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Drachenkinder (eBook)

Roman nach einer wahren Geschichte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013
432 Seiten
Diana (Verlag)
978-3-641-11307-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Drachenkinder - Hera Lind
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Der Engel von Afghanistan
Als Sybille Schnehage während einer Reise nach Tunesien das Elend der Menschen sieht, macht es klick in ihrem Herzen: Sie will helfen. Ihr Einsatz führt sie nach Afghanistan, wo sie den kriegsverletzten Dadgul kennenlernt. Sie nimmt ihn mit nach Deutschland, lässt ihn behandeln und bei ihrer Familie wohnen. Erst nach Jahren kann Dadgul in sein zerstörtes Dorf Katachel zurückkehren und mit Sybilles Hilfe Schulen und Straßen bauen. Doch dann wird aus Dadgul ihr ärgster Feind. Und Sybille muss um ihr afghanisches Dorf, um ihre Reputation, um ihr Leben kämpfen.

Eine fesselnde Geschichte um verschenktes Vertrauen und gegensätzliche Kulturen.

Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit zahlreichen Romanen sensationellen Erfolg hatte. Seit einigen Jahren schreibt sie ausschließlich Tatsachenromane, ein Genre, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Mit diesen Romanen erobert sie immer wieder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrem Mann in Salzburg, wo sie auch gemeinsam Schreibseminare geben.

4

»Das ist ja ein Kinderbauch voller Splitter!«, sagte der Chirurg der Kinderklinik Hannover, Professor Norbert Meyer, dem ich das erste Röntgenbild unter die Nase hielt. Er kniff die Augen zusammen und hielt die Aufnahme gegen das Licht. »Himmel, Herrgott! Wie kann ein Kind so etwas überleben!«

»Dort im Flüchtlingslager in Peshawar jedenfalls nicht«, sagte ich mit Nachdruck.

Der Arzt warf mir einen bedauernden Blick zu.

»Das Kind lebt nicht mehr lange«, sagte er. »Es müsste im Grunde morgen hier sein.«

Ich schluckte.

Der Chirurg betrachtete das Röntgenbild wie einen seltenen Schmetterling.

»Das ist eine medizinische Herausforderung. Aber ich kann es versuchen.«

Das ist ja toll!, hämmerte es zwischen meinen Schläfen. Ich erreiche etwas! Er macht es! Er macht es umsonst! Fragen kostet nichts! Er will es versuchen! Wie großartig ist DAS denn? Vielleicht kann ich dem Kind das Leben retten! Entschuldigung. Ich meine natürlich: ER.

Noch während ich ungeduldig in seinem Sprechzimmer saß, rief Professor Meyer den Aufsichtsrat seiner Klinik an, um das Finanzielle absegnen zu lassen.

Entschuldigend sagte er: »Formalitäten. Deutsche Bürokratie.«

»Macht ja nichts.« Ich strahlte. »Hauptsache, es tut sich was!« Meine Gedanken überschlugen sich. Das war schon mal geschafft. Aber jetzt musste es verdammt schnell gehen. Wie brachte ich dieses Kind nur bis morgen hierher? Konzentriert presste ich die Fäuste gegen meine Schläfen. Los, komm schon! Finde eine Lösung! Irgendwer Wichtiges ist da doch zuständig! Denk an die Fernsehbeiträge über Afghanistan!

Plötzlich spuckte mein Gehirn eine Information aus.

»Jürgen Todenhöfer«, murmelte ich laut. »Der Bundestagsabgeordnete!«

»Bitte!« Der Chirurg zeigte auf seinen Stuhl und das Telefon. »Wenn Sie die Reise des kleinen Patienten mit ihm absprechen wollen …« Anschließend vertiefte er sich wieder in das Röntgenbild.

Mit laut klopfendem Herzen rief ich im Bundestag an und ließ mich mit dem Bundestagsabgeordneten verbinden: »Es geht um Leben und Tod!«

Jürgen Todenhöfer zögerte nicht lange. Er war ein Mann der Tat. Schon nach kurzer Zeit rief er mich zurück und gab sein Okay: »Das Kind wird morgen früh um sieben von einer Maschine der Bundeswehr in Peshawar abgeholt. Sorgen Sie dafür, dass es pünktlich bereitsteht.«

»Äh, klar, Mensch, also … ähm … Ich meine, danke!«, stammelte ich und legte auf. »Wie soll ich das nur machen?« Verdattert sah ich den Chirurgen an, der mir fast amüsiert zugesehen hatte.

Ja, wie machte ich das denn mit MEINEN Kindern? Waschen, kämmen, Köfferchen packen, Butterbrotdose, Äpfelchen, Trinkfläschchen mit Strohhalm und ab?

»Da bringen Sie aber einen Stein ins Rollen«, sagte der Professor anerkennend. »Sind Sie ein Verein oder so was?«

»Nein«, sagte ich schlicht. »Ich bin einfach nur ein Mensch. Eine ganz normale Hausfrau und Mutter von neununddreißig Jahren.«

»Mit einem Herz aus Gold!«, sagte der Arzt beeindruckt.

»Quatsch. Mit ganz normalem Mitgefühl«, gab ich bescheiden zurück. »Kann ich noch mal telefonieren?«

Über Khalid Wakili erreichte ich, dass meine Mitstreiter, Samira samt Ehemann, die gerade zufälllig vor Ort waren, den Knaben am nächsten Morgen um sieben in die Bundeswehrmaschine setzen würden.

Prompt klingelte einen Tag später bei mir in Bergfeld das Telefon: »Knabe lebt noch, in Hannover abgegeben, ist bereits im OP

Ich konnte es nicht fassen. Weil ich nicht lockergelassen hatte, bekam dieses Kind noch eine Chance!

Jubelnd tanzte ich erst mal eine Runde im Nachthemd durch unser selbst gefliestes Bad.

Micki, der sich gerade rasierte, ließ den Pinsel sinken. »Großartig, Sybille.« In seinen Augen war so ein Leuchten. »Mein Gott, wie stolz ich auf dich bin!« Wie hatte Micki in der ersten Zeit unserer Verliebtheit immer gesagt? »Wo Derbheit sich mit Grazie paart, beginnt manch edlen Ritters Fahrt.« (Wobei ich entschieden von mir weise, derb zu sein. Außer beim Fliesenlegen oder bei gröberen Maurerarbeiten oder so.)

»Micki, ich will es sehen!« Mit der Zahnbürste in der Hand hüpfte ich aufgeregt auf und ab. »Los, wir fahren nach Hannover!«

»Jetzt?« Micki sah verdattert auf seine Armbanduhr.

»Na, klar!« Mit Schaum im Mund stand ich vor ihm. »Wenn es von Pakistan nach Hannover nur zwölf Stunden gebraucht hat, wann glaubst du, will ich es sehen? Nächste Woche?«

»Ja, also …« Micki schabte sich den Rasierschaum von der Wange. »Eigentlich hätte ich heute ganz normal Dienst in der Firma …«

»Heute ist kein normaler Tag!«

»Und die Kinder?«

»Gehen zu Oma und Opa!« Ich verschluckte mich fast an meiner Zahnpasta.

Micki sah mich gerührt an. »Du hast recht, Florence Nightingale. Heute ist kein normaler Tag. Wir fahren!«

Und als ich ihm stürmisch um den Hals fiel, murmelte er in meine Halsbeuge hinein: »Wo Derbheit sich mit Grazie paart …«

»… beginnt Sybille Schnehages Fahrt«, rief ich grinsend und drückte ihm einen Pfefferminzkuss ins Gesicht.

Natürlich hatte ich Schiss, als wir über den Krankenhausflur schlichen. So ein zerfetzter Bauch ist ja nichts, was man so vor dem Frühstück gerne besichtigt. Armer, kleiner afghanischer Patient! Würde er wach sein? Ansprechbar? Sich in Schmerzen winden? Unter Schock nach all den Strapazen? Lauter fremde Gesichter? Ohne Mama?

Vorsichtig öffnete ich die Tür und spähte mit Herzklopfen ins Krankenzimmer.

Navid Nurak saß kerzengerade in seinem Bett. Blass und verkrampft starrte er uns an.

»Wieso kann der sitzen?«, flüsterte ich fragend über die Schulter.

»Keine Ahnung,« gab Micki ebenso leise zurück. »Ich sehe jedenfalls weit und breit keine Wunde an seinem Bauch.«

»He, Kleiner, was ist los? Hast du Aua am Bauch?« Ich kniete mich vor den etwa siebenjährigen Jungen und nahm seine magere, kalte Hand.

Er starrte mich an. Klar – für den sprach ich ja auch rückwärts.

»Guten Tag, Frau Schnehage«, ließ sich Professor Norbert Meyer vernehmen.

»Wunderheilung?« Ich starrte ihn ehrfürchtig an.

»Nee, Frau Schnehage. Gucken Sie mal!« Der Arzt reichte mir eine Krankenakte.

»Richtiger Name, richtiges Alter, aber die falsche Verletzung.«

Ich verstand gar nichts mehr. »Äh … wie?«

»Na ja, der kleine Bursche hier hat Splitter im Bein, nicht im Bauch.«

»Aber das Röntgenbild?«

»Stammt wohl leider von einem anderen Kind.«

Ich schluckte. Das war jetzt bestimmt tot. Wütend wirbelte ich zu Micki herum. »Ich glaub, mein Schwein pfeift!«

»Sybille, bitte!« Micki kratzte sich verlegen am Kopf. »Entschuldigung, Herr Doktor, aber meine Frau ist manchmal ein wenig temperamentvoll.«

»Das habe ich auch schon gemerkt.« Der Arzt grinste. »Schauen Sie …« Vorsichtig zog er die Schlafanzughose des kleinen Jungen hoch, und entsetzt zuckten wir zurück.

Das Bein war von Splittern durchsetzt und deutlich verkürzt. Der ganze Unterschenkel war so dünn wie ein Fünfmarkstück.

»Unbrauchbar?«, flüsterte ich.

»Behandelbar«, gab der Arzt zurück. »Ein Jahr werden wir brauchen.« Er erklärte uns seinen Plan, der mehrere Knochentransplantationen vorsah. Anschließend würde er eine Orthese, also eine stiefelartige Beinstütze, anfertigen lassen und den Jungen durch eine langfristige Therapie daran gewöhnen. Sein Versprechen stand. Er machte es gratis.

Na toll, dachte ich. EIN JAHR!

Ratlos sah ich in das verschüchterte Kindergesicht, das genauso ratlos zurückschaute. Aber ein winziger Funke Vertrauen glomm in den dunkelbraunen Augen. Der kleine Navid war völlig verwirrt. Er war in einem sauberen (!) Krankenhaus, lag in einem sauberen (!) Bett, hatte etwas im Magen (!) und lauter besorgte, liebevolle Blicke ruhten auf ihm. Hätte er damals schon gewusst, dass er mit deutscher Unterstützung einmal selbst Arzt werden würde, wäre er wohl noch verwirrter gewesen.

Der nächste kleine Patient war Rahim, den Khalid Wakili von der HFA eines Tages höchstpersönlich bei mir ablieferte. Der Junge hatte eine gelbe Gebetsmütze auf dem Kopf und heulte Rotz und Wasser. Kein Wunder, bestimmt hatte er schreckliche Schmerzen: Eine furchtbare Knochenentzündung fraß sich unter seinem Gipsbein immer tiefer.

»Kleiner, ich helfe dir. Verlass dich auf mich!« Kurz entschlossen packte ich das brüllende Bündel, schnallte es in Simons Kindsitz fest und raste zum Wolfsburger Krankenhaus. »Junge, hol doch mal Luft!« Los, Allah, dein Auftritt: Sag ihm dass ich eine von den Guten bin! »Ich tu doch, was ich kann!« Vor dem Krankenhaus blieb ich im Halteverbot stehen und trug den brüllenden Knaben zur Notaufnahme. »Können Sie uns vorlassen, wir können hier unmöglich warten!« Schweißgebadet steckte ich meinen Kopf in das kleine Glasfenster bei der Anmeldung. »Der Junge hat Schmerzen!«

»Erst mal müssen Sie diese Formulare hier ausfüllen!« Eine Hand schob mir gefühlte sieben Din-A-4-Seiten hin. »Krankenkasse, Name, Adresse, behandelnder Hausarzt …«

»Das ist ein Flüchtlingskind aus Afghanistan«, schrie ich gegen den Krach an, den das Flüchtlingskind machte. »Mit akuten Verletzungen!«

»Wir tun, was wir...

Erscheint lt. Verlag 9.12.2013
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afghanistan • Afghanistan, Sybille Schnehage, Dadgul, Katachel, Hilfsorganisation, Tatsachenroman, Malalai-Medaille, Bundesverdienstkreuz, Entwicklungshilfe • Bundesverdienstkreuz • Dadgul • eBooks • Entwicklungshilfe • Hilfsorganisation • Katachel • Malalai-Medaille • Sybille Schnehage • Tatsachenroman
ISBN-10 3-641-11307-5 / 3641113075
ISBN-13 978-3-641-11307-0 / 9783641113070
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