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Grant & Ich (eBook)

Die Go-Betweens & die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
368 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-21813-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Grant & Ich -  Robert Forster
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Robert Forster gehört für viele Musikfans in eine Liga mit Nick Cave, Morrissey oder Lou Reed. Ein wortgewaltiger, dandyartiger Songwriter, der seit den später Siebzigern zum Besten gehört, was die literarisch geprägte Popmusik zu bieten hat. Mit dem Songwritingpartner Grant McLennan hatte er einen kongenialen Gefährten, der die gemeinsame Band The Go-Betweens zu einer nicht immer unkomplizierten aber stets faszinierenden Einheit macht.

In diesen unkonventionellen Memoiren erzählt Robert Forster die nahezu 30 Jahre währende Geschichte der Band und seine besondere Freundschaft zu McLennan, der 2006 mit nur 48 Jahren für alle überraschend an einem Herzinfarkt starb.

Robert Forster, geboren 1957 in Brisbane, ist ein australischer Gitarrist, Sänger und Songwriter. Bekannt wurde er als Mitglied der Go-Betweens, die er 1978 mit Grant McLennan gründete. 1989 löste sich die Band auf und Forster startete eine Solokarriere. 2000 reanimierten Forster und McLennan die Go-Betweens und veröffentlichten gemeinsam weitere drei Alben, bevor Grant McLennan im Mai 2006 verstarb, was das definitive Ende der Go-Betweens bedeutete. Forsters letztes Soloalbum 'Songs To Play'erschien 2015 bei Tapete Records.

Ich gehe in den Juni 1957 zurück

Wir lebten Tür an Tür mit den Smiths. Viele Jahre später würde ich als Mitglied der Go-Betweens Plattenlabel und Bühne mit einer juwelen- und blumengeschmückten Band gleichen Namens teilen: The Smiths. Aber 1963 waren Herr und Frau Smith einfach nur unsere ersten Nachbarn. Sie waren ein Jahr nach uns in ihr neu gebautes Haus in der Glenmore Street im Vorort The Gap gezogen. Ich habe Herrn Smith immer beobachtet. Morgens harkte er Laub, werkelte an irgendwas unter seinem Haus herum, und in seiner Freizeit ging er einkaufen. Er hatte auch Zeit für mich – ebenso wie die Verwandten und Freunde meiner Eltern, die uns an jedem Wochenende besuchten und fragten: »Was willst du später mal werden, wenn du groß bist?« Es schien so, als müsste das unbedingt geklärt werden, als ich sechs war. Ich hatte keine Ahnung und antwortete »Feuerwehrmann« oder »Krankenwagenfahrer«, die Traumberufe, die sich ein Junge ausdenkt, der den Erwachsenen gefallen will, die sich aus den Wolken zu ihm hinunterbeugen, um mit ihm zu sprechen.

Aber ich war nicht mit dem Herzen bei meinen Antworten. Ich konnte mir einfach keine Tätigkeit vorstellen, die in der Zukunft den Großteil meiner Zeit beanspruchen würde – und auf einmal konnte ich es doch! Aufgeregt zu meiner Mutter stürmend, erklärte ich: »Ich weiß, was ich werden will, wenn ich groß bin. Ich will werden wie Herr Smith.« Sie lachte. Herr Smith war im Ruhestand.

Da haben wir’s also. Ich wusste es schon damals, und man könnte sagen, dass ich seit diesem Tag im Ruhestand bin.

Als Junge aus einem Vorort von Brisbane wusste ich noch andere Dinge. Ich sah die Arbeitsanzüge meines Vaters – obwohl gewaschen immer noch dreckig – auf der Wäschespinne in unserem Hinterhof flattern. Für jeden Arbeitstag einen. Und sosehr ich meinen Vater liebte, war mir doch klar, dass ich nie tun würde, was er tat: an einem Ort arbeiten, der die Kleidung schwarz machte. Das wurde mir mit sieben bewusst. Ebenso wusste ich, als ich Woche für Woche die Tage im trocknenden Wind kreisen sah, dass ein Leben, so geregelt wie dieses, nichts für mich sein würde.

Meine Eltern, Mary und Garth, mein jüngerer Bruder Tony und ich lebten an der äußersten Stadtgrenze. Damals wurde der Erfolg einer Stadt an ihrer Ausbreitung gemessen, und mit unserem Viertel, das von einer kleinen Bergkette gesäumt wurde, erreichte Brisbane seine natürliche westliche Begrenzung. Junge Familien, nicht reich oder arm, zogen hierher – es lag etwas in der Luft, ein Knistern der frühen Sechziger, das mit denen kam, die sich an den frisch gezogenen Straßen niederließen. Es war, als wäre der junge John F. Kennedy unser Staatsoberhaupt gewesen und nicht der hängebackige Robert Menzies.

Die Forsters waren Teil einer Völkerwanderung, die mich in meinen jungen Jahren zwischen – wie der Songwriter Jonathan Richman es später nennen sollte – »alten« und »modernen« Welten hin und her flippern ließ. Meine Mutter war das einzige Kind geschiedener Eltern aus Toowoomba, die später nach Sydney zogen; mein Vater der jüngste von drei Söhnen aus einer Sippe, deren Lebensmittelpunkt ein riesiges baufälliges Haus im Queenslander-Stil in Hendra war, das sich Cranbrook nannte und zum letzten Mal vermutlich um 1900 gestrichen worden war. Das Anwesen hatte einst viele Morgen innerstädtischen Landes umfasst. Falls sich das jetzt so anhört, als wäre da viel Geld gewesen – dem war nicht so. Ein Vermögen kann genauso gut verschüttet wie verprasst werden – insbesondere bei dreizehn Kindern. Die Söhne, zu denen auch mein Großvater gehörte, wurden auf die verschiedenen Handwerke verteilt – Kesselmacher, Schlosser und Dreher, Letzteres schließlich auch der Beruf meines Vaters –, um ihren Lebensunterhalt bei Forster Engineering Works in der Mary Street in der Innenstadt zu verdienen. Meine Mutter nahm meinen Bruder und mich gelegentlich mit. Es war ein dunkler, lärmender, kathedralengroßer Betrieb, schmierölverkrustet, mit vielen uralten riemenbetriebenen Gerätschaften. Hinter den Maschinen standen unsere Onkel und unser Großvater und nickten uns zu. Unsere adleräugige jungfernhafte Tante Sibbie teilte am Empfang Kokoskekse und Tee aus. Der Betrieb war ein perfekt erhaltenes Stück Industrie aus der Zeit von König Edward VII., das auch noch in den sonnenhellen Sechzigern weiterarbeitete. Mitte der Siebziger wurde das Unternehmen dichtgemacht und zusammen mit Cranbrook verkauft.

1957 im nahe gelegenen Clayfield geboren, durfte ich mit Babyfingern noch das Brisbane der alten Welt berühren und erkunden, und riechen durfte ich es auch. Es war ein muffiger Geruch, der den riesigen Häusern in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entfleuchte, um sich über Tennisplätze, rote Erde und Hecken der höher gelegenen Stadtteile im Norden zu legen. Am stärksten war ich ihm aber in Cranbrook ausgesetzt, dem Zuhause von Sibbie und ihrer unverheirateten älteren Schwester Marcie, in dem einem Gerücht zufolge ein betagter bettlägeriger Onkel in einem der hinteren Schlafgemächer residierte. Die Schränke beherbergten das neunzehnte Jahrhundert – Schwerter, von Motten zerfressene Militäruniformen, Flaggen und Seefahrertruhen aus der Zeit, als die Familie 1833 aus England übersetzte. Einen Hauch davon bekam ich mit, bevor ich in die von Gummibäumen bewachsenen Hügel fortgerissen wurde, wo unser neues Haus gebaut wurde; die Rufe meiner Tanten – »Wie könnt ihr nur so weit rausziehen?« – noch in unseren Ohren. Für sie war The Gap nicht einfach ein paar Meilen entfernt, auf der anderen Seite der Stadt, sondern genauso weit weg wie das Outback-Kaff Birdsville.

Meine Eltern wollten einen Neuanfang. Aber ich würde etwas mitnehmen, ein Gefühl, das nicht nachlassen würde und das mich selbst jetzt, während ich daran denke, lächeln lässt: Ich war der absolute Liebling, der Goldjunge. Der Erstgeborene unter Cousins ersten Grades, der älteste männliche Nachfahre einer schütteren Generation innerhalb der Sippschaft, und ich spürte, wie überaus liebevoll sie mich empfing. Ich wurde verwöhnt und verhätschelt, stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wohin ich auch ging. Den Fotografien nach zu urteilen, die mich freudestrahlend in den Armen von Verwandten und Freunden zeigen, wusste ich diesen Umstand nicht nur zu schätzen, sondern ihn auch zu befeuern. Selbstvertrauen sollte für mich nie ein Problem darstellen. Die Hauptschuldige war, zum milden Entsetzen meines Vaters und Großvaters, meine Großmutter, eine gebrechliche, exzentrische Frau, anfällig für Hypochondrie, die in meiner Gegenwart regelrecht aufblühte. Durch sie und andere erkannte ich, dass von mir Großes erwartet wurde – spürt das jedes Goldkind?

Zu Hause, bei meinen Eltern, wurde ich nicht weniger geliebt, aber auf eine gewöhnlichere Art und Weise; und so war es schließlich ein selbstbewusster, wohlgesitteter Junge, unberührt von seelischen Verletzungen oder sonstigen unglücklichen Ereignissen, der seinen Bildungsweg in der neu gebauten örtlichen Grundschule antrat. Die Geschichte, die meine Mutter über die ersten Schuljahre immer wieder gern erzählt, geht so: Ich wurde gebeten, vor die Klasse zu treten und, wenn möglich, eine Minute lang über einen Bleistift zu sprechen – nach fünf Minuten hörte ich auf. Vorstellungsgabe und, wie ich zugeben muss, eine damit verbundene Befähigung, dummes Zeug zu quatschen, waren im Spiel; aber was mich jedes Mal, wenn ich diese Geschichte höre, wieder erfreut, ist der Gegenstand meiner Rede. Kein Urlaubsfoto oder ein liebevoll gehütetes Spielzeug von zu Hause, sondern ein Bleistift; es ist das Profane und Alltägliche, das mich inspiriert.

Meine ersten eigenen genauen und vollständigen Erinnerungen stammen aus den letzten Jahren in der Grundschule, als ich zehn oder elf bin. Ich bin gut in Kricket, hole in einem Spiel gegen eine andere Schule einen Century (hundert Punkte oder mehr) und hopse vor einer Horde atemloser Kinder über einen Hügel, um eine von mir in Ehren gehaltene Urkunde für den dritten Platz im Querfeldeinlauf zu bekommen. Auch meine schulischen Leistungen sind gut, meine Arbeiten ordentlich, meine Aufmerksamkeit gilt dem Lehrer. Das unterscheidet mich mit der Zeit immer mehr von meinen Mitschülern, die kurz vorm Teenageralter in den späten Sechzigern unter dem Einfluss wilderer gesellschaftlicher Kräfte stehen, die auch bei uns in der Highschool die Straße runter angekommen sind. Die Haare sind nun länger, Rotzen ist eine Kunstform, und für meine Ohren allzu derbe Schimpfwörter ranken sich um die Vornamen der Lehrer. Ich widerstehe. Eine Widersprüchlichkeit im Verhalten, die mich oft gegen den Strom schwimmen lassen wird, setzt ein – wenn Rebellion gefragt ist, bin ich anständig; wenn Anstand gefragt ist, bin ich der lustigste Typ der Schule. Diese Bockigkeit eines Esels wird mich fortan auszeichnen.

Gegenüber von uns lebten die Mitchells. Noel und Dell und ihre Kinder Andy, Peter (»The Bean«) und Julie. Noel war Architekt, und so wie das Haus aussah – ausgedehnt und großräumig –, würden die Häuser zehn Jahre später alle aussehen. Die Mitchells waren die ersten Bohemiens, die ich traf, und sie faszinierten mich sehr. Noels buddhaähnliche Sandsteinskulpturen standen überall im Bambusgarten herum, und exotische schwarze und rote Fische schwammen im Betonteich. Sie hatten Burma-Katzen. Andy war in meinem Alter, und mein Bruder Tony war so alt wie The Bean; die jüngeren Brüder jeweils die Sidekicks ihrer älteren Geschwister. Zu viert gingen wir auf der Jagd nach Streichholzschachteln und Geld die Meile zur Schule an der Waterworks Road...

Erscheint lt. Verlag 2.10.2017
Übersetzer Maik Brüggemeyer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Grant & I
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Kunst / Musik / Theater Musik
Schlagworte Australien • Biografie • Biographien • eBooks • Freundschaft • Früher Tod • Grant McLennan • Indierock • Kunst • Memoir • Musik • Musikerautobiografie • Musikgeschichte • Rough Trade • The Go-Betweens
ISBN-10 3-641-21813-6 / 3641218136
ISBN-13 978-3-641-21813-3 / 9783641218133
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