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Grrrimm (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
160 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30645-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Grrrimm -  Karen Duve
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Karen Duves bissige Hommage an die Brüder Grimm. Hinterhältige Zwerge, unerzogene Wölfe, enttäuschte Prinzen und gefühlskalte Prinzessinnen Karen Duve ist seit jeher eine begeisterte Leserin von Märchen, Heldensagen und Rittergeschichten.Besonders liebt sie die Märchen der Brüder Grimm. Darin allerdings geschieht viel, was mit dem gesunden Menschenverstand nicht zu erklären ist!Wie wahrscheinlich ist es zum Beispiel, dass eine außergewöhnlich gut aussehende junge Frau den Haushalt für sieben mittelalte kleinwüchsige Junggesellen führt und sich nicht einer der Herren an sie ranmacht? Und: Wer glaubt wirklich, dass ein echter Prinz sein Leben mit einer Frau verbringen will, die bereits mit sieben Männern gelebt hat? Wie kann es sein, dass eine wichtige Fee von einer Taufe ausgeladen wird, nur weil nicht genügend Teller vorhanden sind? Wie gestaltet es sich praktisch, wenn man nach einem hundertjährigen Schlaf unter Zentimeter dicken Staubschichten aufwacht? Und überhaupt: Wie hält sich ein Prinz fit, der hundert Jahre warten muss, bis er seine Prinzessin wach küssen kann? Karen Duve kam nicht umhin, ihre eigenen Versionen der Geschichten zu erzählen. Und die sind voll von dem, was Duves Romane sonst auch auszeichnet: familiäre Abneigungen, Bindungsängste, bizarre Liebesvorstellungen, Vaterkomplexe, Selbstzweifel, Trotzreaktionen und Minder wertigkeitsgefühle. Was dabei herauskommt, sind komische, unbarmherzigseelensezierende Geschichten in bester Duve-Manier. «Bei dieser Autorin liegen Weisheit und Lakonie, Melancholie und wache Wahrnehmung so eng beieinander, dass die Übergänge kaum wahrzunehmen sind.» Volker Hage, Der Spiegel

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.

Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein Liebeslied (2002), Die entführte Prinzessin (2005) und Taxi (2008) waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt. 2011 erschien ihr Selbstversuch Anständig essen, 2014 ihre Streitschrift Warum die Sache schiefgeht. Die Verfilmung ihres Romans Taxi kam 2015 in die Kinos. 2016 sorgte sie mit ihrem Roman Macht für Aufruhr und wurde mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2017) ausgezeichnet. Für ihren Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) wurde Karen Duve mit dem Carl-Amery-Preis, dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet.

Zwergenidyll


s war mal wieder stockfinster, als wir nach Hause kamen. Grimbold hatte eine kleine Goldader entdeckt und uns ewig im Stollen herumkratzen lassen, weil er glaubte, die Ader müsste noch irgendwo weiterlaufen, aber wie üblich hatte er sich geirrt. Ich frage mich langsam, ob es wirklich ein kluger Brauch ist, wenn immer der Älteste und Verkalkteste in einer Gruppe das Sagen hat. Jedenfalls, wir kommen heim, und bei dem mickrigen Licht der Grubenlampen bemerken wir nicht gleich, dass außer uns noch jemand im Haus ist. Also setzen wir uns an den Tisch. Hungrig.

»He«, sagt Bertil, »wieso ist mein Becher nur halb voll? Ist das jetzt die neueste Sitte, dass der, der am härtesten arbeitet, am wenigsten zu trinken kriegt?«

Und »Verdammtnochmal«, ruft der Venetianer, »wer hat von meinem Brot abgebissen? Das ist doch eine Riesensauerei! Wer hatte eigentlich heute Morgen Tischdienst?«

Hobo hatte Tischdienst, und das ist sein Pech, denn Leute, die gerade vierzehn Stunden unter Tage geschuftet haben, mögen es gar nicht, wenn ihr Abendbrot angefressen ist. Auf allen Tellern fehlt irgendetwas. Und jedes Mal was anderes. Bei mir ist es bloß ein Stück von der Schwarzwurzel. Damit kann ich leben; Wurzel ist sowieso nicht mein Fall. Aber bei Helmerich fehlt die halbe Dauerwurst, und der wird richtig sauer.

Natürlich schwört Hobo Stein und Bein, dass er nichts genommen hat, und natürlich glauben wir ihm nicht, sondern hetzen ihn rund um den Tisch und dann zu den Betten. Dort erwische ich ihn und drehe ihm den Arm auf den Rücken, während Bertil ihm den Kopf auf eine Matratze drückt.

»Ich schneid dir ein Ohr ab«, brüllt Helmerich und hat schon das Messer in der Hand, als Grimbold ruft:

»Aufhören! Da liegt jemand!«

Er hält seine Grubenlampe hoch und beleuchtet das siebte Bett, das als letztes ganz außen an der Wand steht. In dem Bett liegt tatsächlich ein Mädchen. Das Mädchen ist verteufelt schön, und wenn ich sage schön, dann meine ich richtig schön – also, da stimmte alles: Sie war ganz jung, wirklich sehr jung, lange schwarze Haare und schneeweiße Haut und ein Paar Lippen, bei denen man echt auf Gedanken kam. Außerdem hatte sie feine weiße Hände. Das sah man gleich, dass die noch nie gearbeitet hatte. Sie trug ein blaues und ziemlich schmutziges Kleid mit gelben Litzen und Borten. Und sie lag in meinem Bett. Das siebte Bett ist nämlich meines, nicht nur, weil ich als Letzter dazugekommen bin, sondern auch, weil es das längste ist. Mit einem Meter zweiundvierzig bin ich der Größte von uns sieben. Eigentlich kann man mich kaum noch als Zwerg bezeichnen. Jedenfalls, die kleine Idiotin liegt in meinem Bett und starrt uns so schreckerfüllt an, als hätte sie nie und nimmer damit gerechnet, dass in einem Haus, in dem der Tisch gedeckt und der Wein bereits eingeschenkt ist, irgendwann womöglich auch die Bewohner eintrudeln könnten. Sie fleht uns an, ihr nichts zu tun, und ich weise bei der Gelegenheit die anderen darauf hin, dass es immerhin mein Bett ist, in dem wir sie gefunden haben. Leider muss Grimbold gerade jetzt wieder den Anführer raushängen lassen.

»Fürchte dich nicht, du liebes Mädchen«, sagt er mit seiner weinerlichen Altmännerstimme. »Bei uns wird dir nichts Böses geschehen. Aber sag, wie kommst du hierher?«

Na, vor dem alten Tattergreis brauchte sie sich ganz bestimmt nicht zu fürchten. Jedenfalls, das Mädchen erzählt, dass es sich im Wald verlaufen und schließlich unser Häuschen gefunden hat. Sie sagt tatsächlich »Häuschen«. Geht’s noch? Ich meine, wir wissen schon, dass wir klein sind, und dass das hier nicht gerade ein Palast ist. Muss sie es uns auch noch unter die Nase reiben?

»Wie heißt du denn, und wo wohnst du, mein armes Kind«, greint Grimbold. Er hat sich neben sie gesetzt und ihre Hände in seine genommen. Das Kind heißt Schneewittchen. Und dann behauptet sie doch ohne mit der Wimper zu zucken, sie sei eine Königstochter. Ich muss laut lachen, aber die anderen funkeln mich sofort strafend an. Die können es gar nicht abwarten, sich von ihr einwickeln zu lassen.

»Ja, eine Königstochter«, fährt das Schneewittchen unbeirrt fort, und ihre Stiefmutter hätte den Hofjäger beauftragt, sie in den Wald zu führen und dort abzustechen. Der hätte aber Mitleid gehabt und sie laufen lassen.

Respekt! Die Geschichte muss sich erst mal einer einfallen lassen.

Bickerl und der Venetianer schütteln auch ganz betroffen die Köpfe. Doch so schnell lass ich mich nicht ins Bockshorn jagen.

»Sag mal, kennen wir uns nicht aus Molly Weichbrodts Freudenbude«, frage ich so harmlos wie möglich, einfach, um mal auf den Busch zu klopfen. Aber Schneewittchen sieht mich dermaßen verständnislos an, dass ich vor so viel Schauspielkunst erst mal kapitulieren muss. Grimbold schiebt mich zur Seite und salbadert weiter.

»Du hast viel durchgemacht, du armes Kind. Aber wenn du uns den Haushalt führen, für uns kochen und waschen willst, dann kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen.«

Das Schneewittchen stimmt freudig zu, und ich denke, das beweist dann ja wohl, dass sie gelogen hat. Oder kann sich jemand eine Prinzessin vorstellen, die ohne Wenn und Aber bereit ist, die dreckigen Hemden und Hosen von sieben Männern zu waschen und mit ihnen im selben Haus zu schlafen? Kann mir keiner erzählen.

 

Mir hätte es nichts ausgemacht, mein Bett mit Schneewittchen zu teilen, aber Grimbold ordnete an, dass ich in dieser Nacht neben Hobo schlafen sollte. Am nächsten Tag haben wir alle zusammen ein neues Bett für sie gezimmert. Das hat dann neben der Feuerstelle gestanden, und Grimbold hat noch einen Teppich davorgehängt. Danach sind wir wieder jeden Tag ins Bergwerk gegangen. Schneewittchen hat währenddessen geputzt und unsere Sachen geflickt und für uns gekocht – richtiges warmes Essen, Brei und Suppe und so ’n Zeug. Und die Hütte hat geblitzt! Ist doch was anderes, wenn ’ne ordnende, weibliche Hand im Haus ist.

 

So ist das erst mal ein paar Wochen gegangen. Alle waren viel besser gelaunt als je zuvor, und während wir die Steine aus dem Stollen hackten, haben wir die ganze Zeit von Schneewittchen gesprochen. Wie hübsch und lieb sie war und was sie jetzt wohl gerade tat und was wir ihr schenken wollten, wenn wir nur endlich wieder auf eine große Goldader stoßen würden. Ich weiß nicht, wie es den anderen ergangen ist, aber mich hat das verrückt gemacht, immer bloß von Schneewittchen zu reden. Ich meine, man kann doch nicht nur für die Zukunft leben und davon träumen, eines Tages genug Gold zu finden. Man muss sich auch einfach mal an dem freuen, was man bereits hat. Da robbten wir Tag für Tag durch den engen, dreckigen Stollen, und zu Hause saß dieses wunderschöne Ding herum und langweilte sich zu Tode.

 

Also krieche ich eines Tages zu Grimbold rüber und sage, ich hätte Bauchschmerzen, ziemlich schlimm, und dass ich zu Schneewittchen gehe, damit sie mir einen Kräutertee aufbrüht.

Wie ich zu Hause ankomme, riecht es nach Essigwasser. Schneewittchen ist gerade dabei, die Fenster zu putzen. Sie kocht mir den Sud, und ich setze mich mit meinem Becher aufs Bett und schaue ihr beim Putzen zu. Schneewittchen ist nicht sehr viel größer als ich. Sie tunkt den Lappen in den Eimer, und dann reckt sie sich und wischt die oberen Vierecke im Fenster. Sie steht im Sonnenlicht, Staubpartikel flirren um sie herum, und ihr neuer roter Rock, für den wir alle zusammengelegt haben, rutscht ihr beim Putzen fast bis zum Knie hoch, und ihr Hintern wippt im Takt der Wischbewegungen. Ich merke gleich, die legt es darauf an. Ich lass sie aber erst mal zappeln und trinke ganz in Ruhe meinen Tee zu Ende. Dann stelle ich den Becher auf den Boden und schleiche mich an sie heran, bis ich direkt hinter ihr stehe.

»Schneewittchen«, sage ich, und sie erschreckt sich so, dass sie fast ins Fenster fällt und ich sie festhalten muss. Das Wasser im Eimer schwappt.

»Nun mal langsam, Prinzessin«, sage ich. »Ich wollte dich ja bloß darauf aufmerksam machen, dass dein Miederband offen ist.«

Natürlich ist ihr Mieder vollkommen in Ordnung. Aber da es auf dem Rücken geschnürt wird, kann sie das nicht sehen. Ist ein guter Trick. Sag einer Frau, dass sie einen schwarzen Fleck am Kinn hat oder dass ihr Lippenrot verschmiert ist, und sofort wird sie unsicher, fummelt sich im Gesicht herum, und du bist obenauf und bestimmst, wie es weitergeht.

»Soll ich es dir zuschnüren?«, frage ich.

Sie errötet prompt – also wenn eine fällig ist, dann sie – und haucht: »Ja, wenn du so freundlich sein willst.«

Ich mache mich also an ihrem Mieder zu schaffen. Und da es da nichts zuzuschnüren gibt, binde ich es ganz gemütlich auf. Es dauert eine Weile, bis sie mitkriegt, was ich da tue. Aber dann ist plötzlich die Hölle los. Sie faucht wie eine Katze und springt mir beinahe ins Gesicht. Dabei kreischt sie, ob ich wahnsinnig sei, und nennt mich einen hässlichen Gnom und eine Missgeburt.

»Bind es zu!«, kreischt sie. »Bind es sofort wieder zu! Ich werde Grimbold sagen, was du getan hast.«

»Ach ja«, antworte ich, »willst du ihn dann auch eine Missgeburt nennen? Das hast du ja gerade sehr deutlich gemacht, was du eigentlich von uns hältst.«

Jetzt sitzt sie schön in der Patsche. Wenn sie petzt, petze ich auch. Grimbold ist schließlich noch kleiner als ich. Und prompt macht sie auf Prinzessin, schaut über mich hinweg und sagt in einem ganz unangenehmen Befehlston: »Schnür mir sofort das Mieder wieder zu, aber wage es ja nicht, mich dabei...

Erscheint lt. Verlag 8.10.2012
Zusatzinfo 5 s/w Illustrationen
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eigene Versionen • Gebrüder Grimm • Grimm • Grimm-Jahr 2012 • Hommage • Humor • Karen Duve • Klassiker • Märchen • neu erzählt
ISBN-10 3-462-30645-6 / 3462306456
ISBN-13 978-3-462-30645-3 / 9783462306453
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