Bottom Brass (eBook)
116 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-8022-4 (ISBN)
Peter Möltgen, geboren 1960 in Erlangen, genoss als Jugendlicher eine klassische Oboenausbildung, wandte sich aber bald dem Jazz zu und erlernte in den 80er Jahren autodidaktisch Flöte, Posaune und Tuba. Neben seinem Lehramtsstudium trat er in Regensburg unter anderem mit Axel Prasuhn, Helmut Kagerer, Heinz Grobmeier und Uli Teichmann auf und wirkte von 1986 bis 1991 als Jazzkritiker für die Mittelbayerische Zeitung. Teilnahme an Workshops bei Joe Viera, Pavel Blatny, Don Menza und Thomas Zoller. In München nahm er 1995 als Flötist mit einer Orgelcombo die CD Mellow Acid (Edition Collage) auf und spielte später unter anderem mit Martin Spiegelberg, Peter Tuscher und Leszek Zadlo. Neben seinen Recherchen zur Geschichte des Jazz ist Peter Möltgen auch jazzpädagogisch aktiv und als Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Jazz an Schulen in Bayern Referent bei Lehrerfortbildungen zu den Themen Improvisation und Ensembleleitung, außerdem Posaunist in der Lehrerbigband Bayern. Auf der Tuba spielt er in Ensembles der verschiedensten Jazzrichtungen von Dixieland bis Free Jazz.
3 Traditioneller Jazz (und Blues)
Jazzplatten und damit seriöse Forschungsgegenstände gibt es erst seit 1917, aber es ist, wie gesagt, ein Fakt, dass im archaischen Jazz die Tuba von Anfang an mit dabei war. Bis die ersten Schallplatten des Jazz aufgenommen wurden, entwickelten sich kleinere Besetzungen, die nicht mehr unbedingt zum Marschieren auf der Straße gedacht waren. Deren Musik war es dann auch, die das Interesse des Schallplattenpublikums und damit auch der Produzenten erregte. Die Tuba als ursprüngliches Bassinstrument war dadurch im ersten Jahrzehnt der Jazzschallplatten wenig vertreten.7 Wie schon im vorigen Kapitel erwähnt, ist anzunehmen, dass das Fehlen des Bassinstrumentes und die vergleichsweise Häufigkeit des Kontrabasses bei den frühesten Jazzplatten aufnahmetechnische Gründe hatten, ebenso das Fehlen von zeitgenössischen Aufnahmen der frühen Brass Bands - aber dazu später mehr. Zeitgleich mit den frühen Jazzplatten vollzog sich parallel zur eigentlichen Jazzentwicklung der Übergang vom ländlichen zum städtischen Blues, bei dem die bis dahin in der Gesangsbegleitung dominierende Gitarre durch kleine Ensembles mit recht flexibler Besetzung ersetzt wurde. Mit dem Einsatz der Tuba beginnt hier eine Traditionslinie, die sich mit Tubisten wie Eli Newberger und Jon Sass bis in unsere Gegenwart fortsetzt.8 Im Folgenden sollen frühe Aufnahmen vorgestellt werden, bei denen die Tuba bereits als Soloinstrument erscheint oder im Ensemble besonders prominent mitwirkt.
3.1 Peter Briggs (Louis Armstrong Hot Seven, Jelly Roll Morton)
Im Mai 1927 nahm Louis Armstrong mit seiner „Hot Seven“ innerhalb von acht Tagen elf Seiten für Columbia und Okeh auf. Dafür erweiterte er die Rhythmusgruppe seines Quintetts um Baby Dodds am Schlagzeug und Pete Briggs an der Tuba. Auch wenn das Schlagzeug mehr fühl- als hörbar ist, gewinnt die Musik der Gruppe dadurch ein stärkeres rhythmisches Kontinuum. Briggs´ Beitrag dazu ist unterschiedlich. Bei manchen Titeln wirkt er gehemmt und hängt etwas hinter dem Beat. Als besonders gelungen kann dagegen sein Spiel in den Aufnahmen vom 11. Mai angesehen werden. Bei „Melancholy Blues“ ist er Teil einer wirklich swingenden Rhythmusgruppe, bei „Weary Blues“ spielt er selbstbewusst einen Solochorus über die stop beats , der ahnen lässt, dass er außerhalb der Studiosituation mit ihren strikten Zeitbeschränkungen für die Schellackplattenseiten häufiger soliert hat. Bei „Twelfth Street Rag“ und dem drei Tage später aufgenommenen „That‘s When I‘ll Come Back To You“ darf er im Anfangsthema zumindest kurze Breaks einwerfen. Hörenswert sind auch seine wuchtigen Überleitungsphrasen zwischen den Grundtönen in „Keyhole Blues“. Auf alle Fälle ist Briggs ein kompetenter Spieler. Die erwähnte Unbeständigkeit auf manchen Titeln lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass damals die Aufnahmeleiter in den Studios panische Angst vor lauten Tönen hatten, die die Aufnahmenadel aus der Matrize werfen könnten, und dass es ohnehin schwierig war, in einem Raum die dynamische Balance der verschiedenen Instrumente zu gewährleisten.9 Es ist also möglich, dass Briggs bei den ersten Aufnahmen der „Hot Seven“ noch verunsichert war und sich erst nach und nach an die Studiosituation angepasst hat. Drei Jahre später nahm Briggs mit der Gruppe von Jelly Roll Morton auf und ist in der Rhythmusgruppe als Tubist mit einem weichen Ton und makellosen Timing zu hören. Vor allem aber hat er ein brillantes Solo von 16 Takten in „Strokin‘ Away“. Beweglichkeit, Artikulation und Swing sind bemerkenswert und erinnern an die Art, wie Adrian Rollini auf dem Basssaxophon spielte.
3.2 Aus dem weiteren Umfeld von Jelly Roll Morton
Jelly Roll Morton hat überhaupt zwischen 1926 und 1930 bei seinen Aufnahmen die Tuba dem Kontrabass vorgezogen, möglicherweise weil für seinen kompositorischen Anspruch eine zusätzlich tiefe Bläserstimme wünschenswert war, und dabei einen ganzen Kader von hervorragenden Tubisten zur Auswahl gehabt: neben Pete Briggs und dem noch zu erwähnenden Hayes Alvis sind dies Bass Moore, Quinn Wilson, Harry Hull, Harry Prather, Bill Benford, interessanterweise aber auch zwei weitere Musiker, die eigentlich in der Jazzgeschichte eher für den „endgültigen“ Übergang von der Tuba zum Kontrabass stehen, aber hier auch als Tubisten eine gute Figur machen: Pops Foster und Billy Taylor. Vor allem Foster zeigt sich auf „Big Time Woman“ und „New Crawley Blues“, aufgenommen unter dem Namen des Klarinettisten Wilton Crawley, als zupackender und swingender Begleiter mit einem wuchtigen Ton, während Taylor in der Intro zu „Fickle Fay Creep“ eine prominente Rolle erhält, die wohl dem kompositorischen Geschmack Mortons zuzuschreiben ist. Sein Ton wirkt etwas derber als der seiner Kollegen, seine Artikulation ist dennoch geschmeidig.10
Bill Benford gehört mit Recht zu den häufiger erwähnten Tubisten des traditionellen Jazz. Die Aufnahmen mit Morton aus dem Jahre 1930 zeigen ihn an der Seite seines Schlagzeug spielenden Bruders Tommy als eleganten Begleiter, der auch einmal in den 4/4-Bass wechselt („Each Day“ und „Harmony Blues“) oder die Halben ornamental verbindet. Bei „I‘m Looking For A Little Blue Bird“ tritt Benford mit einem lyrischen, motivisch durchgestalteten Chorus solistisch hervor, der abermals zeigt, dass das Potenzial der damaligen Tubisten weitaus höher war, als allgemein angenommen wird.
3.3 Bei King Oliver und Jabbo Smith: Bill Buford, Bert Cobb und Hayes Alvis
Bert Cobb ist ein sträflich in Vergessenheit geratener Pionier der Tuba im Jazz. Vielleicht liegt diese Obskurität daran, dass er gerade zu der Zeit Mitglied bei den „Dixie Syncopators“ von King Oliver wurde, als dessen Popularität schon nachließ, und die Puristen die früheren Aufnahmen Olivers mit der „Creole Jazz Band“ favorisieren. Zunächst muss gesagt werden, dass auch die „Dixie Syncopators“ eine gute Band sind. Dem aufkommenden Bigband-Trend folgend ist die Besetzung auf zehn Mitspieler angewachsen, wodurch das ursprüngliche Dixieland-Kollektiv meist durch ausnotierte Sätze ersetzt wird. Auffallend ist jedenfalls der straffe, solide swingende Beat der Rhythm Section, an dem Cobb entscheidenden Anteil hat. Vor allem aber hat er in den Arrangements auch manchmal Gelegenheit, solistisch zu brillieren. Das früheste Beispiel – und möglicherweise auch das erste aufgenommene Tubasolo der Jazzgeschichte – ist ein sehr lyrischer, perfekt ausgeführter Chorus bei „Someday Sweetheart“ von 1926, wo die Tuba auch sonst im Arrangement melodische Funktionen ausfüllt. Mindestens ebenso überzeugend ist Cobbs Bluessolo bei „Snag Snag“ (zweite Version) aus dem gleichen Jahr, das durch seine gute Linienführung und schönen Ton besticht. Man beachte vor allem das gelegentliche Anschleifen der Töne und das Vibrato auf den Endnoten der Phrasen! Erwähnt werden sollte außerdem, dass Cobb auch Basslinien in Vierteln spielt, z.B. in „Doctor Jazz“, wo er außerdem auch am Anfang die ersten acht Takte des Themas spielen darf.
Noch frappierender sind allerdings zwei Titel, die Cobb im Jahr 1928 im Trio mit dem Pianisten Tiny Parham und der Bluessängerin Sharlie English aufnahm: „Tuba Lawdy Blues“ und „Transom Blues“. Hier hat seine Tuba eigentlich gleich drei Funktionen: Blues-Bassfiguren, Verdoppelung der Gesangsstimme, aber auch deren Beantwortung. Der dadurch entstehende Dialog zwischen Gesang und Instrument ist mit den Aufnahmen von Bessie Smith und dem Posaunisten Charlie Green vergleichbar. Bestechend ist auch die Ornamentik, mit der Cobb hier seine Bassfiguren gestaltet.
Auch wenn es die chronologische Reihenfolge sprengt, muss hier Ransom Knowling11 erwähnt werden, der an Cobbs Arbeit im Blues-Genre anknüpft. Er ist auf vier Seiten des Bluessängers Doctor Clayton von 1942 zu hören. In der Begleitung ergänzt er hier hauptsächlich den ohnehin schon sicheren Beat des Pianisten Blind John Davis, bei dreien der Titel spielt er auch Solo. „Moonshine Woman Blues“ beginnt gleich mit einem prachtvollen Tubachorus, der seine Überzeugungskraft durch das saubere Timing und die sichere Ansprache, auch auf verschiedenen dynamischen Levels, gewinnt. In manchen Phrasen wirkt sein Ton geradezu zart, was als Entsprechung zu dem Text gedeutet werden kann, der von einer abgemagerten Alkoholikerin handelt. Die Tubasoli bei „My Own Blues“ und „Ain´t No Business We Can´t Do“ stellen ebenfalls seinen melodischen Ideenreichtum unter Beweis. Überhaupt handelt es sich bei diesen Aufnahmen um Blues auf höchstem Niveau, auch was Gesang, Texte und Klavierspiel anbelangt.
Zurück in die 20er Jahre: Cobbs Nachfolger bei den „Dixie...
Erscheint lt. Verlag | 29.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Musik ► Instrumentenkunde |
Schlagworte | Blechblasinstrumente • Geschichte des Jazz • Musik des 20. und 21. Jahrhunderts • Musikinstrumente • Tuba |
ISBN-10 | 3-7693-8022-3 / 3769380223 |
ISBN-13 | 978-3-7693-8022-4 / 9783769380224 |
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