Die Insel unter dem Meer (eBook)
552 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73545-9 (ISBN)
Farbiger und lebenswirklicher könnte Isabel Allendes Roman nicht sein. Vor dem Hintergrund der historischen Sklavenaufstände in der Karibik schildert sie das packende Schicksal von Zarité, die als junges Mädchen an einen weißen Plantagenbesitzer verkauft wird. Durch vielfache persönliche Bande an die Familie ihres Herrn gekettet, muß Zarité ihren ganz eigenen Weg finden, um endlich Freiheit zu erlangen.
Mit ihrem Roman Die Insel unter dem Meer entführt uns die chilenische Bestsellerautorin von den Zuckerrohrplantagen auf Saint-Domingue, dem heutigen Haiti, in das pulsierende New Orleans des frühen 19. Jahrhunderts. Ein schillernder, dramatischer Bilderbogen um eine starke Frau, die alles riskiert und sich bedingungslos ihre Freiheit erkämpft.
<p>Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie - und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt - für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet. Isabel Allendes gesamtes Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen.</p>
Cover 1
Informationen zum Buch/Inhalt 2
Impressum 4
Die Insel unter dem Meer 5
Widmung 6
Zarité 7
Erster Teil: Saint-Domingue 1770-1793 11
Die spanische Krankheit 13
Nachtvogel 22
Das Taubenei 31
Die kubanische Braut 37
Das Herrenhaus 44
Zarité 55
Das Exempel 62
Macandal 68
Zarité 76
Das Bankett beim Intendanten 80
Die Wahnsinnige auf der Plantage 86
Priesterin 94
Nicht so ein richtiger Mensch 105
Zarité 114
Konkubine 118
Immer zu Diensten 128
Zarité 139
Zeiten des Umbruchs 143
Zarité 151
Die Liebenden 155
Die Kinder des Herrn 161
Zarité 168
Der Krieger 173
Die Verschwörung 185
Aufstand im Norden 190
Zarité 196
Vergeltung 202
Terror 209
Der Geschmack der Freiheit 219
Zarité 225
Auf der Flucht 232
Das Paris der Antillen 243
Unselige Nächte 250
Zarité 260
Bürgerkrieg 265
Blut und Asche 272
Beim Sterben helfen 278
Die Strafe 284
Zweiter Teil: Louisiana 1793-1810 291
Kreolen von Geblüt 293
Zarité 306
Die Festlichkeiten 310
Der spanische Edelmann 317
Die Stiefmutter 325
Zarité 336
Zeit der Stürme 340
Mit der Reitpeitsche 349
Sklavendorf 360
Hauptmann La Liberté 368
Flüchtlinge 376
Die Schule in Boston 385
Zarité 391
Versprochen ist versprochen 396
Der Heilige von New Orleans 404
Zarité 416
Tagespolitik 424
Die Amerikaner 432
Rosette 441
Zarité 450
Maurice 454
Die Spione 466
Der Bastard 478
Angst vor dem Tod 489
Der Ball der Grazien 495
Rechts vom Mond 504
Die Verliebten 512
Blutsbande 516
Zwei Liebesnächte 524
Fegefeuer 528
Ein langer Sommer 534
Im Kerker 541
Zarité 548
Inhalt 555
Nachtvogel
Schon Violette Boisiers Mutter war Kurtisane gewesen, eine atemberaubende Mulattin, die mit neunundzwanzig Jahren von einem französischen Offizier – gerüchteweise der Vater von Violette, doch wurde das nie bestätigt – in rasender Eifersucht mit dem Säbel entleibt worden war. Das Mädchen hatte im Alter von elf Jahren unter der Schirmherrschaft der Mutter mit dem Gewerbe begonnen; mit dreizehn, als die Mutter ermordet wurde, beherrschte Violette die erlesenen Spielarten der Lust, und mit fünfzehn hatte sie alle ihre Rivalinnen aus dem Feld geschlagen. Valmorain dachte lieber nicht darüber nach, mit wem sich seine petite amie in seiner Abwesenheit verlustierte, schließlich war er nicht bereit, sich Exklusivität eigens zu erkaufen. Sicher, er hatte einen Narren an Violette gefressen, die einzig Bewegung und Lachen war, aber er bewahrte doch ausreichend kühlen Kopf, um seine Phantasie zu mäßigen, und würde nicht wie jener Offizier enden, der die Mutter getötet und damit seine Karriere und seinen Namen ruiniert hatte. Ihm genügte es, sie ins Theater und zu Herrenrunden auszuführen, wo keine weißen Frauen zugegen waren und ihre strahlende Schönheit alle Blicke auf sich zog. Der Neid der anderen Männer, wenn er sich mit ihr am Arm schmückte, verschaffte ihm eine dumpfe Genugtuung; so mancher hätte seinen guten Namen drangegeben, hätte er statt der festgelegten ein bis zwei Stunden eine ganze Nacht mit Violette verbringen dürfen, doch dieses Privileg stand ganz allein ihm zu. Jedenfalls glaubte er das.
Die Wohnung der jungen Frau, drei Zimmer und ein Balkon mit schmiedeeisernen Lilien am Geländer im ersten Stock eines Gebäudes unweit der Place Clugny, war neben ein paar für ihren Beruf angemessenen Kleidungsstücken die einzige Hinterlassenschaft ihrer Mutter. Dort lebte sie in einigem Luxus und in Gesellschaft von Loula, ihrer massigen und resoluten afrikanischen Sklavin, die als Hausmädchen und Leibwächter fungierte. Während der heißesten Stunden des Tages ruhte Violette sich aus oder widmete sich ihrer Schönheit: Massagen mit Kokosmilch, Depilationen mit Karamel, Ölbädern fürs Haar, Kräuteraufgüssen zum Aufhellen von Stimme und Blick. Fühlte sie sich besonders inspiriert, bereitete sie mit Loula Schönheitsmittelchen zu – Salben für die Haut, Mandelseife, Cremes und Puder –, die sie später unter ihren weiblichen Bekannten verkaufte. Doch im allgemeinen vergingen ihre Tage träge und müßig. Gegen Abend, wenn die geschwächten Strahlen der Sonne ihrem Teint nichts mehr anhaben konnten, verließ sie je nach Wetter zu Fuß das Haus oder mietete sich von einer Nachbarin eine von zwei Sklaven getragene Sänfte. So entkam sie dem Pferdemist, dem Unrat und Schlamm in den Straßen von Le Cap. Aus Rücksicht auf ihre Geschlechtsgenossinnen kleidete sie sich unauffällig: Keine weiße oder farbige Frau konnte solche Konkurrenz gelassen hinnehmen. Sie erledigte ihre Besorgungen in den Läden oder erstand an der Mole Schmuggelware von den Schiffen, besuchte ihre Schneiderin, den Friseur und ihre Freundinnen. Unter dem Vorwand, einen Saft trinken zu wollen, hielt sie am Hotel oder vor einem Café, wo sie von irgendeinem Herrn stets bereitwillig an den Tisch eingeladen wurde. Sie kannte die intimen Vorlieben der mächtigsten Weißen der Kolonie, selbst die des hochrangigsten Militärs, des Herrn Gouverneurs. Danach kehrte sie nach Hause zurück, um sich für ihre Arbeit umzukleiden, was einige Stunden in Anspruch nahm. Sie besaß Kleider in allen Farben des Regenbogens, aus prächtigen europäischen und orientalischen Stoffen, dazu passende Schuhe und Täschchen, federgeschmückte Hüte, bestickte Tücher aus China, Stolen aus Pelz, die man nur über den Boden schleifen konnte, weil sie bei der Hitze hier untragbar waren, und eine Truhe voller Tand. Jeden Abend führte sie der Freund der Stunde – er wurde nicht Freier genannt – zu einer Vorstellung im Theater und zum Essen aus, dann auf ein Fest, das bis in den frühen Morgen dauerte, und schließlich brachte er sie nach Hause, wo sie sich sicher fühlte, weil Loula auf einem Strohsack in Hörweite schlief und einen gewalttätigen Mann notfalls in die Schranken weisen konnte. Ihr Preis war bekannt und wurde nicht erwähnt; das Geld wurde in einem lackierten Kästchen auf dem Tisch deponiert, und vom Trinkgeld hing es ab, ob ein nächstes Rendezvous zustande kam.
In einem Hohlraum zwischen zwei Brettern in der Wand, von dem nur Loula wußte, verwahrte Violette in einem wildledernen Etui ihre kostbaren Schmuckstücke, die meisten davon Geschenke von Toulouse Valmorain, dem man so manches nachsagen konnte, nicht jedoch, daß er geizig gewesen wäre, und daneben ein paar Goldmünzen, die sie sich für die Zukunft zusammengespart hatte. Weil sie keine Diebe anlocken und Gerede vermeiden wollte, benutzte sie zumeist ihren Flitter, trug die echten Stücke jedoch, wenn sie mit demjenigen ausging, der sie ihr geschenkt hatte. Und an ihrem Finger steckte stets ein schlichter altmodischer Opalring, den Étienne Relais, ein französischer Offizier, ihr zum Zeichen ihrer Verbundenheit geschenkt hatte. Sie sah Étienne sehr selten, weil er sein Leben zu Pferd, an der Spitze seiner Einheit verbrachte, aber wenn er in Le Cap war, vertröstete sie ihre anderen Freunde auf später, um Zeit für ihn zu haben. Nur bei ihm konnte sie sich dem wohligen Gefühl von Geborgenheit überlassen. Toulouse Valmorain ahnte nicht, daß er mit diesem bärbeißigen Soldaten die Ehre teilte, ganze Nächte bei Violette zu liegen. Sie gab keine Erklärungen ab und hatte nie wählen müssen, denn die beiden waren nie gleichzeitig in der Stadt gewesen.
»Was mache ich bloß mit diesen Männern, die mich behandeln, als wären wir verlobt?« wollte Violette einmal von Loula wissen.
»So etwas erledigt sich von selbst«, behauptete die Sklavin und zog einmal tief an ihrer derben Zigarre.
»Oder es wird blutig erledigt. Denk an meine Mutter.«
»Da mach dir mal keine Sorgen, mein Engel, schließlich bin ich bei dir und passe auf.«
Loula sollte recht behalten: Die Zeit tat das Ihre und nahm einen der Anwärter aus dem Rennen. Zwei Jahre später war aus dem Verhältnis mit Valmorain eine zärtliche Kumpanei geworden, die der Leidenschaft der ersten Monate entbehrte. Er eilte nicht mehr im gestreckten Galopp in die Stadt, um sie in die Arme zu schließen, die teuren Geschenke wurden seltener, und manchmal besuchte er Le Cap und machte keine Anstalten, sie zu sehen. Violette nahm es nicht krumm, sie hatte die Grenzen dieser Verbindung stets klar gesehen, doch hielt sie den Kontakt aufrecht, der ihr ja noch einmal von Nutzen sein konnte.
Hauptmann Étienne Relais galt als unbestechlich in einer Umgebung, in der Ausschweifung die Regel war, Ehre käuflich, Gesetze dazu gemacht wurden, daß man sie brach, und man davon ausging, daß einer, der seine Macht nicht mißbraucht, es nicht verdient, welche zu haben. Sein Anstand verbot es ihm, sich wie andere in vergleichbarer Position zu bereichern, und selbst die Verlockung, genug zusammenzubringen, um sich wie versprochen mit Violette Boisier in Frankreich zur Ruhe zu setzen, brachte ihn nicht von dem ab, was er für soldatische Rechtschaffenheit ansah. Er konnte, ohne zu zögern, seine Männer im Gefecht in den Tod schicken oder ein Kind züchtigen, um Informationen von der Mutter zu erpressen, aber er hätte niemals nach Geld gegriffen, das ihm nicht rechtmäßig zustand. In Fragen von Ehre und Ehrlichkeit war er empfindlich. Er wollte Violette an einen Ort mitnehmen, wo man sie nicht kannte, niemand ahnen würde, daß sie ihren Lebensunterhalt mit wenig tugendhaften Tätigkeiten bestritten hatte, und es nicht auffiele, daß sie keine Weiße war: Es bedurfte des auf den Antillen geschulten Blicks, um unter ihrer hellen Haut das afrikanische Blut zu erraten.
Violette war von der Vorstellung, in Frankreich zu leben, nicht sehr angetan, denn sie fürchtete die eisigen Winter mehr als das üble Gerede, das an ihr abperlte, aber sie hatte Étienne versprochen, mit ihm zu gehen. Der hatte hin und her gerechnet, und wenn er weiterhin anspruchslos lebte, riskante Aufträge annahm, für die hohe Belohnungen winkten, und man ihn rasch beförderte, würde sein Traum sich eines Tages erfüllen lassen. Bis dahin wäre Violette hoffentlich gereift und würde mit ihrem kecken Lachen, dem schalkhaften Glanz in ihren schwarzen Augen und ihrem aufreizend wiegenden Gang nicht mehr alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Unscheinbar würde sie nie sein, aber vielleicht könnte sie in die Rolle der Ehefrau eines Veteranen hineinwachsen. Madame Relais ... Welch ein Wohlklang! Und er wiederholte die Worte wie eine Beschwörung. Der Entschluß, sie zu heiraten, war nicht wie das meiste sonst in seinem Leben Ergebnis einer minutiösen Strategie gewesen, sondern ihm von seinem Herzen so heftig diktiert worden, daß er ihn nie mehr in Zweifel zog. Er war kein gefühlsseliger Mensch, hatte aber doch gelernt, seinem Instinkt zu vertrauen, auf den er sich in manchem Kampf hatte verlassen müssen.
Auf Violette war er zwei Jahre zuvor mitten im Trubel des Sonntagsmarkts aufmerksam geworden, zwischen dem Geschrei der Verkäufer und dem Gedränge von Menschen und Tieren. Auf einer armseligen Theaterbühne, einem von rostbraunen Lumpen überspannten Bretterkasten, stolzierte ein mit Arabesken tätowierter Hüne einher und zwirbelte an seinem pompösen Schnauzbart, während ein als Türke verkleideter Negerjunge aus voller Kehle die Großtaten dieses mächtigsten aller Magier von Samarkand pries. Die kümmerliche Darbietung hätte den Hauptmann nicht gelockt, wäre nicht plötzlich die strahlende Violette in Erscheinung getreten....
Erscheint lt. Verlag | 2.8.2012 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Emanzipation • Erotik • Erzählung • Erzählungen • Exotik • Gabriela Mistral Foundation Humanitarian Award 2014 • Geschichte • Haiti • Historische Romane • Karibik • Karibik, Geschichte • Kolonialismus • La isla bajo el mar deutsch • Liebe • Medal for Distinguished Contribution to American Letters 2018 • New Orleans • Presidential Medal of Freedom 2014 • Romane • Saint-Domingue • Sklaven-Aufstand • Sklaverei • ST 4290 • ST4290 • Starke Frau • suhrkamp taschenbuch 4290 • Zuckerrohr-Plantagen |
ISBN-10 | 3-518-73545-4 / 3518735454 |
ISBN-13 | 978-3-518-73545-9 / 9783518735459 |
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