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Bruch und Kontinuität -  Jutta Braun,  Michael Braun,  Wolfgang Brauneis,  Christian Fuhrmeister,  Nora Jaeger,  Lisa Kern,  Julius

Bruch und Kontinuität (eBook)

Kunst und Kulturpolitik nach dem Nationalsozialismus
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
104 Seiten
Hatje Cantz Verlag
978-3-7757-5739-3 (ISBN)
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Die Kulturpolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit ist nach wie vor nicht aufgearbeitet. Dabei war das Jahr 1945 auch in diesem Bereich nicht einfach eine Zäsur, wie oft angenommen wird. Die Beiträge dieses Buches stellen scheinbare Unvermeidlichkeiten in Frage und versuchen disziplinenübergreifend Möglichkeitsräume zu erschließen, die nicht frei von Widersprüchen sind. Einerseits werden Kunst und Kulturpolitik in der Nachkriegszeit in ihrer Verschiedenheit und unabhängig von ihrem späteren Erfolg betrachtet. Andererseits ist damit eine kritische Reflexion der Forschung und Erinnerung daran verbunden, die erst dazu beigetragen hat, bekannte Narrative zu tradieren und überdies erklärt, warum eine umfassende Auseinandersetzung mit den Kontinuitäten und Brüchen im Bereich von Kunst und Kultur noch immer aussteht. MARIA NEUMANN ist Historikerin. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am documenta Institut und forscht dort zu den NS-Vergangenheiten der documenta-Akteur*innen.  FELIX VOGEL ist Professor für Kunst und Wissen an der Universität Kassel und Mitglied des documenta Instituts. Er forscht u. a. zur Theorie und Geschichte der Ausstellung und zur Conceptual Art.

Abdeckung
Halbe Titelseite
Titelblatt
Inhalt
Kunst als »geistige Wohlfahrt der Nation«: Zur Einleitung
I. (K)ein Blick zurück: Ausstellungspraktiken und -rezeption nach 1945
II. Umgangsformen und Haltungsfragen: Zwischen Aufarbeitung und Vergangenheits-bewältigung
III. Weiter oder anders? Veränderte Fragestellungen und neue Narrative?
Autorinnen und Autoren
Bildnachweis
Impressum

Die Städtische Galerie im Lenbachhaus in der Nachkriegszeit


Akteur*innen, Erwerbungen, Ausstellungen

lisa kern

Als die Städtische Galerie München im Herbst 1945 langsam wieder den Betrieb aufnahm, geschah das nicht nur unter völlig veränderten Vorzeichen, sondern auch in einem Umfeld, das sich in größter Bewegung und Transformation befand. Nur wenige Monate nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs war die Münchner Stadtgesellschaft nicht mehr die gleiche: Rund hunderttausend Displaced Persons – Geflüchtete, Vertriebene, Überlebende, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen – waren in die Stadt gekommen, dazu die Mitglieder der alliierten Streitkräfte und aus dem Exil zurückgekehrte Menschen. Die Münchner Bevölkerung kämpfte mit den Folgen der Luftangriffe: Das Stadtgebiet war zu 45 Prozent, im Bereich der Innenstadt zu 60 Prozent zerstört. 274 Kulturbauten waren demoliert oder schwer beschädigt. Die politische und kulturelle Infrastruktur war in weiten Teilen ausgelöscht. Seit dem 30. April unterstand die Stadt der amerikanischen Militärregierung, die den bis 1933 amtierenden Karl Scharnagl in das Amt als Bürgermeister zurückgeholt hatte. Die Arbeit in der öffentlichen Verwaltung lief unter schwersten Bedingungen: Durch die Entlassung politisch belasteter Personen kam es zu massiven Engpässen bei den Besetzungen vieler öffentlicher Stellen. Die Finanzlage der Kommune war zunächst kaum zu kontrollieren und regulierte sich erst mit dem Finanzausgleich für das Jahr 1946.

Trotz dieser schwierigen infrastrukturellen Umstände kam das Kulturleben der Stadt wieder in Gang. »Der Trümmeralltag […] bedrängte und akzentuierte es in besonderer Weise«,1 denn die bittere Lebensrealität mit Hunger und Armut betraf einen großen Teil der Bevölkerung. Gleichzeitig war das Bedürfnis nach Musik, Theater und Kunst groß. Die Fragen, die sich den Institutionen durch die vorangegangene Gewaltherrschaft des NS-Regimes und dessen Ideologisierung und Missbrauch von Kunst und Kultur stellten, waren von gewaltiger und herausfordernder Dimension. Die »Stunde Null« ist heute längst als Konstrukt entlarvt, das über die ideologischen und personellen Kontinuitäten in allen gesellschaftlichen wie politischen Bereichen hinwegtäuschen und eine Zäsur markieren sollte, die es so nicht gab und die ohne eine entsprechende Aufarbeitung auch nicht zu erreichen war. Wie sollte man sich nun in den Kultureinrichtungen in der ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung« von der Vergangenheit abgrenzen und an welche Ideen konnte angeknüpft werden? Wie konnten Wiederaufbau und Neustart gelingen und welche Handlungsspielräume standen den verantwortlichen Akteur*innen in den Institutionen zur Verfügung?

Mit ihrer Einrichtung im Jahr 1925 war die Städtische Galerie in München eines der wenigen Kunstmuseen, das während der Weimarer Republik gegründet wurde. Der Institution waren nur wenige Jahre unter demokratischen Vorzeichen vergönnt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, dem Weggang des ersten Direktors Eberhard Hanfstaengl (1886–1973) nach Berlin und der neuen Leitung unter dem strammen NS-Ideologen Franz Hofmann (1888–1946) waren ab 1934 Programm und Sammlungstätigkeit gleichgeschaltet; entsprechend waren Ankaufspolitik und Ausstellungen in den folgenden Jahren ausgestaltet.2 Nun galt es, im Herbst 1945 mit diesem schwierigen Erbe zu brechen, zugleich auf Bestehendem aufzubauen und einen neuen Kompass in der Museumsarbeit zu finden.

Ein unbeschriebenes Blatt


Auf Empfehlung des Gründungsdirektors Hanfstaengl – mittlerweile Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen – wurde der Kunsthistoriker Arthur Rümann (1888–1963) auf den Posten des Direktors der Städtischen Galerie berufen (Abb. 1). Am 16. Oktober 1945 ernannte ihn der neue Kulturbeauftragte der Stadt, Hans Ludwig Held, zum Direktor. Er hatte die Leitung für über zehn Jahre inne. Offenbar galt Rümann trotz seiner Verwicklungen in die Netzwerke des Münchner Kunsthandels der 1930er- und 1940er-Jahre als ausreichend unbeschriebenes Blatt. Der zweite Bürgermeister, Dr. Franz Stadelmayer, beschrieb ihn in einem Brief vom 1. Oktober 1945 als den »augenscheinlich […] richtige(n) Mann, um an die Spitze der städt. Kunstsammlungen zu treten.«3 Aus den zwei berühmten Münchner Künstlerfamilien Ramberg und Rümann stammend – deren ruhmreiche Zeiten im 19. Jahrhundert lagen – und mit seinem Forschungsschwerpunkt auf illustrierte Bücher, schien Rümann weit genug entfernt von den kritischen Jahren der NS-Kulturpolitik und ihren verheerenden Auswirkungen. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte in Heidelberg und Berlin, einer Dissertation über das grafische Werk von Honoré Daumier und seinem Militärdienst während des Ersten Weltkriegs war Rümann ab 1919 Assistent an der Graphischen Sammlung in München und ab 1933 im Antiquitäten- und Kunsthandel in München tätig. Seine Mitarbeit 1935 bis 1939 in der von Käthe Thäter »arisierten« Kunsthandlung der Münchner Ludwigs Galerie von Fritz Nathan, seine freiberufliche Händlertätigkeit zwischen 1939 und 1945 sowie die Beteiligung an der »Verwertung« jüdischer Sammlungen waren nicht bekannt oder fielen nicht ins Gewicht.4

Abb. 1

Emil Scheibe, Direktor Arthur Rümann, 1949, Öl auf Leinwand, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München.

Museumsarbeit in Ruinen und ohne Sammlung


Bevor sich im Herbst 1945 inhaltliche Fragen stellten, waren für die Leitung und das Personal des Museums zunächst pragmatische und schnelle Entscheidungen und Handlungen nötig.5 Durch mehrere Treffer von Sprengbomben bei den Luftangriffen der Alliierten hatte das Gebäude der Städtischen Galerie schweren Schaden genommen. Historische Aufnahmen zeigen die Ausmaße: Von dem südlichen Flügel der Villa, dem Lenbach’schen Ateliergebäude, waren nur noch die Außenwände stehen geblieben. Auch die anderen Gebäudeteile hatten teils große Beschädigungen davongetragen (Abb. 2). Herausfordernd war, wie einem Rückblick Rümanns zu entnehmen ist,6 die Gebäudefragmente vor der weiteren Zerstörung durch Nässe und Frost zu bewahren. Es gelang, die Räume im Nordflügel bis zu den Kunstwochen München Sommer 1947 provisorisch einzurichten und für Ausstellungen zu öffnen, doch das Haus blieb jahrelang eine Baustelle. Die Einladung zu einer Vernissage aus dem Februar 1952 spricht für sich: Erst jetzt konnte das Publikum in »wieder geheizten Räumen«7 empfangen werden. Bis zur Wiederherstellung des Atelierflügels dauerte es weitere zwei Jahre, »da die finanziellen Möglichkeiten für einen großangelegten Wiederaufbau nicht gegeben waren«.8 Erst 1954 war die Architektur des Museums wieder vollständig hergestellt.

Abb. 2

Zerstörter Atelierflügel des Lenbachhauses, 1949.

Die Ausstellungsflächen in München waren in den Jahren nach Kriegsende äußerst knapp. Trotzdem konnten 1946 bereits wieder 16 Ausstellungen in der Stadt gezeigt werden, unter anderem im Kulturministerium, im Haus der Kunst sowie in privaten Galerien, wie beispielsweise bei Günther Franke oder in der Galerie Baudenbach. Im Jahr darauf wurden weitere Räume im Kunsthandel, in der Neuen Sammlung und im Bayerischen Nationalmuseum (re)aktiviert. Ab 1949 fand im Haus der Kunst in der Prinzregentenstraße, dem ehemaligen zentralen Ort der NS-Kunstpolitik in München, regelmäßig die vom Verein Ausstellungsleitung München e. V. organisierte Große Kunstausstellung München statt. Diese griff das Konzept der Präsentationen der drei großen Münchner Künstlervereinigungen auf, die in den beiden Jahren zuvor im Lenbachhaus stattgefunden hatten. Auch die erste große Nachkriegsausstellung zur Kunst des Blauen Reiter wurde 1949 im Haus der Kunst gezeigt.

Die Sammlung der Städtischen Galerie war in den Kriegsjahren zu großen Teilen in verschiedene Ausweichlager außerhalb von München verbracht worden, um sie vor den Luftangriffen zu schützen. Nach April 1945 wurden die Objekte von den alliierten Soldaten in diesen Lagern geborgen und zu zentralen Sammelstellen gebracht. In Bayern war dies der Munich Central Art Collecting Point (ccp), der im ehemaligen nsdap-Verwaltungsgebäude am Königsplatz in unmittelbarer Nähe des Lenbachhauses eingerichtet worden war. Dort wurden zehntausende Werke inventarisiert, fotografiert und auf ihre Herkunft überprüft. Eine der Aufgaben des ccp war, Raubkunst zu identifizieren und diese an die rechtmäßigen...

Erscheint lt. Verlag 22.4.2024
Mitarbeit Designer: Rutger Fuchs
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Kunstgeschichte / Kunststile
Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte Aufarbeitung • Ausstellungspolitik • Ausstellungspraxis • Documenta • Documenta-Institut • Dokument • Dokumenta Institut • Geschichte der documenta • Interdisziplinär • Kalter Krieg • Kultur • Kultur Kalter Krieg • Kulturpolitik • Kunst im Kalten Krieg • Kunst im Nationalsozialismus • Kunst und Gesellschaft • Kunst und Kalter Krieg • Museumspraxis • Nachkriegszeit • NS-Vergangenheit
ISBN-10 3-7757-5739-2 / 3775757392
ISBN-13 978-3-7757-5739-3 / 9783775757393
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