Greta (eBook)
176 Seiten
TULIPAN VERLAG
978-3-641-32926-6 (ISBN)
Sigrid Zeevaert, 1960 in Aachen geboren, studierte Lehramt für die Primarstufe. Seit über 30 Jahren schreibt sie Kinder- und Jugendbücher, Drehbücher, Hörfunkbeiträge und Kindertheaterstücke.
Kapitel 1
Das war ja mal wieder klar: Wochenlang habe ich darauf gewartet, dass was passiert und Mama in den Ferien doch noch mit mir irgendwohin fährt. Wo aus Paris und dem Eiffelturm ja schon nichts geworden ist. Und aus Venedig, wo man mit Gondeln über die Kanäle fährt. Auch von Südfrankreich, wo es riesige Lavendelfelder gibt und es bis zum Meer nicht mehr weit ist, hat Mama immer nur geschwärmt und wir haben es dann doch nicht gemacht. Nichts hat gepasst, weil wieder so viel Stress in der Firma war, dass Mama dachte, sie kann auf keinen Fall weg. Ihre Arbeit geht immer vor. Mama glaubt, ohne sie laufe sowieso alles schief. Bloß, was aus mir wird, interessiert sie irgendwie nicht. Da kann sie tausendmal behaupten, sie wäre vor allem doch nur froh, dass es mich gibt.
Manchmal bin ich ganz schön sauer auf sie. Weil ich so ziemlich die Einzige in der Klasse bin, die in diesem Sommer gar nicht wegfährt.
Tja, und ausgerechnet jetzt, wo Mias Vater mit uns klettern gehen will, fällt Mama ein, dass sie noch eine alte Freundin hat, die in Norddeutschland wohnt. Jahrelang haben sie nichts voneinander gehört und dann hat Mama im Internet nach ihr gesucht und sie wiederentdeckt.
»Sie hat ein Haus direkt am See, stell dir vor«, erzählt Mama aufgeregt, nachdem sie sie einfach angerufen hat. Über eine Stunde haben sie telefoniert. »Das habe ich gar nicht gewusst. Und dass sie zwei Kinder hat. Schafe übrigens auch. Und Katzen. Und einen Hund. Sie hat uns eingeladen. Wir könnten für ein paar Tage kommen.«
»Und wann?« Ich schaue Mama an. »Die Ferien sind bald vorbei.«
Mama seufzt. »Ich weiß«, sagt sie. »Wir sollten uns schnell entscheiden.« Sie holt Luft. »Wie wäre es, wenn wir gleich morgen früh losfahren würden?«
»Aber …« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. »Und was wird dann aus unserem Klettern?«
»Ach das.« Mama schluckt. »Lässt sich das nicht verschieben?«
In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Und am liebsten würde ich sagen: »Dazu ist es zu spät.« Dabei ist ein See in Norddeutschland immerhin besser als nichts.
»Es würde uns guttun«, sagt Mama. »Meinst du nicht auch?«
Vielleicht hat sie recht. Ich finde es trotzdem gemein, dass sie erst jetzt damit kommt, und schiebe sie von mir weg, als sie mich in den Arm nehmen will. »Ich muss noch mal los«, murmele ich. »Mit Mia und Lea reden.«
Mama nickt. »Sei lieb«, sagt sie. »Und bleib nicht zu lang. Wenn wir wirklich fahren, müssen wir ja noch packen. Und …« Sie schaut mich fest an. »Verdirb es uns nicht.«
»Pff!«, mache ich und atme tief durch. Dann renne ich die Straße runter um die Ecke herum. Mia und Lea warten schon auf mich. Stolz zeigen sie mir die Powerriegel, die sie für unsere Tour eingekauft haben.
»Klar«, sage ich. »Es ist nur …« Ich brauche drei Anläufe, bis ich damit rausrücke, dass ich nicht mitklettern kann.
»Wie?«, protestiert Mia. »Das kannst du doch nicht machen?«
»Ich glaube, ich muss«, murmele ich.
»Wie ungerecht!«, stöhnt Lea auf und schlägt mit der Hand auf den Tisch. »Andererseits …« Ein Lächeln tritt plötzlich in ihr Gesicht. »Irgendwie ist es natürlich auch wieder toll. Ich meine, für dich.«
Auf einmal reden wir nicht nur übers Klettern, das sich bestimmt nachholen lässt und für das man eigentlich schönes Wetter braucht, was in dieser Woche hier gar nicht so sicher ist. Dafür ist es in Norddeutschland im Moment gut, hat Mama vorhin gesagt. Und wo ein See zwar noch kein Meer ist und Mama es mit ihren Spontanideen manchmal auch übertreibt.
»Trotzdem«, sagt Lea, »musst du da hin.«
Mia überlegt, dass so ein See doch bestimmt groß genug für uns drei ist. »Dann kommen wir einfach mit«, sagt sie und grinst.
Ich grinse auch, weil klar ist, wie sie es meint. Und weil sie und Lea wirklich meine Freundinnen sind. Wir malen uns aus, wie wir stundenlang im See schwimmen würden. Und bis auf den Grund tauchen. Und in der Sonne liegen. Und natürlich schauen, wer sonst noch da ist.
»Vielleicht gibt es am See ja auch Jungen«, seufzt Mia und guckt wieder so, wie sie nur guckt, wenn sie davon anfängt. Auch Lea fällt natürlich gleich was dazu ein.
Ich stöhne auf und verspreche trotzdem, sie über alles zu informieren. Erwähne aber nicht, dass Mamas Freundin immerhin zwei Kinder hat. Erst mal will ich sie sehen. Ein Mädchen ist zum Glück dabei. Leider ist sie jünger als ich. Mehr weiß ich nicht. Und bin froh, dass wir irgendwann von Seeungeheuern reden, auch wenn die frei erfunden sind. Im Gegensatz zu Süßwasserfischen. Mit denen kennt Mias Vater sich aus, weil er nicht nur klettert, sondern manchmal mit Tauchanzug und Sauerstoffflasche bis auf den Grund von Seen taucht.
»Da unten«, sagt Mia, »findet man alles Mögliche: Schuhe, Eisengestelle, Überreste von Booten. Und manchmal sogar einen Schatz.« Wir reden über alles, was uns gerade einfällt, und trinken Cola, die Mia aus dem Kühlschrank stibitzt hat. Dazu hat sie sogar echte Sektgläser geholt. »Sei froh, dass deine Mutter noch was mit dir macht«, sagt sie irgendwann. »Als wir auf Mallorca waren und Lea in den Bergen, hast du mir echt leidgetan.«
Bevor ich gehe, liegen wir uns in den Armen und fast heule ich los. Weil alles so plötzlich kommt und irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass Mia und Lea so sind.
»Pass bloß auf dich auf«, gibt Lea mir noch mit auf den Weg. »Und lass dich von niemandem klauen.«
»Passiert mir schon nicht«, sage ich. Dann renne ich wieder nach Hause. Viel Zeit zum Packen bleibt ja nicht mehr.
Mama steht schon an der Tür. »Und? Fahren wir?«
»Was denn sonst«, murmele ich und atme tief durch, weil sie es sich diesmal nicht anders überlegt hat.
Die beiden Koffer stehen aufgeklappt da. Überhaupt liegt alles ganz durcheinander herum, so wie damals, als Papa noch bei uns war und wir mitten in der Nacht nach Korsika gefahren sind.
Auf einmal bin ich aufgeregt und packe meinen Rollkoffer bis obenhin voll, packe die Hälfte wieder aus, weil ich schließlich nicht nur ein Lieblingskleid habe und mich nicht entscheiden kann, welche ich mitnehmen soll. Meine Fransenjeans, die bunten Leggins und T-Shirts brauche ich ja auch. Dann eine Taschenlampe, meine Sonnenbrille, Spangen und das Buch, in dem es um einen stinklangweiligen Sommer geht, aus dem auf einmal doch noch was wird.
Der restliche Tag geht ziemlich schnell rum. Auch wenn die Zeit zugleich kriecht. Das Leben ist manchmal komisch. Wie es sich anfühlt und so. Es ist schön und tut trotzdem fast weh. Auch wegen dem Klettern und weil Mama nicht denken muss, plötzlich wäre alles mit uns wieder gut.
Als ich im Bett liege, schlafe ich nicht direkt ein. Obwohl ich die Augen zudrücke und die Luft anhalte wie bei einem Schluckauf. Dann zähle ich los. Von eins bis fünfzig und wieder zurück. Als ich fertig bin, erfinde ich einen Witz, der allerdings nicht wirklich lustig ist, jedenfalls lache ich nicht.
Ich ziehe mein Smartphone noch mal aus der Tasche, obwohl Mama mir verboten hat, es im Bett zu benutzen. Dabei dürfen Mia und Lea das auch. Zum Glück ist Mama noch mit Packen und Blumen-Rausstellen beschäftigt. Außerdem gibt es heute dafür einen Grund. Da soll Mama nur mal kommen und es mir wegnehmen, wenn sie mich damit erwischt. Ich atme tief durch.
Mia hat geschrieben: Schläfst du schon, Greta??? Wenn nicht, denk bitte daran, von ALLEM zu schreiben, was du erlebst. Jede Menge Herzchen und Smileys hat sie dazu geschickt.
Mach ich bestimmt, schreibe ich zurück und schicke einen Mond und leuchtende Sterne. Ehrlich gesagt vermisse ich euch jetzt schon. Ich schiebe das Smartphone unter mein Kopfkissen. Nach kurzer Zeit brummt es noch mal.
Lea tröstet mich, dass die Zeit bestimmt schnell vergeht und sie es trotzdem schön findet, was ich geschrieben habe und dass sie mich auch schon vermisst und ich Fotos vom See schicken soll. Und natürlich vom Haus und den Tieren.
Das mache ich aber nur, wenn ich auch von euch welche bekomme.
Lea verspricht es.
Mia verspricht es.
Wir schreiben hin und her und es kommt mir fast vor, als wären wir in einem Raum, dabei bin ich allein und alles ist still.
Irgendwann schlafe ich doch ein, was ich aber erst merke, als Mama an meinem Bett steht. Draußen wird es schon hell.
»Aufstehen!«, flüstert sie. »Es ist Zeit.«
Es ist viel zu früh. Ich bin wirklich müde. Reibe mir die Augen. Mein Smartphone fällt mir wieder ein. Unauffällig suche ich danach, schiebe meine Hand schließlich darüber, dabei hat Mama es anscheinend gar nicht bemerkt.
Ich warte trotzdem, bis sie zur Tür raus ist, dann rutsche ich aus dem Bett und ziehe mir meinen Lieblingsrock an und das T-Shirt mit dem Blumenmuster, das ich mir zurechtgelegt habe. Dazu eine Jacke, es ist ja noch kühl.
Unsere beiden Koffer stehen fertig gepackt an der Tür. Auf dem Küchentisch wartet eine Tasse Milch auf mich. Daneben steht eine Tasse Kaffee für Mama. Alles ist irgendwie schön und so, wie es lange nicht war. Gleich fahren wir los.
Die Zugfahrt dauert ewig, dabei hat Mama sich richtig Mühe gegeben und Rätselhefte, Kartenspiele und überhaupt jede Menge zu essen eingepackt: Brötchen, Äpfel, süße Waffeln, Lakritze, Gummibärchen und lauter Sachen, die es normalerweise nicht bei uns gibt, weil sie ja eigentlich ungesund sind. »Ausnahmen müssen sein«, hat Mama gesagt und außerdem schmecken sie nun mal. Mein Mund ist schon ganz verklebt. Ich kann trotzdem...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Illustrationen | Ulrike Möltgen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | 2024 • ab 10 • ab 11 • ausgegrenzt sein • Dazu gehören • eBooks • Erste Liebe • Neuerscheinung • Romantik • Sommerlektüre • Veränderung |
ISBN-10 | 3-641-32926-4 / 3641329264 |
ISBN-13 | 978-3-641-32926-6 / 9783641329266 |
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