Das Feuerschiff (eBook)
272 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-81077-6 (ISBN)
Siegfried Lenz, 1926 im ostpreußischen Lyck geboren, gestorben 2014 in Hamburg, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Seit seinem Debütroman Es waren Habichte in der Luft von 1951 veröffentlichte er alle seine Romane, Erzählungen, Essays und Bühnenwerke im Hoffmann und Campe Verlag. Mit den masurischen Geschichten So zärtlich war Suleyken hatte er 1955 seinen ersten großen Erfolg, Sein Werk ist geprägt von der Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Problemen (z. B. Der Mann im Strom, 1957, oder Brot und Spiele, 1959) und mit dem Nationalsozialismus bzw. seiner Aufarbeitung. Zu Lenz' größtem Erfolg wurde der 1968 erschienene Roman Deutschstunde. Bis heute ist die Geschichte eines Polizisten, der im Nationalsozialismus das Malverbot seines Freundes überwacht, eine bestechende Entlarvung eines pervertierten Pflichtgefühls. Das Buch wurde verfilmt, avancierte zur Pflichtlektüre an Schulen und war international ein großer Erfolg. Der Deutschstunde folgten viele weitere große Romane (Das Vorbild, 1973, Heimatmuseum, 1978, Der Verlust, 1981, Exerzierplatz, 1985, Die Auflehnung, 1994, Landesbühne, 2009), welche Siegfried Lenz neben Schriftstellern wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Martin Walser zu einem der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren machte. Sein zweiter Roman Der Überläufer erschien postum im Jahr 2016 und wurde ein großer Erfolg. Für seine Bücher wurde er mit zahlreichen bedeutenden Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Gerhart-Hauptmann-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte 2009.
Siegfried Lenz, 1926 im ostpreußischen Lyck geboren, gestorben 2014 in Hamburg, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Seit seinem Debütroman Es waren Habichte in der Luft von 1951 veröffentlichte er alle seine Romane, Erzählungen, Essays und Bühnenwerke im Hoffmann und Campe Verlag. Mit den masurischen Geschichten So zärtlich war Suleyken hatte er 1955 seinen ersten großen Erfolg, Sein Werk ist geprägt von der Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Problemen (z. B. Der Mann im Strom, 1957, oder Brot und Spiele, 1959) und mit dem Nationalsozialismus bzw. seiner Aufarbeitung. Zu Lenz' größtem Erfolg wurde der 1968 erschienene Roman Deutschstunde. Bis heute ist die Geschichte eines Polizisten, der im Nationalsozialismus das Malverbot seines Freundes überwacht, eine bestechende Entlarvung eines pervertierten Pflichtgefühls. Das Buch wurde verfilmt, avancierte zur Pflichtlektüre an Schulen und war international ein großer Erfolg. Der Deutschstunde folgten viele weitere große Romane (Das Vorbild, 1973, Heimatmuseum, 1978, Der Verlust, 1981, Exerzierplatz, 1985, Die Auflehnung, 1994, Landesbühne, 2009), welche Siegfried Lenz neben Schriftstellern wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Martin Walser zu einem der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren machte. Sein zweiter Roman Der Überläufer erschien postum im Jahr 2016 und wurde ein großer Erfolg. Für seine Bücher wurde er mit zahlreichen bedeutenden Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Gerhart-Hauptmann-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte 2009.
Cover
Titelseite
Das Feuerschiff
Anhang
Über Siegfried Lenz
Impressum
Das Feuerschiff
Sie lagen und lagen fest bei den wandernden Sandbänken. Seit neun Jahren, seit dem Krieg lag ihr Schiff an langer Ankerkette fest, ein brandroter Hügel auf der schiefergrauen Ebene der See, muschelbedeckt, von Algen bewachsen – bis auf die kurzen Zeiten in der Werft lag es da, während der heißen Sommer, wenn die Ostsee glatt und blendend und zurückgedämmt war, und in all den Wintern, wenn wuchtige Seen das Schiff unterliefen und Eisschollen splitternd an der Bordwand entlangschrammten. Es war ein altes Reserve-Feuerschiff, das sie nach dem Krieg noch einmal ausgerüstet und hinausgeschickt hatten, um die Schiffe vor den wandernden Bänken zu warnen und um ihnen einen Ansteuerungspunkt zu geben für den Minenzwangsweg.
Neun Jahre hing der schwarze Ball in ihrem Mast, der anzeigte, daß sie auf Position waren, kreiste der Blinkstrahl ihrer Kennung über die lange Bucht und über die nächtliche See bis zu den Inseln, die sich grau und flach wie ein Ruderblatt am Horizont erhoben. Jetzt waren die Minenfelder geräumt, das Fahrwasser galt als sicher, und in vierzehn Tagen sollte das alte Feuerschiff eingezogen werden. Es war ihre letzte Wache.
Die letzte Wache sollte noch vor den Winterstürmen enden, die mit kurzen, wuchtigen Seen in die Bucht hineinschlagen, die lehmige Steilküste unterwaschen und auf dem flachen Strand eine verkrustete Markierung aus Tang, Eissplittern und pfeilförmigem Seegras zurücklassen. Bevor die Stürme einsetzen, ist die Ostsee hier draußen vor der langen Bucht ruhig; die Dünung geht weich und gleitend, die Farbe des Wassers wird schwarzblau. Das ist eine gute Zeit für den Fischfang: in Schwärmen zucken die getigerten Rücken der Makrelen knapp unter der Oberfläche dahin, der Lachs geht an den Blinker, und in den Maschen des Grundnetzes stehen die Dorsche fest, als ob ein Jagdgewehr sie hineingeschossen hätte. Es ist dann auch höchste Zeit für die Küstenschiffahrt, für die gedrungenen Motorsegler, für Windjammer und Holzschoner, die mit einer letzten Decksladung Grubenholz oder geschnittenen Planken oben von Finnland runterkommen und weiterziehen in ihre Winterverstecke. Das Fahrwasser vor der langen Bucht und zwischen den Inseln ist voll von ihnen vor den Stürmen, und vom Feuerschiff sehen sie die tuckernde, schlingernde, mühsame Prozession vorüberziehen zu den Sicherheiten hinter dem Horizont; und wenn sie verschwunden sind, kommen die Sturmmöwen herein und die schweren Mantelmöwen, einzeln zuerst, dann in kreischenden Schwärmen, und sie umkreisen das Feuerschiff, ruhen sich auf seinen Masten aus oder gehen nieder auf das Wasser, auf dem der rötliche Widerschein des Schiffes liegt. Als ihre letzte Wache begann, war die See fast leer von den schlingernden Holzschuten, nur einige Nachzügler kamen noch vorbei, klemmten sich unter den Horizont, und auf dem Feuerschiff sahen sie jetzt fast nur noch die weißen Eisenbahnfähren, die morgens und abends schäumend hinter den Inseln verschwanden, schwere Frachter und breitbordige Fischkutter, die gleichgültig an ihnen vorbeiliefen.
An jenem diesigen Morgen war nichts in Sicht. Das Feuerschiff dümpelte träge an langer Ankerkette, die Strömung staute sich drängend am Rumpf, und ein grünes, schwefelgrünes Glimmen lag auf der See. Mit dem schwingenden Pfeifgeräusch ihrer Flügel strich ein Zug Grauenten knapp über dem Wasser am Schiff vorbei und zu den Inseln hinüber. Die Ankerkette rieb sich, knirschte in den Klüsen, wenn die weiche Dünung das Schiff anhob, und es entstand ein Geräusch, als holte ein Bügelstemmeisen verrostete Nägel aus einer Kiste. Die durchlaufende Dünung klatschte gegen das Heck. Eine breite Schaumspur zog sich von der Bucht gegen die offene See hin wie eine weißliche Ader, in der schwappend Blasentang trieb, algenbedeckte Holzstücke, Kraut, Korkstücke und eine auf- und abtanzende Flasche. Es war der zweite Morgen auf ihrer letzten Wache.
Als Freytag die Kajütentür öffnete, sah er zum Ausguck hinauf. Der Mann auf Ausguck setzte das Glas nicht ab; langsam kreisend, als hätten sie ihn mit den Füßen an Deck genietet, drehte sich sein Oberkörper, drehte sich nur in den Hüften, ohne daß seine Füße sich bewegten, und Freytag wußte, daß nichts los war, und trat hinaus in den diesigen Morgen. Er war ein alter Mann mit magerem Hals und hautstraffem Gesicht, seine wäßrigen Augen tränten unaufhörlich, wie in Erinnerung an eine verzweifelte Anstrengung; obwohl sein untersetzter Körper gekrümmt war, verriet er noch etwas von der Kraft, die einst in ihm gesteckt hatte oder immer noch in ihm steckte. Seine Finger waren knotig, sein Gang säbelbeinig, als hätten sie ihn in seiner Jugend auf einer Tonne reiten lassen. Bevor er Kapitän des Feuerschiffs wurde, hatte er sechzehn Jahre ein eigenes Schiff auf der Lumpenlinie geführt, nach unten runter in die Levante; damals hatte er sich angewöhnt, mit einer halbgerauchten, kalten Zigarette im Mund herumzulaufen, die er während des Essens neben den Teller legte.
Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kajütentür, die kalte Zigarette wanderte wippend zwischen den Mundwinkeln hin und her, und er sah zu den Inseln hinüber, über die Schaumspur, die sich gegen die offene See hinzog, und dann zu der Wracktonne, neben der die Spieren eines im Krieg versenkten Schiffes aus dem Wasser ragten; und als er so dastand, spürte er, wie die Tür hinter ihm geöffnet wurde; ohne sich umzudrehen, trat er zur Seite, denn er wußte, daß es der Junge war, auf den er gewartet hatte. Freytag hatte keinen gefragt, hatte keine Erlaubnis eingeholt; als Kapitän hatte er den Jungen einfach mit rausgenommen zur letzten Wache, aus dem Krankenhaus weg, er wußte, daß es der Junge war, auf den er gewartet hatte.
Freytag hatte den blassen, hochgewachsenen Jungen mit dem gehetzten Blick im Bett liegen sehen, und nachdem er auf dem Gang mit dem Arzt gesprochen hatte, war er zurückgekommen und hatte zu Fred gesagt: »Morgen kommst du mit raus auf Station«, und obwohl der Junge weder zurückwollte in die Baracke, wo er als Thermometerbläser arbeitete, noch auf Freytags Schiff, war er jetzt an Bord und auf Station.
Fred ließ die Kajütentür zufallen, die sich mit zischendem Sauggeräusch schloß, und musterte den Alten mit einem gehetzten, feindseligen Blick aus den Augenwinkeln. Er redete ihn nicht an; er stellte sich neben ihn und wartete in einer Haltung schweigsamer Feindseligkeit: nie, solange er denken konnte, hatte er anders neben seinem Alten gestanden, damals nicht, als er ihm bis zur Schulter reichte, und auch jetzt nicht, da er ihm von oben in den lose sitzenden Kragen hineinsehen konnte, unter dem ein Streifen glatter, verbrannter Haut begann, der sich über den ganzen Rücken bis zur Hüfte zog.
Seitdem er erfahren hatte, was damals unten in der Levante geschehen war – zu der Zeit, als sein Alter die Lumpenlinie fuhr und er selbst noch zur Schule ging –, war er fertig mit ihm, ohne daß sie je darüber gesprochen hätten oder daß es für ihn nötig gewesen wäre, darüber zu sprechen.
Sie standen schweigend nebeneinander, sie kannten sich zu gut, als daß der eine etwas vom anderen erwartet hätte, und wortlos, mit einem kurzen Nicken des Kopfes, forderte Freytag den Jungen auf, ihm zu folgen. Hintereinander kletterten sie auf den gelben Laternenträger hinauf, sahen die verzerrte Spiegelung ihrer Gesichter auf dem harten, gerundeten Glas; sie blickten über die See und auf das Deck des Schiffes hinab, dessen dümpelnde Bewegungen sie hier oben stärker spürten als unten, und Fred sah, wie die schwere, durchhängende Kette klatschend ins Wasser tauchte, wenn die Dünung sich zu ihr hinaufreckte. Er sah auch den Mann mit der schwarzglänzenden Krähe am Bug stehen und hörte seinen Alten sagen: »Das ist Gombert. Er hat es immer noch nicht aufgegeben; zu Weihnachten will er der Krähe das Reden beigebracht haben, und zu Ostern soll sie einen Psalm aufsagen.« Fred antwortete nicht, gleichgültig beobachtete er den Mann am Bug, der eifrig auf die Krähe einsprach, die mit beschnittenen, schlapp weghängenden Flügeln an Deck hockte. »Sie heißt Edith«, sagte Freytag, »Edith von Laboe.«
Dann kletterte er hinab, Fred hinter ihm, und sie gingen schweigend zur Funkbude hinüber, fanden Philippi vor dem Funkgerät, einen kleinen, schmächtigen Mann in verwaschenem Pullover, der den Kopfhörer umhatte, in einer Hand einen Bleistift hielt, mit der anderen Zigaretten auf dem Tisch rollte.
»Er gibt die Stromabmessung durch«, sagte Freytag, »den Seegang und den Wetterdienst.«
Philippi wandte sich nicht zu ihnen um, obwohl er ihre Schatten auf der Wand und auf dem mit Tabakkrümeln bedeckten Tisch sah; er kümmerte sich nicht um den Lautsprecher, aus dem ein Knistern ertönte, ein trockenes Knacken, als ob Heuschrecken über ein Blechdach wanderten; ruhig saß er in seinem fensterlosen Schapp da und sagte nach einer Weile: »Hier ist schon gelüftet«, und rückte seine Kopfhörer zurecht.
»Das ist die Funkbude«, sagte Freytag, »nun hast du auch sie gesehen«, und er schob den Jungen mit der Schulter vom Eingang weg, zog die auf Rollen laufende Tür zu und sah sich um und überlegte, was Fred noch nicht gesehen hatte, seitdem er an Bord war. Er blickte über sein Schiff, und es kam ihm zum ersten Mal alt und verdammt vor – ein Schiff, das nicht frei war und zu anderen Küsten lief, sondern wie ein Sträfling an langer Kette lag, von dem riesigen Anker gehalten, der tief im sandigen Grund steckte, und Freytag fand nichts, was er dem Jungen noch hätte zeigen können. Unentschieden hob er die Schultern. Er sah über sein Schiff wie ein Mann über flaches Land. Er zog ein Taschentuch heraus, wickelte es um die eine Hand und schob die umwickelte Hand wieder in...
Erscheint lt. Verlag | 4.10.2012 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Leuchtsignal • Meuterei • Nordsee • Schiffbruch • Verbrechen |
ISBN-10 | 3-455-81077-2 / 3455810772 |
ISBN-13 | 978-3-455-81077-6 / 9783455810776 |
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