The Kingdom over the Sea - Die Stadt hinter den Sternen (The Kingdom over the Sea 2) (eBook)
352 Seiten
arsEdition GmbH (Verlag)
978-3-8458-5564-6 (ISBN)
Zohra Nabi wurde 1998 geboren. Bereits als Kind erfand sie zahlreiche Geschichten für ihre beiden jüngeren Schwestern. Später studierte sie Jura an den Universitäten Cambridge und Oxford, träumte aber insgeheim davon, Autorin zu werden. Jetzt lebt sie in London, stöbert in Buchläden und schreibt magische Abenteuer.
Kapitel 2
Meri handelte schnell. Mit einem Wink ihrer Hand transportierte sie sie in Leylas Hütte. Die Zauberin arbeitete an ihrem Kessel, mit Shehzad in seiner Rabengestalt auf ihrer Schulter, und blickte kaum auf.
»Meriyem, ich habe dir doch gesagt, ich will nicht –«
»Leyla«, unterbrach Meri sie so energisch, dass die Zauberin sich umdrehte. Sie erfasste die Situation sofort, nahm Yara den Kater ab und legte ihn auf den Tisch. »Wo habt ihr ihn gefunden?«
»Am Waldrand, direkt hinter der Grenze«, antwortete Yara, die genau wusste, dass der nach ihrer Klettereinlage zerschlissene Schalwar und ihr zerzaustes Haar zweifelsfrei verrieten, dass sie der Zauberin einmal mehr nicht gehorcht hatte. Doch Leyla ließ den Blick wieder sinken und untersuchte den Kater genauer.
»Er ist schwer verletzt«, sagte sie und betastete prüfend sein Fell. Das Tier schien es kaum wahrzunehmen. Seine Augen waren halb geschlossen, sein Atem ging rasselnd. »Diese Wunden sind mehrere Wochen alt. Sie sehen aus, als wären sie durch etwas Scharfes verursacht worden. Shehzad!«
Leyla sprach kurz mit ihrem Vertrauten, der nickte und schließlich zum Tisch flog. Er verwandelte sich von einem Vogel in eine Wolke aus glutwarmem Licht und umhüllte den Kater. Die Luft wurde von einem leisen Brummen erfüllt, bei dem es sich um eine Form der Kommunikation zu handeln schien.
Yara hatte Mühe, geradeaus zu denken. Die Luft schien durch den Raum zu flirren, das Feuer im Herd wirkte ungewöhnlich grell. Wenn die Wachen auf den Vertrauten der Großen Hohemagierin mit Schwertern losgegangen waren, was hatten sie dann erst Ismah Parveen selbst angetan? Und womöglich bereits vor Wochen …
Yara spürte Meris Hände auf ihren Schultern und wurde sanft zu Leylas Werkbank geschoben, damit sie sich setzen konnte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie zitterte, und ein ersticktes, verängstigtes Schluchzen kroch ihr in die Kehle.
»Schon gut«, hörte sie Meri sagen. »Es wird alles gut.« Doch als sich die Finger der Zauberin noch fester in Yaras Schulter gruben, wurde ihr klar, dass Meri einfach nur keine anderen Trostworte fand. Yara streckte eine Hand nach dem auf dem Tisch liegenden Kater aus und schob sie ihm wie ein Kissen unter den Kopf.
Es war dunkel. Männer brüllten und Ketten rasselten. Bewegung, Zerren durch Gänge. Das Glänzen von Schwertern im flackernden Lampenschein.
Yara schnappte erschrocken nach Luft, zog ihre Hand zurück. Dann wappnete sie sich, streckte die Hand wieder aus und streichelte behutsam den Kopf des Katers, wobei sie aufpasste, die blutige Schnittwunde an der Stelle, wo einst sein Ohr gewesen war, nicht zu berühren.
Und plötzlich wurde Yara davongetragen – genau wie damals, als Ismah Parveen ihr gezeigt hatte, wie die Inquisition begonnen hatte. Nur dass sie diesmal die Szenerie nicht von außen sah, nicht aus der Perspektive einer Beobachterin. Die Handgelenke waren ihr hinter dem Körper gefesselt, eine scharfe Schwertspitze bohrte sich in ihren Rücken. Ihre Füße waren blutig, die Knöchel wund von den Eisenschellen.
Dann eine Stimme, so leise, dass sie kaum zu hören war, aber angespannt vor Konzentration.
»Sag ihr … sag ihr ›Nach Hause‹. Sie – sie muss nach Hause gehen.«
Die Wachen drehten sich nicht um. Yara begriff, dass die Frau – Ismah, es musste Ismah sein – die Worte nicht sprach, sondern dachte, so kraftvoll und nachdrücklich sie irgend konnte. Doch die Verbindung war zu schwach, weshalb nur zwei Worte herausstachen …
Nach Hause, nach Hause, nach Hause …
Noch ehe Yara über die Worte ihrer Mutter nachdenken konnte, wurde sie so jäh aus der Vision gerissen, dass sie rückwärtstaumelte und beinahe über einen Kissenberg stolperte. Sie blickte sich um, um zu sehen, ob es jemand bemerkt hatte, aber Leyla und Meri träufelten dem Kater gerade den Inhalt einer Phiole ins Maul und nahmen nichts anderes wahr.
»Seine Verletzungen sind ernst.« Leyla blickte Shehzad an. »Wie ist das möglich? Wie kann ein Dschinn einem Schwert zum Opfer fallen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Shehzad. »Er ist dem Tod so nahe, wie unsereins es nur sein kann. Er wird die Nacht vielleicht nicht überstehen. Ich bezweifle, dass seine Vertraute in besserem Zustand ist –«
Meri unterbrach ihn. »Warum gehst du nicht nach draußen, Yara?«
»Ich … aber ich sollte …« Yara blickte zwischen ihr und dem Kater hin und her. Etwas Schweres steckte in ihrer Kehle, der Schrecken von Shehzads Worten. »Er ist nur deswegen verletzt worden, weil er nach mir gesucht hat …«
»Deine unangebrachten Schuldgefühle werden nicht dabei helfen, ihn wieder gesund zu machen«, erwiderte Leyla mit fester Stimme. »Geh, Yara – geh zu Rafi und Mehnoor.«
Yara schaute zu den beiden Zauberinnen und wusste, diese Auseinandersetzung würde sie nicht gewinnen. Mit einem letzten hilflosen Blick auf den Vertrauten ihrer Mutter verließ sie Leylas Haus.
Sie fand ihre Freunde vor dem Haus, in dem Rafi mit seiner Großtante Bhushra Al-Qamar wohnte – der Respekt einflößenden Matriarchin einer der mächtigsten Familien des alten Zehaira. Madam Al-Qamar hatte ihre Vergiftung mit allerletzter Kraft überlebt, doch dieser Kampf hatte seinen Tribut gefordert. Wann immer Rafi nicht gerade Leyla in den umliegenden Dörfern half, war er an ihrer Seite und nutzte seine neu entdeckten heilenden Fähigkeiten, um ihre Beschwerden zu lindern. Nach allem, was Yara gesehen hatte, wurde es ihm jedoch nicht sonderlich gedankt.
»Jaja, ich sitze bequem«, blaffte Madam Al-Qamar ihren Großneffen an, der sie soeben in einem Sessel zurechtschob, während Mehnoor ihre Beine mit ein paar Schals zudeckte. »Setz mich hin, wo du willst, was kümmert es mich? Du wirst mich ohnehin bald ins Grab werfen.«
»Ja, Tante Bhushra«, erwiderte Rafi geduldig.
Mehnoor bemerkte Yara als Erste. »Da bist du ja wieder, das ist – Yara, was ist denn los?«
Yara brachte die beiden auf den neuesten Stand. Ihre Stimme zitterte, als sie die schlimmsten Verletzungen des Katers beschrieb. Mehnoors Augen füllten sich mit Tränen.
»Dann denkst du also, sie hätten deine Mutter woandershin gebracht?«, fragte Rafi. »Das wäre einleuchtend – warum sie weiter an einem Ort festhalten, an dem du sie schon einmal gefunden hast?« Er gab ein ungeduldiges Brummen von sich. »Wir hätten schon vor Monaten nach Zehaira zurückkehren sollen!«
»Jetzt weiß ich nicht mehr, wo sie ist«, stieß Yara heiser hervor, darum bemüht, ihre Stimme zu zügeln. »Ich kann sie nicht retten. Ich kann überhaupt nichts tun.«
»Doch, kannst du.« Mehnoor blinzelte entschlossen ihre Tränen weg. »Du kannst alles schaffen, Yara. Das hier ist nur ein kleiner Rückschlag.«
»Aber wie? Das Einzige, was meine Mutter sagen konnte, war ›Nach Hause‹. Was soll das bedeuten? Ich hatte nie ein Zuhause bei ihr.«
»Vielleicht meinte sie damit, dass du hierbleiben sollst. Sie wollte, dass du in Sicherheit bist – und sie wusste, du würdest dir Sorgen um sie machen.«
»Ja, klar«, sagte Rafi, sein Tonfall triefend vor Ironie, »die berühmte Sicherheit in unserem belagerten Dorf, umzingelt von Soldaten, die uns vernichten wollen.«
Yara schüttelte den Kopf, um die Stimmen ihrer Freunde daraus zu verbannen. »Das hat sie nicht gemeint. Sie wollte mir sagen, dass ich irgendwo hingehen soll. Das weiß ich genau. Ich glaube … ich glaube, sie meinte ihr Zuhause. Wo wäre das?«
»Was flüstert ihr da?«, rief Bhushra von ihrem Platz aus mit scharfem, listigem Blick. »Glaubt ja nicht, ich würde nicht merken, wenn ihr drei irgendwas ausheckt.«
Yara unterdrückte ein Stöhnen. Madam Al-Qamar erinnerte sie sehr an ihre alte Mathematiklehrerin. Aber Rafis Augen begannen zu leuchten.
»Wir haben nur gerade über die Große Hohemagierin gesprochen«, sagte er bedeutungsvoll. »Du kanntest sie doch, nicht wahr?«
»Selbstverständlich.« Bhushra richtete sich voller Stolz auf und die drei gingen zu ihr hinüber. »Keine Familie hatte bessere Verbindungen als das Haus Al-Qamar. Bevor ich die Entscheidung traf, ein Leben voller Reisen und Abenteuer zu führen, war ich bei allen magischen Familien der Stadt eine geschätzte Gästin. Ich kannte Ismah Parveen schon, als sie noch ein kleines Mädchen war, Süßigkeiten aus der Küche mopste und Katzen durch die Gärten jagte.« Sie runzelte die Stirn und musterte Yara genauer. »Du siehst ihr übrigens ziemlich ähnlich – stand deine Familie den Parveens jemals nahe?«
Yara biss sich auf die Unterlippe. »Meine Mama war Hebamme – unsere Familie hat nie Magie praktiziert.«
Mehnoor drückte ihre Hand. Sie hatten vereinbart, dass niemand erfahren sollte, wer ihre biologische Mutter war, weil es eine zu große...
Erscheint lt. Verlag | 30.9.2024 |
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Übersetzer | Doris Attwood |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-8458-5564-9 / 3845855649 |
ISBN-13 | 978-3-8458-5564-6 / 9783845855646 |
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