Das Todesjahr des Ricardo Reis (eBook)
496 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-81236-7 (ISBN)
José Saramago (1922-2010) wurde in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. Er entstammt einer Landarbeiterfamilie und arbeitete als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Während der Salazar-Diktatur gehörte er zur Opposition.1998 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
José Saramago (1922-2010) wurde in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. Er entstammt einer Landarbeiterfamilie und arbeitete als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Während der Salazar-Diktatur gehörte er zur Opposition.1998 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Cover
Titelseite
Weise ist, wer sich [...]
Hier endet das Meer, [...]
Nach einer Nacht ungestümen [...]
Ricardo Reis hatte zum [...]
Man sagt, die Zeitungen [...]
Doktor Sampaio und seine [...]
Marcenda und ihr Vater [...]
Ein Mensch muss vor [...]
Es war eine fiebrige, [...]
Wer sagt, dass die [...]
In dieser Nacht teilte [...]
Der Widersprüche des Lebens [...]
Dialog und Urteil. Gestern [...]
Fernando Pessoa erschien zwei [...]
Einige Tage später traf [...]
Auf Gott vertrauend und [...]
Den Blicken entzogen, singen [...]
Victor ist nervös. Diese [...]
In Ricardo Reis' Wohnung [...]
Ich komme nicht mehr [...]
Über José Saramago
Impressum
Nach einer Nacht ungestümen Winterwetters, wütenden Sturmes, diese Worte sind schon zusammen geboren, die ersteren weniger, und die einen so treffend wie die anderen die Umstände bezeichnend, dass sie die Mühe erübrigen, an neue Schöpfungen zu denken, da könnte doch der Morgen schön, sonnenglänzend sein, mit einem blaustrahlenden Himmel und heiteren Taubenschwärmen. Doch die Sterne standen nicht so, die Möwen überfliegen weiterhin die Stadt, dem Fluss ist nicht zu trauen, die Tauben zeigen sich kaum. Es regnet, erträglich für den, der mit Mantel und Regenschirm auf die Straße gegangen ist, der Wind ist im Vergleich zu dem morgendlichen Wüten eine Liebkosung im Gesicht. Ricardo Reis hat das Hotel früh verlassen, er ist zur Handelsbank gegangen, um einiges von seinem englischen Geld in Escudos des Vaterlandes umzutauschen, für jedes Pfund wurden ihm einhundertundzehntausend Réis ausgezahlt, schade, dass jene nicht aus Gold waren, man hätte sie fast für das Doppelte tauschen können, trotzdem hat er keinen besonderen Grund zur Klage, dieser Heimkehrer, der mit fünf Contos in der Tasche die Bank verlässt, das ist ein Reichtum für portugiesische Verhältnisse. Von der Rua do Comércio, wo er sich befindet, bis zum Terreiro do Paço sind es nur wenige Meter, man ist versucht zu schreiben, es ist ein Schritt, doch Ricardo Reis wird nicht die Überquerung des Platzes auf sich nehmen, er schaut von weitem, unter dem Schutz der Arkaden, grau und aufgewühlt der Fluss, es ist Flut, wenn sich die Wellen zum Platz hin aufrichten, scheint es, als wollten sie das Gelände überfluten, ja untertauchen, aber es ist eine optische Täuschung, sie fallen an der Mauer in sich zusammen, ihre Kraft wird durch die Schräge des Kais gebrochen. Er erinnert sich daran, hier früher gesessen zu haben, so fern ist die Zeit, dass man in Zweifel gerät, sie selbst erlebt zu haben, oder ein anderer für mich, gleichen Gesichts vielleicht und Namens, ein anderer doch. Er spürt seine kalten, feuchten Füße und auch, wie ein Hauch von Unglücklichsein seinen Körper durchzieht, nicht seine Seele; ich wiederhole, nicht seine Seele, dieser Eindruck ist äußerlich, er könnte ihn mit den Händen fassen, hielten nicht beide den Griff des Regenschirms umklammert, der unsinnigerweise aufgespannt ist. So weltvergessen ist ein Mensch, so setzt er sich der Neckerei dessen aus, der vorbeigehend sagt, oh, Senhor, passen Sie auf, dass Sie da drunter nicht einregnen, aber der Spott ist freimütig und nicht boshaft. Ricardo Reis lächelt über seine Zerstreutheit, ohne zu wissen, weshalb, murmelt er die zwei Verse von João de Deus, vielgerühmt während seiner Schulzeit, unter jener Arkade verbrächte man gut die Nacht.
Er ist so nahe gekommen, um im Vorübergehen festzustellen, ob die alte Erinnerung an den Platz, scharf wie ein Stahlstich oder so in der Phantasie erstanden, dass es heute so scheint, annähernd mit der Realität eines auf drei Seiten von Gebäuden umgebenen Karrees übereinstimmt, mit einer königlichen Reiterstatue in der Mitte, mit dem Triumphbogen, den er von seinem Standort aus nicht sieht, letztlich ist alles diffus, nebulös die Architektur, die Linien verschwommen, vielleicht durch die vergangene Zeit, vielleicht durch seine schon müden Augen, nur die Augen der Erinnerung können so scharf sein wie ein Sperberauge. Es geht auf elf Uhr zu, unter den Arkaden ist viel Bewegung, Bewegung heißt nicht Schnelligkeit, diese Würde hat wenig Eile, die Männer alle mit weichem Hut, tropfenden Regenschirmen, kaum eine Frau, und so betreten sie die Dienststellen, um diese Zeit beginnen die Beamten zu arbeiten. Ricardo Reis entfernt sich in Richtung der Rua do Crucifixo, er erträgt die Hartnäckigkeit eines Losverkäufers, der ihm ein Zehntellos für die nächste Ziehung verkaufen will, es ist die Tausenddreihundertneunundvierzig, morgen dreht sich das Glücksrad, es war weder diese Nummer, noch dreht sich das Rad morgen, aber so klang die Stimme des Sehers, des mit einem Blechstreifen an der Mütze ausgewiesenen Propheten, kaufen Sie, Senhor, schauen Sie, wenn Sie nicht kaufen, könnten Sie’s bereuen, ich hab’s im Gefühl, und eine verhängnisvolle Drohung liegt in der Nötigung. Er biegt in die Rua Garrett ein, geht den Chiado hinauf, vier Lastträger stehen an den Sockel der Statue gelehnt, es ist die Insel der Galicier, inzwischen hat es aufgehört zu regnen, geregnet hat es, nun nicht mehr, hinter Luís de Camões ist eine strahlende Helligkeit, ein Heiligenschein, da sieht man wieder, was Wörter sind, dieses hier kann ebenso Regen wie Wolke bedeuten sowie leuchtender Kreis, und da der Seher kein Gott oder Heiliger ist und es auch nicht mehr regnet, so waren es nur die Wolken, die sich im Vorbeiziehen auflösten, wollen wir doch keine Wunder von Ourique oder Fátima beschwören, erst recht nicht solche simplen wie das Aufklaren des Himmels.
Ricardo Reis geht zu den Zeitungen, gestern hatte er sich die Adressen notiert, es wurde noch nicht gesagt, dass er schlecht geschlafen hatte, das Bett befremdete ihn, oder das Land, wenn man in der Stille eines noch fremden Zimmers auf den Schlaf wartet, den Regen auf der Straße hört, dann nehmen die Dinge ihre wahre Gestalt an, sind sie alle groß, ernst, schwer, wie lügnerisch ist doch das Licht des Tages, es macht aus dem Leben nunmehr einen verkürzten Schatten, nur die Nacht ist klar, doch sie wird vom Schlaf besiegt, vielleicht für unsere Ruhe und Erholung, Friede den Seelen der Lebenden. Ricardo Reis geht zu den Zeitungen, geht dorthin, wohin immer jedermann gehen wird, der von den Dingen der vergangenen Welt wissen will, hier im Bairro Alto, wo die Welt vorbeikam, hier, wo sie die Spur ihres Fußes hinterlassen hat, Fußabdrücke, zerbrochene Zweige, zertretene Blätter, Buchstaben, Nachrichten, das, was von der Welt geblieben ist, der Rest ist ein Stück nötiger Einbildung, damit diese Welt auch ein Gesicht erhalte, einen Blick, ein Lächeln, eine Agonie. Der unerwartete Tod von Fernando Pessoa verursachte tiefen Schmerz in den intellektuellen Kreisen, Poet des Orfeu, bewundernswerter Geist, der nicht nur die Poesie auf originelle Weise kultivierte, sondern auch die kluge Kritik, er starb gestern in aller Stille, so wie er immer gelebt hatte, doch da das Schreiben in Portugal niemanden ernährt, hatte sich Fernando Pessoa in einem Handelsbüro verdingt, und, einige Zeilen weiter, an der Grabstätte legten seine Freunde Blumen der Sehnsucht nieder. Mehr sagt die Zeitung nicht, eine andere sagt dasselbe auf andere Weise, Fernando Pessoa, der außerordentliche Poet der Mensagem, eines Poems voller nationalistischer Begeisterung, eines der schönsten, die je geschrieben, wurde gestern beigesetzt, der Tod hatte ihn auf einem christlichen Lager des São-Luís-Hospitals überrascht, am Samstag zur Nacht, in der Poesie war er nicht nur er, Fernando Pessoa, er war auch Álvaro de Campos, und Alberto Caeiro, und Ricardo Reis, da ist es geschehen, auf den Fehler war zu warten, die Unaufmerksamkeit, schreiben, was man vom Hörensagen kennt, wir aber wissen genau, dass Ricardo Reis dieser Mann hier ist, der mit seinen eigenen offenen und lebendigen Augen die Zeitung liest, Arzt ist er, achtundvierzig Jahre alt, ein Jahr älter als Fernando Pessoa, als man ihm die Augen schloss, diese wirklich toten, es bedurfte nicht weiterer Beweise oder Zeugnisse, dass es nicht um dieselbe Person geht, und sollte noch irgendjemand daran zweifeln, dann gehe er zum Hotel Bragança und spreche mit Senhor Salvador, dem Hotelchef, frage, ob dort nicht ein Senhor abgestiegen sei, der Ricardo Reis heiße, Arzt, aus Brasilien gekommen, und der wird es bestätigen, oder, Senhor Doktor kommt nicht zum Mittagessen, aber er hat gesagt, er würde zu Abend essen, wenn Sie eine Nachricht hinterlassen wollen, werde ich mich persönlich um die Übermittlung kümmern, wer würde es wohl wagen, am Wort eines Hotelchefs zu zweifeln, eines exzellenten Menschenkenners und Bestimmers von Identitäten. Aber damit wir uns nicht mit jemandes Wort begnügen, den wir so wenig kennen, ist hier jenes andere Journal, das die Nachricht auf die richtige Seite gesetzt hat, die der Todesanzeigen, und ausführlich den Verstorbenen identifiziert. Gestern fand das Begräbnis des Senhor Doktor Fernando António Nogueira Pessoa statt, ledig, siebenundvierzig Jahre alt, siebenundvierzig, merken Sie auf, gebürtig in Lissabon, in Geisteswissenschaften von der englischen Universität ausgebildet, ein in der literarischen Welt sehr bekannter Schriftsteller und Poet, auf seinem Sarg wurden Sträuße frischer Blumen niedergelegt, das Schlimmste an ihnen, den Ärmsten, sie welken so schnell. Während Ricardo Reis auf die Elektrische wartet, die ihn zum Prazeres-Friedhof bringen wird, liest er die am Grab gehaltene Trauerrede, er liest sie in der Nähe des Ortes, wo, wie wir wissen, vor zweihundertdreiundzwanzig Jahren, damals herrschte Don João V., der nicht in der Mensagem erwähnt wurde, wo also ein Genueser Hausierer gehängt wurde, der wegen eines Stücks halbwollenen Zeugs einen von den unseren, einen Portugiesen, tötete, indem er ihm ein Messer in den Hals stieß, dasselbe tat er dann mit der Haushälterin, die durch den Stoß tot am Platze blieb, einem Diener versetzte er zwei Stiche, die nicht tödlich waren, einem anderen stach er wie einem Kaninchen das Auge aus, und wenn er nicht noch mehr anrichtete, dann nur, weil sie ihn festnahmen, er wurde hierher zur Verurteilung geführt, weil es in der Nähe des Mordhauses war, viel Volk lief herbei, kein Vergleich mit diesem Morgen des Jahres neunzehnhundertfünfunddreißig im Monat Dezember, der dreißigste, der Himmel ist stark bewölkt, nur wer nicht anders kann, begibt sich auf die Straße, obwohl es genau in dem Moment nicht regnet, in dem Ricardo Reis, gelehnt an eine Laterne oben an der Calçada do Combro,...
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2013 |
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Übersetzer | Rainer Bettermann |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bürgerkrieg • Fernando • Fernando Pessoa • Fernando Pessora • Lissabon • Literatur • Pessoa • Portugal • spanischer • Spanischer Bürgerkrieg • Weltkrieg • Zweiter • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-455-81236-8 / 3455812368 |
ISBN-13 | 978-3-455-81236-7 / 9783455812367 |
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