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Spuren (eBook)

Eine Reise durch Australien
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-51331-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spuren -  Robyn Davidson
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Robyn Davidson verwirklicht mit siebenundzwanzig Jahren einen scheinbar verrückten Traum: die australische Wüste zu durchqueren, begleitet von vier wilden Kamelen und einem Hund. Neun Monate wird es dauern, bis sie schließlich den Indischen Ozean erreicht. Neun Monate in der Wildnis, umgeben von unerträglicher Hitze, giftigen Tieren und einer Landschaft, der die Menschen gleichgültig sind. Doch im Verlauf der Reise gelingt es Robyn, ihr altes Leben mehr und mehr hinter sich zu lassen. Jenseits der Zivilisation und auf sich allein gestellt erkennt sie, was sie wirklich zum Glücklichsein braucht - bis die Begegnung mit dem Fotografen Rick sie aus der frisch gewonnenen Balance zu bringen droht ... «Eines der schönsten Bücher über das Entdecken und das Reisen.» (Doris Lessing) «Leuchtend und lebendig... Davidson ist eine wahre Abenteurerin und eine geborene Schriftstellerin.» (New Yorker) «Kein Buch für Pauschal-Touristen, auch keins für Latzhosen-Feministinnen. Aber unbedingt eines für Menschen, die unruhig geblieben sind.» (Die Zeit) «Eine packende Geschichte über Herausforderung und Mut, ein farbenprächtiges Bild Australiens, gezeichnet von einer scharfsinnigen und empfindsamen Beobachterin - und die Geschichte einer inneren Reise.» (Sydney Morning Herald)

Robyn Davidson wurde 1950 auf einer Rinderfarm im australischen Queensland geboren. Sie studierte Biologie, Musik und Philosophie in Brisbane, ehe sie Ende der siebziger Jahre nach Alice Springs kam, dem Ausgangspunkt der Reise, die in diesem Buch beschrieben wird. Seitdem hat Robyn Davidson immer wieder große Reisen unternommen und unter anderem Anfang der neunziger Jahre ein Nomadenvolk im nord-westlichen Indien begleitet. Heute lebt Davidson abwechselnd in Melbourne und am Himalaya.

Robyn Davidson wurde 1950 auf einer Rinderfarm im australischen Queensland geboren. Sie studierte Biologie, Musik und Philosophie in Brisbane, ehe sie Ende der siebziger Jahre nach Alice Springs kam, dem Ausgangspunkt der Reise, die in diesem Buch beschrieben wird. Seitdem hat Robyn Davidson immer wieder große Reisen unternommen und unter anderem Anfang der neunziger Jahre ein Nomadenvolk im nord-westlichen Indien begleitet. Heute lebt Davidson abwechselnd in Melbourne und am Himalaya.

2


Die Kneipe hatte vier große Gasträume. Ich arbeitete in der Saloon Bar, die von den Stammgästen besucht wurde – Lkw-Fahrern und Farmarbeitern, einige von ihnen Mischlinge – und hin und wieder einer der schwarzen Gelegenheitsarbeiter, der gerade seinen Zweihundert-Dollar-Scheck bekommen hatte, um ihn in der Kneipe einzulösen. Er versoff seinen Lohn, und am nächsten Morgen war kaum noch etwas übrig. Obwohl man die Schwarzen leicht ausnehmen konnte, waren sie hier nur geduldet und kamen deshalb nicht oft. Wenn auch zwischen beiden Räumen ein reges Hin und Her herrschte, bevorzugten Touristen und viele Stammgäste der etwas besseren Schicht die Lounge Bar. Im Billardroom wurden Schwarze nur widerwillig zugelassen, und in der Inner Bar, gemütlich, aber geschmacklos eingerichtet, tranken Polizisten, Anwälte und die weiße Oberschicht: «Für Schwarze verboten.» Das war zwar nicht legal und stand auch nirgends geschrieben, wurde aber unter dem Vorwand praktiziert: «Gäste werden gebeten, angemessene Kleidung zu tragen.» Für die Unverbesserlichen im Saloon war sie die Poofter’s Bar. Wenigstens gab es hier keine «Hundeklappe», wie in den meisten Kneipen im Norden. Durch diese Klappen zum Hof wurde Schnaps an die Schwarzen verkauft.

Ich wohnte nach hinten raus in einem zugigen Taubenschlag aus Beton. Die Einrichtung bestand aus einem Aluminiumbett mit einer fleckigen, scheußlich rosa Chenilleüberdecke. In meinen Briefen nach Hause erzählte ich fröhlich von meinem Training der riesigen Küchenschaben. Ich berichtete, es sei mir gelungen, sie wie ein Dompteur in die Unterwürfigkeit zu zwingen, hätte aber bisher Abstand davon genommen, meinen Kopf in ihre Mäuler zu stecken – aus Angst, dass sie sich irgendwann gegen mich zusammenrotten würden. Aber hinter diesen Witzen steckte eine wachsende Depression. Kamele oder auch nur Informationen über Kamele zu erhalten, war viel schwieriger, als ich mir vorgestellt hatte. Inzwischen kannte beinahe jeder meinen Plan, was mir bei den Stammgästen viel höhnisches Gelächter einbrachte. Mit ihren nutzlosen und falschen Informationen hätte man eine ganze Bibliothek des Absurden einrichten können. Plötzlich schien jeder alles, aber auch alles über Kamele zu wissen.

Man muss nicht allzu tief schürfen, um dahinterzukommen, warum einige der zornigsten Feministinnen der Welt, die in ihrer Jugend die prickelnde, frische australische Luft geatmet haben, irgendwann ihre Kängurufelltaschen packten und in Richtung London, New York oder wohin auch immer flohen, wo der antipodische Männlichkeitswahn und die Unterdrückung der Frau wie ein grässlicher Albtraum langsam von ihrem angekratzten Selbstbewusstsein abfielen. Jeder, der einmal in einer reinen Männerbar in Alice Springs gearbeitet hat, wird wissen, was ich meine.

Einige Männer lungerten morgens schon vor der geschlossenen Tür und warteten darauf, dass die Kneipe öffnete. Im Lauf der nächsten zwölf Stunden pumpten sie sich mit Alkohol voll und verließen die Bar erst wieder zur Polizeistunde – oft auf allen vieren. Andere kamen immer zur selben Stunde, setzten sich auf denselben Platz, trafen sich mit denselben Freunden und erzählten erfundene Geschichten – immer dieselben und immer dieselben Reaktionen. Andere saßen allein in einer Ecke und träumten Gott weiß wovon. Manche waren verrückt, andere gemein, aber es gab auch ein paar richtige Prachtkerle, liebenswürdig, hilfsbereit und humorvoll. Manche vergossen um neun Uhr abends Schnapstränen über verpasste Gelegenheiten, verlorene Frauen oder die verlorene Hoffnung. Während sie schluchzten, ich ihnen auf dem Tresen das Händchen streichelte und sie tröstete, pissten sie still und selbstvergessen an die Bartheke.

Will man sich ernsthaft mit dem australischen Kult des Weiberhasses auseinandersetzen, muss man zweihundert Jahre der weißen australischen Geschichte durchackern. Dann landet man bei einer Horde übel zugerichteter, jammernder Sträflinge an den Gestaden des «weiten braunen Kontinents». Der Platz, an dem sie landeten, war relativ grün und einladend; die endlose braune Weite kam später. Man kann sich vorstellen, dass das Leben in der Kolonie nicht leicht war. Aber die Jungs lernten zusammenzuhalten. Wenn sie ihre Zeit abgebrummt hatten und immer noch bei Kräften waren, wagten sie sich in das abweisende Land vor, um dort ein erbärmliches Dasein zu fristen. Sie waren zäh und hatten absolut nichts zu verlieren … und sie hatten Alkohol, um die Schicksalsschläge zu vernebeln. Etwa 1840 dämmerte ihnen, dass etwas fehlte: Schafe und Frauen. Die Schafe importierten sie aus Spanien – ein Geniestreich, durch den sie Australien wirtschaftliche Geltung verschafften. Die Frauen holten sie aus den Armen- und Waisenhäusern Englands und brachten sie auf Segelschiffen herüber. Da es hiervon (gemeint sind die Frauen) nie genug gab, kann man sich nur zu gut vorstellen, was für ein Wahnsinnsansturm auf Sydneys Hafen einsetzte, als die Mädchen tapfer angesegelt kamen. Es ist schwer, im Verlauf eines einzigen Jahrhunderts eine derart traumatische Geschichte aus dem Gedächtnis eines Volkes zu löschen. Der Männerkult wird nach wie vor in jeder Kneipe des Landes gepflegt und am Leben gehalten – besonders im Hinterland, wo man noch sentimental am stereotypen Image des australischen Mannes festhält. Die moderne Ausgabe des Aussie ist fast ohne jeglichen Charme. Er ist voreingenommen, fanatisch, langweilig und vor allem brutal. Die Freuden seines Lebens beschränken sich auf Schießen, Raufen und Trinken. Für ihn ist jeder ein Kumpel, der nicht gerade ein Itaker, Araber, Polack, Neger, Affe, Nigger, Schlitzauge, Zigeuner, Chink, Türke, Japs, Froschfresser, Kraut, Kommunist, Angeber, Gauner, Polyp … ach ja, eine Pute, Ziege oder ein dummes Huhn ist.

Eines Abends flüsterte mir einer der netteren Stammgäste zu: «Du solltest vorsichtiger sein, Mädchen! Du musst wissen, ein paar von den Kerlen haben dich für die nächste Vergewaltigung vorgemerkt. Du darfst nicht so freundlich sein.»

Das war zu viel. Was hatte ich getan? Ich hatte ihnen doch nur freundschaftlich auf die Schulter geklopft, den Blanken manchmal ausgeholfen und mir die herzzerreißenden Geschichten über ihr grausames Schicksal angehört. Zum ersten Mal überkam mich richtige Angst. Ein zweiter Fall ereignete sich, als ich aushilfsweise in der Inner Bar arbeitete. Dort saßen etwa sechs Männer, inklusive zwei oder drei Polizisten, die still vor sich hin tranken. Plötzlich kam eine alte, heruntergekommene und betrunkene Eingeborene herein. Sie beschimpfte die Polizisten und warf ihnen alle möglichen Obszönitäten an den Kopf. Ein großer stämmiger Bulle stand auf, packte sie an den Haaren und schlug ihr den Kopf mehrmals gegen die Wand. «Halts Maul, du alte Schlampe, und mach, dass du wegkommst!», schrie er sie an. Ich hatte gerade meine Fassung wiedergewonnen, wollte über die Theke springen und ihn stoppen, als er sie schon an den Haaren zur Tür gezerrt hatte und auf die Straße stieß. Nicht ein Mensch hatte sich von seinem Hocker erhoben, und mit ein paar Witzen über die Dummheit der Nigger wendeten sie sich wieder ihren Drinks zu. An diesem Abend vergoss ich hinter der Bar Tränen, wenn mich niemand beobachtete, aber nicht aus Selbstmitleid, sondern aus hilfloser Wut und Verachtung. Kurt hatte inzwischen seinen verletzten Stolz überwunden und kam gelegentlich, um mich zur Rückkehr zu bewegen. Auch Gladdy besuchte mich von Zeit zu Zeit und erkundigte sich, wie es mir ging. Über ihre Besuche freute ich mich sehr, aber auch sie drängte mich auf ihre Weise, zurückzukommen. Nach zwei oder drei Monaten hatte ich genug gespart, und die Idee erschien mir durchführbar, wenn nicht sogar verlockend. Ich wusste, dass ich bei Kurt am meisten lernen würde … auch wenn es bedeutete, sich mit seinem exzentrischen Wesen abfinden zu müssen. Vielleicht war es doch die beste Lösung. Außerdem zeigte er sich bei seinen Besuchen von der charmanten Seite, und ich redete mir ein, ich hätte vielleicht doch einen taktischen Fehler begangen.

Ich begann, meine freien Tage bei ihnen zu verbringen. Auf Gladdys Bestehen blieb ich auch über Nacht, schlief sogar im Haus und ging erst früh am Morgen wieder zur Arbeit zurück. An einem dieser Tage gab mir die Kneipe den Rest.

Ich kam in den frühen Morgenstunden in mein kleines Verlies und fand auf meinem Kissen einen großen, wohlgeformten Haufen Scheiße, der sich dort beinahe liebevoll ausgebreitet hatte, als gehöre er dahin und habe seinen letzten Ruheplatz gefunden. Mich überkam die äußerst absurde Lust, ihn anzureden, ihn wissen zu lassen, dass zweifellos ich die Unbefugte sei – in etwa: «Entschuldigen Sie, aber kann es sein, dass Sie im falschen Bett liegen?» Die Hand auf der Türklinke, starrte ich ihn mindestens fünf Minuten mit offenem Mund an. Mein Sinn für Humor, mein Selbstvertrauen und mein Glaube an die Menschheit fielen in sich zusammen. Ich kündigte und floh auf die Ranch – in eine relativ gesunde geistige Umgebung.

 

Danach erschien mir sogar Kurts herrisches Benehmen erträglich. Mein Leben wurde durch schwere körperliche Arbeit an der frischen Luft und in der Sonne, durch die amüsanten Kamele und durch Gladdy wieder lebenswert. Kurt benahm sich zumindest zeitweilig zivil, aber ohne echte Herzlichkeit. Immerhin, er war ein großartiger Lehrmeister. Er zwang mich, mit den Tieren in einer Weise umzugehen, für die ich von mir aus viel zu feige gewesen wäre. Er übertrieb jedoch nie, damit ich mein Vertrauen nicht verlor. Das machte mich schließlich furchtlos. Die Kamele konnten tun, was sie...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2014
Übersetzer Manfred Ohl, Hans Sartorius
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • Australien • Entdecken • Film • Reisebericht • Selbstfindung • Wüste
ISBN-10 3-644-51331-7 / 3644513317
ISBN-13 978-3-644-51331-0 / 9783644513310
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