Versuch über John Ford (eBook)
472 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-4784-8 (ISBN)
Dirk C. Loew studierte Filmwissenschaft und Amerikanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. "Versuch über John Ford" ist eine nüchterne filmwissenschaftliche Analyse, und setzt den Fokus der Betrachtung ebenso auf Sozialgeschichte, Technikgeschichte und (Mikro)-Historie. Der Autor veröffentlichte filmwissenschaftliche Texte über u.a. die bundesdeutschen Karl-May-Verfilmungen, über Propagandafilme im Dritten Reich und über Howard Hawks.
2. Directed by John Ford
„Build Pictures! Not Words!“ Diese Aufforderung findet sich am Rande eines der von John Ford bearbeiteten Drehbüchern in den John-Ford-Papers. Zwar arbeitete Ford sein ganzes berufliches Leben lang unter den Produktionsbedingungen Hollywoods, doch schaffte er es, sich einen persönlichen filmischen Stil zu erschaffen und über Jahre zu erhalten. Er erarbeitete sich für Hollywood-Verhältnisse ungewöhnliche Freiräume und eine große Unabhängigkeit von den Restriktionen des Studiosystems, finanzieller als auch hierarchischer Art.
Für mich ist Ford ein klassischer amerikanischer Intellektueller. Einer der vorgibt, lieber in der freien Natur zu sein und harte Arbeit zu schätzen, als ein Buch zu lesen, dessen ganzes Haus aber in Wirklichkeit einer Bibliothek gleicht. Howard Hawks fällt ebenfalls in diese Kategorie, auch Ernest Hemingway, William Faulkner, William Wellman, Budd Boetticher, um nur einige zu nennen. Sie pflegen die Attitüde des harten Naturburschen, ein Intellektueller zu sein, gar ein Künstler, käme ihnen nicht in den Sinn. Zeit seines Lebens betrachtete Ford sich deshalb nicht als Künstler, sondern als „hard-nosed craftsman“. Ähnlich wie Regiekollege Howard Hawks, der von sich sagte: „I am a storyteller – not an artist.“9
2.1. American Artist
Interpretationen seiner Filme und einer ihnen gebilligten künstlerischen Intention stand John Ford mehr als skeptisch, geradezu ablehnend, gegenüber. „Ford, of course, notoriously disdained any intellectualizations about or sophisticated interpretations of his work, and denied any preconceived aesthetic ambitions or cultural notions about his films.“10
Fords Äußerungen in Interviews sind als Quellen oder Kommentare zu seinem Werk nur bedingt zu gebrauchen, mehr als einmal erzählt er ganz bewusst Unwahrheiten oder variiert bzw. widerspricht bereits getätigte Aussagen aus vorangegangenen Gesprächen. Aus diesem Grund habe ich seine Interviews nur ganz bedingt als Quelle für diesen Text herangezogen. Sein filmemacherisches Selbstverständnis ist das eines professionellen Hollywood-Regisseurs, der sein Handwerk versteht: „You say someone`s called me the greatest poet of the Western saga. I am not a poet, and I don't know what a Western saga is. I would say that is horseshit. I am just a hard-nosed, hardworking, run-of-the-mill director.“11
Diese Attitüde hat er Zeit seines Lebens gepflegt, ebenso wie seinen Ruf als despotischer Herrscher am Set. Ford galt als schwieriger Interviewpartner, als, wie ein Journalist einst klagte, „the interviewee from hell“. In den mir vorliegenden gefilmten Gesprächen besticht er durch scharfen Verstand und ausgefeilte Rhetorik. Dies gilt ebenfalls für die von Gerald Peary herausgegebene, jüngst veröffentlichte Interviewsammlung. Das projizierte Selbstbild des einfachen Filmhandwerkers hat, in Anbetracht der scharfsinnigen Betrachtungen Fords seinen Gesprächspartnern gegenüber, kaum Bestand.
In einem Interview mit der BBC zum Beispiel verweigert Ford auf die Frage nach der Behandlung der Indianer im Laufe der US-Geschichte die Antwort, solange der Interviewer nicht eine historische Darstellung und Bewertung der Behandlung der Iren durch die Briten abgeben würde. Ford war ein Intellektueller, gebildet in Literatur und Geschichte, und er war ein Künstler, der es verstand, seine persönliche Vision, beruhend auf seinem Wissen, umzusetzen in die stories, Bilder und Figuren seiner Filme. Er glaubte, dass nur die Selbstdarstellung als Regisseur, der ein absoluter Profi und handwerklich-technisch begabter Filmarbeiter ist, ihm das kreative Schaffen im Hollywood-Studiosystem ermöglichte. Der Ruf, eine intellektuelle Künstlernatur zu sein, konnte ihm, beruflich betrachtet, nur schaden. Die Demontage solcher Künstlergestalten wie Orson Welles oder Erich von Stroheim durch die Studios spricht für diese Annahme. Ford hielt sich zudem aus der V.I.P. – Gesellschaft Hollywoods heraus. Keinen einzigen seiner sechs Oscars zum Beispiel hat er persönlich entgegengenommen. Zusammen mit der lebenslang gepflegten, offenbaren Negierung seiner Selbst als Künstler haben diese Umstände sicherlich stark dazu beigetragen, dass er heutzutage, außer in Filmkreisen, einer breiteren Öffentlichkeit, besonders in Deutschland, nahezu unbekannt ist. Anders als seine Filme, ist die Person John Ford, auch in den USA, nicht übermäßig populär: „Though he`s among the great American artists of the century, worth to be discussed with Faulkner and Pollock and Ellington and Ives, John Ford is, in truth, hardly part of our national consciousness.“12
In Fords persönlichen Papieren und Unterlagen offenbart sich allerdings die Seite seiner Persönlichkeit, die er zeitlebens hinter der Attitüde des harten Burschen zu verstecken suchte.
Nicht nur seine Filme, gerade auch viele seiner persönlichen Dokumente sprechen eine lyrische, subtile, künstlerisch bewusste Sprache und strafen Fords professionelle Projektion seiner Selbst Lügen. Wie heißt es doch so schön: „Half an Irish man`s lies are truth“.
2.2. John Ford und der Western – Eine
kurze Genregeschichte
Fords überragende Bedeutung für die Entwicklung des Westerngenres steht außerhalb jedes Zweifels. In seinem zum Standardwerk gewordenen Buch über den Hollywood-Western stellt der amerikanische Filmwissenschaftler William K. Everson eingangs des Kapitels über Ford (übrigens der einzige Regisseur, der in diesem Werk ein eigenes Kapitel erhielt), fest: „In the long run, director John Ford probably contributed more to both the popularity of and artistic respect for the Western, than any other individual. Certainly he made more of them than any other major director, and over the years maintained a substantially higher standard than Howard Hawks, King Vidor, Henry King, and Raoul Walsh.“13
Die frühen Western bis ca. 1912, und das gleiche gilt auch für den frühen Film, waren charakterisiert durch einfache narrative Strukturen und Bildfolgen. Die Laufzeit der Filme betrug meist um die zwei Reels.14 Gleichwohl war die Bildsprache dieser Filme reichhaltig und von großer Schaulust geprägt, dafür spricht unter anderem der hohe Anteil von actionreichen, zirzensischen Außenaufnahmen. Ab 1912, mit dem Aufkommen längerer Filme in Hollywood, den sogenannten features (fünf und mehr Reels), wurde nicht nur eine komplexere Filmsprache, sondern auch analog dazu, komplexere Erzählstrukturen eingeführt.
David Wark Griffith (1875 – 1948) gilt als der Regisseur, der filmische Sprache und Grammatik in den Jahren 1912 - 1915 entscheidend revolutionierte. Griffith` Einfluss auf den Westernfilm und auf Ford ist unbestritten. Eine große Gemeinsamkeit der beiden ist die sentimentale, eher dem Genre des Melodrams zugehörende Grundstimmung vieler Szenen. Griffith war es auch, der versuchte, in seinen Filmen die mythologischen Wurzeln der amerikanischen Geschichte abzubilden. Wie später Ford, so vermischte auch Griffith eine fiktive Handlung mit einem historisierenden Rahmen. Er verwob eine rein fiktionale Narration in den thematischen Rahmen z.B. des amerikanischen Bürgerkrieg, der allerdings so naturalistisch wie möglich filmisch dargestellt und wiedergegeben wurde. Indem Fiktion und historisierender Naturalismus untrennbar miteinander verbunden wurden, erschuf Griffith, und später Ford, die filmische Abbildung unzähliger amerikanischer Mythen. Diese Mythen fanden in den Filmen lediglich ein neues Medium, sie existierten bereits in Literatur, Gemälden, Bühnenstücken, diversen Printmedien wie Zeitungen, Dime-Novels u.ä., nicht zuletzt in mündlicher Überlieferung. Das Verweben von Geschichte und Fiktion in einer Filmerzählung ist bereits so etwas wie das erneute Erschaffen dieser Mythen: „Mythen sind Geschichten. Sie werden erzählt. Die Erzählung ist immer schon Deutung. Sie legt einen roten Faden durch das Labyrinth und folgt seinen verschlungenen Pfaden durch bildhafte Ereignisse, verwirrende Namensvielfalt und Gestaltähnlichkeiten. Der Film spürt den mythischen Stoff der literarischen Vorlagen auf (...).“15
Für das Westerngenre gilt gleichermaßen: „Der Westernfilm besiegelt das Ende des wilden Westens und hält die legendenhafte, verklärte Erinnerung an ihn aufrecht. Er verdeckt die reale Geschichte, indem er sie mythisch überhöht. Grabstein über Heldengräbern. Er erbaut das Bewusstsein Amerikas.“16 Das Bewusstsein Amerikas über seine Geschichte und deren mythologische Bestandteile ist somit die einzige übergreifende, allgemeingültige thematische Klammer der Westernfilme Fords. Wie sich noch zeigen wird, ist diese Klammer allerdings dem Wandel des Zeitgeists sowie der künstlerischpersönlichen Entwicklung seines Schöpfers unterworfen. Denn es ist John Fords Bewusstsein über Amerika ist es, das sich in seinen Filmen im Laufe seiner Karriere spürbar verändert.
Als Ford 1917 seinen ersten Western als Regisseur drehte, war das Genre formal in einer ambigen Phase. Zwei sehr...
Erscheint lt. Verlag | 7.7.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Film / TV |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
ISBN-10 | 3-7519-4784-1 / 3751947841 |
ISBN-13 | 978-3-7519-4784-8 / 9783751947848 |
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