

Pocke erschien still wie ein Geist im Türrahmen und lehnte sich mit der Schulter gegen das Holz.

»Jaja, Paul, das ist der Rückbau des Lebens. Ab vierzig. All das, was da sorgsam aufgebaut wurde, um auf dem Höhepunkt mit etwa fünfunddreißig Jahren in schönster Pracht zu erstrahlen, wird danach genauso sorgsam durch geheime interne Befehle und Kräfte wieder abgebaut. Und man kann absolut nichts dagegen tun! Keine Chance. Du kannst ’n bisschen gegen antrainieren und so, aber das sind alles nur Rückzugsgefechte. Dann kommen ’n paar Jahre im Bett, liegend und brabbelnd, hilflos und hirnlos, ganz wie am Anfang, und schließlich kommt dein letzter Tag auf dich zu, ob du willst oder nicht, und etwas in dir ruft vielleicht noch ›Stooopp! Freunde! Halt, ihr Menschen, ihr kennt mich doch!‹, aber da wirst du schon verbuddelt, und dann musst du zu vergorener Biomasse zerfließen. Jetzt bald. Demnächst.«

»Genau so ist es.«

»Nur: Wer hat diese geheimen Befehle gegeben, und vor allem, wie und wodurch? Das würde ich gerne mal wissen.«

Beide hatten keine Antwort auf diese Frage, nur in einem waren sie sich sicher: Mit einer »Gott« genannten Schöpfergestalt hatte das alles mit größter Wahrscheinlichkeit nichts zu tun.

Pocke ging in die Stadt, um ein paar letzte Erledigungen zu machen. Paul entdeckte im Wandschrank einen Kurzhaarrasierer und beschloss, ihn spontan einzusetzen. Er stutzte sich die Haare auf etwa einen Zentimeter. Dann rasierte er sich den Dreitagebart ab. Er wusch seinen Kopf und sah sich erneut im Spiegel an. Er erkannte jugendliche Reste wieder, die seit Jahren wie Inseln im Ozean seines Gesichts versunken gewesen waren. Etwas von ganz früher aber war an ihm erhalten geblieben, er – wie er sich eigentlich empfand – war noch nicht ganz verschwunden, unter wucherndem Zeitfleisch verwachsen. Paul versuchte in der Küche ein paar Liegestütze zu machen, musste aber nach der fünfzehnten keuchend aufgeben.

Dann kam Pocke zurück.

»Hey, Paulchen. Lass dich ma angucken. Nicht schlecht, mein Lieber, wie ’n Vierzigjähriger. Da siehste ma, was so ’n paar Haare ausmachen.«

Sie frühstückten, es gab Kaffee und gekochte Eier.

Pocke machte sich zurecht, zog sich ein hellbraunes Lederblouson und eine rosa Bundfaltenhose an, die Haare und den Schnurrbart frisierte er sorgsam.

»Ganz ehrlich – du siehst zum Fürchten aus.«

»Geschmackssache. Hauptsache, die Weiber mögen ’s. Ich zieh’s nur für die Weiber an, und die haben bekanntlich ’nen schlechten Geschmack. Oder was glaubst du, warum die meisten Männer so hässlich rumlaufen? Die werden von ihren geschmacklosen Frauen angezogen! So, Zeit zu gehen. Zeit für den Abschied, Alterchen.«

Pocke nahm tatsächlich nicht mehr mit als eine Umhängetasche aus Nappaleder.

»Kreditkarte, Unterhose, Kamm, Zahnbürste, Buch, Taschenlampe, Tabletten. Fertig. Und jetzt geht’s los. Ich melde mich, falls ich die Möglichkeit dazu bekomme. Und wenn die Welt wider Erwarten langweilig sein sollte, meld ich mich auch. Denn dann komm ich zurück, und du musst den Wagen mit mir teilen. Aber in Wahrheit hoffe ich, dass du mich so schnell nicht wiedersehen musst, weil ich schon in einem Jahr eine kleine Orangenfarm in Südspanien besitzen werde. Hä, das wär doch was, oder?«

Pocke wienerte sich mit dem Zeigefinger quietschend die Vorderzähne und betrachtete sich dabei im Küchenspiegel.

»Schmeiß bitte den Wohnungsschlüssel in den Briefkasten, ab morgen kommen neue Mieter. Mach’s gut, Alterchen.«

Sie umarmten sich kurz. Dann war Pocke weg.

Paul ging etwas beklommen durch die leere Wohnung. Das verlassene Lebensreich eines anderen. Der nie wieder hierher zurückkehren würde. Ein weiterer absolvierter Abschnitt der Welt.

7. 6. 1966

Ich war heute bei ihr zum Üben. Ich stand vor ihrem Haus und konnte nicht reingehen. Hab x Zigaretten geraucht, aber ich konnte die Grenze nicht überschreiten. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und habe dann doch geklingelt.

Sie war oben und hat direkt gespielt, direkt beim Reinkommen war sie Lotte. Das war super, ich habe mich noch mehr gefreut als über Katharina, sie war so nett zu mir, sie war ja meine Frau, ich war Albert, ich habe auch gespielt, direkt, wir waren drin für einen Moment, ich konnte es mit ihr zusammen tun, da war ein Band zwischen uns, ich hatte die Angst verloren, weil uns niemand beobachtete oder beurteilte, ich bin immer mutiger geworden, wir waren ganz das Paar aus dem alten Buch. Wir haben improvisiert, haben über unser Leben gesprochen als Lotte und Albert, über unsere Vergangenheit und Zukunft, ich glaube, wenn ein Fremder das beobachtet hätte, er hätte geglaubt, dass wir wirklich von uns sprechen. Ich habe gesehen, dass es ihr Spaß macht, mit mir zu spielen, das hat mir Mut gemacht. Ich war ganz gut.

Nach ungefähr einer Stunde hat es geklingelt, und Keil kam nach oben. Wie immer top gestylt, enger schwarzer Anzug, weißes Hemd, Schlips, blonder Seitenscheitel. Und ich habe mich gefragt: Waren die verabredet? Hatten die ein Rendezvous? Oder hat sie ihn dazugeladen? Ich hätte ihn am liebsten aus dem Fenster geschmissen.

Komischerweise hat er mich auf einmal angesprochen. Hat mich das erste Mal gefragt, wie ich heiße. Was mein Problem sei. Ob er mir helfen könne. Hat gesagt, dass ich doch ganz gut aussähe, dass Mädchen auf mich stehen würden und so. Ich habe das nicht gecheckt, wieso er auf einmal so nett zu mir war. Und er hat mir geraten zu üben, so lange meinen Text zu üben, bis ich vollkommen sicher sei. Oder aber Zettelchen mit meinem Text überall auf der Bühne zu verstecken, er meinte, das machen viele Schauspieler. Und wenn ich das beides nicht machen wolle, dann solle ich doch lieber Schlosser werden. Das war dann als Witz gemeint, und er hat laut gelacht, und Katharina hat auch ein bisschen gelächelt. Und ich habe tatsächlich gedacht, dass er mich meinte mit seinen Ratschlägen, ich war sogar irgendwie dankbar, weil er hatte mich ja sonst noch nie angesprochen. Dann hat er mich angeglotzt und geschwiegen, Katharina hat aus dem Fenster geguckt. Und ich wusste nicht, wo ich hingucken sollte. Bis ich geschnallt habe, dass ich gehen sollte. Das war echt der Gipfel der Demütigung, dieses kalte, falsche Schwein. Und sie? Hat sie mich verraten? War das alles verabredet?

Ich bin raus und habe im Gebüsch vor Wut geheult und die Zweige rausgerupft und sie auf den Boden geschmissen und drauf rumgetrampelt, bis eine Oma mich angemeckert hat, da habe ich ihr vor die Füße gespuckt und bin weggerannt. Aber zu Hause habe ich dann trotzdem geübt. Und irgendwann fand ich das tatsächlich gut, und immer mehr blieb hängen, und es hat richtig Spaß gemacht. Ich habe die anderen Rollen auch mitgesprochen, bin hin und her gesprungen, immer um den Wohnzimmertisch rum, habe mit verschiedenen Stimmen gesprochen, hoch und tief und so. Habe Teile vom Stück ganz alleine aufgeführt.

Bis ich gemerkt habe, dass Papa die ganze Zeit in der Tür gestanden und mir zugesehen hatte. Das war mir sehr peinlich. Er war wieder breit und hat irgendeinen Schwachsinn geblubbert. Gute Ratschläge.

Junge, was machst du da für ’n Quatsch?

Ich habe gesagt, dass ich fürs Theater lerne. Dann hat er weitergeblubbert, ich sollte was Ordentliches machen. Aus mir sollte mal was anderes werden als aus ihm. Schau mich an, sagte er, willst du so werden wie ich? Ich habe meine Chancen verpasst. Ich bin ein Wrack. Gott gibt jedem seine Chancen, nutze sie. Das Leben ist ein Geschenk, das habe ich leider erst zu spät verstanden. Du musst das verstehen. Nutze deine Möglichkeiten, noch ist alles drin bei dir, die ganze Welt steht dir offen, du könntest alles werden, was ich nicht geworden bin.

Bald ist er am Ende. Bald fällt er auseinander. Und tatsächlich hat ja auch nichts bei ihm geklappt. Nichts ist aus seinen Träumen geworden. Das mit dem Autosverkaufen hat er schon vor Jahren aufgegeben. Die wollten ihn nicht mehr. Und dann nur noch ab und zu Jobs und Arbeitslosengeld. Nur das alte schäbige Haus hat er geerbt. Am Anfang war es noch in Ordnung, aber seit er es hat, zerfällt es. Alles, was er berührt, zerfällt.

Aber bevor er selber endgültig zerfällt, soll er noch ahnen, was aus mir wird.

Das Gegenteil von ihm.

Ich bin sein Traum, der lebendig geworden ist.

Ich muss mich beeilen, damit das noch wahr wird, bevor er verschwindet.

10. 6. 1966

Als ich heute auf die Probe kam, dachte ich, mir könnte nix passieren. So sicher saß der Text. Aber als ich auf der Bühne stand, da ging die ganze Kraft auf einmal von mir weg, und die Starre kam wieder, diese verfluchte ewige Starre. Nichts ging mehr.

Dann hat mir Frau Zucker ihre Hand auf die Schulter gelegt, und die Energie kam wieder – sie hat mich aufgetankt, mit ihrem Glauben an mich, mir wurde ganz heiß an der Schulter, da waren so Wellen. Sie sah sehr schön aus, sie hatte einen weiten Rock an, in Dunkelgrün, und...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aussteiger • Banküberfall • Freundschaft • Liebe • Roadnovel • Tagebuch
ISBN-10 3-492-96746-9 / 3492967469
ISBN-13 978-3-492-96746-4 / 9783492967464
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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