Das Geheimnis von Darkmoor Hall (eBook)
320 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0856-9 (ISBN)
Nina Scheweling war während ihres Studiums der Anglistik, Germanistik und Neueren Geschichte als Literaturübersetzerin tätig. Nach ihrem Abschluss entdeckte sie ihre Liebe fürs Kinderbuch und arbeitet seitdem als freie Übersetzerin, Lektorin und Autorin in der Nähe von Freiburg.
Nina Scheweling war während ihres Studiums der Anglistik, Germanistik und Neueren Geschichte als Literaturübersetzerin tätig. Nach ihrem Abschluss entdeckte sie ihre Liebe fürs Kinderbuch und arbeitet seitdem als freie Übersetzerin, Lektorin und Autorin in der Nähe von Freiburg. Cornelia Haas geboren 1972 in Augsburg, studierte an der Fachhochschule für Design in Münster. »Über den großen Fluss«, ihr erstes Bilderbuch, fand vielfache Beachtung und wurde bereits in elf Sprachen übersetzt.
1 Das wütende Meer
Die Wellen krachten mit einer solchen Wucht gegen die Klippen, dass die gesamte Erde zu beben schien. Gischt spritzte auf und legte sich wie kalter salziger Nebel auf ihre Haut. Kate wischte sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und trat näher an die zerklüftete Kante heran, unter der das Meer tobte.
Als sie vor einer halben Stunde von zu Hause losgegangen war, hatte der Himmel wie eine verstaubte Decke über der Landschaft gelegen, trist und grau und unscheinbar. Doch mit einem Mal frischte der Wind auf, und kurz darauf stoben dunkle Wolkenfetzen über sie hinweg und türmten sich über dem Meer zu finsteren Gebirgen auf. Sie wusste, dass das Wetter an der Küste schnell umschlagen konnte. Doch mit dieser dramatischen Wendung hatte sie nicht gerechnet.
Sie sah über den Rand der Klippe in die Tiefe.Zwischen spitzen Gesteinsbrocken gurgelte und schäumte das Wasser. Eine gewaltige Welle rollte heran und donnerte gegen den Felsen. Rasch wich sie zurück, doch es war zu spät. Eine Fontäne aus Wasser, Schaum und Salz schoss an der Klippe empor und verpasste ihr eine eiskalte Dusche. Wasser tropfte von ihren Haaren und lief in den Kragen ihrer Jacke, und ihre Turnschuhe waren innerhalb weniger Sekunden durchnässt.
Kate fluchte leise. Als wäre ihre Stimmung nicht schon mies genug. Doch selbst wenn sie in ein paar Minuten bis auf die Knochen nass sein sollte: Nichts würde sie dazu bringen, zurück nach Hause zu gehen.
Nach Hause. Pah. Sie bezweifelte, dass sie Darkmoor-on-Sea, dieses kleine, abgeschiedene Kaff an der Küste Cornwalls, jemals als ihr Zuhause bezeichnen würde. Sie waren vor zwei Wochen aus der Stadt hierhergezogen, in ein Haus in der Dorfmitte, das angeblich 450 Jahre alt war. Sie hasste den Geruch nach muffigem Salz, der sich in jede Ritze des Hauses gesetzt hatte. Sie hasste die aus grobem Stein gehauenen Wände, aus denen der Mörtel bröckelte. Sie hasste die trostlose Landschaft vor den Fenstern, die nur aus Heide, Moor und Klippen zu bestehen schien. Und sie hasste das Schweigen, das zusammen mit ihnen in das Haus gezogen war.
Dabei war das Schweigen doch der Grund für ihren Umzug gewesen. Ihre Eltern hatten gehofft, sich mit der Eröffnung eines Cafés nicht nur einen lang gehegten Traum zu erfüllen, sondern auch ihre Ehe zu retten. Aber der Plan war gründlich schiefgegangen. Das Schweigen war mitgekommen, hatte es sich gemütlich gemacht in den kleinen dunklen Zimmern über dem Café, und Kate hatte die dumpfe Vermutung, dass es auch so bald nicht wieder ausziehen würde.
Sie ließ ihren Blick über die Heidelandschaft schweifen, die sich oberhalb der Klippen erstreckte, und entdeckte einen schmalen Pfad, der direkt in die Felswand gehauen zu sein schien und zum Strand hinunterführte. Die Bucht endete in einiger Entfernung an steilen Felsen, die sich bis hinaus aufs Meer erstreckten. An der Spitze der Landzunge thronte ein herrschaftliches Haus. Es wirkte abweisend und düster, und Kate fragte sich, wer sein Haus ausgerechnet an so einen unwirtlichen Ort baute. Es war das Erste, was ihr in diesem abgeschiedenen Dorf halbwegs interessant vorkam, und sie beschloss, es sich aus der Nähe anzusehen.
Missmutig schlitterte sie den unebenen Pfad zu dem menschenleeren Strand hinunter. Der Sand war nass und schwer, und ihre Schuhe hinterließen tiefe Abdrücke, in denen sich sofort Wasser sammelte. Einige Vögel suchten auf den schlickverkrusteten Felsen nach Essbarem. Sonst war niemand zu sehen.
Eine heftige Böe schlug ihr ins Gesicht und zerrte weitere Strähnen aus ihrem Zopf. Doch Kate achtete nicht darauf. Ihr Blick fiel auf etwas Weißes, das durch die Luft wirbelte. Es wurde in einem nervösen Auf und Ab über den Strand geweht, bis der Wind eine kurze Verschnaufpause einlegte und es genau vor ihren Füßen in den Sand warf.
Kate bückte sich und hob es auf. Es war ein Blatt Papier mit Bleistiftzeichnungen, die nach einer Mischung aus alter Taschenuhr und Kompass anmuteten. Das Blatt konnte noch nicht lange hier unten am Strand sein, denn es war sauber und trocken. Kate sah hinauf zu den Felsen, aus deren Richtung es gekommen war. In diesem Moment flatterte erneut ein Papier in die Luft und wurde vom Wind davongewirbelt.
Abschätzend nahm sie die zerklüfteten Klippen in Augenschein. Die rauen, mit Seepocken überzogenen Felsen waren von tiefen Rissen und Spalten durchzogen, und an einigen Stellen lagen große Felsbrocken so über- und ineinander verschachtelt, dass sie ihr genug Halt bieten würden. Kurz entschlossen machte sie sich an den Aufstieg. Die Kerben und Vorsprünge fügten sich erstaunlich gut zusammen, sodass sie bald wie auf einer Treppe nach oben stieg.
Nach etwa fünf Metern erreichte sie unversehens ein kleines hinter Felsen verborgenes Plateau, von dem aus man den gesamten Strand überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Es war das perfekte Versteck, und wie es schien, hatte es bereits jemand vor ihr entdeckt. Neben einem Felsbrocken lag eine Mappe aus dickem blassblauem Karton, aus der einige lose Seiten herausragten. Jeder Windstoß hob den Deckel von Neuem ein wenig, bis sich schließlich ein weiteres Blatt löste und in die Luft gewirbelt wurde. Kate sprang hoch und bekam es gerade noch rechtzeitig zu fassen, bevor es hinunter zum Strand flatterte. Auch darauf war eine Zeichnung des alten Kompasses zu sehen. Sie bückte sich nach der Mappe und schlug sie vorsichtig auf, um nicht noch ein Blatt an den Wind zu verlieren. Die Skizzen waren atemberaubend gut. Eine zeigte den Leuchtturm auf der kleinen Insel vor der Bucht, eine andere das Herrenhaus auf den Klippen, wieder eine andere eine Möwe, die beinahe nachdenklich aufs Meer hinausschaute, während der Wind ihre Federn zerzauste. Auf den meisten Zeichnungen war jedoch der Kompass zu sehen, und er wirkte jedes Mal so realistisch, dass Kate das Gefühl hatte, ihn vom Blatt nehmen zu können. Auf seinem Deckel war das Gesicht eines Mannes abgebildet, der die Backen aufgebläht hatte, als wolle er mit aller Kraft etwas wegpusten. Und immer wieder war auch eine Art Gedicht daneben geschrieben worden. Doch Kate hatte keine Zeit, sich näher damit zu befassen.
Erste, schwere Tropfen klatschten um sie herum auf die Felsen. Kate sah zum Himmel und erschrak beim Anblick der schwarzen Wolken, die sich über ihr zusammengeballt hatten. Ein unheilvolles Grollen rollte vom offenen Meer auf die Küste zu und kündigte ein handfestes Unwetter an. Rasch klappte sie die Mappe zu, bevor der Regen die Zeichnungen beschädigte. Erst jetzt bemerkte sie den Namen, der auf dem Karton stand: Gustav Grenville. Er sagte ihr nichts. Aber wie auch – schließlich wohnte sie erst seit ein paar Tagen hier.
Kate schob die Mappe unter ihre Jacke und wollte wieder zum Strand hinunterklettern, als sie über sich plötzlich ein Geräusch hörte.
Ein Junge erschien auf der Klippe und rannte am Abgrund entlang, als wäre der Teufel hinter ihm her. Immer wieder sah er sich gehetzt um, dann sprang er auf einmal in die Tiefe, landete auf einem Felsvorsprung, kletterte flink ein Stück an der zerklüfteten Felswand entlang und duckte sich schließlich in eine kleine, höhlenartige Einbuchtung. Ein erleichtertes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, doch nicht für lange. Als er Kate entdeckte, die verwundert zu ihm hinaufblickte, weiteten sich seine Augen vor Schreck, und er legte flehend den Zeigefinger auf die Lippen.
«Oi!» Noch bevor Kate begriffen hatte, was überhaupt vor sich ging, schallte eine Stimme zu ihr herab. Überrascht stellte sie fest, dass drei weitere Jungen am Rand der Klippe aufgetaucht waren. Wo kamen die denn plötzlich alle her? Vor einer Minute hätte man diesen Strand noch für den einsamsten Ort der Welt halten können, und jetzt ging es hier zu wie in einem Taubenschlag.
Kate schätzte die Jungs auf dreizehn oder vierzehn, also etwa zwei Jahre älter als sie selbst. Der linke war schlaksig, verpickelt und hatte orangefarbene Haare. Der rechte war rund wie eine Tonne, mit einem Gesicht, das Kate entfernt an einen Klumpen Hefeteig erinnerte. Der mittlere hingegen war vollkommen unscheinbar, weswegen er sich vermutlich für die gelb-rot karierte Öljacke entschieden hatte, um wenigstens ein bisschen aufzufallen. Genau dieser Junge winkte nun herrisch zu ihr herunter und rief erneut: «Oi! Du da! Hast du Billy gesehen?»
Als Kate nicht sofort reagierte, fügte der Schlaksige ungeduldig hinzu: «Schmächtiger Typ, olle Klamotten, dämliches Grinsen – was ihm allerdings bald vergehen wird.»
Alle drei lachten hämisch.
«Wir haben ihn bei den Klippen aus den Augen verloren», sagte wieder der Unscheinbare. «Entweder hat sich der Feigling unter ’nen Ginsterbusch gequetscht, oder er ist hier zum Strand runter.»
Kate ließ den Blick unauffällig von den Jungs zwei Meter nach unten wandern. Wie es der Zufall wollte, befand sich die Nische, in die sich Billy – denn um ihn handelte es sich zweifellos – geflüchtet hatte, genau unterhalb von ihnen. Der Junge warf ihr einen flehenden Blick zu und schüttelte stumm den Kopf. Kate hatte zwar keine Ahnung, was hier vor sich ging, aber sie beschloss spontan, ihm zu helfen.
«Er ist dahin gelaufen», rief sie und deutete den Strand entlang in die Richtung, aus der sie gekommen war.
«Er will bestimmt zu den Fischerhütten», sagte der Schlaksige. «Denkt wohl, dass er sich dort verstecken kann.»
Der Unscheinbare musterte Kate misstrauisch. «Uns hält man nicht ungestraft zum Narren», knurrte er, und sie beschlich das dumpfe Gefühl, dass er damit nicht...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2024 |
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Reihe/Serie | Das Rätsel von Darkmoor |
Illustrationen | Cornelia Haas |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Abenteuerbuch ab 10 • Abenteuerbücher • Abenteuerbücher für Kinder ab 10 Jahre • Abenteuerbuch Jungs ab 10 • Abenteuerbuch Kinder • abenteuerromane für jugendliche • Abenteuerroman für Kinder • Amulett • Bergwerk • Cornwall • Die drei Fragezeichen • Freundschaftsgeschichten • Fünf Freunde • Kinderbuch 3. Klasse • Kinderbuch ab 10 Jahre • Kinderbuch für Jungen • Kinderbuch für Mädchen • Mine • Pageturner für Kinder • Rätsel • Schatz • Schatzsuche • Schmuggler • spannendes Kinderbuch • Spannung |
ISBN-10 | 3-7336-0856-9 / 3733608569 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0856-9 / 9783733608569 |
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