Open (eBook)
608 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42778-1 (ISBN)
Andre Agassi war von 1986 bis 2006 professioneller Tennisspieler. Er stand mehrmals an der Spitze der Weltrangliste und gewann acht Grand-Slam-Turniere. Als einziger Spieler hat er den Golden Slam gewonnen - alle Grand-Slam-Titel und die olympische Goldmedaille. Darüber hinaus war er einer der besten Davis-Cup-Spieler. Als Begründer der Andre Agassi Charitable Foundation hat er bislang Spenden in Höhe von mehr als 85 Millionen US-Dollar für die Andre Agassi College Preparatory Academy gesammelt, eine Privatschule für benachteiligte Kinder in seiner Heimatstadt Las Vegas. Mit seiner Frau Stefanie Graf und den beiden Kindern Jaden und Jaz lebt er in Las Vegas.
Andre Agassi war von 1986 bis 2006 professioneller Tennisspieler. Er stand mehrmals an der Spitze der Weltrangliste und gewann acht Grand-Slam-Turniere. Als einziger Spieler hat er den Golden Slam gewonnen – alle Grand-Slam-Titel und die olympische Goldmedaille. Darüber hinaus war er einer der besten Davis-Cup-Spieler. Als Begründer der Andre Agassi Charitable Foundation hat er bislang Spenden in Höhe von mehr als 85 Millionen US-Dollar für die Andre Agassi College Preparatory Academy gesammelt, eine Privatschule für benachteiligte Kinder in seiner Heimatstadt Las Vegas. Mit seiner Frau Stefanie Graf und den beiden Kindern Jaden und Jaz lebt er in Las Vegas.
1
Ich bin sieben Jahre alt und führe Selbstgespräche, weil ich Angst habe und weil ich der Einzige bin, der mir zuhört. Ganz leise flüstere ich: Hör einfach auf, Andre, gib’s auf. Leg deinen Schläger weg und geh vom Platz, jetzt gleich. Geh ins Haus und hol dir was Ordentliches zu essen. Spiel mit Rita, Philly oder Tami. Setz dich zu Mom und schau ihr beim Stricken oder beim Puzzeln zu. Klingt das nicht verlockend? Wäre das nicht wie im Himmel, Andre? Einfach aufzuhören? Nie wieder Tennis zu spielen?
Aber ich kann nicht. Nicht nur, weil mein Vater mich mit meinem Tennisschläger durchs Haus prügeln würde, sondern weil etwas tief in mir drin, irgendein unsichtbarer Muskel, es nicht zulässt. Ich hasse Tennis, hasse es von ganzem Herzen, und doch spiele ich weiter, schlage den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag meine Bälle, weil mir nichts anderes übrigbleibt. Egal, wie sehr ich mich danach sehne, mit dem Tennisspielen aufzuhören, ich mache weiter. Ich flehe mich an aufzuhören und mache trotzdem weiter, und dieser tiefe Graben, dieser Widerspruch zwischen dem, was ich möchte, und dem, was ich tue, kommt mir vor wie der Kern meines Lebens.
Jetzt gerade richtet sich mein Hass auf Tennis gegen den Drachen, eine von meinem feuerspeienden Vater abgewandelte Ballmaschine. Mitternachtschwarz, mit großen Gummireifen und dem Wort PRINCE in weißen Blockbuchstaben am unteren Rand – die Ballmaschine unterscheidet sich in nichts von all den anderen, die überall in den Country Clubs in ganz Amerika stehen. Aber diese ist ein lebendes Wesen, das direkt aus meinen Comic-Heften stammt. Der Drache hat einen Verstand, einen Willen, ein schwarzes Herz – und eine furchteinflößende Stimme. Wenn er einen Ball in seinen Bauch saugt, stößt der Drache alle möglichen grässlichen Laute aus. Wenn der Druck in seinem Hals steigt, fängt er an zu stöhnen. Wenn der Ball sich langsam in sein Maul hinaufschiebt, kreischt der Drache. Manchmal wirkt die Maschine regelrecht lächerlich, wie die riesige Maschine in Charly und die Schokoladenfabrik, die Augustus Glupsch verschluckt. Aber wenn der Drache mich ins Visier nimmt und den Ball mit 170 km/h auf mich abschießt, stößt er ein blutrünstiges Gebrüll aus, und ich zucke jedes Mal vor Schreck zusammen.
Mein Vater hat den Drachen absichtlich so gestaltet, dass er möglichst furchteinflößend aussieht. Er hat ihn mit einem extralangen Hals aus Aluminiumrohr und mit einem schmalen Aluminiumkopf ausgestattet, der jedes Mal, wenn das Ungetüm einen Ball abschießt, wie eine Peitsche zurückschnellt. Außerdem hat er den Drachen auf ein über einen Meter hohes Podest geschraubt und ihn direkt vor das Netz gestellt, so dass er mich überragt wie ein Ungeheuer. Mit sieben bin ich ziemlich klein für mein Alter. (Ich wirke so klein, weil ich permanent in Deckung gehe und wegen der Topffrisur, die mein Vater mir alle zwei Monate verpasst.) Aber wenn ich vor dem Drachen stehe, bin ich wirklich winzig. Ich fühle mich winzig. Hilflos.
Mein Vater will, dass der Drache mich überragt – nicht nur damit er mir Aufmerksamkeit und Respekt abverlangt. Er will, dass die Bälle, die der Drache ausspuckt, vor meinen Füßen landen, als würden sie aus einem Flugzeug abgeworfen. Die Flugbahn bewirkt, dass man die Bälle unmöglich auf normale Weise annehmen kann: Ich muss sie gleich nach dem Aufprallen beim Anstieg erwischen, sonst springen sie über mich hinweg. Aber selbst das ist meinem Vater nicht schnell genug. Schlag früher, schreit er. Schlag früher.
Mein Vater schreit alles zweimal, manchmal dreimal, manchmal zehnmal. Härter, schreit er, härter. Aber was nützt es? Egal, wie hart ich einen Ball schlage, egal, wie früh ich schlage, der Ball kommt zurück. Jeder Ball, den ich übers Netz jage, landet bei den Tausenden, die schon auf dem Platz liegen. Nicht Hunderte. Tausende. Sie rollen in nicht enden wollenden Wellen auf mich zu, ein pelziges, gelbes Meer. Ich habe keinen Platz, um einen Schritt zu machen, keinen Platz, um mich zu drehen. Ich kann mich nicht bewegen, ohne auf einen Ball zu treten – aber ich darf auf keinen Ball treten, weil mein Vater dann ausrastet. Wenn man auf einen Tennisball meines Vaters tritt, dann tobt er, als hätte man ihm auf ein Hühnerauge getreten.
Jeder dritte Ball, den der Drache ausspuckt, trifft auf einen Ball am Boden und springt dadurch unberechenbar seitwärts. Ich stelle mich in letzter Sekunde darauf ein, erwische ihn rechtzeitig und schlage ihn geschickt übers Netz. Ich weiß, dass das kein normaler Reflex ist. Ich weiß, dass es nur wenige Kinder auf der Welt gibt, die den Ball überhaupt gesehen, geschweige denn getroffen hätten. Aber ich bin weder stolz auf meine Reflexe, noch ernte ich Lob dafür. Es ist das normale Programm. Es wird von mir erwartet, dass ich jeden Ball treffe, und jeder Ball, den ich verfehle, ist ein Drama.
Mein Vater sagt, wenn ich jeden Tag 2500 Bälle schlage, dann sind es pro Woche 17?500 und am Ende des Jahres fast eine Million. Mathematik ist seine Religion. Zahlen, sagt er, lügen nicht. Ein Kind, das pro Jahr eine Million Bälle schlägt, wird unbesiegbar sein.
Schlag früher zu, schreit mein Vater. Verdammt, Andre, schlag früher zu. Rück dem Ball auf die Pelle, Andre, rück ihm auf die Pelle.
Jetzt rückt mein Vater mir auf die Pelle. Er schreit mir direkt ins Ohr. Es reicht nicht, dass ich die Bälle erwische, die der Drache mir entgegenspeit; mein Vater will, dass ich härter und schneller zuschlage, als der Drache spucken kann. Er will, dass ich den Drachen besiege. Der Gedanke versetzt mich in Panik. Ich sage mir: Den Drachen kannst du nicht besiegen. Wie willst du etwas besiegen, das nie Ruhe gibt? Wenn ich’s mir recht überlege, ist der Drache meinem Vater sehr ähnlich. Nur dass mein Vater noch schlimmer ist. Der Drache steht wenigstens vor mir, wo ich ihn sehen kann. Mein Vater steht hinter mir. Ich sehe ihn nie, ich höre ihn nur, Tag und Nacht – höre, wie er mir in die Ohren brüllt.
Mehr Topspin! Härter! Schlag härter! Nicht ins Netz! Verdammt, Andre! Nie ins Netz!
Nichts lässt meinen Vater so außer sich geraten wie ein Schlag ins Netz. Er regt sich auf, wenn ich den Ball knapp ins Aus schlage. Er schreit, wenn ich den Ball weit ins Aus schlage, aber wenn ich ihn ins Netz haue, hat er Schaum vor dem Mund. Ein Fehler ist eine Sache, das Netz ist etwas anderes. Immer und immer wieder bleut mein Vater mir ein: Das Netz ist dein größter Feind.
Mein Vater hat das Netz fünfzehn Zentimeter höher gehängt als vorgeschrieben, um es mir noch schwerer zu machen. Wenn ich es schaffe, das hohe Netz meines Vaters zu überwinden, so seine Rechnung, werde ich kein Problem haben, eines Tages das Netz in Wimbledon zu überwinden. Was ich will, spielt überhaupt keine Rolle. Manchmal sehe ich mir mit meinem Vater im Fernsehen das Turnier in Wimbledon an, und dann drücken wir beide Björn Borg die Daumen, weil er der Beste ist. Er ist wie der Drache, er gibt nie Ruhe, er ist fast so wie der Drache – aber ich will nicht Borg sein. Ich bewundere sein Talent, seine Energie, seinen Stil, seine Gabe, sich dem Spiel hinzugeben, aber falls ich diese Fähigkeiten je entwickeln sollte, würde ich sie viel lieber auf etwas anderes anwenden als auf Wimbledon. Auf etwas, das ich mir selbst aussuche.
Schlag härter, schreit mein Vater. Schlag härter. Und jetzt die Rückhand. Rückhand.
Mein Arm fühlt sich an, als würde er gleich abfallen. Am liebsten würde ich fragen: Wie lange noch, Paps? Aber ich frage nicht. Ich tue, was er verlangt. Ich schlage so hart, wie ich kann, und dann noch ein bisschen härter. Manchmal wundere ich mich selbst darüber, wie hart ich zugeschlagen, wie sauber ich den Ball getroffen habe. Obwohl ich Tennis hasse, liebe ich es, einen Ball haargenau richtig zu schlagen. Es ist das Einzige, was mir Frieden bringt. Wenn mir etwas perfekt gelungen ist, empfinde ich einen Moment der Ruhe und Gelassenheit.
Aber der Drache reagiert auf Perfektion, indem er den nächsten Ball noch schneller ausspuckt.
Nur kurz ausholen, sagt mein Vater. Nur kurz – so macht man das. Bürste den Ball, bürste den Ball.
Beim Abendessen macht mein Vater mir das manchmal vor. Geh mit dem Schläger unter den Ball, sagt er, und bürste, bürste. Er macht eine Bewegung wie ein Maler, der mit einem Pinsel wedelt. Ich glaube, es ist das Einzige, was ich ihn jemals habe gefühlvoll tun sehen.
Arbeite an deinen Volleys, schreit mein Vater oder versucht es zumindest. Als im Iran geborener Armenier beherrscht mein Vater fünf Sprachen, aber keine davon wirklich fließend, und Englisch spricht er mit einem starken Akzent. Er verwechselt immer V und W, deswegen klingt es dann so: Vork your wolleys! Das ist sein absoluter Lieblingsbefehl. Er brüllt ihn so oft, bis ich ihn in meinen Träumen höre. Vork your wolleys, vork your wolleys.
Ich habe so viele Volleys geübt, dass ich den Platz nicht mehr sehen kann. Zwischen all den gelben Bällen ist nicht ein Zentimeter von dem grünen Zement zu sehen. Ich schlurfe herum wie ein alter Mann. Schließlich muss sogar mein Vater zugeben, dass zu viele Bälle herumliegen. Das ist kontraproduktiv. Wenn ich mich nicht bewegen kann, schaffen wir unser Tagespensum von 2500 Bällen nicht. Er wirft das Gebläse an, eine riesige Maschine, die dazu dient, den Platz nach dem Regen zu trocknen. Da es dort, wo wir wohnen, nie regnet – wir wohnen in Las Vegas, Nevada –, benutzt mein Vater das Gebläse, um die Tennisbälle zusammenzutreiben. Ebenso wie die Ballmaschine hat mein Vater ein ganz normales Gebläse in eine weitere Höllenmaschine verwandelt....
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2014 |
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Übersetzer | Charlotte Breuer, Norbert Möllemann |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 80er Jahre • Absturz • Achtziger Jahre • Andre Agassi • Autobiografie • Autobiografie Bestseller • autobiografie sport • Autobiographie • Autobiographien Bestseller • Autobiographie Prominente • Biografie • Biografie Bestseller • biografien berühmter persönlichkeiten • biografien sportler • Biographie • Biographien bestseller • Boris Becker • Bücher von Promis • centre court • Comeback • French Open • Grand slam • Pete Sampras • Rebell • Roger Federer • Sport Biografien • Sport-Comeback • Steffi Graf • Superstar • Tennis • Tennisspieler • US Open • weltrangliste • Wimbledon • Wunderkind |
ISBN-10 | 3-426-42778-8 / 3426427788 |
ISBN-13 | 978-3-426-42778-1 / 9783426427781 |
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