Die Känguru-Offenbarung (eBook)
272 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-0664-3 (ISBN)
Marc-Uwe Kling singt Lieder und erzählt Geschichten. Seine Känguru-Geschichten wurden 2010 mit dem Deutschen Radiopreis und 2013 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Im Kino waren das Känguru und der Kleinkünstler bereits mit zwei Blockbustern vertreten ('Die Känguru-Chroniken', 2020 & 'Die Känguru-Verschwörung' 2022). Die satirischen Dystopien QUALITYLAND (2017) und QUALITYLAND 2.0 (2020) eroberten die SPIEGEL-Bestsellerliste und werden derzeit verfilmt. Das Vorlesebuch DAS NEINHORN verkaufte sich fast eine Million mal.
Marc-Uwe Kling singt Lieder und schreibt kapitalismuskritische Bücher, die sich total gut verkaufen. Für die Känguru-Geschichten wurde er 2010 mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet, 2012 erhielt er den Deutschen Kleinkunstpreis und 2013 den Deutschen Hörbuchpreis.
Ich stehe irgendwo auf dem New Yorker Flughafen und weiß nicht, wohin.
»Sir! Come with me!«, brüllt ein beeindruckend kräftiger Sicherheitsmann quer über den Flughafen. Er deutet mit seinem Zeigefinger in meine Richtung.
Ich drehe mich um. Leider steht niemand hinter mir.
Er sagt: »I want you …«
»… to want me?«, frage ich eingeschüchtert.
»No. I want you …«
»… so bad?«, frage ich.
»No. I want …«
»… to break free?«, frage ich. »Entschuldigung. Immer wenn ich Englisch spreche, schießen mir diese Liedzitate durch den Kopf, und irgendeine Zwangsstörung nötigt mich dazu, diese sofort auszusprechen.«
Leider spricht der Mann kein Deutsch.
»What?«
»He said captain.«
»I said: What?«
»He said captain.«
»Shut up!«
»And let me go!«, sage ich.
Er droht mir mit seinem Zeigefinger.
»I want you to follow me, Sir«, sagt der Mann. »Please.«
»Äh. Okay«, sage ich und denke: »I will follow him. Follow him wherever he may go.«
Der Mann stupst mich an und sagt: »Come with me.«
»Aha! Yeah!«, sage ich, und »Dööh döh döh. Döh döh döh. Deh deh deh. Deh deh deh« singend folge ich ihm.
Er führt mich in einen kleinen Raum und setzt sich mir gegenüber an den Schreibtisch.
»Mr Kling?«
»Could you keep calling me ›Sir‹?«, frage ich. »Sir Kling?«
»Well, Sir Kling, I wanna …«
»… be sedated?«
»No. I have to …«
»… go to the bathroom?«
»No. And I do not know any song with that line.«
»You’re right. That wasn’t a song. I’m sorry. Where is my mind?«
»Anyway. Please tell me …«
»… lies, tell me sweet little lies?«
»No. I’ll tell you what I want …«
»… what you really, really want?«
»Would you please stop!«
»In the name of love?«
»In the name of the semi-automaticrifle I’m carrying.«
Ich nicke.
»Thank you. I need to ask you what you do.«
»I did nothing!«, sage ich. »I swear. By the moon and the stars and the sky!«
»I meant what is your profession? Your job. At home. In Germany.«
»Oh. Äh. I … I am an artist, I mean a small artist, or maybe you’d call it a little artis…, no, that would be a juggling dwarf … äh, well, you see, I go on stage and tell stories … »
»You are a comedian.«
»Well, ähm … ähm … yeah, okay: I’m a comedian.«
»I thought so«, sagt der Mann. »Very funny.«
»Well … äh … thank you.«
»But let me tell you: That’s an explanation not an excuse.«
Ich nicke. Der Mann gibt mir meinen Koffer.
»Well then … Have a nice day, Sir Kling. Welcome to …«
»… the house of fun?«
»… the United States of America.«
Im Hostel angekommen, öffnet das Känguru seinen Koffer. Auf einem Haufen Unordnung liegt ein Zettel. Darauf steht: »Your suitcase aroused suspicion and was therefore opened for security purposes.«
»Schräg«, sage ich und nehme den Zettel. »Wenn ich mal wieder ’ne Band zusammenbringe, nenne ich sie ›Marc-Uwe & The Suspicious Suitcases‹.«
»Ja, ja«, sagt das Känguru. »Und wenn’s morgen Puderzucker schneit, kann man die Krapfen zum Fenster raushalten.«
»Was?«
»Und wenn du mal ’nen Fast-Food-Laden aufmachst, kannst du ihn ›Burger Kling‹ nennen.«
»Hast du gewusst, dass die unsere Koffer durchwühlen und danach sogar Liebesbriefe schreiben?«
Das Känguru nickt bedächtig. »Ja, darauf war ich vorbereitet.«
Es öffnet meinen Koffer. Auch darin liegt auf den zerwühlten Sachen ein großer Zettel. Ich nehme ihn heraus und lese in der Handschrift des Kängurus: »Who that reads is an idiot.«
Es lächelt triumphierend. Ich drehe den Zettel um, hinten hat jemand draufgeschrieben: »Who that wrote can’t English.«
»Da soll noch mal einer sagen, Grenzbeamte hätten keinen Humor«, sage ich.
Unzählige weitere Botschaften an das Grenzpersonal sind in meinem Koffer versteckt. Wahllos greife ich ein paar Zettel heraus.
»You never were on the moon.
It was only a TV studio.«
»The American Dream has become
a blow job in a pickup truck.«
»David Hasselhoff did not bring down the Berlin Wall with his own hands. (Yes. He was pretty popular around here.
So what!) It was anyway only because of the car! Because of K.I.T.T.! Haha. Very funny. Go fuck yourself!«
»Somewhere close to the dirty underwear is a copy of 1984.
Why don’t you read that?«
Hinten auf diesem Zettel steht:
»We have read it years ago. We’re working on it.«
Ich werfe die restlichen Zettel zurück in den Koffer.
»Dass ich die Nachrichten in deinen Koffer getan habe, war okay, oder?«, fragt das Känguru.
»Das erklärt einiges«, sage ich. »Und ich glaubte, ich hätte Pech gehabt. Wäre in eine zufällige, verdachtsunabhängige Kontrolle geraten.«
»Ich dachte halt, ich selber hätte wegen der gefälschten Papiere bestimmt auch so schon genug Stress beim Einreisen, und deswegen wäre es so besser.«
»Ein aus deiner Perspektive total nachvollziehbarer Gedankengang.«
»Schön, dass wir einer Meinung sind …«
»Da hast du mich falsch verstanden. Aber sag mal: Wo du dir so viel Mühe gegeben hast, da wäre es ja fast ärgerlich gewesen, wenn sie meinen Koffer gar nicht durchwühlt hätten.«
»Oh. Dafür habe ich schon Sorge getragen«, sagt das Känguru und wirft die Wäsche aus dem Koffer. Es hat das Stromkabel meines Notebooks zu Buchstaben drapiert. Diese bilden zwei Wörter: »Bomb inside.«
»Ich habe eigentlich keine besonderen Talente.
Ich bin nur leidenschaftlich neugierig.«
Barack Obama
Wir sind zur U-Bahn-Station Wall Street gefahren und stehen dort ein wenig verloren herum. Das Känguru trägt einen schwarzen Schlapphut und einen beigefarbenen Trenchcoat. Es sieht sehr auffällig aus.
»Was machen wir eigentlich, bis wir eine neue Spur vom Pinguin gefunden haben?«, frage ich.
»Na, was wohl?«, fragt das Känguru. »Sightseeing.«
»Ich will zur Freiheitsstatue«, sage ich.
»Mich interessieren hauptsächlich diese Läden, wo sie die leckeren Pizzastücke verkaufen«, sagt das Känguru.
»Na gut. Eins nach dem anderen.«
Wir verlassen den Bahnhof und stellen uns in eine lange Schlange vor einem Take-away-Pizzaladen.
Schweigend warten wir eine Weile.
»Boah! Dauert das!«, flucht das Känguru schließlich.
»Ich fühle mich wie in diesem einen Theaterstück«, sage ich.
»Welches Theaterstück?«
»Warten auf to go.«
»Very funny, you old joke cookie«, sagt das Känguru.
Ich blicke mich gelangweilt um. Neben dem Pizzaladen ist ein Starbucks, ein McDonald’s und ein geschlossener Schlecker. Gegenüber eröffnet gerade ein neuer Bubble-Tea-Laden.
»Pizza ist ja übrigens vor einiger Zeit vom US-Kongress als Gemüse klassifiziert worden«, sagt das Känguru. »Hast du das gewusst?«
»Was für ein unfassbar geiler Satz«, sage ich. »Kannst du den bitte wiederholen?«
»Pizza ist ja übrigens vor einiger Zeit vom US-Kongress als Gemüse klassifiziert worden«, sagt das Känguru.
»Ein Hammer«, sage ich. »Das ist mein neuer Lieblingssatz.«
»Was war denn dein alter Lieblingssatz?«
»Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Goldkettchen.«
»Wer hat das gesagt?«, fragt das Känguru. »50 Cent?«
»Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat.«
»Interessiert dich eigentlich gar nicht, warum der US-Kongress Pizza als Gemüse klassifiziert hat?«, fragt das Känguru.
»Na, bestimmt gibt es irgendeine Vorschrift, die besagt, dass Mahlzeiten in irgendwelchen öffentlichen Einrichtungen, was weiß ich … Bestimmt geht es um das Essen an Schulen. Das muss wahrscheinlich aus einem so und so großen Anteil Gemüse bestehen. Und dagegen hat die Fast-Food-Industrie finanziell gut ausgestattete Einwände erhoben, und dann hat man, quasi als Kompromiss, einfach Pizza als Gemüse klassifiziert.«
»Du hast mir meine Geschichte kaputtgemacht«, sagt das Känguru.
»Es war so, ja?«
»Ja. Der Kongress hat beschlossen, dass alles, was zwei oder mehr Teelöffel Tomatensauce enthält, als Gemüse bezeichnet werden darf.«
»Toll«, sage ich. »Wer definiert, der regiert!«
»Sicher«, sagt das Känguru. »Ich glaube, die nächste Meldung dieser Art wird sein: Einem Vorschlag des Deutschen Zigarettenverbandes folgend wurden Zigaretten auf Grund des hohen Anteils an getrockneten Pflanzen vom deutschen Parlament heute als Frühstückscerealien eingestuft und sollten somit Teil einer jeden gesunden Ernährung sein.«
»Nach Kritik von Vertretern der Rüstungsindustrie«, sage ich, »beschloss der Bundessicherheitsrat heute, dass die von deutschen Herstellern angebotenen multiplen Wirksysteme gegen weiche Ziele als Feuerwerk eingestuft werden und damit von der...
Erscheint lt. Verlag | 10.3.2014 |
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Reihe/Serie | Die Känguru-Werke | Die Känguru-Werke |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Das NEINhorn • Gesellschaftskritik • Humor • Känguru • kommunistisches Känguru • Neinhorn • Offenbarung • Pinguin • qualityland • Satire • spiegel bestseller • spiegel bestsellerliste • spiegelliste • WG |
ISBN-10 | 3-8437-0664-6 / 3843706646 |
ISBN-13 | 978-3-8437-0664-3 / 9783843706643 |
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