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Die Frau in Weiß (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
896 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402305-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Frau in Weiß -  Wilkie Collins
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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITK. Mörderische Intrigen und dunkle Familiengeheimnisse, eine mysteriöse Erbschaft und eine große Liebe - dieser Klassiker des englischen Kriminalromans, kongenial übersetzt von Arno Schmidt, ist spannend von der ersten bis zur letzten Zeile. Die beiden Hauptfiguren sind ein echt viktorianisches Liebespaar, und für die Aufklärung des Verbrechens bedient sich Collins einer sehr modernen Methode: Nicht ein allwissender Erzähler, sondern die Personen der Handlung selbst enthüllen nach und nach in raffinierten Briefen und Berichten das Geheimnis um die Frau in Weiß.

Wilkie Collins wurde als Begründer des englischen Kriminalromans berühmt. 1824 in London geboren, studierte er Rechtswissenschaften, arbeitete aber nie als Jurist. Als Journalist, Dramatiker und Romanautor schuf er ein umfangreiches Werk, das auch Sachbücher, Novellen und zahllose Zeitungsartikel umfaßt. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen ?Die Frau in Weiß?, ?Der rote Schal? und natürlich ?Der Monddiamant?. Wilkie Collins starb 1892 in London.

Wilkie Collins wurde als Begründer des englischen Kriminalromans berühmt. 1824 in London geboren, studierte er Rechtswissenschaften, arbeitete aber nie als Jurist. Als Journalist, Dramatiker und Romanautor schuf er ein umfangreiches Werk, das auch Sachbücher, Novellen und zahllose Zeitungsartikel umfaßt. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen ›Die Frau in Weiß‹, ›Der rote Schal‹ und natürlich ›Der Monddiamant‹. Wilkie Collins starb 1892 in London. Arno Schmidt, 1914 in Hamburg geboren, war nach dem Abitur und einer kaufmännischen Lehre 1937 - 1940 graphischer Lagerbuchhalter in Greiffenberg (Schlesien) und von 1940 bis 1945 Soldat, überwiegend in Norwegen. Ab 1947 lebte er als freier Schriftsteller u.a. im Saarland und in Darmstadt, ab 1958 in Bargfeld, Kreis Celle. Arno Schmidt starb 1979 in Celle.

I. Zeitraum


Bericht begonnen von Walter Hartright


(Clement’s Inn, Zeichenlehrer)

I


Was hier folgt, ist die Darstellung dessen, was die Geduld eines Weibes zu ertragen und die Entschlossenheit eines Mannes zu vollbringen vermag.

Wenn man sich darauf verlassen könnte, daß jeglicher verdächtige Fall letzten Endes doch in das Räderwerk der Justiz geriete, und bei dem sich anschließenden Untersuchungsverfahren das Gold wenigstens nur mit Maßen seine Rolle als Schmiermittel spielt, dann wäre den Ereignissen, die diese Blätter füllen, sowohl ein Gerichtshof als auch ein gerüttelter Anteil des öffentlichen Interesses sicher gewesen.

Aber noch sind Recht und Gesetz, in gewissen unvermeidlichen Fällen, eben zunächst einmal die voreingenommenen Diener des größeren Portemonnaies; und deshalb bleibt nichts übrig, als die ganze Geschichte zum erstenmal hier und in dieser Form vorzulegen. So wie ein Richter sie ihrerzeit vernommen haben würde, genau so soll der Leser sie jetzt vernehmen. Vom Anfang der Enthüllungen an, bis zu ihrem Ende soll über keinen auch nur einigermaßen wichtigen Punkt bloß vom Hörensagen berichtet werden. Wenn der Schreiber dieser einleitenden Zeilen, Walter Hartright mit Namen, mit einem Teil der vorzutragenden Ereignisse näher bekannt und vertraut ist als sonst Jemand, wird er in eigener Person darüber referieren. Sobald sein Zeugnis nicht ausreicht, und er seine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann, wird er an dem Punkt, wo er abbricht, seine Rolle als Berichterstatter sogleich auf- und an die anderen Personen weitergeben, die sich zu den betreffenden fraglichen Umständen aus eigener Erfahrung ebenso klar und positiv äußern können, wie er selbst sich zuvor bemüht hat.

Folglich wird der hier vorgelegte Bericht mehr als nur einer Feder entstammen; genauso, wie über einen Verstoß gegen die Gesetze im Gerichtssaal von mehr als einem Zeugen berichtet zu werden pflegt – hier wie dort mit derselben Absicht: um die Wahrheit stets in ihrer direktesten und faßlichsten Form darzustellen; und um den Verlauf einer größeren geschlossenen Kette von Ereignissen, Glied nach Glied, am verläßlichsten dadurch zu erkennen, daß man die Personen, die die Nächstbeteiligten dabei waren, ihre eigenen Eindrücke mit eigenen Worten schildern läßt.

Hören wir also als Ersten Walter Hartright, Zeichenlehrer, Alter 28 Jahre.

II


Es war der letzte Tag im Juli. Der endlose heiße Sommer begann sich seinem Ende zu nähern; und wir, müde Pilgrime auf Londons Pflaster, fingen an, von Wolkenschatten über weiten Kornfeldern zu träumen oder frischen Herbstbrisen am Meeresstrande.

Was speziell mein bescheidenes Selbst anbelangt, so hinterließ mich der scheidende Sommer körperlich in nicht gerade erfreulicher, geistig in lustloser und finanziell sogar in ausgesprochen dürftiger Verfassung. Ich hatte während des vergangenen Jahres meine beruflichen Möglichkeiten nicht so sorgfältig wie sonst ausgeschöpft; eine Unbesonnenheit, infolge deren sich mir die Aussicht eröffnete, den Herbst fein sparsam und abwechselnd in dem kleinen Landhäuschen meiner Mutter in Hampstead und meiner eigenen Stadtwohnung zu verbringen.

Ich erinnere mich, daß der Abend still war und wolkig. Die Londoner Luft so drückend wie nur möglich; das ferne Gesumme des Straßenverkehrs denkbar schwach; mein eigener kleiner Puls in mir und der mächtige Herzschlag der Großstadt um mich herum schienen im gleichen Takt nachzulassen, und, wie die Sonne sank, immer schlaffer matter flauer zu werden. Ich raffte mich mit Gewalt von dem Buch auf, über dem ich mehr gedöst als wirklich darin gelesen hatte, und verließ meine Wohnung, um mich bei der Abendkühle wenigstens schon in den Außenbezirken der Stadt zu befinden. Es war auch einer der beiden Abende, die ich allwöchentlich draußen bei meiner Mutter und Schwester zu verbringen pflegte; also richtete ich meine Schritte nordwärts, in Richtung Hampstead.

Ereignisse, die ich noch des Näheren zu schildern haben werde, machen hier die Einschaltung nötig, daß mein Vater zu der Zeit, von der ich zu berichten im Begriff stehe, bereits seit mehreren Jahren tot war, und daß meine Schwester Sarah und ich die einzigen Überlebenden aus einer ursprünglich fünfköpfigen Kinderschar waren. Schon mein Vater war Zeichenlehrer gewesen. Sein Fleiß hatte ihn ungewöhnlich erfolgreich in seinem Beruf gemacht, und seine liebevolle Besorgnis, die Zukunft derjenigen, die von seinen Bemühungen abhingen, sicher zu stellen, ihn bewogen, gleich vom Augenblick seiner Verheiratung an einen weit größeren Teil seines Einkommens für eine Lebensversicherung aufzuwenden, als sonst die meisten Männer für diesen Zweck notwendig erachten. Dank dieser seiner bewundernswerten vorausschauenden Bedachtsamkeit und Selbstverleugnung fanden sich meine Mutter und Schwester nach seinem Tode ebenso unabhängig von der Außenwelt, wie sie es während seinen Lebzeiten gewesen waren. Ich meinesteils wurde sein Nachfolger bei seiner Kundschaft, und hatte jeglichen Grund, mich ob der günstigen Aussichten, die mich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn erwarteten, glücklich zu schätzen.

Noch webte stilles Zwielicht über den höchsten Bodenwellen der Heide; und der Anblick Londons unter mir war in die Schatten einer bewölkten Nacht wie in eine schwarze See versunken, als ich vorm Tor zum Landhäuschen meiner Mutter stand. Ich hatte kaum die Glocke recht gezogen, als auch schon die Haustür heftig aufflog; anstelle des Dienstmädchens erschien mein verehrter italienischer Freund, Professor Pesca, und stürmte mir mit der schrill-ausländischen Verballhornung eines gutenglischen ›Hurrah‹ zu freudigem Empfang entgegen.

Um seiner – und es sei mir gestattet hinzuzufügen, auch um meiner – selbst willen verdient der Professor die Ehre einer förmlichen Vorstellung; der Zufall hat ihn zum Ausgangspunkt der seltsamen Familienereignisse gemacht, die ausführlich darzulegen der Zweck dieser Seiten ist.

Ursprünglich war ich mit meinem italienischen Freund dadurch bekannt geworden, daß ich ihn in einigen der großen Häuser traf, wo er seine eigene Sprache lehrte, und ich Zeichnen. Alles was ich bis dahin von seinem Lebenslauf wußte, war, daß er einmal eine Stelle an der Universität Padua inne gehabt; Italien jedoch dann aus politischen Gründen (über deren spezielle Natur er sich grundsätzlich niemandem gegenüber näher ausließ), verlassen und sich seit nun schon so manchem Jahr als geachteter und geschätzter Sprachlehrer in London etabliert hatte.

Ohne daß man ihn direkt einen Zwerg hätte nennen können – denn er war von Kopf bis Fuß ausgesprochen wohlproportioniert – stellte Pesca meines Erachtens doch das kleinste menschliche Wesen dar, das ich jemals außerhalb eines Jahrmarkts erblickt habe. Und wenn er schon durch diese seine persönliche Erscheinung überall auffiel, so zeichnete ihn doch vor dem Heer der gewöhnlichen Sterblichen die, obwohl harmlose, Excentrizität seines Wesens noch mehr aus. Die ihn beherrschende fixe Idee seines Lebens schien vor allem zu sein, daß er dem Lande, das ihm Asyl und Lebensunterhalt gewährt hatte, seine Dankbarkeit dadurch dartun müsse, daß er sich nun auch aus Leibeskräften in einen waschechten Engländer verwandele. Nicht zufrieden damit, der Nation ein allgemeines Kompliment dadurch zu machen, daß er grundsätzlich einen Regenschirm mit sich führte und ebenso standhaft in Gamaschen und einem weißen Hute einherkam, hatte der Professor den Ehrgeiz, auch was Sitten und Freizeitgestaltung angeht, nicht minder ein Engländer zu werden als in seiner äußeren Erscheinung. Sobald er erkannt hatte, daß zu unseren Nationaleigentümlichkeiten auch die Neigung zu sportlicher Betätigung gehört, widmete sich der kleine Mann, wann und wo immer sich die Gelegenheit dazu ergab, in der Unschuld seines Herzens und völlig aus dem Stegreif unsern sämtlichen englischen Sport- und Leibesübungen, fest überzeugt davon, daß es nur von einem festen Entschluß abhänge, der nationalen Leichtathletik ebenso Herr zu werden, wie er sich der nationalen Gamaschen und des nationalen weißen Hutes bemächtigt hatte.

Ich war Zeuge gewesen, wie er seine Gliederchen blindlings bei der Fuchsjagd und auf dem Kricketfeld aufs Spiel setzte, und kurz darauf sah ich ihn, in gleicher Verblendung, sein Leben riskieren, und zwar im Meer bei Brighton.

Wir hatten uns zufällig dort getroffen, wir waren zusammen Baden gegangen; und falls es sich um eine spezielle, nur unserm Volk eigentümliche Leibesübung gehandelt hätte, wäre es selbstverständlich mein Erstes gewesen, ein Auge immer sorgfältig auf Pesca zu haben; aber da im allgemeinen Ausländer im Wasser genau so gut imstande sind, auf sich aufzupassen, wie Engländer, kam es mir überhaupt nicht in den Sinn, daß es sich auch bei der Schwimmkunst wieder nur um eine der männlichen Leibesübungen mehr handeln könne, von denen der Professor glaubte, daß er sie gewissermaßen von selbst beherrsche. Als wir erst ein kurzes Stück vom Strand entfernt waren, hielt ich, als ich merkte, daß mein Bekannter mich nicht einholte, inne, und drehte mich um, um Ausschau nach ihm zu halten – wer beschreibt mein Entsetzen und meine Aufregung, als ich zwischen mir und dem Sandstrand nichts erblickte als 2 kleine weiße Ärmchen, die noch einen Moment über der Wasseroberfläche herumfuchtelten, und dann endgültig ganz verschwanden. Als ich nach ihm tauchte, fand ich den armen kleinen Mann ganz ruhig zusammengerollt in einer Delle auf dem kiesigen Meeresgrund liegen; wobei er noch um diverse Grade kleiner wirkte, als ich ihn...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2012
Reihe/Serie Fischer Klassik Plus
Fischer Klassik Plus
Übersetzer Arno Schmidt
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte 19. Jahrhundert • Arno • England • Englisch • Erbschaft • Familiengeheimnis • Geheimnis • Intrige • Krimi • Kriminalroman • Mystery • neunzehntes • Schattengewächse • Schmidt • Spannung • Thriller • Verbrechen
ISBN-10 3-10-402305-0 / 3104023050
ISBN-13 978-3-10-402305-2 / 9783104023052
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