Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut (eBook)
268 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-78178-3 (ISBN)
Die Geschwister Karl und Rosa führen ein einfaches Leben auf der Insel Feudalia. Sie helfen auf dem Hof ihrer Eltern, spielen im Wald und sammeln dabei das dringend benötigte Feuerholz für die Familie. Doch eines Morgens steht dort ein Schild: »Holz sammeln verboten. Holzdiebe werden bestraft.« Und dieses Verbot ist nur der Anfang einer großen Veränderung, die das Leben der Geschwister völlig auf den Kopf stellt. Schon bald wird die Familie von ihrem Hof vertrieben. In der Stadt müssen die Eltern, wie die meisten Inselbewohner, nun in Fabriken arbeiten, die reiche Herren von der Nachbarinsel Capitalia eröffnet haben. Während Vater und Mutter mehr schuften als je zuvor, reicht das Geld kaum für die Wohnung und das Essen. Den Menschen auf Feudalia war Wohlstand für alle versprochen worden, aber das erfüllt sich nicht. Doch muss das eigentlich so sein?
Warum haben die Arbeiter nichts vom erwirtschafteten Reichtum? Wieso ist der Wohlstand so ungleich verteilt? Auf der Suche nach Antworten stehen Karl und Rosa vor einem Rätsel - bis sie eine zündende Idee haben. Eine kämpferische Geschichte über Zusammenhalt und den Mut, gemeinsam etwas zu verändern.
<p>Ole Nymoen studierte Soziologie und Wirtschaftswissenschaften in Jena und arbeitet als freier Journalist. Mit Wolfgang M. Schmitt spricht er in ihrem gemeinsamen Podcast <em>Wohlstand für Alle</em> über Geld sowie ökonomische Ideengeschichte und politische Ökonomie.</p>
Kapitel 2:
Der verkaufte Wald
Karl war jetzt hellwach, und sein Herz klopfte heftig. Obwohl er begriff, dass der alles überrollende und verschlingende Wagen nur in seinem Traum existiert hatte, fürchtete er sich vor dieser unheimlichen Gefahr. Ob das ein böses Vorzeichen war, rätselte er, auf seinem Bett sitzend, die Decke bis unters Kinn gezogen.
In dem kleinen Zimmer, das er sich mit seiner Schwester Rosa teilte, sah alles unverändert aus. Durch die Fensterläden fiel etwas Licht auf das schmale Bücherregal, in dem neben Märchenbüchern die vom Vater sorgfältig geschnitzten Holzfiguren standen, zu denen nur noch das passende Schachbrett fehlte. Spätestens zu Karls elftem Geburtstag sollte es fertig sein. Darüber hinaus war die Kammer nur mit zwei Stühlen und einem kleinen Tisch ausgestattet. Alles war aus Tannen- und Eichenholz gefertigt, denn von solchen Bäumen war das Dorf umgeben. Dann bemerkte Karl, dass er Rosa geweckt hatte, deren Bett neben seinem stand. Sie blickte ihn unsicher, fast ängstlich an und setzte sich auf.
»Du hast ganz komisch vor dich hin gemurmelt«, sagte sie, »am Ende hast du sogar kurz aufgeschrien. Geht es dir gut?«
»Ich, ich …«, stammelte Karl, aber in seiner Verwirrung brachte er keinen geraden Satz heraus. »Ich erzähle dir später, was ich geträumt habe.«
Karl stieg leise aus dem Bett, schlüpfte in seine Pantoffeln und schlich vorsichtig über die knarzenden Holzdielen, um die Eltern nicht zu wecken. Sein Vater und seine Mutter schienen noch zu schlafen. Offenbar war es noch nicht sechs, denn um diese Uhrzeit standen sie für gewöhnlich auf, um ihr Tagwerk zu verrichten. Im Haus schien alles normal zu sein, Karl war erleichtert.
Rosas Eltern waren vor einigen Jahren gestorben. Nach ihrem Tod war sie zu Karls Familie gezogen, da die Väter gut miteinander befreundet gewesen waren. Schnell hatte Karl Rosa liebgewonnen wie eine Schwester, und er war glücklich, dass seine Eltern bereit waren, für ein weiteres Kind zu sorgen.
Zehnjährige können manchmal anstrengend sein, wusste Karl, da er schließlich so alt war – genauer gesagt: zehn Jahre und sieben Monate. Rosa war nur wenige Wochen älter. Durch sie war das Haus lebendiger geworden, Karl hatte eine gewitzte Spielgefährtin gewonnen, und plötzlich sagte noch jemand »Mama« und »Papa« zu den Eltern. Daran hatten sich alle schnell gewöhnt, und zusammen waren sie eine Familie.
Derzeit waren Karl und Rosa fast gleich groß und sie fragten sich, wer wohl eines Tages das Wettrennen am Türrahmen gewinnen würde. Dort wurden sie nämlich jeden Monat gemessen, und die Mutter ritzte die neuesten Stände genau ein. Aktuell war Karl einen Zentimeter größer als Rosa. Ansonsten sahen die beiden sich kaum ähnlich: Während Karls Gesicht durch seine spitz zulaufende Nase an das eines Füchschens erinnerte, hatte Rosa eine kleine Stupsnase voller Sommersprossen. Und während Karls braune Haare sich kaum bändigen ließen (selbst wenn man sie stundenlang bürstete, standen sie noch ab), fielen Rosas Haare immer perfekt: Es kostete sie jeden Morgen nur wenige Augenblicke, ihr orangerotes Haar zu zwei formschönen Hörnchen aufzustecken.
Karls Herz schlug nun ein bisschen langsamer, augenscheinlich war alles in Ordnung. Er atmete auf und schlich auf Zehenspitzen durch die gemütliche Küche, die zugleich als Wohnzimmer diente. Dann kroch er zurück in sein Bett und wartete, bis alle erwacht waren.
Beim Frühstück war er nicht so aufgedreht und gesprächig wie sonst, der Wagen donnerte noch durch seine Gedanken. Rosa hingegen schien besonders vergnügt.
Vater und Mutter besprachen, dass sie in den nächsten Tagen das Feld pflügen wollten. Die Pferde, die den schweren Pflug hinter sich herziehen mussten, waren ausgeruht und gut genährt. Wenn nicht überraschend ein Unwetter aufzog, sollte der Acker in etwa einer Woche bestellt sein.
Seitdem Karl alt genug war, dass sich seine Mutter nicht mehr den ganzen Tag um ihn kümmern musste, arbeitete sie ebenso hart auf dem Feld und im Stall wie der Vater. Jede Hand wurde gebraucht. Zwar gab es zwei junge Burschen, die beim Ausmisten des Stalls oder bei der Ernte halfen und die merkwürdigerweise beide Jan hießen, aber sie hatten oft nicht genug Zeit. Sie waren nämlich die beiden jüngsten Söhne vom benachbarten Hof, wo sie ebenfalls schuften mussten. Doch da die Erträge des Guts, das ihrer Familie gehörte, nicht ausreichten, verdienten sie sich bei den Nachbarn etwas dazu. Auch Rosa und Karl mussten mit anpacken. Obwohl sie meist froh und munter waren, merkten sie schon in jungen Jahren, dass das Leben ganz schön anstrengend sein konnte. Das allerdings war keine Ausnahme auf der Insel Feudalia, sondern so erging es fast allen, die dort wohnten.
Schon die Eltern waren auf Feudalia geboren, und auch deren Eltern und deren Eltern und so weiter. Das kleine Eiland bestand aus zwölf durch holprige Straßen miteinander verbundenen Dörfern, in denen jeweils kaum mehr als 20 Leute wohnten. Nur in der Stadt lebten und arbeiteten etwas mehr als 1000 Menschen. Dort gab es auch einen Hafen.
Rosa und Karl versuchten immer mal wieder, wenn ihnen langweilig war, bis 1000 zu zählen. Ihre Mutter unterrichtete die beiden im Rechnen, denn eine Schule gab es zwar in der Stadt, aber das war nichts für die Kinder aus den Dörfern. Sie hatten einfach keine Zeit dafür, da sie schließlich den Eltern bei der Arbeit helfen mussten. Oft brachten sich Karl und Rosa daher selbst etwas bei: Rosa liebte Zahlen, Karl Buchstaben. Sie rechnete lieber, und er las gerne etwas vor – am liebsten Märchen. Die Tage waren oft eintönig, heute verging wie gestern, und der nächste Tag stellte ebenfalls nichts Neues in Aussicht. Nicht einmal gefährliche Tiere lauerten irgendwo, wenn man einmal von den Wildschweinen absah, die sich im dichten Wald herumtrieben. Allerdings sollte ihnen im Laufe dieser Geschichte schon bald ein ganz ungewöhnliches Tier zuflattern.
Auch gab es nur wenige Spielkameraden: Die Kinder im Dorf – etwa ihre Freunde Margarethe, Walter und Leon – mussten selbst oft auf den Höfen ihrer Eltern arbeiten. Daher konnten Rosa und Karl nur in der kurzen Zeit zwischen der Arbeit und der Dämmerung etwas mit ihnen unternehmen. Allein im Winter, wenn weder gesät noch geerntet wurde, konnten die Kinder jeden Tag zusammen spielen. Allerdings war es dann so kalt, dass niemand gern vor die Tür ging.
Karl und Rosa hassten Langeweile, weshalb sie sich immer wieder neue Spiele einfallen ließen – oder sie begleiteten ihren Vater in die Stadt. Ob Apfelmarmelade, frische Milch von ihren zwei Kühen oder manchmal auch ein paar Eier, wenn die Hühner fleißig genug waren: All das verkaufte der Vater auf dem Markt. Das Getreide hingegen, das für das Auskommen der Familie besonders wichtig war, lieferte er an die zwei besten Bäcker der Insel. Von dem Geld konnte die Familie sich kaufen, was sie zum täglichen Leben brauchte, und manchmal blieb sogar etwas übrig, das die Mutter für schlechte Zeiten sparte. Schließlich brachte nicht jedes Jahr eine gute Ernte.
Heute jedoch stand kein Ausflug in die Stadt an. »Hoffentlich«, dachten Rosa und Karl gleichzeitig, »müssen wir nicht den Stall ausmisten!« Die Schweine quiekten zwar immer lustig, wenn gefegt und geschrubbt wurde, aber sie hatten meist eine schöne Schweinerei hinterlassen, wobei die Kühe und Hühner keineswegs besser waren. Nur sagt eben niemand »Küherei« – und »Hühnerei« bedeutet etwas anderes. Rosa rümpfte schon jetzt die Nase, auch wenn sie noch auf der Holzbank hockte und die Eltern erwartungsvoll anblickte.
Dann jedoch hörten sie aus dem Mund des Vaters beruhigende Worte: »Heute gibt es für euch Kinder wenig zu tun. Warum geht ihr nicht einfach in den Wald, um dort ein bisschen zu spielen?« Karl und Rosa freuten sich, ließen es sich aber nicht allzu sehr anmerken. Als sie in Richtung Tür strebten, bekamen sie von der Mutter noch einen Auftrag mit auf den Weg: »Bringt bitte etwas Holz...
Erscheint lt. Verlag | 12.8.2024 |
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Illustrationen | Nick-Martin Sternitzke |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | aktuelles Buch • Armut • Bücher Neuererscheinung • Carsten Maschmeyer • Das Kapital • Die Filmanalyse • Die Känguru-Chroniken • Die Neuen Zwanziger • Eigentum • Friedrich Engels • Geld • Gesellschaftskritik • Kapitalismus-Kritik • Karl Marx • Kinderbuch Wirtschaft • Klassenkampf • Kommunistisches Manifest • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Marc-Uwe Kling • Marx für Kinder • Marxismus • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Politische Ökonomie • Start-up Gang • Wirtschaft verstehen • Wohlstand für alle |
ISBN-10 | 3-458-78178-1 / 3458781781 |
ISBN-13 | 978-3-458-78178-3 / 9783458781783 |
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