Die magische Bibliothek der Buks 1: Das Verrückte Orakel (eBook)
384 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65596-5 (ISBN)
Die mehrfach ausgezeichnete internationale Bestsellerautorin Nina George, geboren 1973 in Bielefeld, schreibt seit 1992 Romane, Sachbücher, Essays, Reportagen, Kurzgeschichten, Blogs und Kolumnen. Ihr Roman Das Lavendelzimmer wurde in 36 Sprachen übersetzt und eroberte weltweit die Charts, so etwa die New York Times-Bestsellerliste in den USA. Sie lebt in Berlin und in der Bretagne. Seit Juni 2019 ist Nina George Präsidentin des European Writers' Council, dem Dachverband von 46 europäischen Schriftstellerinnen- und Schriftstellerverbänden. Jens J. Kramer, Jahrgang 1957, studierte in Berlin Ethnologie und Publizistik. 1999 debütierte er mit einem historischen Roman über das koloniale Afrika (Die Stadt unter den Steinen), dem zwei weitere folgten (Das Delta, Der zerrissene Schleier). Als Jo Kramer schrieb er romantische Komödien, als Mike Schulz Krimikomödien und zusammen mit seiner Ehefrau, der Bestsellerautorin Nina George, ist er Jean Bagnol, der Erfinder des provenzalischen Ermittlers 'Commissaire Mazan'. Zuletzt erschien von ihm Johannas Rache, Droemer, 2020. Kramer ist seit 2017 Vorsitzender des SYNDIKAT e.V.
Der Sturm heulte schaurig um das alte, vergessene Haus. Die Fensterscheiben bebten, morsche Balken knarzten. Die dichten, hohen Bäume, die das Haus mit der geheimen Bibliothek umstanden, ächzten im Wind. Immer wieder schlugen ihre Zweige heftig gegen die vermoosten Mauern.
Im großen Lesesaal huschten unruhige, kugelrunde Lichter zwischen den meterhohen Regalen umher.
Was würde geschehen, wenn der Wind so lange an den Bäumen zerrte, bis er die versteckte Villa tief in dem verwilderten Garten für alle Welt sichtbar gemacht hatte?
»Was, wenn die Fenster brechen?«, jammerte Schlemmer Buk. Immer wieder strahlte er prüfend mit seinem hellsten Blick die Scheiben an, hinter denen die peitschenden Zweige der Bäume wie tobende Gespenster hin und her tanzten.
»Oder das Dach einstürzt und der Regen alle, alle Bücher zerstört?!«, rief Alice Buk entsetzt.
»Wenn es in die Suppe hagelt, ist das Dach wohl schlecht genagelt«, stellte Reimling Buk mit tiefer Grabesstimme fest.
Schlemmer Buk und Alice Buk schauten den Reimling bestürzt mit ihren Scheinwerferaugen an. Der konnte aber nichts dafür, er sprach immer in Reimen, das war seine Natur.
Alice huschte trotzdem rasch in eines der Regale und hinter einen Stapel ledergebundener Atlanten, sodass nur noch ihre leuchtenden Augen zu sehen waren.
Schlemmer Buk legte entschlossen den Deckel auf den Kessel. »Regen, von wegen. Nicht in meine Buchstabensuppe«, murmelte er.
Attila Buk beugte sich zu Alice herab. Er musste sich ganz schön tief bücken in seiner gegürteten Weste, denn er war der allergrößte der Buks, bestimmt fast einen Meter groß.
»Was machst du da?«, fragte er neugierig. Die Enden seines langen Schnurrbarts schaukelten dabei fröhlich hin und her.
»Mich verstecken?«, wisperte Alice Buk ängstlich.
»Vor dem Dach?«
»Ja! Nein … ach, frag nicht immer so blöd!«
»Gar nicht frage ich immer blöd! Hältst du mich für Attila den Dummenkönig?« Er legte empört eine Hand auf den Schaft seiner Axt, die er am Gürtel trug.
Alice Buk war nun wirklich nicht nach dieser Konversation. Attila war immer so wahnsinnig empfindlich, wenn es um seine Bildung ging. Aber wo sollte er die denn herhaben, hm? Er war auf den Seiten von Schlachtfeldern und Feldzügen zu Hause! Und Alice würde ihm gerne helfen, sich besser zu fühlen, aber nicht jetzt. Jetzt stürzte bestimmt gleich das Haus ein!
Romantika Buk kam mit wehenden Gewändern und vor Aufregung rülpsend zu ihnen getrippelt.
»Aber, aber! Keinen Streit! – börps, pardon – Wir sollten einander umarmen, meine Lieben«, trällerte sie. »Lasst uns in größter Not unsere börps, unsere Herzen spüren!«
»Rückzug!«, wehrte Attila Buk sie ab. Das störte Romantika Buk rein gar nicht. Sie hob ihm die Arme entgegen und plinkerte mit ihren Lidern. Was in Anbetracht der kullerrunden Augen so wirkte, als hätte eine Eule ein Eichhörnchen ins Auge bekommen.
Und Attila? Natürlich, er war der größte und stärkste aller Buks. Aber ein kleines bisschen hatte er auch Schiss vor Romantika und ihren Schmuse-Attacken. Also schwang er sich behände die nächstbesten Regale hoch und verschwand im Dunkeln, Romantika Buk kraxelte mit wehenden Gewändern hinterher.
»Gibst du ihr ’nen Schlummerkuss, ist mit ihrem Kummer Schluss«, rief der Reimling ihnen hilfreich nach. Dann verschwand er mit dem Kopf voran unter dem nächstbesten Tisch und hielt sich die Augen zu.
»Spielen wir Verstecken?«, fragte Spielothekus Buk den Reimling hoffnungsvoll.
Eine heftige Sturmböe schlug krachend gegen die Mauern. Hoch oben erklang ein KRACKS, Putz rieselte von der Decke herab.
»Jetzt ist es so weit«, piepste Alice Buk aus ihrem Versteck. »Das Dach stürzt ein!«
»Meine schöne Suppe«, rief Schlemmer Buk.
»Noch ein Kracher, letzter Lacher.«
»SSSCHT!! ALLE BUKS, HABT ACHT!«
Schlagartig verstummten die Buks. Sämtliche kullerrunden Scheinwerferaugen richteten sich flackernd auf Queen Buk, die gemessen in die Mitte des Lesesaales schritt. Das königliche Gewand war ihr ein wenig zu groß, die Ärmel tausendfach genäht, und auf ihrem Kopf thronte eine gewaltige, gepuderte Königinnenperücke. Doch ihr Gesicht war stolz und alt und weise, ihre leuchtenden Augen hatten viel gesehen in ihrem Leben als oberste Wächterin der Bücher, und ihre Ohrenspitzen waren elegant und hoheitsvoll in die Höhe gestreckt.
Einen Schritt hinter ihr folgte Adlatus Buk, ihr Ratgeber. Oder ihr »ausgelagertes Gedächtnis«, wie Adlatus sagen würde. Was er sich allerdings in der Nähe der Queen nicht erlaubte. Queen Buk hatte erstaunlich spitze Ellenbogen und zögerte nicht, sie einzusetzen.
Als die Queen in der Mitte des Scheinwerferlichts aus Dutzenden Buks-Augen stehen blieb, hielt sogar der Wind für einen Moment seinen zornigen Atem an. Denn wenn die Queen SSSCHT machte, wagte wirklich niemand mehr, einen Buks-Mucks zu tun.
Es wurde ganz, ganz still.
»Kein Buk wird zu Schaden kommen«, verkündete die Queen mit fester Stimme. »Das Haus wird uns und unsere Bücher schützen. So, wie es das immer getan hat. Das Haus und der Garten und seine Bäume und alle Wesen, die ihn bewohnen. Sie alle werden uns behüten und vor der Welt da draußen unsichtbar machen. Wie immer.«
»Na ja«, murmelte Adlatus neben ihr. »Immer ist relativ.«
»Ssscht!« Die Queen rummste ihren Ratgeber-Buk mit dem Ellenbogen an.
Queen Buk setzte ihre allerzuversichtlichste Miene auf. Das war wichtig. Die Buks verließen sich auf sie. Vor allem die Jungbuks, die nicht ahnten, was eine Entdeckung des Hauses und der geheimen Bibliothek für sie alle bedeuten würde.
Also sagte sie laut: »Denkt nur an den Sturm vor zwölf Jahren!«
Ratlose Stille. Dann merkte Adlatus Buk vorsichtig an: »Eure Majestät meinen: vor fast zwölf Jahren.«
»So, meine ich das?«, fragte Queen Buk.
»Gewiss. Vor fast zwölf Jahren. Um genau zu sein, elf Jahre, zweihundertneunundfünfzig Tage und fünfunddreißig Minuten.«
»Nun gut.« Queen Buk räusperte sich, warf Adlatus Buk einen warnenden Blick zu und setzte mit getragener Stimme fort: »Denkt an den Sturm vor fast ziemlich genau zwölf Jahren!«
Alle dachten angestrengt nach.
»Und jetzt?«, fragte Attila Buk schließlich, weil ihm schon ein bisschen der Kopf wehtat vom Nachdenken.
»Nun«, Queen Buks Blick gleißte auf, »der ging vorbei.«
»Pfhh«, machte Attila Buk. »Das ist jetzt aber nicht so hilfreich. Also, finde ich.«
Queen Buk stemmte die Fäuste in die Hüften. »Du schnurrbärtige Steppenkröte willst mir widersprechen?«
»Ich mein ja nur.«
»Du meinst ja nur? Ich werd’ dir jetzt mal sagen, was ich nur meine. Ich …«
Der Wind hatte die Pause zum Atemholen genutzt. Und blies jetzt noch mal kräftig aus. Eine noch heftigere Böe schlug auf das Haus ein und ließ in den Tiefen der Kellergewölbe eine Tür mit einem Donnerschlag zuknallen.
Augenblicklich war es vorbei mit der gefassten Stille, alle Buks rannten durcheinander, wollten sich verstecken, die Regale rauf und runter und dahinter und hinauf.
»Du sitzt auf den Atlanten, Reimling.«
»Ich war zuerst am Platze, geh zu deiner Grinsekatze!«
»Nicht doch, nicht in die Suppe!«
»Wir sollten uns … börps!«
Die Queen war mit einem Satz hinter einem verschlissenen Ohrensessel in Deckung gegangen. Adlatus Buk robbte sich zu ihr. Die Queen schnaubte.
»Adlatus, manchmal frage ich mich wirklich, wie wir das noch die nächsten Jahrhunderte durchhalten sollen.«
»Gewiss, Majestät, aber was bleibt uns anderes übrig? Das Orakel spricht nicht mehr zu uns. Der Buchmeister ist verschollen seit fast neun Jahren. Wir wissen nicht, was jenseits dieser Mauern in der Welt der Menschen seither geschah. Also müssen wir ganz allein tun, was zu tun ist. Auch wenn diese letzten aller Bücher hier ihre Wörter verlieren und es ungewiss ist, ob unsere Spezies all das überlebt …« Er verstummte. Selbst erschrocken über den Ernst der Lage.
»Oh, diese Bleichkrankheit …«, murmelte Queen Buk gepeinigt. Diese Krankheit war wie ein Wurm, der sich in die Bücher fraß und die Worte und Welten langsam, aber sicher auslöschte. Die Schrift verschwand einfach, und bisher hatte nicht mal Typografica Buk, die alte Heilerin, ein Gegengift gefunden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Pest womöglich auf die Buks übersprang, und dann … die Königin schauderte. Es war ihr unmöglich, sich eine Welt ohne Bücher und ohne Buks auch nur vorzustellen. Und unter den Menschen? Ach, ach, da war niemand, der ihnen helfen konnte! Mehr noch: Menschen waren...
Erscheint lt. Verlag | 27.7.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-522-65596-6 / 3522655966 |
ISBN-13 | 978-3-522-65596-5 / 9783522655965 |
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