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Staatschef a.D. (eBook)

Die letzten Jahre des Erich Honecker

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
224 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-234-6 (ISBN)

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Staatschef a.D. - Thomas Kunze
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Im Oktober 1989 wurde Erich Honecker gestürzt. Drei Wochen später fiel die Mauer und mit ihr wenig später die DDR. Der einst mächtigste Mann des »ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden« erlebte einen tiefen Fall. Die folgenden Lebensjahre verbrachte er in einem Pfarrhaus, in Botschaften, Krankenhäusern und Gefängnissen. Schließlich suchte er Asyl in Moskau und Santiago de Chile, wo er 1994 auch starb.
Thomas Kunze schildert Erich Honeckers dramatischen Lebensweg zwischen Sturz und Tod, die Konflikte mit seinen früheren Weggefährten und die Auseinandersetzungen mit der bundesdeutschen Justiz. Es entsteht ein lebendiges Bild der stürmischen Jahre des Umbruchs nach der friedlichen Revolution.

Jahrgang 1963, Studium der Geschichte, Germanistik und Pädagogik in Jena und Leipzig, Promotion, Honorarprofessor an der Al-Chorezm-Universität und der Präsidialakademie Taschkent (Usbekistan), seit 2002 Tätigkeit für die Konrad-Adenauer-Stiftung, seit 2010 Repräsentant der Stiftung in Zentralasien mit Sitz in Taschkent, Autor zahlreicher Bücher, darunter Biographien über Nicolae Ceausescu und Erich Honecker sowie über die Staaten der früheren Sowjetunion.

Thomas Kunze: Jahrgang 1963; Studium der Geschichte, Germanistik und Pädagogik an den Universitäten Jena und Leipzig, Dr. phil., seit 2010 Regionalbeauftragter der Konrad- Adenauer-Stiftung für Zentralasien mit Sitz in Taschkent; seit 2007 Mitglied im deutschen Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, darunter zuletzt im Ch. Links Verlag: "Ostalgie international. Erinnerungen an die DDR von Nicaragua bis Vietnam" (Hg. mit Thomas Vogel) 2010 und "Von der Sowjetunion in die Unabhängigkeit. Eine Reise durch die 15 früheren Sowjetrepubliken" (mit Thomas Vogel) 2011.

Dann erklärt Honecker im hölzernen Funktionärs-Deutsch: »Mein ganzes bewußtes Leben habe ich in unverrückbarer Treue zur revolutionären Sache der Arbeiterklasse und zu unserer marxistisch-leninistischen Weltanschauung der Errichtung des Sozialismus auf deutschem Boden gewidmet, die Gründung und die erfolgreiche Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik …« (hier hat Honecker nun zum letzten Mal in seiner Amtszeit in dem für ihn typischen Singsang und mit überschnappend hoher Stimme den Staatsnamen ausgesprochen) »… betrachte ich als Krönung des Kampfes unserer Partei und meines eigenen Wirkens als Kommunist.«79

Der Fluch des Pharao?


Die Erklärung, die Honecker verliest, ist maschinegeschrieben. Ein Halbsatz allerdings ist durchgestrichen und nachträglich handschriftlich verändert worden. Die Formulierung für die Honecker-Nachfolge lautete ursprünglich: »Dem Zentralkomitee und der Volkskammer sollte ein Genosse vorgeschlagen werden, der fähig und entschlossen ist, der Verantwortung und dem Ausmaß der Arbeit so zu entsprechen, wie es die Lage, die Interessen der Partei und des Volkes und die alle Bereiche der Gesellschaft umfassende Vorbereitung des XII. Parteitages erfordern.« Aus dem anonymen »ein Genosse« ist jetzt »Egon Krenz«80 geworden, und genau das trägt Honecker auch vor: »Dem Zentralkomitee und der Volkskammer sollte Egon Krenz vorgeschlagen werden … Ich wünsche unserer Partei und ihrer Führung auch weiterhin die Festigkeit ihrer Einheit und Geschlossenheit und dem Zentralkomitee weiteren Erfolg.«81

Wer hat den Namen Krenz ergänzt? Warum hat sich Honecker nicht geweigert, den Mann, der ihm die bitterste Niederlage seines Lebens beigebracht hat, als seinen Nachfolger vorzuschlagen? Oder schlug ihn Honecker gar aus Heimtücke vor? Wollte er ihm von vornherein den Stempel aufdrücken, nicht mehr als ein »jüngerer Erich« zu sein? Günter Schabowski erklärt, Honecker persönlich habe »in einem Anflug von Raffinesse« den Namen »Krenz« in die Erklärung »hineingeflickt, als Fluch des Pharao sozusagen«.82 Egon Krenz gibt an, Honecker wollte den Eindruck erwecken, er selbst und nicht das Politbüro habe ihn als seinen Nachfolger vorgeschlagen, und ergänzt: »Honecker erweist mir mit seiner Eigenmächtigkeit keinen guten Dienst. So entsteht die Legende, der Kronprinz habe nahtlos die Macht übernommen.«83 Die Wahrheit ist, daß Honecker nicht eigenmächtig gehandelt hat. Der Vorschlag »Egon Krenz« stammte nicht aus seiner Feder. Politbüro-Bürochef Schwertner hat den Text in der Erklärung während der Politbüro-Sitzung am 18. Oktober verändert: »Diese Korrektur ergab sich aus der Diskussion des obersten Parteigremiums und mit Honeckers Einverständnis.«84 Ex-Verteidigungsminister Heinz Keßler vermutet, daß es vorher im kleinen Kreis noch eine Beratung gegeben hat. Erich Honeckers eigene Angaben decken diese Vermutung. Am Morgen des 18. Oktober habe ihn Egon Krenz noch vor der Politbürositzung gebeten, ihn als neuen Generalsekretär vorzuschlagen. Wortwörtlich hätte er gesagt: »Du hast mich ja vorbereitet als Deinen Nachfolger.«85 Laut Hans Modrow »ist Erich Honecker bei seinem Kronprinzen geblieben«86.

Egon Krenz wollte die Macht nahtlos übernehmen. Die später von ihm und Schabowski abgegebenen Erklärungen sind Rechtfertigungsversuche, warum die neue Riege im Dezember 1989 schon wieder abdanken mußte, kaum daß sie mit dem Regieren begonnen hatte. Doch das hatte wenig damit zu tun, von wem Egon Krenz vorgeschlagen wurde. Die DDR-Bürger hatten zu diesem Zeitpunkt in ihrer überwiegenden Mehrheit mit der SED abgeschlossen, gleichgültig, wie deren Generalsekretär hieß.

Ein Abschied für immer


Nachdem Honecker vor dem Zentralkomitee seine Rücktrittserklärung verlesen und Egon Krenz als neuen Staats- und Parteichef empfohlen hat, erhebt sich Willi Stoph. Er dankt Honecker für dessen Darlegungen und stellt sie zur Abstimmung. 205 Hände gehen nach oben. Es gibt nur eine Gegenstimme. Die 81jährige Hanna Wolf, ehemalige Direktorin der SED-Parteihochschule und langjährige Gefolgsfrau Honeckers, stellt sich als einzige hinter ihn. ZK-Mitglied Margot Honecker ist zu Hause geblieben.87

Im offiziellen ZK-Protokoll über die Sitzung heißt es zunächst: »Das Zentralkomitee entsprach der Bitte des Genossen Erich Honecker und entband ihn von der Funktion des Generalsekretärs des ZK, als Mitglied des Politbüros und des Sekretariats, vom Amt des Vorsitzenden des Staatsrates und von der Funktion des Vorsitzenden des Verteidigungsrates der DDR.« Kurze Zeit später fällt der neuen Mannschaft ein, daß diese Formulierung doch zu viel der Ehre für Erich Honecker ist. Handschriftlich wird ergänzt, daß der Rücktritt nicht nur auf Honeckers eigenen Wunsch, sondern auch »auf Vorschlag des Politbüros«88 erfolgte.

Nachdem die ZK-Mitglieder Honeckers Absetzung beschlossen haben, bittet Willi Stoph sie um Verständnis, daß der ehemalige Generalsekretär »aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes nicht weiter an der Tagung des Zentralkomitees teilnehmen kann«89. Er schlägt den Anwesenden vor, Erich Honecker »für sein politisches Lebenswerk … den herzlichsten Dank auszusprechen«90. In einer Mischung aus Mitgefühl und Befreitsein erheben sich die ZK-Mitglieder von ihren Stühlen. Stürmischer Beifall setzt ein. Man will »Erich« keinen Fußtritt verpassen. Auch Honecker erhebt sich. Er hat Mühe, seine Tränen zurückzuhalten. Edwin Schwertner begleitet ihn bis zum Ausgang des Saales und öffnet ihm die Tür. Die beiden Männer geben sich die Hand. In diesem Moment hat Honecker sein politisches Leben hinter sich gelassen.

Im Foyer vor dem Sitzungssaal des Zentralkomitees bleibt der soeben abgelöste Staatschef stehen. Journalisten haben sich eingefunden. Ein ungewöhnlicher Vorgang. Der Sitzungssaal des Zentralkomitees ist normalerweise streng abgeschirmt. Doch die Organisatoren des Honecker-Sturzes haben am heutigen Tage die Presseleute bestellt. Die Journalisten sind sich im Grunde darüber im klaren, was soeben passiert ist. Doch keiner wagt, Honecker anzusprechen. Die DDR-Medienvertreter sind es nicht gewohnt, ihm nicht vorher abgesprochene Fragen zu stellen. Ihr Verhalten gleicht einer Mischung aus eingeübter Demut und Unsicherheit. Honecker schaut die Anwesenden an. Sie blicken ihn an. Nach einem unbehaglichen Moment peinlichen Schweigens sagt Honecker schließlich mit gepreßter Stimme und jedes Wort betonend: »Na dann: Auf Wiedersehen.«91 Dann geht er zurück in sein Arbeitszimmer, packt seine restlichen Sachen zusammen und verläßt das »Große Haus«. Er kehrt nie wieder hierher zurück. Nun ist es wirklich vorbei. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er nichts mehr mit Politik zu tun.

Erinnerungen an das Jahr 1971


Einiges am Sturz Honeckers erinnert an die Entmachtung seines Amtsvorgängers Walter Ulbricht.

Ulbricht war von 1950–1971 Generalsekretär bzw. Erster Sekretär des ZK der SED. Am 3. Mai 1971 wurde er entthront. Wie Honecker war auch Ulbricht am Tag seiner Entmachtung 77 Jahre alt. Beide hatten den Rückhalt Moskaus verloren, und beide fielen einer Konspiration der eigenen Genossen zum Opfer. Erich Honecker ist von der Geschichte eingeholt worden. Denn niemand anders als er selbst hatte den Sturz Ulbrichts betrieben. Zu Honeckers Mitverschwörern von damals gehörten Leute, die ihn heute zu Fall gebracht hatten. Einen geheimen Brief an Breschnew, der schließlich zum Sturz Ulbrichts führte, unterzeichneten 1971 u. a. auch Günter Mittag, Kurt Hager, Horst Sindermann und Willi Stoph.92

Erich Honecker arbeitete seit Mitte der 60er Jahre gegen Ulbricht. Mehrere Faktoren erleichterten ihm zu jener Zeit, die Sowjetunion nach und nach davon zu überzeugen, daß er selbst der bessere Verbündete sei. Walter Ulbricht hatte den 1964 in Moskau an die Macht gekommenen Chruschtschow-Nachfolger Leonid Breschnew mehrfach mit seiner Arroganz verärgert. Die DDR stand wirtschaftlich vergleichsweise gut da, und ihr Staats- und Parteichef gab sich gern als Landesvater eines konsolidierten Staates. In seinen letzten Jahren versuchte Walter Ulbricht, sich vom sowjetischen Wirtschaftsmodell zu entpflichten. Außerdem verabschiedete sich Ulbricht im September 1967 von der These der »Allgemeingültigkeit der Erfahrungen der Sowjetunion«. Hinzu kamen Alleingänge Ulbrichts in der Deutschlandpolitik, die 1970 in dem Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt und dem Gegenbesuch von Ministerpräsident Willi Stoph in Kassel gipfelten. Breschnew distanzierte sich sowohl von dem Neuen Ökonomischen System Ulbrichts als auch von dessen Deutschlandpolitik und begann, Honecker als eine Art Vertrauten zu betrachten. Dieser intrigierte nun mutiger als je zuvor.

Am 3. Mai 1971 mußte Walter Ulbricht von der SED-Spitze zurücktreten. Sein Nachfolger wurde Erich Honecker. Er demütigte Walter Ulbricht nach dessen Sturz, wo er nur konnte. Zwar durfte Ulbricht noch bis zu seinem Tod Vorsitzender des DDR-Staatsrates und damit Staatsoberhaupt bleiben, doch diese zwei Jahre wurden »zu einer täglich neu zelebrierten öffentlichen politischen Hinrichtung«93. Am 30. Juni 1971, dem 78. Geburtstag von Walter Ulbricht, zeigte das DDR-Fernsehen den Jubilar bei der Entgegennahme von Glückwünschen des Politbüros in Pantoffeln und Hausmantel...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2013
Reihe/Serie Biographien
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 1989 • Berliner Mauer • berlin moabit • Biographie • Chile • DDR • Deutschland • Diktatoren • Egon Krenz • Erich Honecker • Erich Mielke • Friedliche Revolution • Friedrich Wolff • Gorbatschow • Günter Schabowski • Hans Modrow • Heinz Keßler • Helmut Kohl • letzte Jahre • machtwechsel • Margot Honecker • Mauerfall • Parteichef • Rücktritt • Rücktrittserklärung • Saarland • Santiago de Chile • SED • Sozialismus • Staatschef • Sturz • Thomas Kunze • Walter Ulbricht • Wechsel • Wende • Willi Stoph
ISBN-10 3-86284-234-7 / 3862842347
ISBN-13 978-3-86284-234-6 / 9783862842346
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