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Wir sind die Roboter (eBook)

Kraftwerk und die Erfindung der elektronischen Pop-Musik

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
384 Seiten
btb Verlag
978-3-641-28476-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir sind die Roboter - Uwe Schütte
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Zum 50. Jahrestag des bahnbrechenden Albums »Autobahn« - die unverzichtbare Werkbiografie der einflussreichsten deutschen Popband aller Zeiten
»Wir sind die Roboter.« Mit diesem gegen die Konventionen und Traditionen des Rock gerichteten Schlachtruf sind Kraftwerk ausgezogen, um von Düsseldorf aus die Welt zu erobern. Mit ihrem revolutionären Konzept einer elektronischen Popmusik waren die vier Mensch-Maschinen-Musiker vermutlich noch einflussreicher als die Beatles. Im Werk der Formation verschmolzen Klang und Technologie, Grafikdesign und Performance, Autobahn und Roboter, modernistische Bauhaus-Ästhetik und rheinische Industriekultur, um so der modernen Popmusik eine elektronische Richtung vorzugeben. Ihr avantgardistisches Konzept einer »industriellen Volksmusik« aus deutschen Landen schuf den tanzbaren Soundtrack zu unserem digitalen Zeitalter. In der Ära der Künstlichen Intelligenz sind die bis heute aktiv den Globus tourenden Kraftwerk daher so aktuell wie nie.

Uwe Schütte, geboren 1967 in NRW, studierte Germanistik bei W.G. Sebald an der University of East Anglia, Norwich, UK und lehrte als Reader in German bis zum Brexit an einer englischen Universität. Er lebt nun als freier Autor, Kulturessayist und Musikjournalist in Berlin. Schütte hat über 30 Bücher geschrieben bzw. herausgegeben, seine Schwerpunkt sind die Gegenwartsliteratur und avancierte Pop-Musik, insbesondere das Werk von Sebald und Kraftwerk.

Vorwort oder:
Ein halbes Jahrhundert


Die Revolution, sie blieb zunächst unbemerkt. Erst nach mehr als einem Jahr begann man in Deutschland langsam zu erkennen, dass sich im November 1974 nicht weniger als die Initialzündung der heimischen Popmusik ereignet hatte. Mehr noch: die Geburt der elektronischen Popmusik aus dem Geiste einer »industriellen Volksmusik«. Kraftwerk und Autobahn. Was für ein Album! Danach war nichts mehr wie zuvor: Menschen machten Musik mit Maschinen. Zukunftsmusik, zu hören im Hier und Jetzt der Bundesrepublik zur Mitte der siebziger Jahre. Klänge, die eine neue Welt hörbar machten, welche erst allmählich als Vorschein unserer Gegenwart sichtbar wurde.

Mit ihrer Konzeptkunstidee einer elektronischen Klangerzeugung zu Unterhaltungszwecken lösten Ralf Hütter und Florian Schneider den wohl gewichtigsten Paradigmenwechsel in der Geschichte der populären Musik des 20. Jahrhunderts aus: Kraftwerk ersetzten Gitarren und Drums durch technische Apparaturen. Sie stylten sich als roboterhafte Mensch-Maschine-Zwitter, irgendwo in der Grauzone »halb Wesen und halb Ding«. Statt Gesang waren plötzlich künstliche Vocals und Computerstimmen zu hören, was ihnen dann die halbe Popwelt nachmachte. Von Depeche Mode bis Detroit Techno, von David Bowie bis Daft Punk, von HipHop bis K-Pop sind die kompositorischen Ideen, künstlerischen Entwürfe und technischen Lösungen, die Kraftwerk in ihrem kleinen Kling-Klang-Studio im Düsseldorfer Bahnhofsviertel ausheckten, zur DNA der Popmusik des 21. Jahrhunderts avanciert.

Die Revolution des Pop durch elektronische Klangerzeugung, sie begann mit Autobahn: Eine Autotür schlägt zu, der Motor wird angelassen, und los geht die Fahrt von links nach rechts durchs Stereospektrum. »Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn …« Nicht wenige Hörer hielten das Stück, das sich über eine gesamte Schallplattenseite erstreckt, zunächst für eine Art Schlager oder Kinderlied – eines der vielen Missverständnisse, die den Werdegang von Kraftwerk begleiteten.

In Wirklichkeit ist das Titelstück »Autobahn« ein avantgardistisches Klangexperiment im Feld der Popmusik: Mit knapp 23 Minuten Spieldauer ahmt es eine Fahrt irgendwo im dichten Autobahnnetzwerk der Rhein-Ruhr-Region nach, die technischen Geräusche schaffen den konzeptuellen Rahmen für eine maschinelle Ästhetik, die die Monotonie des Autofahrens in der musikalischen Motorik spiegelt. Die postmoderne Sequenz, in der das Autoradio angestellt wird, aus dem dann parodistisch der Refrain des Stückes erklingt, ist ein Beweis für den Humor Kraftwerks, der so oft übersehen wird. Der bewusst minimalistisch angelegte Text wiederum liefert eine genaue Bildbeschreibung des Covers. Es zeigt ein Gemälde mit einer lieblichen Naturlandschaft samt Strommasten, durch die eine Autobahn verläuft, die sich im Horizont verliert:

Vor uns liegt ein weites Tal

Die Sonne scheint mit Glitzerstrahl

Die Fahrbahn ist ein graues Band

Weiße Streifen, grüner Rand

Das elektronische Musikstück »Autobahn« ist ein popkulturelles Kunstwerk, ein multimediales Konstrukt aus Konzeptkunst, Klang, Text und Bild. Es fügt sich ästhetisch stimmig zu etwas zusammen, das man in der Tat mit einem Begriff bezeichnen kann, den Ralf Hütter geprägt hat: ein »Musikgemälde«. Dass aus populärer Musik dergestalt Kunst wurde, war etwas grundlegend Neues in Deutschland, genauso revolutionär wie die von Kraftwerk betriebene Verschiebung elektronischer Klangexperimente aus dem Bereich der Neuen Musik in den Bereich des Pop. Die Popmusik wurde erwachsen. Und elektrifiziert, was sich später als unverzichtbare Grundlage ihrer heutigen Digitalisierung erwies.

Fünfzig Jahre ist das nun her. Ein halbes Jahrhundert. Kraftwerk gibt es immer noch. Zwar ist vom Kernteam aus Ralf Hütter und Florian Schneider nur noch Ersterer übrig, doch mit wechselnden Mitspielern tourt Hütter weiter unbeirrt um die Welt, um atemberaubende Live-Performances auf Musikfestivals, in Symphoniehäusern und Kunstmuseen abzuliefern. Es sind Konzerte voll visueller Opulenz, in modernster Mehrkanalakustik und auf der Basis einer kompletten Digitalisierung ihres Werkkatalogs, der live auf der Bühne abgemischt wird, was eine laufende Aktualisierung der Musik zulässt. Oder wie es in »Techno Pop« heißt:

Elektroklänge überall

Dezibel im Ultraschall

Es wird immer weiter geh’n

Musik als Träger von Ideen

Kraftwerk spielen eine Musik, die mehr als fünfzig Jahre alt ist und live dennoch ganz heutig klingt. Der Urgrund der elektronischen Musik. Deren Siegeszug verdankte sich ganz wesentlich dem Bestreben zweier nordrhein-westfälischer Bürgersöhne, in Anbetracht des unbeschreiblichen Horrors der nicht lange zurückliegenden deutschen Vergangenheit eine neuartige Form der »Heimatmusik aus der Rhein-Ruhr-Gegend«, wie Florian Schneider es einmal nannte, zu schaffen.

Das war damals. Den neuen Ton in der deutschsprachigen Musik unserer traurigen, von Krieg in Europa, einer ökologischen Doppelkatastrophe aus Klimawandel und Artensterben, Pandemien und ökonomischen Verwerfungen bedrohten Welt geben mittlerweile andere Gruppen an: Rammstein, Frei.Wild, Andreas Gabalier, Bushido und Konsorten. Bands und Musiker, die entweder mittels faschistischer Ikonografie ein Spiel mit dem Feuer betreiben, scheinheilig mit nationalistischen Positionen kokettieren oder in einer Pop-Variante der sogenannten volkstümlichen Musik rechte bis reaktionäre Botschaften verbreiten, ganz zu schweigen von den im Rap offen sexistischen, homophoben und antisemitischen Parolen. Es ist der Soundtrack des Populismus, der wie ein Gift die Demokratie zerstört.

Ist es angesichts solch deprimierender »Heimatmusik« nicht mehr als gerechtfertigt, den Werdegang einer Musikgruppe zu betrachten, die sich von einer prototypisch deutschen zu einer paradigmatisch europäisch-kosmopolitischen Band entwickelte? Eine Überwindung des Nationalistischen also, was früher einmal, so muss man heute sagen, ein achtenswerter deutscher Charakterzug war. Mit ihrer elektrifizierten Hymne an das deutsche Nationalsymbol Autobahn lösten sich Kraftwerk aus dem Kontext des Krautrock, um danach im Verlauf von nur sieben Jahren ein epochales Konzeptalbum nach dem anderen zu veröffentlichen, auf denen neben ihrer Muttersprache noch Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch und Japanisch zu hören waren.

Mit der Deutschtümelei jener Bands, die national wie international erfolgreich sind und somit als kulturelle Botschafter unseres Landes eine eher traurige Rolle abgeben, haben Kraftwerk allein schon deshalb nichts zu tun, weil sie nur in die deutsche Kulturgeschichte zurückblicken – also auf Stationen wie das Bauhaus oder den Expressionismus –, um gewappnet mit den Energien von damals besser in die Zukunft sehen zu können. Wie unglaublich futuristisch Kraftwerk gegen Ende der siebziger Jahre klangen, können wir heute kaum noch erfassen, hat doch ihr Sound die gegenwärtige Musik mehr als nachhaltig geprägt. Was retrospektiv hingegen klar erkennbar ist und unverändert beeindruckt, ist die evident prophetische Qualität ihres Werks. Zwar betonten Kraftwerk eher die vorteilhafte Seite kommender Technologien, übersahen aber keineswegs die dystopischen Aspekte unserer Computerwelt, als diese zu Beginn der achtziger Jahre anbrach.

Internet oder Mobiltelefone kommen zwar nicht vor in ihrem Werk, man findet aber sehr wohl Ausblicke auf die Digitalisierung aller Lebensbereiche sowie den schleichenden Prozess, den wir gerade durchlaufen und bei dem aus uns Menschen in kleinen und daher kaum merklichen, aber letztendlich unaufhaltsamen Schritten ein posthumanistisches Wesen wird. »Wir sind die Roboter« war 1978 eine innovative Form künstlerischer Selbstinszenierung im Rahmen einer popkulturellen Mensch-Maschine-Ästhetik, die sich von den Klischees der Rockmusik abzugrenzen suchte – heute darf man die Feststellung durchaus wörtlich als trauriges Resümee verstehen, wie weit es für uns alle gekommen ist. Im Kontext der gerade stattfindenden vierten industriellen Revolution, bei der von Künstlicher Intelligenz gesteuerte Maschinen den nächsten evolutionären Sprung vollziehen, werden wir Kraftwerks Optimismus noch dringend benötigen, geben wir das Heft des Handelns doch freiwillig aus der Hand, indem wir uns den denkenden Maschinen anpassen und uns ihnen so untertan machen.

Kraftwerks konzeptionelle Überlegungen und praktische Experimente, wie im Bereich der elektronischen Musik eine erfolgreiche Symbiose zwischen Mensch und Maschine aussehen könnte, haben uns mithin unverändert eine Menge zu sagen. Genügend Gründe, so denke ich, auf eine Entdeckungsreise durch das Werk der künstlerisch bedeutendsten Musikgruppe aus Deutschland zu gehen.

***

Was ist auf den folgenden Seiten zu erwarten? Vielleicht ist es angebracht, im Sinne des Verbraucherschutzes an dieser Stelle klipp und klar zu deklarieren, was das Buch nicht darstellt: Es ist kein Fanbuch und betreibt keinen Musikjournalismus, es liefert keine Bandbiografie und kolportiert auch keine Fakten oder Anekdoten aus dem Privatleben von Hütter und Schneider. Wer einen der genannten Zugänge zu Kraftwerk sucht, sei verwiesen auf die Vielzahl der existierenden Bücher, Broschüren und Ressourcen im Internet.

Obwohl ich hier Fußnoten, oder präziser gesagt: Endnoten verwende und in einem früheren Leben über zwei Jahrzehnte als Universitätsdozent tätig war – der übrigens in Birmingham die erste akademische Konferenz über Kraftwerk organisiert hat –, ist dieses Buch keine kulturwissenschaftliche Studie. Nichts nämlich liegt mir ferner, als hier...

Erscheint lt. Verlag 13.11.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik Pop / Rock
Schlagworte 2024 • Düsseldorf • eBooks • Elekronische Musik • Kunst • Musik • Neuerscheinung • Pop • Zukunft
ISBN-10 3-641-28476-7 / 3641284767
ISBN-13 978-3-641-28476-3 / 9783641284763
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