Die Swifts (Band 1) - Ein vorzügliches Verbrechen (eBook)
448 Seiten
Loewe Verlag
978-3-7320-2164-2 (ISBN)
1. Erbschaft aus heiterem Himmel
An einem strahlenden, fein herausgeputzten Vormittag Anfang Mai steckte Familie Swift mitten in einer Beerdigung.
Das Haus sah tadellos aus. Der Rasen war sorgfältig vom Laub befreit, das Heckenlabyrinth frisch getrimmt und jede einzelne Statue hinter den Ohren gereinigt worden. Den ganzen Morgen hatten die Swifts vor dem Spiegel ihre Grabreden einstudiert und nun schritten sie in einem langsamen Trauerzug über den Friedhof, jede Miene ein Spiegelbild geübter Betroffenheit.
Laut Erztante Schadenfreude hatte eine Beerdigung auszusehen wie eine auf den Kopf gestellte Hochzeit. Die Familienmitglieder hatten sich redlich bemüht, Schadenfreudes Vorstellungen gerecht zu werden. Der Fußweg zum Grab der Erztante führte durch eine Brandung aus Blumen, in den Baumwipfeln hingen tiefschwarze Girlanden und Köchin hatte sogar einen Kuchen mit dem traurigen Anlass entsprechend dunklem Zuckerguss gebacken, der nun auf einem kleinen Tisch gleich links des Grabsteins stand. Rechts davon erklang ein schwermütiges Liedchen aus einem keuchenden Grammofon.
Schelmerei Swift trug das vordere Ende des Sargs. Sie war deutlich kleiner als die anderen Sargträger. Weiter hinten stakste ihre älteste Schwester Clementine und neben dieser ragte Onkel Mahlstrom empor. Schelmerei gab sich große Mühe, den Sarg so gerade wie möglich zu halten, und doch kippte er schon wieder bedenklich nach vorn. Phänomen, die dritte Schwester, lief einige Meter voraus, winkte den Trauerzug im Stil einer Fluglotsin über den Friedhof und warf Schelmerei dabei einen warnenden Blick zu. Diese versuchte, sich allein durch die Kraft ihrer Gedanken wachsen zu lassen – leider ohne Erfolg.
Der Trauerzug wand sich zwischen den Gräbern hindurch wie schwarze Zahnseide durch ein schiefes Gebiss. Im Vorbeigehen entzifferte Schelmerei die Namen ihrer längst verstorbenen Vorfahren auf den Grabsteinen:
FATAL SWIFT
1598 – 1652
Adjektiv
Ärger verursachend bis zum Verderben
und
ZINNOBER SWIFT
1733 – 1790
Substantiv
1. hellrotes bis blauschwarzes Mineral
2. leuchtendes Rot
3. wertloser Kram
4. Unfug
Als Schelmerei den Sarg auf einen anderen Punkt ihrer Schulter verlagerte, schwankte er bedrohlich. Clementine zischte sie mahnend an, also wackelte Schelmerei ihr zuliebe gleich noch einmal am Sarg. Auf dem edel schimmernden Holz hinterließ ihre Hand einen verschmierten Abdruck. Tante Schadenfreude, die der Meinung war, dass ein guter Sarg ruhig kostspieliger sein durfte als ein Haus, weil man schließlich länger tot sei als am Leben, hätte das nicht gefallen. Wobei ihr vermutlich so einiges nicht gefallen hätte. Etwa die abgewetzten Schuhe an Schelmereis Füßen, das Laub in ihren Haaren oder die Gedanken in ihrem Kopf.
Zu ihrer Rechten las sie nun:
FREVLERIN SWIFT
1860 – 1889
Substantiv
Missetäterin, Verbrecherin
Mit der hätte Schelmerei sich wahrscheinlich gut verstanden.
Als sie die Grabstelle erreichten, brach ein kleiner Tumult aus, weil die drei Swifts den Sarg jeweils unterschiedlich schnell abzusetzen begannen. Mahlstrom ging es langsam und würdevoll an, Clementine hingegen deutlich flotter, während Schelmerei noch darüber nachdachte, ob sie eine Frevlerin war, und deshalb nicht aufpasste.
»Schelmerei!«, zischte Clementine sie schon wieder an.
Aus dem Inneren des Sargs drang ein Jaulen.
Clementine schrie auf und ließ das Behältnis los. Mit einem dumpfen Bompf landete das Kopfende im Gras, der gesamte Sarg kippte gemächlich nach vorne – und rutschte ins Grab hinab, wobei der Deckel herunterflog. Schelmerei sprang im letzten Moment aus dem Weg, mitten in Köchins schwarz glasierten Kuchen hinein. Ihre beiden Hände versanken in der cremigen Vanillefüllung.
Abgesehen vom Keuchen des Grammofons kehrte Totenstille ein. Die Swifts spähten vorsichtig in die Grube.
Im offenen Sarg glitzerte warmes Sonnenlicht auf seidigem Schwarz. Selbstverständlich befand sich niemand in der Kiste – abgesehen von Kater John, der nun verschlafen blinzelte, sich genüsslich streckte und dann in Richtung Wald davontapste. Schelmerei schleckte sich Kuchen von den Fingern.
»Also wirklich«, ertönte eine Stimme hinter der Trauergesellschaft. »Das nenne ich mal einen rundum misslungenen Probelauf.«
Schuldbewusst drehte sich die Truppe zu Tante Schadenfreude um. Die hockte oben auf dem Zuwider-Denkmal, in der einen Hand ihren Gehstock, in der anderen ein Opernglas, mit dem sie ihre von der Verwandtschaft verwüstete Ruhestätte begutachtete.
»Am Tag der Tage wird es schon gut gehen, Tantchen!« Als Onkel Mahlstrom die Schultern lockerte, knarrten seine Gelenke wie die Balken eines alten Kahns. Er hob Schelmerei mit einer Hand hoch, duckte sich geschickt weg, als sie ihm Zuckerguss in den Bart schmieren wollte, und stellte sie grinsend wieder auf die Füße.
»Am Vormittag der Vormittage! Ich werde um elf Uhr bestattet«, präzisierte Tante Schadenfreude grummelnd und zog ihr schweres Eisenhalsband enger. »Bis zwölf habe ich unter der Erde zu sein und bis halb eins habt ihr ausgeheult zu haben, damit ihr um Viertel vor ins Haus zurückkehren könnt, wo ihr zu aufgewühlt sein werdet, das vorbereitete Mittagessen einzunehmen. Haben das alle verstanden? Wenn ich dich so ansehe, Mahlstrom, kommen mir leider gewisse Zweifel.«
Das Leben der Tante war vollständig durchorganisiert und an ihren Tod stellte sie die gleichen Erwartungen – und da es ihr nicht möglich sein würde, selbst Aufsicht über ihre Beerdigung zu führen, ließ sie ihre Familie einmal im Monat die gesamte Zeremonie durchspielen. Das ging schon so, seit Schelmerei denken konnte, und noch nie war es ihnen gelungen, alles richtig zu machen.
»Schelmerei, Clementine! Bitte versucht doch, den Sarg gerade zu halten. Man hatte den Eindruck, ihr würdet mich bergab tragen.«
»Aber wie denn, wenn Onkel Mahlstrom so viel größer ist?«, jammerte Clementine.
»In Anbetracht der durchschnittlichen Wachstumsrate Heranwachsender sollten wir bis zum Zeitpunkt der Beerdigung selbst ein ganzes Stück größer sein.« Phänomen kratzte einen Spritzer Zuckerguss von ihrem Laborkittel. »Das müsste für die richtige Balance sorgen.«
Die Tante schnaubte. »Billiger Optimismus! Ich könnte tot umfallen, bevor ihr auch nur einen weiteren Zentimeter gewachsen seid! Clementine, die Dekoration ist nicht unangemessen. Nur ein paar Schleifen mehr, in Ordnung? Und du, Schelmerei …«
Schelmerei ließ kurz das Kuchenschlecken bleiben.
»Ich tippe darauf, dass du John da reingetan hast.«
Schelmerei zuckte die Achseln. »Katzen mögen Kisten.«
»Ich weiß. Aber könntest du mein Grab bitte erst entweihen, nachdem ich bestattet wurde?«
Diese Bemerkung fand Schelmerei sehr unfair, hatte sich ihre Leistung aus ihrer Sicht doch stark gebessert. Im vergangenen Monat war ihr noch das Missgeschick unterlaufen, den Sarg so in der Haustür zu verkanten, dass die Familie tagelang wie unter einer Limbostange darunter hindurchtanzen musste.
Ihr säuerlicher Gesichtsausdruck spiegelte sich in dem ihrer Tante. »Na, ich schätze, für deinen Namen kannst du nichts.« Sie seufzte. »Lasst uns erst einmal zu Mittag essen. Aber bis morgen muss hier wieder Ordnung herrschen!«
Die Manöverkritik war beendet, die Truppe trat den Rückzug ins Haus an. Schelmerei strich mit den Fingerspitzen über die Grabsteine am Wegesrand und las die Namen: Rubrik. Katharsis. Unterfangen. Solchergestalt.
Für deinen Namen kannst du nichts.
Schelmerei schüttelte ihren Frust über den blöden Lieblingsspruch ihrer Tante ab. Am heutigen Tag würde sie sich von niemandem ärgern lassen.
Denn der heutige Tag war der vor dem morgigen und an jenem würde sie sich den Familienschatz sichern.
»Pass doch auf, wo du hinläufst!«, blaffte Clementine, als Schelmerei im Bocksprung über einen Grabstein setzte und knapp vor ihrer Schwester landete. »Selbst schuld, wenn man ständig auf dir rumtrampelt.«
»Nee, du bist schuld. Du hast so riesige Füße, damit musst du ja auf allem und jedem herumtrampeln.«
»Ich habe keine Riesenfüße. Du bist bloß sehr klein. Wie ein Ohrenkneifer, die kann man auch kaum im Auge behalten.«
Schelmerei schnalzte mit der Zunge und stürzte sich auf ihre Schwester, die Hände zu Beißzangen geformt.
Clementine zuckte zurück. »Gott, bist du seltsam.« Auf ihren viel längeren Beinen stakste sie davon.
»Dir ist schon klar, dass du sie nicht provozieren solltest?«
Phänomen rückte ihre Brille zurecht und fixierte Schelmerei mit wissendem Blick. Als Wissenschaftlerin konnte Phänomen nur wissend blicken. »Oder hast du vergessen, was aus deinem Katapult geworden ist?«
»Das werde ich nie vergessen.« Schelmerei hatte Clementine ja zu erklären versucht, dass sie überhaupt nicht auf sie zielen wollte, doch dafür hatten sich weder Schadenfreude noch Clementine selbst interessiert. Nun ruhte der Belagerator 5000 als Häuflein Asche in Köchins Holzofen und Schelmerei hatte bittere Rache geschworen.
Wenn sie den Schatz gefunden hätte, würde sie Clementine nichts davon abgeben, das stand schon mal fest.
Als sich die Truppe dem Haus näherte, fiel Schelmerei zweierlei auf: Erstens parkte ein Auto in der Einfahrt, ein geducktes, windschnittiges, flaschengrünes Gefährt. Die Motorhaube, die dem Maul eines Barrakudas...
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2024 |
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Reihe/Serie | Die Swifts | Die Swifts |
Illustrationen | Kai Schüttler |
Übersetzer | Ulrich Thiele |
Verlagsort | Bindlach |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | All Age Kinderbücher • Bücher wie Crazy Family • Bücher wie Ein Fall für Wells & Wong • Bücher wie Malvina Moorwood • Bücher wie Rory Shy • Bücher wie Winterhaus • Familiengeschichten für Kinder • Humorvolle Kinderbücher ab 10 Jahren • kinderbücher ab 10 jahren • Kinderbücher zum Selberlesen • Kinderkrimis ab 10 Jahren • Krimigeschichten zum Miträtseln für Kinder • Krimis für Kinder ab 10 Jahren • lustige Kinderbücher ab 10 Jahren • lustige Krimis für Kinder • Spannende Kinderbücher ab 10 Jahren |
ISBN-10 | 3-7320-2164-5 / 3732021645 |
ISBN-13 | 978-3-7320-2164-2 / 9783732021642 |
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