Oracle (eBook)
432 Seiten
Loewe Verlag
978-3-7320-2036-2 (ISBN)
Ursula Poznanski ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Jugendbuchautorinnen. Ihr Debüt Erebos, erschienen 2010, erhielt zahlreiche Auszeichnungen (u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis) und machte die Autorin international bekannt. Inzwischen schreibt sie auch Thriller für Erwachsene, die genauso regelmäßig auf den Bestsellerlisten zu finden sind wie ihre Jugendbücher. Sie lebt mit ihrer Familie im Süden von Wien. Mehr über die Autorin unter ursula-poznanski.de.
Ursula Poznanski ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Jugendbuchautorinnen. Ihr Debüt Erebos, erschienen 2010, erhielt zahlreiche Auszeichnungen (u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis) und machte die Autorin international bekannt. Inzwischen schreibt sie auch Thriller für Erwachsene, die genauso regelmäßig auf den Bestsellerlisten zu finden sind wie ihre Jugendbücher. Sie lebt mit ihrer Familie im Süden von Wien. Mehr über die Autorin unter ursula-poznanski.de.
1
Das Haus roch nach Putzmittel und angebranntem Toast. Julian hielt den Kopf gesenkt und den Blick starr zu Boden gerichtet; eine Eigenheit, die er sich eigentlich längst abgewöhnt hatte. Nun war der Drang danach plötzlich zurück, das fing ja gut an.
Er zählte die Stufen. Neun, zehn, elf, zwölf. Und noch einmal zwölf bis in die zweite Etage, wo sich sein Zimmer befinden musste.
Seine Tasche wog höchstens zehn Kilo, das meiste hatte er schon vorausgeschickt, nun waren darin nur noch die Dinge, von denen er sich nicht vorab hatte trennen wollen. Vertraute Dinge, die Sicherheit versprachen. Davon gab es nicht sehr viele, deshalb reiste er mit leichtem Gepäck.
»Hey, bist du neu?« Eine weibliche Stimme zu seiner Linken. Helle Sneaker mit roten Schuhbändern, rote Söckchen, die bis zu den Knöcheln reichten. Jeans, ein schlanker, herabhängender Arm, um dessen Handgelenk eine diamantbesetzte Uhr lag. Julians Blick blieb an dieser Uhr hängen. Die musste fake sein.
»Brauchst du Hilfe?«
»Nein danke«, murmelte Julian, den Blick weiterhin gesenkt.
Schau hoch, befahl er sich. Du kannst nicht wieder anfangen, bloß auf Schuhe zu starren. Es ist fast fünf Jahre her, dass zuletzt etwas passiert ist.
»Ich heiße Amelie«, sagte die Stimme. »Du bist sicher Robins neuer Mitbewohner, oder?«
Sie waren oben angekommen, und Julian stellte den Koffer ab. Auch mit gesenktem Kopf konnte er das Mädchen nun bis zur Gürtellinie sehen, die Beine in den Jeans, die seitlich herabhängenden Arme.
Schau hoch, verdammt.
Zögernd hob er den Blick. Sah blaue Augen, Sommersprossen, einen asymmetrisch geschnittenen blonden Schopf. Und eine irritiert in Falten gelegte Stirn, wie so oft.
Er atmete aus und lächelte. »Ich heiße Julian. Und ich soll Zimmer 48 suchen.«
»Sage ich doch.« Das Mädchen deutete in den Gang auf der linken Seite. »Du ziehst bei Robin ein.« Die Art, wie sie den Namen aussprach, ließ Julian denken, dass sie gerne mit ihm getauscht hätte. »Du hast es super erwischt, Robin ist cool, mit ihm wird dir sicher nie langweilig. Aber ich glaube, er ist gerade unterwegs.«
Julian versuchte, sich die Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Sein neuer Mitbewohner war nicht zu Hause, das vereinfachte den Start. Ursprünglich hatte er auf ein Einzelzimmer gehofft, aber das gab es in diesem Studentenheim nicht, und er hatte keine Diskussionen vom Zaun brechen wollen. Seine Eltern waren ohnehin dagegen gewesen, dass er auszog. Okay, nein, Mama war dagegen gewesen. »Warte doch noch ein bisschen«, hatte sie gesagt. »Du bleibst doch sowieso in der Stadt, also warum nicht bei uns?«
Weil er irgendwann lernen musste, sich normal in der Welt zu bewegen, das hatte auch Sonja gesagt, in mehr als nur einer Therapiestunde. Der Beginn des Studiums war ein guter Zeitpunkt dafür, das hatte er seinen Eltern versucht, begreiflich zu machen, und wider Erwarten hatte Papa zugestimmt.
»Hier«, sagte Amelie und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Sie klopfte an die Tür, und als nach ein paar Sekunden keine Antwort kam, drückte sie die Klinke nach unten.
Julian trat über die Schwelle und stellte seine Tasche in die Ecke. Zwei Betten, mit einem Regal als Sichtschutz dazwischen. Zwei Schreibtische, zwei schmale Kleiderschränke, neben einem davon standen seine Umzugskisten.
Es war ganz offensichtlich der Teil des Zimmers frei geworden, der beim Fenster lag, stellte er erleichtert fest. Das war gut. Er würde überraschenden Besuch nicht sofort vor Augen haben.
»Hier vorne ist Robins Bereich«, hörte er Amelie sagen, wieder mit dieser sehnsuchtsvollen Stimme. »Wenn du möchtest, zeige ich dir auch noch, wo die Küche ist?« Amelie war beim vorderen Schreibtisch stehen geblieben, den Blick auf ein Poster gerichtet, das darüber hing. Es zeigte einen riesigen Fisch mit leuchtenden Augen, der durch einen nebeligen Wald flog.
Nebel.
»Die Küche finde ich sicher selbst«, sagte Julian schnell. »Ich werde einfach dem Geruch folgen. Sobald ich ausgepackt habe.«
»Okay.« Amelie deutete zum Fenster. »Mach das vorerst nicht auf, es klemmt, aber Robin kennt da einen speziellen Trick. Und wenn du möchtest – Boris hat heute Geburtstag, wir machen Party ab acht in der Gemeinschaftsküche im ersten Stock. Solltest du nicht verpassen, Boris backt wahnsinnig gute Torten!«
»Danke.« Das Wort kam gepresst heraus, war kaum mehr als ein Flüstern.
Eine Party mit lauter fremden Menschen war nach Julians Verständnis das, was der Hölle am nächsten kam.
Er hob die Tasche auf sein Bett und öffnete sie. Verstaute seine Kleidung im Schrank und das Waschzeug im Badezimmer, auf der linken Seite des Waschbeckens, die frei war.
Die Sachen auf der rechten mussten Robin gehören. Der Rasierer, die Bürste. Der Nagellack. Der Lidschatten.
»Das wird ja bunt«, murmelte Julian vor sich hin, lächelnd. Bunt war gut. Solange das Rot nicht überwog.
Nach etwas mehr als einer Stunde hatte er sich eingerichtet. Den Schrank fertig eingeräumt, das Bett überzogen, das Foto in seinem Messingrahmen ins Regal gestellt. Als Glücksbringer.
Nun wog er die drei Pillenschachteln in der Hand, die ihn über die kommenden Monate bringen sollten. Eigentlich hätte er sie am liebsten versteckt, um erst gar keine Fragen aufkommen zu lassen.
Wozu brauchst du die? Bist du krank?
Aber egal, wie der Typ gestrickt sein würde, mit dem er nun das Zimmer teilte – früher oder später würde er mitbekommen, dass Julian morgens und abends eine Tablette einwarf.
Er verstaute die Schachteln in seiner Schreibtischschublade und stellte sich ans Fenster. Schaute nach draußen, in einen Innenhof mit mehreren Parkbänken. Zwei davon waren besetzt, von insgesamt fünf Leuten, hinter die Julian nun auch einen vorsichtigen grünen Haken machen konnte.
Ob er nach unten gehen und Hallo sagen sollte? Er würde das ohne jede Befürchtung tun und endlich einmal einen unbeschwerten ersten Eindruck hinterlassen können.
In dem Moment, als er sich umwandte, klingelte sein Handy. Sonja, verkündete das Display. Er seufzte, dann nahm er den Anruf entgegen. »Hi. Wenn du wissen möchtest, ob ich es wirklich durchgezogen habe: ja. Koffer ist schon ausgepackt, und bisher hat es noch keine unangenehmen Überraschungen gegeben.«
»Das freut mich wirklich sehr, Julian.« Es war nicht zu überhören, wie erleichtert sie war. »Du machst so große Fortschritte. Du schaffst auch das Treffen nächste Woche.«
Seine Laune sank unmittelbar. Die letzten Stunden über war es ihm gelungen, nicht an die Einladung zu denken, und schon gar nicht daran, dass er sie angenommen hatte, in einem übermütigen Moment.
»Mal sehen«, murmelte er. »Ich habe nichts versprochen.«
»Natürlich nicht«, bestätigte Sonja. »Lass uns in der Stunde noch mal darüber reden. Wir sehen uns Mittwoch?«
»Sicher.« Julian heftete seinen Blick auf das gerahmte Foto im Regal. »Pünktlich um drei.«
Nach dem Gespräch hatte er keine Lust mehr, in den Hof zu gehen. Er machte sich noch ein wenig mit dem Zimmer vertraut, betrachtete lange das eigenartig faszinierende Bild des fliegenden Fischs und den daneben hängenden Banksy-Druck. Eine Ratte, die an einem Fallschirm hing.
Vielleicht sollte er sich auch ein paar Poster zulegen, sein Vorgänger schien welche gehabt zu haben, den kleinen Löchern in der Wand nach zu schließen.
Aber fürs Erste würde Musik genügen, um sich ein Stück Vertrautheit in die neue Umgebung zu holen. Er legte sich aufs Bett, steckte sich die Earbuds in die Ohren und startete seine liebste Playlist. Drei Stunden, die für ihn wie ein akustisches Zuhause waren. Anoana von Heilung fühlte sich jedes Mal an, als hätte jemand ihn, Julian, herangenommen und seine Essenz in Musik übersetzt. Als hätte jemand seinen Ursprung ausfindig gemacht, diesen merkwürdigen Ort, den er niemandem zeigen konnte.
Er musste eingedöst sein, denn als er das nächste Mal genauer hinhörte, war die Playlist schon gut eine halbe Stunde weitergelaufen. Er gähnte, schlug die Augen auf – und riss vor Schreck beide Hände vors Gesicht, denn es stand jemand direkt vor seinem Bett, leicht über ihn gebeugt.
»Ach du Scheiße«, hörte er undeutlich durch die immer noch laufende Musik. Julian nahm die Hände von den Augen, die er aber immer noch geschlossen hielt, während er sich die Kopfhörer aus den Ohren zog.
»Sag bloß, du bist einer von dieser Sorte«, hörte er die Stimme von vorhin. Sie klang halb neugierig, halb verächtlich. »Dann wird das nichts mit uns.«
Einer von dieser Sorte? Konnte der Typ schon wissen, was mit Julian los war? »Wie meinst du das?«, fragte er und hob langsam die Lider, hielt den Blick aber an die Wand gerichtet.
»Frag doch nicht so. Ich kriege ja viele alberne Reaktionen, aber du kannst mich nicht einmal ansehen. Habe ich in der Form noch nicht erlebt, ehrlich gesagt.«
»Ich bin nur erschrocken.« Woraufhin sofort die alten Reflexe wieder eingesetzt hatten. Ausgerechnet bei seinem künftigen Mitbewohner.
»Verstehe«, sagte der andere angriffslustig. »Wovor denn genau? Vor meinem Make-up oder meinem Outfit?«
Julian atmete langsam aus und drehte sich um. »Ist mir beides wirklich egal.« Er musste es wieder schaffen, auf die Wirkung seiner Medikamente zu vertrauen, das hatte doch bis vor Kurzem gut geklappt. Und auch jetzt, bei dieser neuen Begegnung, war wieder alles in Ordnung. Der Blick in den Augen seines Gegenübers war zwar wütend, aber klar. Klar war auch, warum Julians Reaktion ihn so aufbrachte; er hatte sicher nicht übertrieben,...
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2023 |
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Verlagsort | Bindlach |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | All-Age Thriller • Bestseller Thriller für Jugendliche • Bücher für Jugendliche ab 14 Jahren • Bücher von Bestsellerautorin Ursula Poznanski • Bücher wie Erebos • Jugendbücher ab 14 Jahren • Jugendbücher über Außenseiter • Jugendthriller ab 14 Jahren • Poznanski Thriller 2023 • Poznanski Ursula Bücher • psychologische Krimis • Psycho Thriller Ursula Poznanski • Spannende Jugendbücher ab 14 Jahren • Thriller für Jugendliche • Ursula Poznanski Bücher • Ursula Poznanski Jugendübcher • Zukunft vorhersehen Thriller |
ISBN-10 | 3-7320-2036-3 / 3732020363 |
ISBN-13 | 978-3-7320-2036-2 / 9783732020362 |
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