Atonale Götzendämmerung
Königshausen u. Neumann (Verlag)
978-3-8260-6775-4 (ISBN)
Der Autor Julius Korngold, Vater des Komponisten Erich Wolfgang Korngold, war von 1902 bis 1934 bei der Neuen Freien Presse (Wien) als Musikkritiker tätig. Zunächst Assistent Eduard Hanslicks, wurde er 1904 dessen Nachfolger und prägte 30 Jahre lang mit seinen Rezensionen das Opern- und Konzertleben nicht nur in Wien, sondern weit darüber hinaus. Die Herausgeber Prof. Dr. Oswald Panagl ist emeritierter Professor für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Prof. Dr. Arne Stollberg ist Professor für Historische Musikwissenschaft am Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.
Eine der letzten Losungen der "neuen Musik", die doch sonst nichts ausdrücken will, ist die, Ausdruck der Zeit sein zu wollen. "Gott will es!" sangen fanatisiert die mittelalterlichen Kreuzfahrer. "Die Zeit will es!" verkünden nicht minder fanatisch die neuzeitlichen Streiter für Mißklang und Entseelung.Es ist alles falsch an der Phrase, die Deutung bloßer Zeitmode als Zeitinhalt ebenso wie der der Tonkunst angesonnene Beruf, solchen Zeitinhalt wiederzugeben. Das hat sie, die Zeitlose, in ihren höchsten, beglückendsten Schöpfungen nie getan, eher das gerade Gegenteil. Wenn aber unsere Zeit wirklich so entgöttert und entnüchtert, so entseelt und demoralisiert, so unernst und geschmackverlassen wäre, wie es uns "neue Musik" durch ihre Produkte glauben machen will, wenn Vorherrschaft von Kino, Revue, Jazz, seelenloser Amüsierkunst, gesteigerter Entblößungs- und Tanztrieb und ähnliches auf die Gefahr tiefer psychologischer Änderungen der Menschennatur und nicht auf bloße modische Oberflächenerscheinungen weisen würden, so hätten gerade die Musiker einer solchen Zeit die Pflicht - gegen die Zeit zu komponieren. Sie hätten eine weite Kluft zu legen zwischen eine solche Zeit und ihre Kunst, nicht aber das angebliche Zeitchaos in ein Musikchaos umzusetzen oder umgekehrt. Denn nur das entspräche der Urfunktion, der Urbestimmung der Tonkunst. Aber freilich, um diese ihre ideale Funktion aufrechtzuerhalten, um inspirierte, schöne und tiefe Musik zu schaffen, dazu bedarf es der Gnade spezifisch musikalischer Phantasie. Die allerdings mag der Zeit fehlen, wie sie ja überhaupt eine recht seltene Sache ist und ganzen Jahrzehnten, langen Perioden, wie die Geschichte der Tonkunst zeigt, gar nicht oder recht sparsam geschenkt ist. Diese Potenz, diese schöpferische Gnade ist nicht durch klügelnden Intellekt, nicht durch [...] Parteiterrorismus und Musikgeschäftsbetrieb [...] zu erzwingen.Julius Korngold, Atonale Götzendämmerung, S. 267f.
Eine der letzten Losungen der „neuen Musik“, die doch sonst nichts ausdrücken will, ist die, Ausdruck der Zeit sein zu wollen. „Gott will es!“ sangen fanatisiert die mittelalterlichen Kreuzfahrer. „Die Zeit will es!“ verkünden nicht minder fanatisch die neuzeitlichen Streiter für Mißklang und Entseelung.
Es ist alles falsch an der Phrase, die Deutung bloßer Zeitmode als Zeitinhalt ebenso wie der der Tonkunst angesonnene Beruf, solchen Zeitinhalt wiederzugeben. Das hat sie, die Zeitlose, in ihren höchsten, beglückendsten Schöpfungen nie getan, eher das gerade Gegenteil. Wenn aber unsere Zeit wirklich so entgöttert und entnüchtert, so entseelt und demoralisiert, so unernst und geschmackverlassen wäre, wie es uns „neue Musik“ durch ihre Produkte glauben machen will, wenn Vorherrschaft von Kino, Revue, Jazz, seelenloser Amüsierkunst, gesteigerter Entblößungs- und Tanztrieb und ähnliches auf die Gefahr tiefer psychologischer Änderungen der Menschennatur und nicht auf bloße modische Oberflächenerscheinungen weisen würden, so hätten gerade die Musiker einer solchen Zeit die Pflicht – gegen die Zeit zu komponieren. Sie hätten eine weite Kluft zu legen zwischen eine solche Zeit und ihre Kunst, nicht aber das angebliche Zeitchaos in ein Musikchaos umzusetzen oder umgekehrt. Denn nur das entspräche der Urfunktion, der Urbestimmung der Tonkunst. Aber freilich, um diese ihre ideale Funktion aufrechtzuerhalten, um inspirierte, schöne und tiefe Musik zu schaffen, dazu bedarf es der Gnade spezifisch musikalischer Phantasie. Die allerdings mag der Zeit fehlen, wie sie ja überhaupt eine recht seltene Sache ist und ganzen Jahrzehnten, langen Perioden, wie die Geschichte der Tonkunst zeigt, gar nicht oder recht sparsam geschenkt ist. Diese Potenz, diese schöpferische Gnade ist nicht durch klügelnden Intellekt, nicht durch […] Parteiterrorismus und Musikgeschäftsbetrieb […] zu erzwingen.
Julius Korngold, Atonale Götzendämmerung, S. 267f.
Erscheinungsdatum | 31.10.2019 |
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Mitarbeit |
Sonstige Mitarbeit: Lukas Michaelis |
Sprache | deutsch |
Maße | 155 x 235 mm |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Musik ► Musiktheorie / Musiklehre |
Schlagworte | Atonale Götzendämmerung • Eduard Hanslick • Erich Wolfgang Korngold • Julius Korngold • Musikgeschichte • Musikkritiker • Neue Freie Presse • Neue Musik • Neumusik-Ismen • Verlag Doblinger • Wiener Schule |
ISBN-10 | 3-8260-6775-4 / 3826067754 |
ISBN-13 | 978-3-8260-6775-4 / 9783826067754 |
Zustand | Neuware |
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