We'd love to turn you on (eBook)
224 Seiten
Eichborn (Verlag)
978-3-8387-2020-3 (ISBN)
Die Beatles sind kein nostalgisches Phänomen vergangener Zeiten, sie sind ein moderner Klassiker, aufregend, entrückt und doch immer wieder berührend - in ihrer Musik, aber auch als Menschen und Persönlichkeiten. In dieser Anthologie erzählen Autoren unterschiedlichster Generationen Geschichten über das, was sie mit den Beatles, ihrer Zeit und ihrer Musik verbindet. Geschichten, die sich dem schillernden Mysterium der Fab Four autobiographisch, analytisch oder fiktional nähern. Und jede in einem unverwechselbaren Sound, der viel erzählt über das Geschenk, das sie uns mit ihren Songs gemacht haben - und bis heute machen.
NORWEGIAN WOOD ODER: HARALD, WO DER PFEFFER WÄCHST
Elke Heidenreich
Hilde wollte gerade das Haus verlassen, und sie war schon wahrhaftig spät dran, da klingelte es an der Tür. Sie stellte ihre Handtasche wieder ab und öffnete. Draußen stand eine dicke Frau in kurzen Shorts und einem Bob-Marley-T-Shirt. Sie hatte strohig blondiertes, vom Kopf abstehendes Haar, verheulte Augen und trug einen leeren Vogelkäfig in der Hand.
„Mein Leo sitzt in Ihrer Dachrinne“, sagte sie, „kann ich mal reinkommen und ihn locken? Ich bin schon seit drei Straßenblocks hinter ihm her, und hier oben hat er sich endlich niedergelassen.“
„Ich muss aber weg“, sagte Hilde, „und zwar eilig, ich komme sowieso schon zu spät.“ Die Frau sah sie mit Tränen in den Augen an. „Mein Leo sitzt da“, sagte sie mit Nachdruck und wies mit der Hand irgendwohin nach oben.
„Wo, da?“, fragte Hilde einigermaßen ärgerlich, ließ die Frau aber doch in die Wohnung und ging mit ihr zum Balkon. Sie öffnete die Balkontür, die Frau mit dem Käfig kam hinter ihr her, und sie sahen nach oben. In der Dachrinne saß ein schwarz glänzender Vogel mit einem orangefarbenen Schnabel und ein paar gelben Federn am Kopf.
„Leo!“, rief die blonde Frau und hielt den leeren Käfig hoch. „Komm zu Mutti! Was machst du denn für Sachen!“ Leo legte den Kopf schief und sah zu ihnen hinunter. „Ein Papagei ist das nicht“, stellte Hilde fest und machte sich darauf gefasst, nun ganz und gar zu spät zu kommen. „Nein“, sagte die blonde Frau. „Er ist ein Beo.“
„Ein was?“, fragte Hilde, denn der Vogel sah eher aus wie eine Krähe, abgesehen vielleicht von den seltsam aufgetakelt wirkenden farbigen Federn am Kopf.
„Ein Beo“, sagte die Frau, „Gracula religiosa.“
„Dracula?“, fragte Hilde, und die Frau erklärte: „Gracula. Gracula religiosa, so heißt er, nein, er heißt Leo. Beo Leo, und ich bin die Bruni. Er ist mein Ein und Alles.“
Und sie schnalzte mit der Zunge und stieß eigenwillige Gurrlaute aus, um den Vogel zu locken. Der legte den Kopf schief und rührte sich nicht von der Stelle.
„Haben Sie Rosinen?“, fragte Bruni. „Rosinen frisst er so gerne, damit könnten wir ihn locken.“
Hilde schüttelte den Kopf. „Was soll ich mit Rosinen?“, sagte sie, „Ich backe seit Jahren nicht mehr.“
„Und Müsli?“, fragte Bruni, „haben Sie denn kein Müsli, da sind doch Rosinen drin.“
Hilde seufzte und ging in die Küche. Während sie sich bückte, um die Schränke zu durchsuchen, redete Bruni mit dem Vogel. „Du machst Mutti ja ganz traurig“, sagte sie, „da lass ich einmal aus Versehen das Fenster offen, und schon bist du weg, als hättest du es nicht schön bei mir. Du hast es doch schön bei mir!“ Und sie gurrte und schnalzte, und Hilde zog aus der hintersten Ecke eine angebrochene Müslipackung hervor. Sie trug sie auf den Balkon, und Bruni sagte: „So, da müssen wir jetzt die Rosinen raussuchen, Nüsse und Haferflocken mag er ja nicht, gell, Leo, die magst du nicht, nur Rosinen!“
Hilde seufzte, schrieb das Essen bei Ludmilla ab und beschloss, sie anzurufen und ihr zu sagen, dass sie nun endgültig zu spät käme, man solle einfach schon mal ohne sie anfangen.
Ludmilla war wütend. „Verdammt noch mal“, sagte sie, „es ist immer dasselbe mit dir. Alle sind da, der Hase in Rotwein ist fertig, und du trödelst herum. Was machst du denn schon wieder?“
„Im Moment sammle ich Rosinen aus einer Müslipackung“, sagte Hilde, und Ludmilla sagte: „Weißt du was, du kannst mich mal!“, und legte auf.
Hilde seufzte. Sie wusste, dass Ludmilla sich auch wieder beruhigen würde, dass man später durchaus noch friedlich ein paar Gläser Wein zusammen trinken könnte, aber sie wusste auch, dass vom Hasen in Rotwein dann nichts mehr übrig wäre, denn den würden die anderen restlos aufgegessen haben. Hilde redete sich ein, Hase in Rotwein sowieso nicht zu mögen, und Bruni fragte: „Was Wichtiges?“
„Hase in Rotwein“, seufzte Hilde und sortierte Rosinen, Nüsse und Haferflocken. „Ich esse keine Tiere“, sagte Bruni vorwurfsvoll, „Sie sollten auch keine Tiere essen, Tiere sind doch unsere Freunde. Gell, Leo?“
„Ich bin mit Hasen nicht befreundet“, sagte Hilde gereizt, und Bruni erzählte: „Ich hatte mal als Kind einen Hasen, der hieß Elvis. Ich hätte ihn niemals essen können.“
Leo kreischte und schnarrte ein paar Töne und sah aus der Dachrinne zu, wie die beiden Frauen auf dem Balkontisch Rosinen aus einem Haufen Müsli pickten. Es waren schon einige zusammengekommen, und Bruni legte sie jetzt auf ihre flache Hand und lockte: „Komm, Leo, komm zu Mutti, Mutti Rosinchen!“
Der Vogel äugte mit schief gelegtem Kopf, und dann breitete er tatsächlich die Flügel aus, flog aus der Dachrinne herunter auf Brunis Schulter und saß da für einen winzigen Moment. Dann aber, als sie ihn gerade packen wollte, flog er blitzschnell an genau die unerreichbare Stelle zurück, an der er vorher gesessen hatte.
Bruni hatte Tränen in den Augen und sah Hilde an. „Die Rosinen sind zu alt“, sagte sie. „Ihr Müsli ist muffig, so was mag er nicht.“
„So ein Quatsch“, wehrte Hilde sich, „er hat sie ja nicht mal probiert, Sie haben zu schnell nach ihm gegriffen, deshalb ist er weggeflogen.“
„Nein“, beharrte Bruni, „die Rosinen sind alt, das merkt so ein kluges Tier sofort. Damit kriegen wir ihn nie.“ Und Leo knarrte Zustimmung. Bruni schaufelte Haferflocken, Nüsse und Rosinen zurück in den Karton, den sie Hilde gab.
„Da“, sagte sie und zeigte auf die Packung, „Verfallsdatum März, und jetzt ist Juli.“
Hilde warf die Packung in den Mülleimer und nahm ihre Handtasche.
„Ich muss jetzt wirklich los“, sagte sie. Bruni sah sie entgeistert an.
„Aber wir können doch Leo nicht hier sitzen lassen!“, sagte sie.
„Wir?“, fragte Hilde, „es ist doch Ihr Leo, mir ist das ganz egal, wo er sitzt.“ Aber das stimmte nicht wirklich.
„So können nur Menschen reden, die auch unschuldige kleine Hasen essen“, sagte Bruni vorwurfsvoll, „das kommt davon, keine Achtung mehr vor der Kreatur.“ Und zu Leo rief sie hoch: „Keine Angst, Schätzchen, Mutti lässt dich nicht allein. Mutti geht hier nicht weg.“
Hilde setzte sich und steckte sich eine Zigarette an. Bruni lehnte sich an die Balkonbrüstung und schaute hoch zu Leo, den leeren Käfig neben sich. Dann kam sie auf einmal ins Zimmer, wo Hilde dicke Rauchkringel in die Luft blies, und fragte: „Haben Sie Norwegian Wood?“
„Habe ich was?“, fragte Hilde verständnislos.
„Norwegian Wood, von den Beatles“, sagte Bruni. „Das liebt Leo. Wenn er das hört, kommt er sofort.“
„Sonst noch was“, sagte Hilde, „warum nicht das Stabat Mater von Pergolesi.“
„Nein“, sagte Bruni, »Norwegian Wood von den Beatles. Ich habe das so oft gespielt, dass er es nachpfeifen kann, und wenn er das hört, kommt er immer angeflogen. Haben Sie es?“
„Nein“, sagte Hilde, „ich hab nur das Weiße Album von den Beatles, und da ist das nicht drauf.“
„Nein“, sagte Bruni, »Norwegian Wood ist auf Rubber Soul, haben Sie denn Rubber Soul nicht?“
„Nein“, sagte Hilde entnervt und drückte heftig ihre Zigarette aus. „Ich habe Rubber Soul nicht, und ich habe auch keine Zeit mehr und möchte unbedingt jetzt diese Wohnung verlassen.“
„Auf Rubber Soul ist auch Baby, you can drive my car«, sagte Bruni, „beepbeep’n beepbeep-a-yeah.“
„Ich gehe jetzt“, sagte Hilde und stand auf.
„Aber Sie kennen doch Norwegian Wood, oder?“ fragte Bruni und begann mit zittriger Stimme zu singen: „I once had a girl, or should I say, she once had me? She showed me her room, isn’t it good? Norwegian Wood.“
„Kenn ich“, erinnerte Hilde sich unlustig, „aber das mochte ich nie. Ich mochte am liebsten Eleanor Rigby«, und sie sang: „Ah, look at all the lonely people, where do they all belong?“
Bruni nickte. „Waren schon grandios, die Beatles“, sagte sie. „Wissen Sie noch, Yesterday?“ Und schon sang sie und fing dabei auch noch an zu weinen: „Yesterday, all my troubles seemed so far away, now it looks as though they’re here to stay … Ich kann doch auch nichts dazu, dass der Leo jetzt gerade hier oben bei Ihnen sitzt, mein Gott. Er ist doch mein Ein und Alles, ich kann ihn da doch nicht einfach sitzen lassen.“
Sie zog ein zerknülltes Taschentuch aus der Tasche ihrer Shorts und putzte sich laut die Nase. Leo schnarrte, Hilde seufzte.
„Nein“, sagte sie, „das sehe ich ein, aber was sollen wir denn machen, er sitzt nun mal da und kommt nicht runter, und ich bin zum Essen eingeladen.“
„Hase in Rotwein“, sagte Bruni vorwurfsvoll. Beide Frauen schwiegen.
„Könnten wir nicht zusammen Norwegian Wood singen?“, fragte Bruni schließlich. „Das mag er so gern, dann kommt er vielleicht.“
„Aber ich kenn doch Norwegian Wood kaum“, sagte Hilde, und Bruni fing wieder an: „She asked me to stay and she told me to sit anywhere. So I looked around and I noticed there wasn’t a chair.“
„Großer...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2012 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Kunst / Musik / Theater ► Musik | |
Schlagworte | A Hard Day's Night • All you need is love • Back in the U.S.S.R. • Beatles • Beatmusik • britische Rockband • Can't Buy Me Love • Day Tripper • die Beatles • England • Erzählung • From Me to You • George Harrison • Get Back • Great Britain • Hel! • Help • Hey Jude • I Feel Fine • I'll Get You • I Want To Hold Your Hand • John Lennon • Kultur • Lady Madonna • Let it Be • Litcom • Liverpool • London • misery • Musik • Paperback Writer • Paul McCartney • Penny Lane • Please Mr. Postman • Pop • Revolution • ringo star • Rock • Rockband • Rolling Stones • Sgt. Pepper • something • Sonstige Belletristik • The Ballad Of John and Yoko • The Beatles • This Boy • Ticket To Ride • UK • United Kingdom • Yellow Submarine • Yes It Is • Yesterday • Yoko Ono |
ISBN-10 | 3-8387-2020-2 / 3838720202 |
ISBN-13 | 978-3-8387-2020-3 / 9783838720203 |
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