Die Dienstagsfrauen (eBook)
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30347-6 (ISBN)
Monika Peetz studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Philosophie in München. Seit 1998 lebt sie als Drehbuchautorin in Deutschland und den Niederlanden. Monika Peetz ist die Autorin der Bestsellerreihe »Die Dienstagsfrauen«. Ihre Romane um die fünf Freundinnen waren SPIEGEL-Bestseller und verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über eine Million Mal. Ihre Bücher erscheinen in 26 Ländern und sind auch im Ausland Bestseller. Bei Kindler Jugendbuch hat sie die Romantrilogie »Herz der Zeit« vorgelegt.
Monika Peetz studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Philosophie in München. Seit 1998 lebt sie als Drehbuchautorin in Deutschland und den Niederlanden. Monika Peetz ist die Autorin der Bestsellerreihe »Die Dienstagsfrauen«. Ihre Romane um die fünf Freundinnen waren SPIEGEL-Bestseller und verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über eine Million Mal. Ihre Bücher erscheinen in 26 Ländern und sind auch im Ausland Bestseller. Bei Kindler Jugendbuch hat sie die Romantrilogie »Herz der Zeit« vorgelegt.
2
»Wir müssen Luc absagen.« Vor ein paar Tagen hatten die Freundinnen noch darüber gesprochen. Als der Dienstag anbrach, dachte keine der Frauen mehr daran.
Arne, der heutige Mann ihrer Freundin Judith, lag im vierten Stock des Kölner Sankt-Josef-Hospitals. »Der vierte Stock«, mit diesen verharmlosenden Worten umschrieben Ärzte und Pflegepersonal allzu freundlich den Trakt mit den Sterbezimmern. Alles war hier gedämpft. Das Licht, die Stimmen, vor allem aber die Erwartungen. Im vierten Stock wartete man auf den Tod. Arne wartete seit sechs Tagen. Und mit ihm Judith und ihre Freundinnen von der Dienstagsrunde, die sich an ihrer Seite abwechselten.
Arnes Krankheit war wie eine Achterbahnfahrt. Jeder Schwung nach oben entpuppte sich als Illusion. Man wurde aufwärtsgezogen, um danach in rasantem Tempo ins Bodenlose zu stürzen. Die schlechten Nachrichten schlugen in schneller Folge ein:
»Inoperabel.«
»Miserable Blutwerte.«
»Chemo schlägt nicht an.«
»Nur noch eine Frage der Zeit.«
Neunzehn Monate war das her. Neunzehn Monate, in denen Arne und Judith das Thema Sterben vermieden hatten, wo sie nur konnten. Judith versuchte den Gedanken, dass Arne bald nicht mehr an ihrer Seite sein würde, beiseitezuschieben. Das Ende sollte trotzdem kommen.
»Wir müssen dafür sorgen, dass immer eine von uns bei Judith ist«, hatte Eva angeregt und die Dienstagsfrauen rund um die Uhr in Schichten eingeteilt. Und doch war sie die Erste, die ausscherte. Lene, Evas dreizehnjährige Tochter, wirbelte den Zeitplan ihrer Mutter mit einem unfreiwilligen Salto vom Fahrrad durcheinander, der ihr einen wackelnden Schneidezahn einbrachte. Eva konnte sie in dieser Situation unmöglich alleine lassen.
»Kannst du rasch einspringen?«, hatte Eva an Caroline getextet.
»Ich mache kurzen Prozess«, versprach die Strafanwältin, die mitten in einer Verhandlung war.
Noch bevor die Ablösung da war, musste Eva sich verabschieden. So geschah das, was alle hatten verhindern wollen: Judith war zum ersten Mal ganz alleine im vierten Stock. Mit sich und der Angst.
»Wir machen Abschied für Familie so intim möglich!«, versprach die robuste Schwester mit hartem osteuropäischen Akzent. Nur ab und an wechselte sie die Infusionen und brachte Tee für Judith, der verdächtig nach Rum roch.
»Illegal, aber gut«, raunte die Frau ihr verschwörerisch zu. »Angst in Alkohol löslich.«
»Vielen Dank, Schwester …«
Wie hieß sie noch mal? Judith hätte die Frau gerne mit ihrem Namen angeredet, konnte sich jedoch keinen Reim auf die abenteuerliche Konsonantenfolge machen, die auf dem enormen tschechischen Schwesternbusen auf und ab wogte.
»Tschechen sind extrem geizig mit Vokalen«, hatte Arne am ersten Tag in einem überraschend klaren Moment gewitzelt: »Sie sollten mit den Finnen über die Herausgabe von Vokalen verhandeln.«
Judith lachte müde.
»Wirklich«, insistierte Arne mit schwacher Stimme, »nimm das Wort Eiscreme: Die Tschechen sagen ›zmrzlina‹. Und die Finnen? ›Jäätelöä.‹«
Judith hatte keine Ahnung, ob das stimmte. Sie verstand nur zu gut, worum es Arne wirklich ging: Selbst auf dem Sterbebett versuchte er Judith aufzumuntern. Bis ihn die Kräfte verließen.
Hilflos musste Judith ansehen, wie Arne matter werdend in die Kissen sank, die Nase spitzer, seine Atmung flacher wurde. Seine Hände flatterten, als wollten sie wegfliegen. Mit jeder Minute mehr entschwand der große, starke Mann, in den sie sich vor fünf Jahren Hals über Kopf verliebt hatte. Trotz seines kitzelnden Barts und seiner Vorliebe für karierte Flanellhemden.
»Der sieht aus, als würde er gleich zur Gitarre greifen und von Whiskey, Frauen und Pistolen singen«, flüsterte Estelle überlaut den anderen Dienstagsfrauen zu, als sie ihn zum ersten Mal trafen.
»Ich habe ein konturloses Gesicht und einen fürchterlichen Kleidergeschmack. Das gehört zu mir«, konterte Arne genauso frech.
Dasselbe empfand er für Judith. Sie gehörte zu ihm. Ganze dreiundsechzig Tage nachdem er sie in der Buchhandlung zwischen Feng-Shui und Buddhismus entdeckt hatte, heirateten Judith und Arne auf einem Rheinschiff.
»Alles im Fluss«, verkündete Arne, »das passt zu uns.«
Die Dienstagsfrauen waren nicht die Einzigen, die von den Ereignissen überrollt wurden.
»Wir freuen uns so sehr, Julia kennenzulernen«, frohlockte eine kugelrunde Tante im fliederfarbenen Ensemble. Sie verströmte den Duft von Mottenkugeln und 4711.
»Sie heißt Judith«, korrigierte Caroline zum wiederholten Mal, denn Arne hatte viele Tanten.
Das Gesicht der alten Dame nahm eine Farbe an, die sich harmonisch zum Fliederton gesellte.
»Macht nichts«, winkte Estelle ab. »Wir haben Anton auch erst vor ein paar Tagen kennengelernt.«
»Arne«, mahnte die Tante, die für Estelles Humor kein Gespür hatte.
»Es kam alles so überraschend«, bestätigte man sich gegenseitig und ging dann zum verwunderten »Wer hätte das gedacht« über.
»Ich«, verkündete Judith. »Ich wusste vom ersten Moment an, dass ich mit Arne alt werde.«
Und jetzt hatte sie das Schicksal in den vierten Stock des Krankenhauses geführt.
Draußen brach zum ersten Mal seit Tagen die Sonne hinter den Wolken hervor, auf den Stationen begann die Besuchszeit, und im vierten Stock tropfte die Zeit. Neunundfünfzig Minuten, bis die Schwester das nächste Mal bei ihr vorbeisehen würde, zehn Minuten für den Tee, drei Minuten, um Arnes Kissen gerade zu rücken, dreizehn Sekunden, bis der Tropfen mit der Morphiumlösung sich löste und im durchsichtigen Schlauch versickerte.
Wo blieb Caroline nur? Jede der Dienstagsfrauen war willkommen. Ihre Gesellschaft tröstete sie. Eva brachte Tupperdosen mit aufmunternden Köstlichkeiten, Estelle den neuesten Klatsch, Kiki gute Laune und einen Hauch Hektik. Aber selbst das fühlte sich besser an als diese Todesstille, in der man nur auf diesen einen letzten Moment wartete.
Vom Gang her kam ein Geräusch. Das waren die Bestatter. Man hörte sie schon von Weitem. Die Stationsbetten klapperten, die Bahren der Totengräber jedoch glitten auf weichen Gummirollen über das Linoleum. Erst war dieses feine Sausen zu hören, dann die schweren Schritte der Angehörigen, die das Sterbezimmer verließen. Ein, zwei Stunden später kam die Desinfektionskolonne mit ihrem hell quietschenden Reinigungswagen. Dann wieder ein klapperndes Bett. Judith hatte dieses Lied des Todes, das im vierten Stock wie ein Kanon immer wieder von vorne begann, in den letzten Tagen schon ein paarmal gehört. Vielleicht war das schlimmer als der rasselnde Atem von Arne.
Als Arne noch gesund war, hatte sie tausend Wünsche. Jetzt nur einen einzigen. Wenn sie nur einmal noch seine Stimme hören könnte, sein ausgelassenes Lachen, einmal noch seine Hände auf ihrer Haut spüren. Einmal noch. Bitte.
Judith wusste nicht, wie sie ohne Arne weiterleben sollte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie aus dem vierten Stock in eine leere Wohnung zurückkehren würde. Wie sollte sie jemals wieder in dem Bett schlafen, in dem sie gemeinsam mit Arne gelegen hatte? Sie hatte das klobige Ungetüm, das ihr Schlafzimmer verstellte, nie gemocht.
Wie merkwürdig. Judith feierte bald ihren vierzigsten Geburtstag und hatte noch nie ein eigenes Bett gekauft. Mit siebzehn hatte sie das heimische Stockbett, das sie mit dem acht Jahre jüngeren Bruder teilte, verlassen und war bei ihrem Freund eingezogen. Kai war siebenundzwanzig und Besitzer einer achtzig Zentimeter breiten Matratze. Bei jeder Bewegung schrammte ihr Arm über die Wand, die sich wie ein Reibeisen anfühlte. Kai hatte Sägespäne in die weiße Wandfarbe gemischt.
»Echte Raufasertapete ist viel zu teuer«, befand er diktatorisch.
Judith liebte bunten Wandbehang in warmen Farben, aber es war Kais Wohnung. Es war auch Kais Geld und Kais Vorstellung vom Leben. Und dazu gehörten Raufasertapete, Sparsamkeit und Eheringe. Selbst beim Sex liebte Kai Berechenbarkeit. Er küsste immer erst eine Diagonale zum Bauchnabel runter und arbeitete sich parallel mit der Handinnenfläche zum rechten Schenkel vor. Als hätte er das aus einem Sexratgeber auswendig gelernt. Nach ein paar Jahren an seiner Seite war Judith so durchgefroren, dass sie zu Wolf mit dem Wasserbett flüchtete. Und später zu Arne. Kai legte Zeitungen auf die Autositze, wenn es regnete. Arne tanzte barfuß durch den Park und wusch die Füße in einer Pfütze.
»Theoretisch«, presste Arne mühsam hervor. Judith schrak zusammen. Seit Tagen herrschte Stille in dem Zimmer und jetzt ein Wort.
»Theoretisch«, murmelte Arne noch einmal, hob die Hand und ließ sie erschöpft fallen. Was Judith auch probierte, wie nahe sie seinem Mund auch kam, es blieb bei diesem einen Wort: »Theoretisch!«
Thomas Mann verlangte auf dem Sterbebett nach seiner Brille, Goethe mehr Licht und Jesus der Legende nach gar nichts mehr. »Es ist vollbracht«, soll er am Kreuz verkündet haben, bevor er zu seinem himmlischen Vater heimkehrte. In Judiths Ohren klang das, als hätten fünf Marketingexperten lange darüber gebrütet, welche letzten Worte sich bei einer Kreuzigung am wirkungsvollsten machten. Arnes letzte Botschaft an die Überlebenden, sein letztes Wort war »theoretisch«.
Sinn ergab das nicht. Ihr erster Mann Kai verkörperte die Theorie. Arne war der praktische Lebensgenießer, unheilbar optimistisch und allem zugetan, was zwischen Himmel und Erde schwebte. Wäre er sonst nach Lourdes gepilgert, zur Grotte der heiligen Maria?
Die Tür flog auf und riss Judith aus ihren Gedanken....
Erscheint lt. Verlag | 19.1.2011 |
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Reihe/Serie | Die-Dienstagsfrauen-Romane |
Die-Dienstagsfrauen-Romane | Die-Dienstagsfrauen-Romane |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben • Film • Freundinnen • Freundschaft • Jakobsweg • Monika Peetz • Pilger-Reise • Sieben Tage ohne • Sommerschwestern • Stammtisch • Witwe |
ISBN-10 | 3-462-30347-3 / 3462303473 |
ISBN-13 | 978-3-462-30347-6 / 9783462303476 |
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