Brecht / Eisler: Hollywood Songbook
2018
Traumton (Verlag)
070-530446642-1 (EAN)
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„Ich schrieb damals [...] wirklich ein 'Hollywooder Liederbuch'. Das heißt, ich schrieb fast jeden Tag zumindest ein Lied – manchmal auch mehr – entweder nach einem Text von Brecht oder nach Hölderlin [...] oder andere Sachen, zum Beispiel nach Pascal. Und auf eine große Mappe schrieb ich drauf: 'Hollywooder Liederbuch' oder 'Hollywooder Tagebuch', daran erinnere ich mich nicht, und sagte: Das ist so mein Zeitvertreib; das ist, was ich neben der Arbeit mache.“ Hanns Eisler, 13. April 1958, aus: „Gespräche mit Hans Bunge - Fragen Sie mehr über Brecht.“
Der Zeitvertreib des großen deutschen Komponisten blieb tatsächlich auch nach Eislers Rückkehr aus den USA lange Zeit in der Schublade. Bis heute sind die Lieder, trotz ihrer frappierenden Qualität und Intensität, wenig bekannt und werden selten gespielt. Der klassische Pianist Eric Schneider hat sie 1998 mit dem Sänger Matthias Goerne in der Ästhetik des Kunstlieds auf ein Album gebracht. Eine Weile später beschäftigten sich Schneider und Michael Schiefel mit den Stücken, allerdings nur zum Privatvergnügen. Danach trug Schiefel das Repertoire lange im Hinterkopf mit sich herum. „Die Herausforderung war, dass Eisler die Musik so filigran und komplex wie einen Seiltanz angelegt hat. Man kann nicht damit herumspielen oder experimentieren, ohne sie zu beschädigen“, erklärt der Sänger. Die Lösung lautete schließlich: statt die Notation zu ändern, galt es eine andere Instrumentierung zu finden. „Ich schlug die Idee dem Wood & Steel Trio vor und sie waren begeistert, den Klavierteil zu übernehmen“, erinnert sich Schiefel. Noch in die Entwicklungsphase platzte das Angebot des Berliner Jazzfestivals, ihre Version des „Hollywood Songbook“ live zu präsentieren.
„Neben der Kraft der Texte faszinierte uns die Bandbreite der musikalischen Sprache und die kondensierte Substanz der einzelnen Lieder“, beschreibt Marc Muellbauer die Eindrücke, die Eislers Musik beim Wood & Steel Trio hinterließ. Mit Kontrabass, der stählernen, akustischen Dobro-Gitarre, einem metallisch-flirrenden Vibraphon oder einer hölzern, warm timbrierten Marimba orchestriert die Band die Lieder nun völlig neu, veränderte aber so gut wie keine Note des Originals. Grundsätzlich war ihnen diese Arbeitsweise nicht fremd. „Wir hatten schon früher an Arrangements von Klaviermusik gearbeitet, beispielsweise für unser Album Secret Ingredient ein Notturno von Grieg adaptiert“, sagt Muellbauer.
Die Aufteilung der Komposition auf die ungewöhnliche Instrumentenkombination erwies sich dennoch als anspruchsvolles Unterfangen. Viele Ideen, etwa parallel geführte Stimmen, wurden ausprobiert und verworfen. Darüber hinaus wollten die gestandenen Jazzer natürlich nicht ganz auf Improvisationen verzichten. „Die Lieder selbst ließen wir in ihrer kargen Lakonik unangetastet. Aber wir nahmen wenige Takte aus einzelnen Stücken und improvisierten daraus Zwischenspiele, denen wir komplett frei assoziierte Teile entgegensetzen“, erklärt Muellbauer und Schiefel ergänzt, „die neuen Einleitungen reflektieren auf unsere Art die Stimmungen der darauf folgenden Stücke.“
Es ist nicht überliefert, welche Spielweise Eisler für sein Hollywood Liederbuch im Kopf hatte. Zumal er selbst recht nonchalant mit Stilen jonglierte, sich eben nicht irgendwelchen Vorgaben unterwarf, die ihn bei seiner Auftragsarbeit als Filmkomponist quälten. „Ich habe mir vorgestellt, dass dieses eklektische Liederbuch für Eisler ein Weg zu einem innerem Ausgleich war“, sagt Michael Schiefel. Die Idee, sich selbst beim Komponieren keinen stilistischen Rahmen zu setzen, ist für den variablen Sänger natürlich zeitgemäßer denn je.
Michael Schiefel singt Eislers Liederzyklus auf seine individuelle, klangfarbenreiche Art, mit der er in den letzten Jahren nicht nur innerhalb der Jazz-Szene markante Akzente setzte. „Lieder wie Der Kirschdieb und Der Schatzgräber sind mit funktioneller Harmonik ziemlich eingängig angelegt“, skizziert Schiefel das Repertoire, „Vom Sprengen des Gartens" könnte aus dem 19. Jahrhundert stammen, Schatzgräber mit seiner Poesie von Goethe sogar noch älter sein. Dagegen verweisen In den Weiden, Frühling und Der Sohn klar aufs 20. Jahrhundert. Ihre starken Tonsprünge sind zwar nicht richtig atonal, gehen aber manchmal in unerwartete Richtungen und sind sehr anspruchsvoll zu singen.“ Gleiches gilt für das kontrastreiche Nightmare, während An den kleinen Radioapparat seine melancholische Beunruhigung in eine trügerisch schöne Melodie kleidet.
Wenn man Eislers Exilmusik und Bertold Brechts auf der Flucht und in den Vereinigten Staaten verfassten Texte heute hört, kommt man kaum umhin, an Flüchtlingsdramen der Gegenwart zu denken. „Brechts Sprache ist von einer Haiku-artigen Knappheit, es gibt kein Wort zu viel“, konstatiert Marc Muellbauer, „gleichzeitig sind die Gedichte Momentaufnahmen, die in ihrer Intimität etwas Universelles haben. Sie beschreiben die kleinen Dinge, und lassen dadurch das Grauen, durch das sie entstanden sind, unerbittlich hervortreten. Diese 70 Jahre alten Lieder lesen sich angesichts der aktuellen Flüchtlingsschicksale noch einmal komplett und erschütternd neu.“
Der Tiefe und Komplexität von Eislers Hollywooder Liederbuch werden Michael Schiefel und das Wood & Steel Trio mehr als gerecht. Sensibel kreieren sie höchst nuancierte und intensive Interpretationen, transzendieren den Geist der Originale respektvoll in eigenwillige neue Variationen, die über den Tag hinaus Bestand haben. Vielleicht wird es eines fernen Tages keine Fluchten mehr geben müssen, doch selbst dann werden diese Lieder immer noch tief berühren. Besonders in dieser aller Voraussicht nach einmaligen Interpretation des charismatischen Sängers Michael Schiefel mit dem unvergleichlichen Wood & Steel Trio.
Der Zeitvertreib des großen deutschen Komponisten blieb tatsächlich auch nach Eislers Rückkehr aus den USA lange Zeit in der Schublade. Bis heute sind die Lieder, trotz ihrer frappierenden Qualität und Intensität, wenig bekannt und werden selten gespielt. Der klassische Pianist Eric Schneider hat sie 1998 mit dem Sänger Matthias Goerne in der Ästhetik des Kunstlieds auf ein Album gebracht. Eine Weile später beschäftigten sich Schneider und Michael Schiefel mit den Stücken, allerdings nur zum Privatvergnügen. Danach trug Schiefel das Repertoire lange im Hinterkopf mit sich herum. „Die Herausforderung war, dass Eisler die Musik so filigran und komplex wie einen Seiltanz angelegt hat. Man kann nicht damit herumspielen oder experimentieren, ohne sie zu beschädigen“, erklärt der Sänger. Die Lösung lautete schließlich: statt die Notation zu ändern, galt es eine andere Instrumentierung zu finden. „Ich schlug die Idee dem Wood & Steel Trio vor und sie waren begeistert, den Klavierteil zu übernehmen“, erinnert sich Schiefel. Noch in die Entwicklungsphase platzte das Angebot des Berliner Jazzfestivals, ihre Version des „Hollywood Songbook“ live zu präsentieren.
„Neben der Kraft der Texte faszinierte uns die Bandbreite der musikalischen Sprache und die kondensierte Substanz der einzelnen Lieder“, beschreibt Marc Muellbauer die Eindrücke, die Eislers Musik beim Wood & Steel Trio hinterließ. Mit Kontrabass, der stählernen, akustischen Dobro-Gitarre, einem metallisch-flirrenden Vibraphon oder einer hölzern, warm timbrierten Marimba orchestriert die Band die Lieder nun völlig neu, veränderte aber so gut wie keine Note des Originals. Grundsätzlich war ihnen diese Arbeitsweise nicht fremd. „Wir hatten schon früher an Arrangements von Klaviermusik gearbeitet, beispielsweise für unser Album Secret Ingredient ein Notturno von Grieg adaptiert“, sagt Muellbauer.
Die Aufteilung der Komposition auf die ungewöhnliche Instrumentenkombination erwies sich dennoch als anspruchsvolles Unterfangen. Viele Ideen, etwa parallel geführte Stimmen, wurden ausprobiert und verworfen. Darüber hinaus wollten die gestandenen Jazzer natürlich nicht ganz auf Improvisationen verzichten. „Die Lieder selbst ließen wir in ihrer kargen Lakonik unangetastet. Aber wir nahmen wenige Takte aus einzelnen Stücken und improvisierten daraus Zwischenspiele, denen wir komplett frei assoziierte Teile entgegensetzen“, erklärt Muellbauer und Schiefel ergänzt, „die neuen Einleitungen reflektieren auf unsere Art die Stimmungen der darauf folgenden Stücke.“
Es ist nicht überliefert, welche Spielweise Eisler für sein Hollywood Liederbuch im Kopf hatte. Zumal er selbst recht nonchalant mit Stilen jonglierte, sich eben nicht irgendwelchen Vorgaben unterwarf, die ihn bei seiner Auftragsarbeit als Filmkomponist quälten. „Ich habe mir vorgestellt, dass dieses eklektische Liederbuch für Eisler ein Weg zu einem innerem Ausgleich war“, sagt Michael Schiefel. Die Idee, sich selbst beim Komponieren keinen stilistischen Rahmen zu setzen, ist für den variablen Sänger natürlich zeitgemäßer denn je.
Michael Schiefel singt Eislers Liederzyklus auf seine individuelle, klangfarbenreiche Art, mit der er in den letzten Jahren nicht nur innerhalb der Jazz-Szene markante Akzente setzte. „Lieder wie Der Kirschdieb und Der Schatzgräber sind mit funktioneller Harmonik ziemlich eingängig angelegt“, skizziert Schiefel das Repertoire, „Vom Sprengen des Gartens" könnte aus dem 19. Jahrhundert stammen, Schatzgräber mit seiner Poesie von Goethe sogar noch älter sein. Dagegen verweisen In den Weiden, Frühling und Der Sohn klar aufs 20. Jahrhundert. Ihre starken Tonsprünge sind zwar nicht richtig atonal, gehen aber manchmal in unerwartete Richtungen und sind sehr anspruchsvoll zu singen.“ Gleiches gilt für das kontrastreiche Nightmare, während An den kleinen Radioapparat seine melancholische Beunruhigung in eine trügerisch schöne Melodie kleidet.
Wenn man Eislers Exilmusik und Bertold Brechts auf der Flucht und in den Vereinigten Staaten verfassten Texte heute hört, kommt man kaum umhin, an Flüchtlingsdramen der Gegenwart zu denken. „Brechts Sprache ist von einer Haiku-artigen Knappheit, es gibt kein Wort zu viel“, konstatiert Marc Muellbauer, „gleichzeitig sind die Gedichte Momentaufnahmen, die in ihrer Intimität etwas Universelles haben. Sie beschreiben die kleinen Dinge, und lassen dadurch das Grauen, durch das sie entstanden sind, unerbittlich hervortreten. Diese 70 Jahre alten Lieder lesen sich angesichts der aktuellen Flüchtlingsschicksale noch einmal komplett und erschütternd neu.“
Der Tiefe und Komplexität von Eislers Hollywooder Liederbuch werden Michael Schiefel und das Wood & Steel Trio mehr als gerecht. Sensibel kreieren sie höchst nuancierte und intensive Interpretationen, transzendieren den Geist der Originale respektvoll in eigenwillige neue Variationen, die über den Tag hinaus Bestand haben. Vielleicht wird es eines fernen Tages keine Fluchten mehr geben müssen, doch selbst dann werden diese Lieder immer noch tief berühren. Besonders in dieser aller Voraussicht nach einmaligen Interpretation des charismatischen Sängers Michael Schiefel mit dem unvergleichlichen Wood & Steel Trio.
Mitarbeit |
Lyrics: Bertolt Brecht |
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Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
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Zustand | Neuware |
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