Mythen der Monster 1: Medusa (eBook)
288 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93932-3 (ISBN)
Katherine Marsh arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalistin und Chefredakteurin. Mit ihren Kinder- und Jugendbüchern hat sie bereits zahlreiche Preise gewonnen und lebt mit ihrer Familie und vielen Tieren in Washington, DC.
Katherine Marsh arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalistin und Chefredakteurin. Mit ihren Kinder- und Jugendbüchern hat sie bereits zahlreiche Preise gewonnen und lebt mit ihrer Familie und vielen Tieren in Washington, DC. Jennifer Michalski (geb. Thomas) wurde 1991 in Bocholt geboren und entschied sich schon früh für das Studium des Literaturübersetzens in Düsseldorf. Seitdem lebt und arbeitet sie dort als freiberufliche Deutschlehrerin und Übersetzerin aus dem Englischen und Spanischen.
Eigentlich wollte Ava Baldwin die Beherrschung nicht verlieren. Aber Owen King hatte es verdient.
Gleich in der ersten Woche des siebten Schuljahrs nahm das Unheil seinen Lauf. Als Teil ihrer Unterrichtseinheit zu Griechischer Mythologie sollten sie einen Aufsatz über eine selbst gewählte Gottheit schreiben. Ava liebte Mythologie und hatte sich schon eine Göttin ausgesucht. In ihrem Jahrgang war sie die Zweitkleinste – eigentlich sogar die Kleinste, wenn sich ihre unbändigen braunen Locken nicht ständig aus dem festen französischen Zopf lösen würden –, also reckte sie die Hand extra weit nach oben, damit Miss Greenberg sie sah.
»Ava?«, rief Miss Greenberg sie auf.
»A…«
Doch ehe sie den Namen aussprechen konnte, platzte Owen dazwischen: »Athene!«
»Heißt du Ava?«, fragte Miss Greenberg ihn.
»Ja, Miss Greenberg«, antwortete Owen mit hoher, quietschiger Stimme, die kein bisschen klang wie die von Ava.
Die Klasse lachte. Owen natürlich auch. Selbst Isabelle und Evelyn kicherten. In der Grundschule waren sie Avas beste Freundinnen gewesen. Sie hatten zusammen Geschichten geschrieben und von ihren Lieblingsbüchern geschwärmt. Aber in der Sechsten hatten die beiden sich verändert. Statt über Abenteuer und Magie zu reden, kannten sie nur noch ein Gesprächsthema: die Coolen aus der Klasse. Außerdem waren sie ständig mit ihren Handys beschäftigt. Ava traf sich zwar weiter mit ihnen, aber es machte nicht mehr so viel Spaß wie früher. Die beiden bezogen sie kaum mehr mit ein, sondern duldeten sie nur noch, und kurze Zeit später hatte sich auch das erledigt. Irgendwann im Frühling hatten sie Ava schließlich versetzt, um im Einkaufszentrum mit einer großen, lauten Gruppe von Leuten abzuhängen, darunter einige Pärchen.
Owen, mit seinen blonden Haaren und funkelnden blauen Augen, gehörte auch zu den Coolen. Er ließ die Mädchen fast nie ausreden und riss dauernd dumme Witze. Trotzdem schienen ihn alle zu mögen – selbst die Lehrkräfte.
Ava setzte ein gezwungenes Lächeln auf, als fände sie seine Nachahmung lustig, aber in ihr brodelte es. Sie versuchte, tief durchzuatmen, wie ihre Mom es ihr beigebracht hatte. Einatmen, zwei, drei …
»Athene ist einfach krass«, plapperte Owen drauflos, als hätte er Miss Greenbergs Ermahnung, dass er nicht dran war, überhört. »Ich meine, alle sind total begeistert von Zeus und Poseidon und den anderen Typen. Dabei ist sie superstark. Und das als Frau.«
Ava hatte sich aus einem ähnlichen Grund für Athene entschieden: Sie war die einzige Göttin, die ähnlich mächtig und interessant war wie die männlichen Götter. Aber das konnte Ava jetzt schlecht auch sagen. Ausatmen, vier, fünf.
»Mir gefällt deine Denkweise, Owen«, erwiderte Miss Greenberg. »Es sollten viel mehr Jungs Geschichten über starke Frauen … und Göttinnen lesen.«
Ava gab das tiefe Atmen auf und drückte empört den Rücken durch. Hatte Miss Greenberg schon vergessen, dass »Frauenpower-Owen« sie übergangen hatte? Owens selbstzufriedenes Grinsen stachelte ihre Wut weiter an.
»Dann darf ich also über Athene schreiben?«, fragte er.
Ehe Ava sich bremsen konnte, rief sie: »Miss Greenberg! Ich wollte auch Athene nehmen!«
»Ava, denk daran, dich zu melden.«
Wie bitte??? Das war total unfair! Owen hatte sich auch kein einziges Mal gemeldet. Ava hatte die Hand schon halb gehoben, um sich darüber zu beschweren, als sie sah, wie Isabelle die Augen verdrehte und Evelyn etwas zuflüsterte.
Letzten Frühling, nachdem Ava Isabelle getextet hatte, um die Sache damals mit ihr zu klären, hatte die zurückgeschrieben: Du bist immer total drüber. Das ist voll anstrengend. War sie jetzt gerade auch drüber? Was würden die anderen an ihrer Stelle tun? Isabelle fand Owens Begeisterung für Athene bestimmt »süß«. Und Evelyn würde sich einfach eine andere Gottheit aussuchen, als wäre das Ganze halb so wild. Ava ließ die Hand wieder sinken.
»Wie wäre es denn, wenn ihr beide, also du und Owen, über sie schreibt? Es gibt ja nur zwölf große Gottheiten, das heißt, es kommen ohnehin immer zwei Leute auf eine. Dann seid ihr zwei eben unsere Experten für Athene.« Miss Greenberg lächelte sie an, als wäre das eine großartige Lösung.
Ava fand sie überhaupt nicht großartig, vor allem nicht für die Mädchen, die jetzt enttäuscht seufzten, weil sie offenbar auch über Athene hatten schreiben wollen. Damit gab Miss Greenberg Owen den Vortritt. Aber vermutlich war es nicht so schlau, einer Lehrerin zu widersprechen. Besonders in der ersten Schulwoche.
»Für mich ist das okay«, sagte Owen, obwohl ihn kein Mensch gefragt hatte.
»Ava?«, hakte Miss Greenberg nach.
Ava ließ den Blick durch das Klassenzimmer schweifen. Außer ihr schien sich niemand aufzuregen. Olivia und Sophia, zwei der Mädchen, die gern Athene gehabt hätten, tuschelten miteinander. Wahrscheinlich besprachen sie schon, wen sie sonst nehmen sollten. Isabelle trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, als würde sich das alles wegen Ava unnötig in die Länge ziehen.
»Klar«, antwortete sie daher. Insgeheim war sie allerdings immer noch sauer.
»Wunderbar!«, flötete Miss Greenberg. »Ava, dein Bruder hat sich damals auch für Athene entschieden. Ich kann mich noch genau an seinen Aufsatz erinnern. Er war sehr originell.«
Wieder setzte Ava das gezwungene Lächeln auf, als wäre es eine Ehre, zum hunderttausendsten Mal mit Jaxon verglichen zu werden – dem Einstein, der seit dem Kindergarten überall Preise abstaubte. Sämtliche Lehrkräfte, die ihren Bruder unterrichtet hatten, erwarteten von ihr ebenfalls perfekte Noten und waren dann enttäuscht, wenn sie sie nicht erreichte. Als Ausgleich versuchte sie, sich gut zu benehmen – was ihre Mom für genauso wichtig hielt. Aber das war in der Mittelstufe, wo es oft ziemlich ungerecht zuging, gar nicht so leicht.
Am Ende des Schultags hatte Ava noch eine Bibliotheksstunde, die sie normalerweise am liebsten mochte. Die Mittagspausen verbrachte sie nach wie vor mit Isabelle und Evelyn. Von den beiden ignoriert zu werden war weniger schlimm, als ziellos mit dem Tablett durch die Cafeteria zu wandern oder allein zu sitzen, wohingegen sie in der Bibliothek einfach ungestört die Nase in die Bücher stecken konnte. Heute aber suchte die ganze Klasse Nachschlagewerke für ihre Aufsätze über die Gottheiten. Zu allem Übel erfuhren sie von Miss Sanchez, der Bibliothekarin, dass die guten schon von den anderen Klassen entliehen waren.
Im Online-Katalog fand Ava trotzdem noch ein verfügbares Buch über Athene: Die Göttin der Helden. Mit vorsichtigem Blick auf Miss Sanchez, die Rennen nicht ausstehen konnte, düste sie im Laufschritt quer durch die Bibliothek zur Abteilung für Religion und Mythologie. Dort angekommen fiel ihr siedend heiß ein, dass sie die Seite mit den Suchergebnissen nicht geschlossen hatte. Sie schaute sich um. Owen stand vor dem Computer.
Ava hatte sich kaum einen ersten Überblick über das Regal verschafft, da ermahnte Miss Sanchez ihn schon, nicht so zu rennen. Hastig überflog Ava die Kennnummern – 292.13TA, 292.13TE –, bis sie Die Göttin der Helden schließlich in der obersten Reihe entdeckte. Gerade als sie den Arm ausstreckte, griff jemand an ihr vorbei und schnappte sich das Buch.
»He!« Sie fuhr herum. »Gib mir das zurück!«
Unschuldig hob Owen die freie Hand. »Was denn?«
Avas Wangen brannten. »Du weißt genau, was!«
»Also ehrlich, Ava. Ist doch nur ein Buch. Du kannst es haben, wenn ich fertig bin«, meinte er.
Er klang ruhig und vernünftig. Sie würde garantiert nicht so klingen, wenn sie jetzt den Mund aufmachte. Die Worte würden aus ihr heraussprudeln. Sie hasste es, wenn sie kurz davor war, vor aller Augen zu explodieren. Die anderen sahen schon her, auch Isabelle und Evelyn. Ava musste sich zusammenreißen, aber den Punkt, langsam bis zehn zu zählen, hatte sie längst verpasst.
Also stellte sie sich vor, sie wäre im Schwimmbad. Ihre Mom hatte ihr das Schwimmen beigebracht, kurz nachdem sie laufen gelernt hatte. Und letzten Frühling, als Evelyn nicht mehr auf ihre Nachrichten geantwortet und Isabelle eine Übernachtungsparty ohne sie organisiert hatte, hatte ihr nur das Schwimmtraining geholfen, sich besser zu fühlen. Heute allerdings trieb ihr der Gedanke an Wasser die Tränen in die Augen. Oh nein, dachte sie, jetzt fang ich auch noch an zu heulen.
»Alles okay, Ava?«, fragte Isabelle eine Spur genervt.
Die eigentliche Botschaft war offensichtlich: Ava war wieder mal drüber und machte sich lächerlich. Owen zuckte mit den Achseln, als hätte er nichts damit zu tun. Ava wollte nur noch weg, aber die anderen starrten sie an und warteten auf eine Antwort von ihr.
»Alles super«, murmelte sie. »Es ist nur …«
»Entspann dich, Ava«, unterbrach Owen sie. »Ist doch keine große Sache.«
Bumm. In Ava explodierte die aufgestaute Wut. Zorn pulsierte durch ihren Körper, von der Kopfhaut bis in die Zehen. Sie spannte die Muskeln an und trat einen Schritt auf Owen zu, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet.
»Ich habe es zuerst gefunden!«, brüllte sie. »Von wegen keine große Sache. Für mich ist das eine große Sache, wenn du mir das Buch einfach vor der Nase wegschnappst!«
Ihre Stimme zitterte, und über ihren Brauen sammelte sich der Schweiß. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie...
Erscheint lt. Verlag | 29.8.2024 |
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Reihe/Serie | Mythen der Monster |
Übersetzer | Jennifer Michalski |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | coole geschenke mädchen 10 jahre geburtstag • fantasy abenteuer buch kinder ab 10 • fantasy academy bücher ab 10 • fantasy buch für starke mädchen • griechische mythologie romane kinderbuch • Internat Roman • jugendbuch fantasy buchreihe • Kinderbuch ab 10 Jahre Mädchen • medusa buch • Monster Mädchen • spannende jugendbücher ab 10 • supernatural academy |
ISBN-10 | 3-646-93932-X / 364693932X |
ISBN-13 | 978-3-646-93932-3 / 9783646939323 |
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