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Kafka (eBook)

Die Jahre der Entscheidungen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2010 | 1. Auflage
704 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401023-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kafka -  Reiner Stach
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1910 bis 1915: Dies sind die Jahre, in denen sich der junge, ungebundene, beeinflussbare Kafka verwandelt in den verantwortungsbewussten Beamten und zugleich in den Meister des präzisen Alptraums und des ?kafkaesken? Humors. In kürzester Frist entstehen ?Das Urteil?, ?Die Verwandlung?, ?Der Verschollene? und ?Der Process?, und in rascher Folge werden alle Weichen gestellt, die Kafkas weiteren Weg bis zum Ende bestimmen werden: die Begegnung mit dem religiösen Judentum, die ersten Schritte in die Öffentlichkeit, die Katastrophe des Kriegsausbruchs und vor allem die verzweifelt umkämpfte und dann doch scheiternde Beziehung zu Felice Bauer. Es sind Jahre beispielloser Intensität: das Zentrum von Kafkas Existenz. Stachs Schilderung ist atmosphärisch dicht und bietet Panoramablicke über Kafkas Welt ebenso wie Nahaufnahmen aus seinem Alltag, wobei auch neueste, bisher unveröffentlichte Forschungsergebnisse aufgenommen werden. Die bildhafte Erzählweise, die den Leser alle Entscheidungssituationen fast filmisch miterleben lässt, setzt neue Maßstäbe in der deutschsprachigen Biographik.

Reiner Stach, geboren 1951 in Rochlitz (Sachsen), arbeitete nach dem Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Mathematik und anschließender Promotion zunächst als Wissenschaftslektor und Herausgeber von Sachbüchern. 1987 erschien seine Monographie ?Kafkas erotischer Mythos?. 1999 gestaltete Stach die Ausstellung ?Kafkas Braut?, in der er den Nachlass Felice Bauers präsentierte, den er in den USA entdeckt hatte. 2002 und 2008 erschienen die ersten beiden Bände der hochgelobten dreiteiligen Kafka-Biographie. 2008 wurde Reiner Stach für ?Kafka: Die Jahre der Erkenntnis? mit dem Sonderpreis zum Heimito-von-Doderer-Literaturpreis ausgezeichnet. Für sein herausragendes Gesamtwerk auf dem Feld der literarischen Biographik erhielt er 2016 den Joseph-Breitbach-Preis. Literaturpreise: 2003 Kulturförderpreis des Landschaftsverbandes Osnabrücker Land 2008: Sonderpreis zum Heimito von Doderer-Literaturpreis 2016: Joseph-Breitbach-Preis

Reiner Stach, geboren 1951 in Rochlitz (Sachsen), arbeitete nach dem Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Mathematik und anschließender Promotion zunächst als Wissenschaftslektor und Herausgeber von Sachbüchern. 1987 erschien seine Monographie ›Kafkas erotischer Mythos‹. 1999 gestaltete Stach die Ausstellung ›Kafkas Braut‹, in der er den Nachlass Felice Bauers präsentierte, den er in den USA entdeckt hatte. 2002 und 2008 erschienen die ersten beiden Bände der hochgelobten dreiteiligen Kafka-Biographie. 2008 wurde Reiner Stach für ›Kafka: Die Jahre der Erkenntnis‹ mit dem Sonderpreis zum Heimito-von-Doderer-Literaturpreis ausgezeichnet. Für sein herausragendes Gesamtwerk auf dem Feld der literarischen Biographik erhielt er 2016 den Joseph-Breitbach-Preis. Literaturpreise: 2003 Kulturförderpreis des Landschaftsverbandes Osnabrücker Land 2008: Sonderpreis zum Heimito von Doderer-Literaturpreis 2016: Joseph-Breitbach-Preis

Einführung


Das Leben des jüdischen Prager Versicherungsbeamten und Schriftstellers Dr.Franz Kafka dauerte 40 Jahre und 11 Monate. Davon entfielen auf die Schul- und Universitätsausbildung 16 Jahre und 6½ Monate, auf die berufliche Tätigkeit 14 Jahre und 8½ Monate. Im Alter von 39 Jahren wurde Franz Kafka pensioniert. Er starb an Kehlkopftuberkulose in einem Sanatorium bei Wien.

Abgesehen von Aufenthalten im Deutschen Reich – überwiegend Wochenendreisen –, verbrachte Kafka etwa 45 Tage im Ausland. Er erlebte Berlin, München, Zürich, Paris, Mailand, Venedig, Verona, Wien und Budapest. Insgesamt dreimal sah er das Meer: Nordsee, Ostsee und italienische Adria. Außerdem wurde er Zeuge eines Weltkriegs.

Franz Kafka blieb unverheiratet. Er war dreimal verlobt: zweimal mit der Berliner Angestellten Felice Bauer, einmal mit der Prager Sekretärin Julie Wohryzek. Mit vermutlich weiteren vier Frauen hatte er Liebesbeziehungen, außerdem sexuelle Kontakte zu Prostituierten. Knapp sechs Monate seines Lebens verbrachte er mit einer Frau in gemeinsamer Wohnung. Er hatte keine Nachkommen.

Als Schriftsteller hinterließ Franz Kafka etwa vierzig vollendete Prosatexte, von denen man – bei großzügiger Auslegung der Gattungsdefinition – neun als Erzählungen bezeichnen kann: DAS URTEIL, DER HEIZER, DIE VERWANDLUNG, IN DER STRAFKOLONIE, EIN BERICHT FÜR EINE AKADEMIE, ERSTES LEID, EINE KLEINE FRAU, EIN HUNGERKÜNSTLER sowie JOSEFINE, DIE SÄNGERIN ODER DAS VOLK DER MÄUSE. In der heute maßgeblichen Kritischen Ausgabe seiner Werke umfassen die von Kafka selbst als abgeschlossen betrachteten Texte etwa 350 Druckseiten.

Darüber hinaus hat Franz Kafka etwa 3400 Druckseiten Tagebuchaufzeichnungen und literarische Fragmente hinterlassen, darunter drei unvollendete Romane. Den testamentarischen Verfügungen zufolge, die er an seinen Freund Max Brod adressierte, sollten alle diese Manuskripte vernichtet werden; eine nicht näher bestimmbare, jedoch beträchtliche Zahl von Manuskriptheften zerstörte er selbst. Brod hingegen hat die Anweisungen Kafkas nicht befolgt, sondern dessen Nachlass, soweit er ihm erreichbar war, veröffentlicht. Auch die etwa 1500 Briefe, die von Kafka erhalten blieben, wurden nahezu vollzählig publiziert.

 

›Wie geht’s?‹ ›Danke, man lebt.‹ Leben ist ein Zustand, keine Tätigkeit. Ob man ein Leben hatte, erweist sich am Ende. Im Jahr 1892 war es, da Italo Svevo seinen ersten Roman veröffentlichte, den Prototyp des modernen Angestelltenromans: EIN LEBEN. Der Protagonist, ein kleiner Schreiber namens Alfonso Nitti, scheint eine bösartige, vorweggenommene Karikatur Kafkas zu sein. Auch Alfonso vermag das erotische Glück nicht zu ergreifen, auch seine Entschlusskraft wird gelähmt von der Ödnis endloser Bürostunden, in denen er sich an die Illusion einer künftigen, geistigen Produktivität klammert, während er tatsächlich nichts zustande bringt als ein paar dürftige Fragmente. Svevo hatte ursprünglich einen anderen Titel im Sinn: »Un inetto« (»Ein Unfähiger«, »Ein Untauglicher«), ehe er sich für das lakonische und darum wirkungsvollere UNA VITA entschied. Geholfen hat es nicht, niemand erkannte das Paradigmatische dieses Helden, und ob das Gerücht des Romans bis an Kafkas Ohr gelangte, ist zweifelhaft.

Ein Leben? Legt man die Maßstäbe der hedonistischen westlichen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts an Kafkas physisches Dasein, so ist das Ergebnis wahrhaft niederschmetternd. Eine Lebensdauer von achtzig Jahren empfinden wir als das biologische Minimum, das uns zukommt. Ein Vierzigjähriger steht im Zenit, er denkt nicht ans Ende. Trifft es ihn dennoch, so spricht man vom halben Leben, das ihm vergönnt war, von Unvollendetheit und Sinnlosigkeit.

Dieses grundlegende Defizit vervielfacht sich, zieht man die gegenwärtig entscheidenden Parameter der Lust-Unlust-Bilanz zu Rate: Gesundheit, Sexualität, Familienleben, fun und adventures, Unabhängigkeit, Erfolg im Beruf. Zwar war Kafka alles andere als eine randständige Existenz, er war sozial integriert und brachte es, immerhin, zum stellvertretenden Abteilungsleiter mit Pensionsberechtigung. Doch er liebte seinen Beruf nicht, und die begrenzte Sicherheit war erkauft mit einer unverhältnismäßig langen und anstrengenden Ausbildung – mit Lebenszeit wiederum. Die Spielräume der Entscheidung, die Vielfalt der Optionen, die heute schon Jugendliche als selbstverständlich reklamieren, blieben Kafka unerreichbar. Noch als Dreißigjähriger wohnte er bei den Eltern, mit Ausnahme weniger Monate verbrachte er sein Leben in ein und derselben Stadt, umgeben von einem kleinen, beinahe konstanten Freundeskreis. Was er besaß, wurde aufgezehrt von Krankheit und Hyperinflation. Von der ›Welt‹ sah er wenig, und das wenige fast stets in Eile, unter dem Druck restriktiver Urlaubsregelungen. Durchaus sparsam auch seine Versuche, sich Kompensation zu verschaffen: Schwimmen, Rudern, Turnen, Gartenarbeit, Erholung in Sanatorien, Ausflüge aufs Land und die bescheidenen Exzesse Prager Weinstuben. Erschütternd aber vor allem das Missverhältnis zwischen den lebenslangen, verzweifelten Anstrengungen, die Kafka auf sexuelle und erotische Erfüllung verwandte, und dem dürftigen, seltenen Glück, das niemals frei gegeben und niemals frei empfangen wurde.

Zu diesen Einschränkungen und Verlusten traten die immensen Opfer an Zeit und Energie, die Kafka der Literatur brachte. Den Akt des Schreibens sah er als den eigentlichen Fokus seiner Existenz, Schreiben beruhigte und stabilisierte ihn, gelungenes Schreiben machte ihn glücklich und selbstbewusst. Auch hier aber ist die äußere Bilanz, das Verhältnis von Aufwand und Ertrag beinahe bizarr. Auf jede Manuskriptseite, die er der Überlieferung für wert hielt, kamen zehn, vielleicht zwanzig Seiten, die er vernichtet sehen wollte. Alle literarischen Projekte, die über den Umfang einer Erzählung hinausreichten, scheiterten. Dasselbe gilt für Versuche in anderen literarischen Gattungen: Die Sprache der Lyrik blieb Kafka unzugänglich, der Plan einer Autobiographie blieb unausgeführt, und auch seine wenigen, halbherzigen Experimente auf dem Gebiet der dramatischen Dichtung blieben ohne greifbares Ergebnis. Man stelle sich vor, im Nachlass eines Komponisten fänden sich, neben einigen wenigen vollendeten Kammermusikwerken, Dutzende abgebrochener Kompositionen, darunter drei unvollendete Symphonien. Ein Gescheiterter, ein Unfähiger? Brod hat lange Jahre versucht, diese in der Geschichte der Weltliteratur beispiellose Situation durch eine tendenziöse Editionsstrategie zu verschleiern. Doch zu verschleiern gibt es heute nichts mehr, die Kritische Ausgabe der Werke liegt vor, und der Eindruck ist unabweislich, dass Kafka als Schriftsteller ein Trümmerfeld hinterlassen hat.

 

Das Leben des Einzelnen interessiert, beeindruckt, wirkt umso mehr, je größer der Radius, den er in der Welt aufspannt. Besitz, Leistungen, Karriere, Einfluss, Macht, Geschlechtspartner, leibliche Nachkommen, Bewunderer, Nachfolger, Feinde: Es ist diese gleichsam horizontale Dimension, die soziale Ausdehnung einer Existenz, die sie sichtbar macht und dem Sog der Anonymität entreißt. Auf eine Weise, die auf den ersten Blick naiv scheint, hat sich Kafka lebenslang mit der Frage beschäftigt, wie man einen solchen Radius stabilisiert und beherrscht, wie man sich Raum schafft in der Welt. Er war ein leidenschaftlicher Leser von Biographien, doch der Eindruck, er habe sie wahllos verschlungen, täuscht. Eine österreichische Gräfin des 18. Jahrhunderts, ein Feldherr, ein Philosoph und ein Theaterautor des 19. Jahrhunderts, ein Plantagenbesitzer, ein Polarforscher und eine sozialistische Aktivistin des 20. Jahrhunderts – ihre Welten mögen inkompatibel sein, nicht jedoch die Strategien und Tricks, mit denen sie den einmal erkämpften Wirkungskreis ihrer Existenz verteidigten und vergrößerten, Strategien, aus denen sich vielleicht – so hoffte Kafka – in der Gesamtschau eine Kunst des Lebens herausfiltern ließe.

Er hat es nicht weit gebracht in dieser Kunst. Kafkas mannigfaches Scheitern ist offensichtlich und unbestreitbar, und die ersten Leser seiner Tagebücher und Briefe verfielen gar dem Eindruck, es müsse sich um ein entsetzlich isoliertes, fragiles, gleichsam immaterielles und in seiner sozialen Realität auf einen Punkt, auf einen Nullradius zurückgeworfenes Wesen gehandelt haben. Hat nicht auch er selbst sich in dieser Weise porträtiert, sprach er nicht gar von einem »ersatzweisen« Leben? Nun ja. Doch man hatte noch nicht gelernt, ihn zu lesen. Ein Geist, ein Insekt, ein Lufthund, ein Affe, ein blinder Maulwurf, ein ewiger Jude – alles wurde ganz wörtlich genommen. Nicht von dieser Welt, das war der Kafka der dreißiger und vierziger Jahre.

Auch heute noch geriete eine Biographie Franz Kafkas, die den Titel EIN LEBEN trüge, unter den Verdacht der (womöglich unfreiwilligen) Ironie. Die Tatsache, dass wir uns über seine sozialen Beziehungen klarer geworden sind, dass er uns gleichsam körperlicher entgegentritt – wozu nicht zuletzt die zahlreichen veröffentlichten Fotografien aus seinem Umfeld beitrugen –, hat daran wenig geändert. Und würden irgendwo ein paar Sekunden Film...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2010
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Zweisprachige Ausgaben Deutsch / Italiensich
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • ARD-Serie Kafka • Berlin • Biographie • Biographien • Daniel Kehlmann • David Schalko • Erster Weltkrieg • Felice Bauer • Franz Kafka • Grete Bloch • Judentum • Julie Kafka • Leipzig • Max Brod • Prag • Proceß • Prozess • Religion • Verwandlung • Wien
ISBN-10 3-10-401023-4 / 3104010234
ISBN-13 978-3-10-401023-6 / 9783104010236
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